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Zwischen Hort, Laptop und Kettensäge
Wie lebt es sich mit Kind und Job in Schweden?

13. Januar 2025 | Von Regine Glass | 11 Minuten Lesezeit
Mit nachbarschaftlicher Hilfe renoviert Milena Glimbovski ihr Haus. Fotos: Franziska Schädel

Gründerin, Businesscoach und Autorin Milena Glimbovski ist als überwiegend allein erziehende Mutter nach Schweden ausgewandert. Wie familienfreundlich ist das Land im Norden wirklich?

Von Regine Glass, Göteborg

 

Zusammenfassung:

Milena Glimbovski, Gründerin und Autorin, zog als alleinerziehende Mutter nach Schweden, um sich ihren Traum vom Leben in der Natur zu erfüllen. Trotz Herausforderungen, wie der Renovierung eines Hofes, schätzt sie die umfangreiche Kinderbetreuung, die flexible Elternzeit und die nachbarschaftliche Hilfe. Doch Schweden ist kein Gleichberechtigungsparadies: Frauen übernehmen oft längere Elternzeiten, was Karrieren bremst. Dennoch bieten bessere Betreuungsstrukturen viele Vorteile für berufstätige Eltern.

 

Ein Holzhäuschen mitten im Wald. An unberührter Natur mangelt es nicht in der südschwedischen Region Skåne. Hier ist das neue Zuhause von Milena Glimbovski, hier wohnt sie gemeinsam mit ihrem sechsjährigen Sohn und ihren zwei Katzen. Glimbovski lebt getrennt. Dennoch wagte sie es, einen unrenovierten Hof zu kaufen und auf eigene Faust nach Schweden auszuwandern. Statt nur am Laptop zu sitzen hält sie nun immer öfter auch einmal eine Kettensäge in der Hand.

Bekannt ist die Wahlschwedin in Deutschland vor allem wegen ihren erfolgreichen Gründungen von der Ladenkette „Original Unverpackt“ und dem Terminkalender „Ein guter Plan“. 2018 wurde die damals 28-Jährige für ihre Leistung in beiden Firmen vom Berliner Senat als Unternehmerin des Jahres ausgezeichnet. Sie unterstützt inzwischen andere Unternehmen als Businesscoach und Strategin. Außerdem verfasst sie Sachbücher, bereits erschienen sind „Ohne Wenn und Abfall“ und zuletzt „Über das Leben in der Klimakrise“. Ein neues Buch ist in Arbeit.

In Schweden wohnen wollte die Unternehmerin schon längere Zeit. Während des ersten Corona-Lockdowns kaufte sie mit ihrem damaligen Partner in der Nähe von Göteborg ein rotes Häuschen als Ferienhaus, in das sie 2020 vorübergehend zogen. Zwischendurch kamen sie zurück nach Deutschland, zogen aus der Metropole in die Kleinstadt Eberswalde. Doch die Sehnsucht nach einem ruhigeren Leben im Norden blieb. „Wir wollten es einfach einmal ausprobieren und sagten uns: Wenn es doof ist, ziehen wir eben wieder zurück.“ Eigentlich seien sie zuversichtlich gewesen, dass der Umzug gut funktionieren würde. Und dann kam doch alles anders: Glimbovski trennte sich vom Vater ihres Kindes.

Milena Glimbovski empfindet die Bedingungen in Schweden als gut für ihr Kind. I Foto: Joakim Johanson

Auswandern nach Trennung

„Bei einer Trennung mit Kind wird es plötzlich kritisch, auch nur den Stadtteil zu verlassen“, erzählt die Unternehmerin, denn Kinder seien oft durch ihre Schule und den Freundeskreis an einen Ort gebunden. Bei der Wahl des Wohnortes dächten Paare nicht daran, ob sie dort auch nach einer Trennung bleiben wollen würden und welche Konsequenzen dies für ein gemeinsames Kind haben könnte. Sie erfüllte ihren Traum vom Landleben dennoch – in der Nähe Malmös in Südschweden, in der Region Skåne.

