Den Frauen in Saudi-Arabien werden künftig mehr Rechte zugestanden. Der plötzliche Sinneswandel des Kronprinzen Mohammed Bin Salman ist getrieben von wirtschaftlichen Interessen, aber die Frauen kümmert das wenig: Sie freuen sich über mehr Freiheiten. Dabei hilft ihnen das Startup „Glowork“.
Von Virginia Kirst, Dschidda
Ganz aufrecht sitzt Maram Alharbi auf einem schwarzen Sessel in einem Zimmer, das an die Eingangslobby der „My Care Clinic“ angrenzt. Das Ärztezentrum in der saudischen Hafenstadt Dschidda ist seit drei Monaten ihr Arbeitsplatz – der erste ihres Lebens. Das Gebäude liegt in einer Straße, die ebenso staubig und vollgeparkt ist wie die gesamte Innenstadt. Im Inneren sorgt eine Klimaanlage für eine erträgliche Temperatur, während die 24-Jährige ihre Aufgaben an der Rezeption aufzählt: Patientenakten anlegen, Termine vereinbaren, Rechnungen fertigstellen.
„Alles, was mit Geld zu tun hat, erledige ich“, erklärt sie und ihre Augen funkeln. Alharbi ist ganz von einer Abaya verhüllt, dem traditionellen, bodenlangen Gewand für Frauen in Saudi-Arabien. Ihr Modell ist zweifarbig: Die rechte Hälfte schwarz, die linke weiß, knapp über der Taille hält es ein geknoteter Gürtel zusammen. Es erinnert an einen japanischen Kimono. Wie die Mehrheit der Frauen im Land trägt sie einen schwarzen Schleier über ihrem Gesicht, allein ein Dreieck gibt ihre Augen frei: Sie sind dezent geschminkt, die Augenbrauen sorgfältig gezupft.
Auch wenn es in Saudi-Arabien keine Pflicht mehr ist, Haare und Gesicht mit einem Schleier zu verhüllen, tun es dennoch viele Frauen. So ungewohnt die Vollverschleierung für europäische Augen ist, so natürlich empfinden sie die saudischen Frauen. Und mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der sie ihre Abaya tragen, kleiden sie sich darunter modisch: Hin und wieder blitzen bunte Kleidungsfetzen hervor.
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Jobvermittler speziell für Frauen
„Von der Bewerbung bis zu meiner Einstellung hat es nur vier Tage gedauert“, sagt die 24-Jährige begeistert. Es scheint, als könne sie ihr Glück selbst kaum glauben. Ihr Studium – sie macht gerade einen Bachelor in Rechnungswesen – hat sie für ein Jahr unterbrochen, um Geld für sich und ihre Familie zu verdienen. Sie sagt, sie habe selbst den Wunsch gehabt, arbeiten zu gehen: „Um neue Menschen zu treffen und neue Dinge zu lernen. Ich möchte mit Zuversicht in die Zukunft blicken können.“
Das Unternehmen, das Maram Alharbi dabei geholfen hat, die Stelle zu finden, heißt „Glowork“: Das Startup wurde 2011 von Khalid Al-Khudair in der Hauptstadt Riad 2011 gegründet – mit dem ausdrücklichen Ziel, Frauen den Einstieg in die Arbeitswelt zu erleichtern. Sie gelten als motivierter als die saudischen Männer und sind mindestens so gut ausgebildet: So schlossen den neusten Zahlen von 2016 zufolge etwa 106.000 Frauen und 98.000 Männer ihr Studium an einer Universität des Landes ab. Das Startup erhält von der Regierung für jede Frau, der es eine Stelle vermittelt hat, eine Provision von umgerechnet 172 Euro. Weitere 430 Euro gibt es, wenn das Arbeitsverhältnis ein Jahr lang besteht.
Maram Alharbi wurde durch Werbung in dem sozialen Netzwerk Snapchat auf „Glowork“ aufmerksam und schickte ihre Bewerbung per Email. Überhaupt spielen Smartphones und das Internet in Saudi-Arabien eine sehr große Rolle: Laut der Nichtregierungsorganisation „Freedom House“ sind 74 Prozent der Bevölkerung mit dem Internet verbunden. Das sind zwar rund 16 Prozent weniger als in Deutschland, aber in Italien haben nur 61 Prozent der Bevölkerung Zugang zum Internet.
Zwar ist das Online-Angebot in Saudi-Arabien aus religiösen Motiven teilweise zensiert, aber anders als etwa in China hat die Bevölkerung Zugang zu sozialen Netzwerken wie Twitter, Facebook und Snapchat. Gerade in den großen Zentren des Landes, Riad im Landesinneren und der liberalen Hafenstadt Dschidda, starren noch mehr Menschen auf ihre Smartphones als in Berlin oder New York: ein Selfie hier, eine Sprachnachricht da.
