Verhütung wird oft als Frauensache angesehen, insbesondere in anderen Ländern. Unsere Korrespondentinnen werfen im zweiten Teil unserer Serie einen Blick darauf, wie Spanien und Irland mit dem Thema umgehen. So musste man beispielsweise im katholischen Irland lange Zeit Kondome aus dem britischen Norden einschmuggeln, wenn man kein siebtes oder achtes Kind haben wollte.
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Von Christine Memminger, München
„Es ist meine Entscheidung. Meine Zukunft. Mein Tag danach.“ In einem Werbespot der Marke „Ellaone“ gehen junge Frauen ganz selbstverständlich in die Apotheke und kaufen sich die „Pille danach“. Seit 2009 gibt es die bereits rezeptfrei in Spanien, doch genau jetzt trifft die Kampagne einen Nerv in der Bevölkerung. Selbstbestimmt, modern und divers werden die Frauen in der Werbung dargestellt.
Das Marketing wirkt: Immer mehr von ihnen greifen tatsächlich zu diesem Verhütungsmittel. 30 Prozent der Spanierinnen zwischen 15 und 49 Jahren haben bereits mindestens einmal die „Pille danach“ genommen, ergab eine repräsentative Umfrage der spanischen Verhütungsgemeinschaft SEC – Tendenz steigend, die Skrupel vor dieser einmaligen Hormondosis sind offenbar gering.
Ganz im Gegensatz zur regelmäßigen Einnahme von Hormonen: Nur 17 Prozent der Spanierinnen verhüten mit der Antibabypille, obwohl diese ebenfalls rezeptfrei in der Apotheke erhältlich ist. Als Grund dafür geben die Frauen in der Umfrage vor allem an, dass sie die Nebenwirkungen fürchten. Mehr als die Hälfte von ihnen geht von dauerhaften Kreislauf- und Gewichtsproblemen, sowie Stimmungsschwankungen aus. Jugendliche stufen die Methode außerdem als „unfair“ ein, da sie nur in den weiblichen Körper eingreift.
Auch der Kostenfaktor spielt eine Rolle, denn die Krankenkasse übernimmt die Kosten der Pille normalerweise nicht. Mit sechs bis zehn Euro pro Zyklus ist sie zwar durchaus erschwinglich für spanische Einkommen – die „Pille danach“ gibt es jedoch auch schon ab 15 Euro. Andere langfristige Verhütungsmittel wie die Spirale oder der Vaginalring werden nur schleppend bekannter und beliebter.
Aktuell verhüten die Spanier*innen am häufigsten – mehr als 30 Prozent – mit dem Kondom. Sie kaufen diese ganz entspannt im Supermarkt oder in der Apotheke. Mit der starken feministischen Bewegung wandelt sich langsam auch das bisher vorherrschende Verständnis, Frauen seien für die Verhütung zuständig. Nicht nur, dass Männer ebenfalls Kondome kaufen und sie anwenden oder sich an den Kosten anderer Verhütungsmittel beteiligen. Mit großer Hoffnung wird auch die „Pille für den Mann“ erwartet, die verschiedenen Medienberichten zufolge noch 2020 auf den spanischen Markt kommen soll.
Auf welchem Weg auch immer – die Spanier*innen verhüten erfolgreich. Seit Jahren liegt die Geburtenrate mit 1,3 Kindern im europäischen Vergleich ganz hinten und mit einem Durchschnittsalter von 31 Jahren bekommen Frauen verhältnismäßig spät ihr erstes Kind. Das war nicht immer so. Noch bis vor 40 Jahren waren Verhütungsmittel entweder verboten oder verschrien. Inzwischen ist das Land diesbezüglich eines der liberalsten in ganz Europa.
Ganze 27 Prozent der Befragten in der SEC-Umfrage geben übrigens an, auch ohne Kinderwunsch überhaupt nicht zu verhüten. Was zunächst widersprüchlich erscheint, erklären die Autor*innen hauptsächlich mit zwei Gründen: Erstens sei nicht ausgeschlossen, dass diese Frauen im Fall der Fälle doch mit der „Pille danach“ verhüten würden. Und zweitens hätten diese Befragten insgesamt wenige sexuelle Beziehungen. Verschiedene Boulevardmedien berichten ebenfalls über diesen Trend: Angeblich haben die Spanier*innen seit Jahren immer weniger Sex: inzwischen durchschnittlich „nur“ noch einmal pro Woche.
Von Mareike Graepel, Dublin
Im Durchschnitt hat eine Irin heute 1,82 Kinder und schon lange nicht mehr 4,03 wie 1965 – dank Pille, Mini-Pille, Pflaster, Vaginalring, Diaphragma oder „Pille danach“. Die sind nun für jede*n erhältlich, aber teuer. 200 Euro für ein Präparat wie die Drei-Monats-Spritze, Spirale oder Hormonimplantate sind keine Seltenheit. Zuständig für Verhütung und ihre Bezahlung ist in Irland meistens die Frau.
