Begoña Rodrigo ist eine der wenigen Sterneköchinnen in Spaniens Spitzengastronomie. Ein Grund dafür, dass es kaum weibliche Chefs gibt, ist ihrer Meinung nach der nach wie vor stark ausgeprägte Chauvinismus. Sie hat hartnäckig an ihrem Erfolg gearbeitet und steht für eine avantgardistische Gemüse-Küche.
Von Heike Papenfuss, Valencia
Zusammenfassung:
Begoña Rodrigo, eine der wenigen Sterneköchinnen Spaniens, revolutioniert die Spitzengastronomie mit einer avantgardistischen Gemüseküche. Trotz des vorherrschenden Chauvinismus und der geringen Präsenz weiblicher Chefs in der Branche, hat Rodrigo sich mit ihrem Restaurant „La Salita“ in Valencia durchgesetzt. Sie zaubert aus einfachem Wurzelgemüse überraschende Kreationen, beweist Geduld und Innovationsgeist und setzt auf regionale, ökologische Produkte. Rodrigo, die für ihre Arbeit zahlreiche Auszeichnungen erhalten hat, unterstreicht die Bedeutung von Vorbildern und Sichtbarkeit für Frauen in der Gastronomie und fordert ein Umdenken in der Gesellschaft, insbesondere bei der Gleichberechtigung in der Familienarbeit.
In Spanien gibt es genau 271 Spitzenrestaurants mit einem oder mehreren Michelin-Sternen – und in nur 28 steht eine Frau an der Spitze. Zu diesen knapp zehn Prozent gehört die Köchin Begoña Rodrigo. Aufgewachsen in einem Dorf im Landesinneren der Autonomen Region Valencia, ließ zunächst nichts vermuten, dass sie einst erfolgreich ein Sternerestaurant führen würde. Als Kind habe sie so schlecht gegessen, dass ihre Familie sie „petit suisse“ genannt habe, in Anlehnung an die winzigen Kinder-Joghurtpackungen, die es in Frankreich und Spanien zu kaufen gibt.
Nach dem Abitur ging sie nach Valencia, um dort Ingenieurwesen zu studieren. Damals, in den 90er Jahren wollte sie keinen typisch weiblichen Beruf erlernen. „Schneiderin, Friseurin, das kam nicht in Frage. Ich wollte mit diesem Klischee brechen“, erzählt sie. Nachdem sie ihr Studium beendet hatte, reiste sie nach Amsterdam. Das sei damals eine „unglaublich, eine kosmopolitische Stadt, in der man überall Freiheit geatmet hat“.
Eigentlich wollte sie als Ingenieurin arbeiten, doch dazu sollte es nicht kommen. Da sie kein Wort Englisch sprach, jobbte sie zunächst als Zimmermädchen in einem Amsterdamer Hotel. Später war sie dann für die Zubereitung des Frühstücks zuständig. „Von diesem Moment an habe ich die Küche nicht mehr verlassen“, sagt sie schmunzelnd. Der Chef des Hotelrestaurants war damals Nick Reade, der 17 Jahre lang als Küchenchef bei Michel Roux gearbeitet hatte, einem bekannten französischen Sternekoch.
„Er hat mich eines Tages gefragt, ob ich kochen lernen will. Also habe ich frühmorgens das Frühstück gemacht, danach war ich im Restaurant und er hat mir jeden Tag etwas gezeigt.“ Sechs Jahre lang hat sie auf diese Weise bei Reade gelernt, bis sie quasi die inoffizielle Küchenchefin war. Das Zusammentreffen mit ihm „war ein großes Glück für mich, er hat mir sehr viel beigebracht“, erzählt sie. Auch, dass sie in dieser Zeit 80 Stunden und mehr in der Woche hart gearbeitet hat. Daneben hat sie Unmengen Kochbücher gelesen, um sich weiterzubilden. Vor allem die Bücher von Albert Roux, dem Neffen von Michel Roux, haben sie sehr inspiriert.