Dass Frauen in Saudi-Arabien in privaten Unternehmen arbeiten war jedoch bis vor wenigen Jahren undenkbar. Es gab nur wenige Bereiche, in denen es ihnen überhaupt erlaubt war, einer Tätigkeit nachzugehen: in speziellen Abteilungen der Regierung, als Ärztin für andere Frauen und als Lehrerin für junge Kinder. Doch vor rund zehn Jahren begann das saudische Königshaus die strengen, religiös motivierten Regeln für Frauen zu lockern.
Anfangs nahmen hauptsächlich große, internationale Firmen die Möglichkeit wahr, Frauen einzustellen. Für sie war es einfacher, den finanziellen Aufwand zu bewältigen. Denn die weibliche und männliche Belegschaft musste damals komplett getrennt voneinander arbeiten – heute sind die Vorschriften nicht mehr ganz so streng.
Die Lockerung der Regeln ist wirtschaftlich motiviert
Vor rund fünf Jahren kam dann der Durchbuch: Seitdem ist es Frauen erlaubt, in immer mehr Branchen zu arbeiten – auch als Verkäuferinnen, was zur Folge hat, dass Frauen in den vielen Einkaufszentren Saudi-Arabiens jetzt ohne männliche Begleitung einkaufen gehen können und diese Möglichkeit ausgiebig nutzen. Auch der Job, in dem Maram Alharbi arbeitet, ist erst seit der erneuten Lockerung vor fünf Jahren durch Frauen besetzbar: „Ich wusste immer, dass ich mal arbeiten will. Jetzt freue ich mich, dass es in einem Bereich ist, den ich mir aussuchen kann.“
Mit ihrer Geschichte steht die Frau exemplarisch für eine junge Generation Saudi-Araberinnen, die in den vergangenen Jahren den Einstieg in den Arbeitsmarkt geschafft haben: Waren 2012 nur 46.000 saudische Frauen in der privaten Wirtschaft beschäftigt, stieg 2017 diese Zahl bereits auf 600.000. Viele von ihnen gehören der mit 70 Prozent größten Bevölkerungsgruppe des Landes an: Sie sind jünger als 35 Jahre. Und während in Deutschland das Bild vorherrscht, dass Staat, Religion und Männer die weibliche Bevölkerung Saudi-Arabiens unterdrücken und ihnen eine selbstständige Zukunft verwehren, gehen die Frauen ihren eigenen Weg und beanspruchen jedes neue Recht, das die Gesellschaft ihnen zugesteht, unmittelbar für sich.
Die Lockerung der strengen gesellschaftlichen Normen ist auf zwei Faktoren zurückzuführen: Der Kronprinz Mohammed Bin Salman schränkt die strengen Gesetze zusehends ein, um im eigenen Land Proteste nach den Vorbildern des Arabischen Frühlings, der vor sieben Jahren in vielen Ländern der Region zu einem Regimewechsel geführt hatte, zu verhindern. Zuletzt erlaubte das Königshaus seiner Bevölkerung öffentliche Kinos und Konzerte. Auch die Frauen haben häppchenweise neue Rechte erhalten: Sie brauchen keine Erlaubnis ihres männlichen Vormunds mehr, um ins Ausland zu reisen, dürfen Sportstadien besuchen und ab Ende Juni selbst Auto fahren.
Gleichzeitig gibt es Meldungen, dass vor kurzem Frauen, die sich für mehr Rechte stark gemacht hatten, unter fadenscheinigen Gründen verhaftet worden sind. Die Verhaftungen deuten darauf hin, dass das Königshaus trotz seines Reformkurses Zugeständnisse an die religiösen Führer des Landes machen muss. Außerdem soll nicht der Anschein erweckt werden, das Land wandle sich aufgrund des Drucks von Aktivistinnen – die Reformen sollen allein als Entscheidung der Landesführung wahrgenommen werden.
Der zweite, wichtigere Faktor ist, dass Saudi-Arabien es sich schlichtweg nicht mehr leisten kann, dass die Hälfte seiner Bevölkerung nicht arbeitet und mit Staatsgeldern versorgt werden muss. Denn jeder arbeitssuchende Saudi, egal ob Frau oder Mann, wird jedes Jahr mit umgerechnet 5.000 Euro unterstützt – und das, obwohl die Wirtschaft in ihrer schwersten Krise seit der Gründung des Landes steckt.
