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Zurück im Leben
Rucksack für Brustkrebs-Patientinnen

19. Februar 2020 | Von Christine Memminger
Maria Prandi, Gründerin von “Woman’sBack”, mit ihrem Rucksack unterwegs in der Natur. Fotos: Christine Memminger

In Spanien haben Frauen einen weltweit einzigartigen Rucksack für Brustkrebs-Patientinnen entwickelt. Unternehmerin Maria Prandi will damit nicht nur ein gesundheitliches Problem lösen, sondern sich selbst und anderen Betroffenen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen.

Von Christine Memminger, Barcelona

Bergsteigen, Wandern, Skifahren – oder auch einfach einen ausgedehnten Spaziergang durch den Wald vor ihrer Haustür machen, wie an diesem Nachmittag. Maria Prandi liebt es, draußen in der Natur unterwegs zu sein. Sie empfinde dann „ein Gefühl von Freiheit und Vollkommenheit“, sagt sie und bleibt auf einer Lichtung stehen. Doch diese Freiheit war bedroht: erst von Krankheit und dann von der Tatsache, dass sie keinen Rucksack mehr tragen durfte. Sie lässt den Blick hinauf zu den Baumspitzen und bis in den wolkenlosen Himmel schweifen. Atmet tief durch und erzählt, wie sie zur Erfinderin wurde und das Startup „Woman’sBack“ gründete, um diese Freiheit wieder zu erlangen.

2015 wird bei Maria Prandi Brustkrebs diagnostiziert, sie ist damals 47. Bei der Behandlung werden der zweifachen Mutter nicht nur mehrere Tumore in der Brust entfernt, sondern auch einige Lymphknoten unter der linken Achsel. Nach der Operation und über einem Jahr Chemotherapie gilt sie schließlich als geheilt, darf jedoch aufgrund des geschwächten Lymphsystems den Bereich der linken Brust und Schulter nicht mehr belasten. Das bedeutet auch, dass die herkömmlichen Rucksackmodelle ausscheiden. „Was soll das?“, fragt sich Prandi, als sie aus der Klinik entlassen wird.

„Meine Krankheit darf nicht dazu führen, dass ich bei Dingen, die mir gefallen, von anderen abhängig bin.“ Bei Ausflügen immer ihre Kinder oder Freund*innen um Hilfe bitten zu müssen, kommt für sie nicht infrage. Weil sie im Internet keine Lösung findet, bindet sie für eine Tour in den Pyrenäen kurzerhand bei einem alten Wanderrucksack einen Träger nach hinten und hilft vorne mit Schnüren nach. „Es funktionierte ganz gut“, erzählt Prandi. „Und ich dachte, das muss ich mit jemandem besprechen, der mir dabei helfen kann, solche Rucksäcke auch für andere Frauen in der gleichen Situation zu machen, die ein normales Leben – draußen – haben wollen.“

 

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Sie präsentiert ihre Idee also einem kleinen Sportartikelvertrieb in Barcelona. Dessen Inhaber Jordi Costa ist sofort begeistert und gründet zusammen mit Prandi das Startup „Woman’sBack“. Costas Tochter Lali wird Geschäftsführerin, eine Näherin seines Unternehmens, Merche Fernández, macht das Team komplett. Zusammen wollen sie genau solche Rucksäcke herstellen und fertigen einen Prototyp, den Maria Prandi auch auf ihrem Spaziergang trägt: einen lilafarbenen Trekking-Rucksack mit nur einem Tragegurt. Von hinten sieht er ganz normal aus. Vorne jedoch verlaufen statt eines zweiten Trägers drei Gurte: ein breiter Hüftgurt sowie zwei schmalere Gurte über die Brust und unter der linken Achsel nach hinten. So bleibt der Arm auf ihrer operierten Seite komplett frei. „Das Wichtigste war, das Gewicht gleichmäßig zu verteilen“, erklärt die Erfinderin.

Inzwischen gibt es auch Modelle in anderen Farben und Größen. Die Grundlage bilden Rucksäcke von bekannten Marken, mit denen „Woman’sBack“ kooperiert. Diese werden von Hand umgenäht und bekommen neue Namen. Martha, Rose oder Lucy heißen sie, benannt nach „inspirierenden Frauen aus unserem Umfeld“, erklärt die 24-jährige Geschäftsführerin Lali Costa. Sie führt durch die Flure im Keller des Sportartikelvertriebs ihres Vaters bis hin zur Nähmaschine. „Auch in unserer Familie gab es Fälle von Brustkrebs, also ging es uns auch persönlich an“, sagt sie. „Weltweit bekommt eine von acht Frauen im Laufe ihres Lebens Brustkrebs. Allein aus diesem Grund hat man schon einen Antrieb, hier mitzumachen.“

Im Keller eines kleinen Sportartikelvertriebs in Barcelona werden die Rucksäcke angepasst (Foto: Woman’sBack).

Die drei Frauen bei „Woman’sBack“ bewundern und motivieren sich gegenseitig. Costa sagt über Prandi, sie sei eine „Macherin“ mit einer „genialen Idee“. Prandi selbst meint, „ich bin ganz normal“ und sagt über Costa, dass es ohne ihr Engagement „Woman’sBack“ nicht gäbe. Beide verweisen immer wieder darauf, dass erst Näherin Fernández die Idee perfekt in die Wirklichkeit umsetze. Und Fernández sitzt an ihrer Nähmaschine im Keller und meint, sie habe hier ja wohl wirklich den kleinsten Teil der Arbeit. Stolz blicken sie auf das lange Regal, in dem sich die Rucksäcke stapeln. Von jedem ist stets einer mit linkem und einer mit rechtem Träger vorrätig – je nachdem, auf welcher Seite die Krebserkrankte operiert wurde.