An Schweden gefallen hatte ihr schon damals, als sie zusammen mit Mann und Kind in der Nähe Göteborgs wohnte: die nachbarschaftliche Hilfe, eine höhere Bereitschaft zu sozialen Berufen, sowie die Nähe zur Natur und Einsamkeit. Nun, ohne Pandemie und allein mit Kind, weiß sie auch andere Vorteile des neuen Landes zu schätzen, vor allem den Hort und die Schule, in die ihr Kind geht, während sie arbeitet. Sie sagt: „Ich weiß zum Beispiel, dass ich mein Kind völlig entspannt bis vier oder fünf Uhr nachmittags im Hort lassen kann. Ich weiß: Er erlebt da tolle Sachen, kann Sport machen, basteln. Selbst, wenn ich nachts arbeiten würde, würde dafür eine Betreuung gefunden werden.“

Tatsächlich gibt es in Schweden einen Anspruch auf Kinderbetreuung zu unbequemen Zeiten wie nachts, am Abend oder am Wochenende, wenn Eltern zu diesen Zeiten arbeiten müssen. Sie kostet genauso viel wie die gewöhnliche Betreuung in Kindergarten oder Hort. Auch ist sie beeindruckt über die aus ihrer Sicht kleinen Klassen, in denen Lehrer*innen inklusiv unterrichten.

Besonders aufgefallen ist ihr dabei, wie gut die Lehrkräfte zum Beispiel mit autistischen Kindern umgehen. Lehrer*innen in Schweden bemängeln dagegen immer wieder, dass die schwedischen Klassen immer größer werden. Noch vor zehn Jahren hatte eine schwedische Klasse in allen Schulformen im Durchschnitt 19 Schüler*innen, nun können auch ähnlich wie in Deutschland eine Lehrer*in für etwa 30 Schüler*innen zuständig sein.

Beim Renovieren ihres Hauses war für Milena Glimbovski oft „selbst ist die Frau“ das Motto.

Milena Glimbovski weiß, dass auch in Schweden nicht alles perfekt sei. An den Schulen werde inzwischen immer weiter gespart, und doch sehe sie deutliche Unterschiede zu Deutschland. Die umfangreiche Kinderbetreuung in Schweden lasse ihr genügend Zeit, halbtags Schwedisch zu lernen und an ihrem großen Projekt zu arbeiten – der Renovierung des Hauses – das sich als größere Baustelle entpuppt hatte als anfangs angenommen. Gestemmt hat sie diese große Anstrengung vor allem mit Hilfe ihrer Nachbar*innen.

Nachbarschaftliche Hilfe erleichtert Leben

„In Schweden ist viel über Facebook-Gruppen organisiert, wo man nach aller möglicher Art von Hilfe fragen kann.“ Diese Erfahrung inspirierte sie zu einem Vortrag für die Marke „TedTalk“, bei der einflussreiche Menschen aus Kultur, Politik und Wirtschaft Videos aufnehmen. Sie sprach darin über nachbarschaftliche Hilfe, die Menschen vor allem in Krisenzeiten stärke. Wenn zum Beispiel bei einer Naturkatastrophe die Infrastruktur zusammenbreche, seien soziale Kontakte überlebenswichtig.  

Gleichzeitig fühlen sich in Schweden, wo etwa zehn Millionen Einwohner*innen wohnen, mehr Menschen einsam und leben allein als in anderen europäischen Ländern, ergab eine Studie der europäischen Kommission 2024. Gerade diese einsamen Weiten und die Nähe zur Natur ziehen viele deutsche Auswander*innen wie Milena Glimbosvki nach Schweden. Das bewies zuletzt ein Artikel im SPIEGEL und zahlreiche Profile von Influencer*innen, die in Schweden leben, auf Instagram.

Die ehemalige Deutschland-Korrespondentin der schwedischen Tageszeitung „Dagens Nyheter“, Lovisa Herolds, hatte in einer Kolumne mit dem Titel „Ich wünschte, die deutschen Mamas hätten Recht mit Schweden“ darüber geschrieben, dass viele junge Frauen sich Schweden als eine Art feministisches Paradies vorstellen, in dem sie gleichberechtigt Leben, arbeiten und Kinder haben können. Gender-Pay-Gap, Kitakrise und die ungleiche Aufteilung von Sorgearbeit würden das Gegenteil beweisen.

Ungleichheiten in den ersten beiden Lebensjahren

Als getrennt erziehende Mutter hat Glimbovski in ihrem Haus in Skåne ihr Zuhause gefunden.

Ein Blick auf Zahlen und Fakten zeigt: Mit einem Gender-Pay-Gap von 11,7 Prozent (2023) liegt Schweden im europäischen Vergleich deutlich vor Deutschland (17,7 Prozent). Außerdem startete im größten Land Skandinaviens 2024 das neue Elterngeld für alle. Darüber gab es viele positive Artikel in Deutschland, die vor allem hervorhoben, dass Großeltern künftig bezahlte Betreuungszeit für ein Kind bekommen können. In Schweden wurde es dagegen kritischer aufgenommen, weil dadurch weniger Väter motiviert werden könnten, eine gleich lange Elternzeit zu nehmen.