Da das Königreich vollkommen von seinen Ölexporten abhängig ist, trifft der nach wie vor niedrige Ölpreis die Staatskasse empfindlich. Er ist dafür verantwortlich, dass sich die Einnahmen des Landes in den vergangenen Jahren halbiert haben. Darum arbeitet das Königshaus neuerdings intensiv daran, die Wirtschaft zu stärken, die Abhängigkeit vom Öl zu reduzieren und die Staatskasse zu entlasten. Eine der Maßnahmen ist, den Anteil der berufstätigen Frauen von aktuell 22 auf 30 Prozent zu erhöhen.
„Glowork“ leistet Hilfe beim Einstellen weiblicher Angestellter
„Glowork“-Gründer Al-Khudair freut sich über die Wachstumsmöglichkeiten. „Die Menge an neuen Stellen für Frauen, die durch die neuen Gesetze entstehen, ist immens: Von der Automobilbranche, der Polizei bis hin zu Jobs als Mechanikerinnen – all diese Industrien sind jetzt offen für Frauen“, sagte er in einem Interview mit der Zeitung „Arab News“. Saudische Frauen seien „großartige Geschäftsfrauen“ und „sehr hartnäckig und gut darin, Dinge zu erledigen“.
Bisher hat das Unternehmen mit Zentrale in Riad 36.000 Frauen dabei geholfen, einen neuen Job zu finden. Die meisten Anfragen kommen von kleinen Unternehmen, die bisher keine weiblichen Angestellten hatten und darum keine Erfahrung mit dem Einstellungsprozess haben. Durch „Glowork“ sparen sie die Kosten, die die Suche nach neuem Personal mit sich bringt. Dazu gehören beispielsweise Vorstellungsgespräche und Vermittlungsgebühren, für die letzten Endes der Staat aufkommt.
In großen, internationalen Konzernen arbeiten Frauen und Männer hingegen schon länger Seite an Seite. Das sei am Anfang gar nicht so einfach gewesen, erinnert sich Saraa Kamal, die seit rund acht Jahren in Dschidda berufstätig ist: „Es fiel den Männern schwer, sich daran zu gewöhnen, weil wir Frauen ehrgeiziger und zielstrebiger sind.“ Die 30-Jährige trägt eine dunkelblaue Abaya mit einem grellgelben „Ikea“-Schriftzug auf dem rechten Ärmel. Ihr schwarzes Kopftuch lässt, locker um den Kopf geworfen, ihr gesamtes Gesicht frei. Es leuchtet vor Stolz, während sie von ihrer Karriere erzählt, die bei Siemens in Dschidda begann.
Dort arbeitete sie fünf Jahre lang und wechselte im Mai 2015 in die Personalentwicklung von Ikea. Bei dem Möbelkonzern fühlt sie sich wohl: Hier sei die Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen kein Problem mehr, da die Mitarbeiter seit Jahren daran gewöhnt seien. So wird etwa eine der Filialen von einer Frau geleitet – allerdings einer Schwedin. Erklärtes Ziel des Konzerns ist aber, dass bald auch eine saudische Frau den Job übernehmen kann, denn der Konzern entwickelt gezielt weibliche Mitarbeiterinnen weiter und stärkt ihre Kompetenzen. „Das spornt mich ungemein an“, sagt Saraa Kamal.
Auch Maram Alharbi möchte sich beruflich weiter verändern und sich nach ihrem Studienabschluss nach einer besseren Stelle umschauen. Sie ist sich sicher, dass ihre Familie sie darin weiter unterstützt: Ihr Ehemann findet es gut, dass sie arbeitet und „meine Eltern haben mich regelrecht dazu gedrängt, den Job anzunehmen“. Auch die Betreuung ihres Kindes ist in der Familie geregelt. Wenn die junge Frau morgens um sieben zur Arbeit geht, übernehmen die Schwiegereltern ihren Sohn. Ihr Mann holt ihn ab, sobald er mit seiner Arbeit fertig ist. Und wenn Alharbis Schicht um vier Uhr nachmittags endet, ist sie an der Reihe.
Zum Schluss verrät sie noch ihren Traum: „Eines Tages möchte ich gern mein eigenes Unternehmen haben.“ Welche Art von Unternehmen? „Das, wonach der Markt dann gerade verlangt – wichtig ist nur, dass es mein eigenes ist“, sagt sie. Gut, dass zum Reformpaket von Kronprinz Mohammed Bin Salman auch weitreichende rechtliche Verbesserungen für Frauen gehören: Sie dürfen jetzt selbst Verträge unterzeichnen und Unternehmen gründen. Bisher musste immer ein männlicher Vormund seine Unterschrift unter offizielle Dokumente setzen. Doch diese Zeiten sind nun vorbei.