Gefahr eines Lymphödems vorbeugen

Allerdings ist der „Woman’sBack“ ein Nischenprodukt, speziell für Patientinnen, denen mehr als nur ein sogenannter „Wächter-Lymphknoten“ entfernt wurde. Das trifft nur auf einen kleinen Teil aller an Brustkrebs erkrankten Menschen zu. Darauf weist Maria Josep Nadal hin, Fachärztin für Rehabilitation am Klinikum Sant Pau in Barcelona. Zusammen mit ihrer Reha-Station wurde der „Woman’sBack“ getestet und weiterentwickelt. Je mehr Lymphknoten unter der Achsel fehlen, desto höher ist das Risiko, ein Lymphödem zu entwickeln. Dabei quillt ein Arm extrem mit Lymphe auf und entzündet sich, schlimmstenfalls bis zur Bewegungsunfähigkeit.

Maria Josep Nadal ist überzeugt, dass der “Woman’sBack” zur Prävention eines Lymphödems helfen kann.

„Man muss alles dafür tun, damit diese Folgeerkrankung gar nicht erst auftritt“, erklärt Doktor Nadal. „Denn es gibt bis heute nur Behandlungsmöglichkeiten, keine Heilung.“ Der neue Rucksack sei da eine „sehr gute Idee“. „Denn er macht es möglich, Sport zu treiben, was wir zur Prävention insgesamt empfehlen.“ Der Druck eines normalen Rucksackträgers hingegen könne bei einem geschwächten System jederzeit ein Ödem auslösen.

Die Rückmeldungen aus der Nordic Walking-Testgruppe seien jedenfalls durchweg positiv gewesen, erzählt Maria Prandi. Die Gurte wurden nur noch etwas optimiert, bevor der „Woman’sBack“ dann pünktlich zum Weltfrauentag am 8. März 2019 auf den Markt kam. Seitdem ist er über einen Onlineshop zu kaufen, die Kosten belaufen sich zwischen 80 und 120 Euro. Ein Teil des Erlöses gehe an das Klinikum Sant Pau, sagt Geschäftsführerin Lali Costa. „Bisher kommen die meisten Kundinnen aus Spanien, aber wir verschicken auch europaweit.“ Sie haben bereits verschiedene Gesundheits- und Unternehmerpreise gewonnen und versuchen über Messen und Events bekannter zu werden. Im Moment kümmert sich Costa um Patente in ganz Europa, denn einen solchen Rucksack hat vor ihnen noch niemand produziert. Trotzdem können die Frauen bislang nicht vom Erlös leben – alle haben parallel dazu noch andere Jobs.

Startup mit sozialer Perspektive

Doch um finanziellen Gewinn gehe es ihr nicht primär, sagt Maria Prandi, und biegt bei ihrem Spaziergang auf einen Trampelpfad ab. Er führt zu einem ausgetrockneten Flusslauf, in dem sich graue Kieselsteine und vertrocknetes Laub mischen. „Vor allem habe ich Lust zu beweisen, dass Firmen eine soziale Perspektive haben können mit dem, was wir tun.“ Schon vor ihrer Erkrankung und „Woman’sBack“ gründete sie eine eigene Firma, mit der sie andere Unternehmen im Hinblick auf verantwortungsvolles Handeln berät. Von dieser Arbeit kann sie inzwischen sogar leben.

„Das ist meine Bestimmung“, sagt sie und lächelt. „Wie können wir Lösungen finden, einen positiven Einfluss haben, etwas verbessern?“ Ihrer Meinung nach hat jede Frau „tief in sich einen Samen versteckt“, der sie zur Unternehmerin machen kann. Sie hält einen Moment inne und lauscht dem Vogelgezwitscher. Dass sie während der Krebsbehandlung sämtliche Kontrolle über ihr Leben an die Ärzt*innen abgeben musste, sei das Schwierigste gewesen, erzählt sie dann.

Umso wichtiger danach die vollständige Unabhängigkeit – und sei es in Form eines Rucksacks. Sie adoptierte eine Hündin und ist jetzt mit 51 Jahren wieder genauso viel in der Natur unterwegs wie vorher. Nur etwas vorsichtiger und aufmerksamer. „Schau, wie schön!“, flüstert sie, als sie mitten im ausgetrockneten Flussbett steht und sich hohe Bäume wie eine meterlange Allee links und rechts neben ihr erstrecken. Als eine Gruppe Nordic-Walker*innen vorbei kommt, schließt sie sich spontan an. „Die meisten von denen haben bestimmt wegen einer Krankheit damit angefangen“, sagt sie. Auch unter den Kundinnen von „Woman’sBack“ ist bereits ein kleines Netzwerk für gemeinsame Wanderungen und Bergtouren entstanden. Prandi selbst hat sich für den Winter eine Skitour vorgenommen.

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Von Christine Memminger, Barcelona

Christine Memminger bezeichnet sich selbst als Münchner Kindl mit spanischen Gewohnheiten. Derzeit lebt sie in Barcelona und arbeitet dort als freie Journalistin für Radio, Online und Print. Sie hat in Eichstätt Journalistik und in Barcelona Europäische Integration studiert, beim Bayerischen Rundfunk volontiert und stets großes Interesse an gesellschaftspolitischen Themen. Mehr unter: www.fraubarcelona.wordpress.com.

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