Die gewerkschaftliche Zentralorganisation TCO veröffentlichte 2024 eine Studie, aus der hervorging, dass Paare in Schweden vor allem in den ersten beiden Lebensjahren eines Kindes ungleichberechtigt leben. Åsa Forsell, die die Studie durchführte, sieht die Ursachen hierfür auf mehreren Ebenen. „In Schweden kann man die Elternzeit bis zum 12. Lebensjahr strecken, indem man niedrigeres Elterngeld pro Monat bekommt“, so Forsell. Aber die Studie zeigt auch: Frauen nehmen deutlich mehr dieser unbezahlten Elterntage als Väter.

Und ein weiteres wichtiges Ergebnis: Frauen nehmen im Durchschnitt neun Monate mehr Elternzeit als Männer. Auf den ersten Blick sieht es in den Statistiken so aus, als wäre der Unterschied mit 8, 6 Monaten bezahlter Elternzeit bei Frauen und 2,4 Monaten bei Männern ein kleiner Unterschied. Doch sieht man sich die Gesamtzahl, inklusive der unbezahlten Elternzeit an, ist er mit 12,7 Monaten bei Frauen versus 3,4 Monaten bei Männern deutlich höher. Zum Vergleich: In Deutschland waren es zuletzt im Durchschnitt 14 Monate für Frauen und 3,6 Monate für Männer.

Nachteile ergeben sich für Frauen aus langer Elternzeit

Aus dieser längeren, zusammenhängenden Elternzeit ergeben sich auch in Schweden weitere Nachteile für die Karriere, das Einkommen und Unterschiede in den Pensionsansprüchen für Frauen. Eigentlich hat die Behörde, die für die Verteilung des Elterngeldes zuständig ist, den Regierungsauftrag, zu einer gleichberechtigten Aufteilung der Elternzeit zu beraten. „Doch dem kommt sie nicht in ausreichendem Maße nach. Das System ist viel zu kompliziert“, erklärt Forsell. 

An Schweden schätzt die Unternehmerin vor allem die Nähe zur Natur.

Ihre Gewerkschaft hat sich ein paar explizite Forderungen dafür überlegt, die Elternschaft in Schweden gleichberechtigter zu gestalten. Dazu gehören: Ein Bonus für Elternpaare, wenn sie die Elternzeit in den ersten beiden Jahren gleich lang aufteilen, der auf ihr Konto überwiesen wird, sobald das Kind zwei Jahre alt wird. Eine bessere Aufklärung darüber, was eine unbezahlte Elternzeit bedeutet. Die Aufteilung der Elterntage zu drei gleichen Teilen, bei dem jedes Elternteil ein Drittel erhält und den dritten Teil wahlfrei vergeben kann.

Aber auch eine Veränderung, die nicht in Zahlen zu messen ist: „Wenn Chef*innen und Kolleg*innen ein Klima schaffen, in dem es normal ist, dass Frauen kürzere und Männer längere Elternzeiten nehmen, dann trägt das auch dazu bei, dass sich die Norm  verändert“. Auch Schweden ist also noch kein Paradies der Gleichberechtigung.

Doch durch die umfassende Betreuungslage und eine Elternzeit, die viel flexibler gestaltet und auf mehrere Schultern verteilt werden kann, finden nicht nur allein- und getrennt erziehende Mütter wie Milena Glimbovski in Schweden bessere Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Beruf, Leben und Familie vor als in Deutschland.

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Von Regine Glass, Göteborg

Regine Glaß lebt als freie Journalistin, Autorin und Übersetzerin in Göteborg. Von Westschweden aus schreibt sie Reportagen, Interviews und Analysen auf Deutsch und Schwedisch. Ihre journalistischen Themen sind urbanes Leben, die Gleichstellung aller Geschlechter und die Gefahr von rechts-außen. Mehr unter: https://regineglass.com/ 

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Eva CasperKyoto
Umeko Tsuda ziert den neuen 5.000 Yen-Schein in Japan, umgerechnet 31 Euro. Die Pädagogin setzte sich im 19. Jahrhundert gegen große Widerstände für eine bessere Bildung von Mädchen und Frauen ein. Diese hatten damals kaum Rechte und Möglichkeiten, frei zu leben.

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