Wurzelgemüse in überraschenden Kreationen
Nach fast zehn Jahren im Ausland, kehrte sie, inzwischen Mitte 30, nach Valencia zurück und eröffnete 2006 ihr eigenes Restaurant, das „La Salita“. Ihre Küche von damals bezeichnet sie heute als eine Mixtur. Das veränderte sich, als sie sich intensiv damit beschäftigte, welche Lebensmittel es vor Ort gibt. In Valencia kann sie aus dem Vollen schöpfen: Die Huerta, eine Ansammlung von Gemüsegärten, die bis in die Stadt hineinreichen, bietet auf mehr als 12.000 Hektar einen enormen Reichtum an frischen Produkten.
Frisches Gemüse spielte in ihrem Restaurant schon immer eine wichtige Rolle. Ihr damaliger Freund Jorne ist Niederländer. Er arbeitete von Anfang an als Sommelier im „La Salita“. Vielleicht ein Grund, warum viele seiner Landsleute und andere Nordeuropäer*innen in das Restaurant kamen, in dem sie sich problemlos verständigen konnten. „Für sie war es schon damals selbstverständlich, dass es in einem Restaurant auch vegetarische Optionen gibt“, erinnert sich Begoña Rodrigo. Hinzu kam, dass sie das Restaurant mit einem kleinen Budget eröffnet hatte und auf der Suche war nach Lebensmitteln, die im Einkauf nicht viel kosteten.
Also begann sie mehr und mehr mit Gemüse zu arbeiten. Vor allem Wurzeln und Wurzelgemüse entdeckte sie für sich, kochte sie wie Fisch und Fleisch und experimentierte. „Wenn du Kaviar, Foie gras oder Gambas auf dem Teller hast, weißt du als Gast, dass das teuer ist. Aber ich finde es viel interessanter, etwas mit einer Pastinake, einer weißen Rübe oder einem Knollensellerie zu machen, das dich überrascht und berührt. Es bewegt mich, wenn du etwas auf dem Teller hast, dem du im Kopf nicht viel Wert beimisst, es isst und dann denkst, dass das nun wirklich außergewöhnlich war.“
Gute Qualität hat ihren Preis
Begoña Rodrigo experimentiert, sie fermentiert, trocknet, mariniert und macht ein, stellt ihren eigenen Essig her. Das braucht Zeit. „Die Geduld ist fundamental. Leider ist das ein Wert, der in der Küche verloren gegangen ist.“ Nicht aber bei ihr: „Es gibt Dinge, die brauchen ihre Zeit und mir gefällt es, sehen zu können, wie sich etwas entwickelt.“ Ihre Hartnäckigkeit hat das „La Salita“ in Valencia einzigartig gemacht. Es ist nach wie vor kein rein vegetarisches Restaurant. Aber das Gemüse, lange Zeit zur Beilage degradiert – gerade in Spanien, wo viel Fisch und Fleisch gegessen wird – spielt eindeutig die Hauptrolle.
Ein Großteil von dem, was sie verarbeitet ist regional und ökologisch angebaut. Rodrigo arbeitet mit einem Gärtner aus der Huerta zusammen, der ihr bringt, was sie braucht, und in der Qualität, die sie benötigt. Und die hat ihren Wert, davon ist sie überzeugt. Es ärgert sie, dass die Leute einerseits die Proteste der Landwirt*innen beklatschten, die um ihre Existenz fürchteten, aber dann nicht bereit seien, einen angemessenen Preis für die heimischen Produkte zu bezahlen.
Das beklagt auch Belen Arias, die Präsidentin der „Real Academia de Gastronomía“ der Region Valencia: „Wir haben hier alles, Gemüse, Zitrusfrüchte, Kaki, Kirschen und vieles mehr. Aber dann kaufen die Leute im Supermarkt die billigen Angebote aus anderen Ländern.“ Die „Real Academia“ fördert die Entwicklung der hiesigen Gastronomie, macht Öffentlichkeitsarbeit und vergibt einmal im Jahr Preise für herausragende Produkte, Produzent*innen und Küchenchef*innen.