Das könnte daran liegen, dass einer von zehn irischen Männern glaubt, dass bei einer Vasektomie seine Hoden entfernt würden, und nur acht Prozent eine haben machen lassen. In weniger als der Hälfte der Partnerschaften teilen sich beide die Verantwortung in Sachen Verhütung. Diese Umfrage-Ergebnisse des Meinungsforschungsunternehmens „Behaviour & Attitudes“ erläutern aber leider nicht, wie das „Teilen der Verantwortung“ zu verstehen ist – finanziell, physisch-medizinisch oder emotional?
Verhütung war in Irland bis 1979 komplett, bis 1985 teilweise verboten. Kondome dürfen in Irland erst seit 1993 auch außerhalb von Apotheken, Arztpraxen, Gesundheitsbehörden und lizenzierten Familienplanungskliniken in Drogerien, Automaten in Pubs oder an der Tankstelle verkauft werden. Geschlechtskrankheiten rückten zudem erst viel später ins irische Bewusstsein – unter anderem wegen der Annahme, dass die Menschen ja nur eine*n Geschlechtspartner*in im Leben haben sollten.
Dass Verhütung suspekt oder gar überflüssig sein soll(te), liegt in der katholischen Geschichte des Landes begründet. Die Kirche ist bis heute in 90 Prozent der Schulen für die Bildung zuständig – Sexualkunde wird entsprechend selten unterrichtet, und Geschlechtsverkehr bleibt so in den Köpfen der Erwachsenen etwas Verbotenes, wenn er „nur“ Spaß macht.
„Ich will auf keinen Fall noch mehr Kinder, ich habe genug davon“, erzählte die 44-jährige Marie Monaghan dem „Woman’s Way“-Magazine im Mai 1969 als Mutter von sechs Kindern. „Ich werde keinerlei Skrupel haben, die Pille zu nehmen. Die Leute können über das, was der Papst in der Enzyklika gesagt hat, so viel predigen, wie sie wollen, aber wie soll ich mich um eine große Familie kümmern, wenn mein Mann arbeitslos ist und die Rechnungen immer höher werden?“ Monaghan bekam die Pille von ihrem Arzt verschrieben als sie ihm von „Zyklusproblemen“ erzählte.
Heute braucht es keine Ausreden mehr, früher war das anders. „Sex war ausschließlich für die Fortpflanzung gedacht, das haben uns die Pfarrer und Schwestern immer wieder erzählt“, so Emily Powers, Sexualwissenschaftlerin in Kildare bei Dublin. „Wir müssen in Irland dringend mehr aufklären. Sex soll Genuss sein dürfen.“ Noch aber gilt: Frauen, die Spaß am Sex ohne Folgen haben möchten, müssen sich selbst aktiv schützen. Leider tun das nicht viele.
Irland rangiert derzeit unter den 28 EU-Mitgliedsstaaten an viertletzter Stelle beim Gebrauch von Verhütungsmitteln. Auf der Insel am Rande von Europa scheint Verhütung bis heute unwichtig oder peinlich zu sein: Ein Drittel der 18- bis 45-jährigen Frauen benutzt gar kein Verhütungsmittel. Laut der Chefin von „Behaviour & Attitudes“, Olive Braiden, führe „die Angst, als sexuell freizügig abgestempelt zu werden, dazu, dass irische Frauen eher ungeplante Schwangerschaften riskieren, als sich zu schützen.“
Von denjenigen, die verhüten, gab mehr als ein Viertel der Frauen an, Kondome zu benutzen, ebenso viele verwenden hormonelle Verhütungsmittel wie die Pille. Ein Drittel der irischen Frauen setzt einer 2016 durchgeführten Umfrage allerdings auf Coitus interruptus, um eine Schwangerschaft zu vermeiden, am ehesten die 18- bis 34-Jährigen (mit 34 Prozent), am seltensten die über 55-Jährigen (mit 25 Prozent). Bemerkenswert ist, dass jede sechste Frau bereits mindestens einmal die rezeptfreie „Pille danach“ eingenommen hat. Dennoch gab einige Frauen an, dass dessen Einnahme sie nicht dazu veranlasst habe, ihren Verhütungsbedarf zu überprüfen.
Lichtblick und Motivation zugleich: Ab 2021 sollen alle Verhütungsmittel auf der Grünen Insel für Frauen kostenlos sein. Ob das einen Einfluss auf den irischen Umgang mit Geschlechtskrankheiten, den Sexualkundeunterricht in den kirchlichen Schulen und die Anzahl der ungeplanten Schwangerschaften haben wird, bleibt abzuwarten. Wichtig sei aber, so Mary Short, Direktorin am Irish College der Hausärzte, zuständig für reproduktive und sexuelle Gesundheit, dass das auch für Langzeit-Präparate gilt.