Hohe Qualitätsstandards sind der Gesellschaft wichtig. Da liegt es nahe, dass Belen Arias auch die Küche im „La Salita“ sehr schätzt: „Begoñas Küche ist sehr kreativ. Sie nutzt Produkte, die wir aus der asiatischen Küche kennen, aber verwandelt sie in eine valencianische Mittelmeer-Küche. Sie gehen eine wunderbare Symbiose ein. Ihre Gerichte faszinieren und überraschen, sie sind schmackhaft, einfallsreich und frisch. Sie ist eine Frau mit einer unglaublichen Kraft, viel Temperament und sehr konsequent. Und man spürt, dass sie mit einem gut eingespielten Team arbeitet, in dem jeder seinen Platz gefunden hat.“
Frauen brauchen Vorbilder und mehr Sichtbarkeit
Nach 14 Jahren im eigenen Restaurant erhielt Begoña Rodrigo 2020 vom Restaurantführer Guide Michelin zum ersten Mal einen Stern, den sie seither regelmäßig verliehen bekommt. Außerdem wurde sie kürzlich vom renommierten spanischen Gastronomie-Führers „Guia Repsol“ mit 3 Soles geehrt, der höchsten Auszeichnung. Was bedeutet ihr das? „Ich arbeite nicht, um einen Preis zu bekommen. Aber einen Preis zu bekommen als Anerkennung für eine Arbeit, die ich geleistet habe, das ist schön.“ Sie wollte immer, dass man sie erwähnt, weil sie gut kocht, nicht weil sie eine Frau ist.
In Anbetracht der wenigen Küchenchefinnen in der Spitzengastronomie sieht sie das mittlerweile anders. Frauen bräuchten ihrer Meinung nach mehr Sichtbarkeit und Vorbilder für junge Frauen, die motivierten und Mut machten. Schließlich lebe man in Spanien in einer sehr chauvinistischen Gesellschaft. Sie schüttelt den Kopf und erzählt: „Gestern waren hier ein paar Köche essen. Sie wollten einen Termin vereinbaren und ich habe gehört, wie einer sagte, ich weiß nicht, wann ich Zeit habe, meine Frau macht meine Termine. Das ist das Thema. Die Männer machen ihre Arbeit und sie haben ihre Frauen, die sich um alles andere kümmern – um ihre Termine, um die Kinder, um den Haushalt, ja sogar um ihre Kleidung. Und es ist auch eine Frage der Sprache. Männer sagen, sie ‚helfen‘ ihren Frauen mit den Kindern. Was heißt ‚helfen‘, Mann, es ist auch dein Kind.“
Bei ihr lief es anders: Mit Jorne, dem Vater ihres Kindes, hat sie von Anfang an klar besprochen, dass er sich mehr um das gemeinsame Kind kümmern wird als sie. „Ich habe mein Kind zur Welt gebracht und keinen Tag aufgehört zu arbeiten.“ Obwohl die beiden heute kein Paar mehr sind, leben sie zusammen und er verbringt nach wie vor mehr Zeit mit dem gemeinsamen Sohn. „Jorne ist als Sommelier hier im Restaurant eher abkömmlich als ich“, stellt die Unternehmerin sachlich fest. Ihr Arbeitspensum im Restaurant ist nach wie vor beträchtlich, außerdem ist sie immer wieder im Ausland, wo man sie zu Vorträgen einlädt oder sie Kochkurse gibt.
Ihre eigene Erfahrung zeigt, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nur mit einem guten Netzwerk möglich ist: „Wenn du weißt, was du willst, kannst du es erreichen, aber du musst es gut organisieren.“ Und die spanischen Männer müssten lernen, dass sie sich genauso um die Kinder zu kümmern hätten wie die Frauen. Tatsächlich sind unter den kürzlich ausgezeichneten Sterneköch*innen in Valencia einige sehr junge Frauen. Rodrigo hat also durchaus Hoffnung, dass sich das Verhältnis von 271 zu 28 in den nächsten Jahren ändern könnte.
Du magst unsere Geschichten über inspirierende Frauen weltweit und willst uns AKTIV unterstützen? Darüber freuen wir uns! Entweder wirst du ab 5 Euro im Monat Mitglied bei Steady (jederzeit kündbar) oder lässt uns eine Direktspende zukommen. Wir sagen: Danke, dass du deinen Beitrag leistest, damit guter Journalismus entstehen und wachsen kann.