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„Wir wollen leben, nicht nur überleben“
Interview mit Rosângela José da Silva

9. November 2017 | Von Caren Miesenberger
Fotos: privat

Frauen mit heller Haut haben in Brasilien kein Problem, das passende Make-up zu finden, das Angebot für Schwarze dagegen ist rar. Und das obwohl Brasilien – nach Nigeria – das Land mit der größten schwarzen Bevölkerung der Welt ist. Deshalb hat Rosângela José da Silva eine Kosmetikmarke entwickelt, die Produkte speziell für dunkle Haut anbietet. Caren Miesenberger hat sie interviewt.

Wie kamen Sie auf die Idee, Make-up zu machen?

Rosângela José da Silva: Den Großteil meines Lebens habe ich meine Haare mit chemischen Produkten geglättet. 2010 hörte ich damit auf und begann, sie natürlich zu tragen. Das war für mich komplettes Neuland – wie für viele andere Frauen hierzulande auch. Deshalb habe ich mich online informiert und war in einem Make-up-Forum aktiv. Dort wurde ich darauf aufmerksam, dass es einige Firmen wie MAC aus den USA gab, die Grundierungen für Schwarze haben. Dann habe ich meinen YouTube-Kanal und meinen Blog „Negra Rosa“ (übersetzt: rosa Schwarze oder auch schwarze Rose) eingerichtet, um mein Wissen mit anderen zu teilen.

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Hat sich ihr Verhältnis zu Make-up dadurch verändert?

Ja! Die ausländischen Firmen hatten ein recht großes Angebot für dunkle Hauttöne. Als Teenager habe ich keine Grundierung benutzt, weil die immer komisch aussah. Daher verwendete ich nur Lippenstift. Mit Mitte Zwanzig fand ich zum ersten Mal ein Make-up, das zu meinem Hautton passte. Da änderte sich mein Verhältnis zu Schminke: Ich habe immer Produkte gesucht, die sich für meine Haut eignen. Und damit änderte sich auch mein Selbstbewusstsein. Wenn du auf einmal ein Produkt aufträgst und dich schön findest, ist alles anders. Ich möchte mich durch Make-up nicht in eine andere Person verwandeln, die ich nicht bin. Natürliche Schönheit habe ich schon, aber mit der passenden Schminke lege ich auf diese noch eine Schippe drauf.

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In den Apotheken und Drogerien Rio de Janeiros gibt es kaum Make-up für dunkle Hauttöne. Wie erklären Sie sich das geringe Angebot, wo schwarze Frauen in Brasilien doch einen erheblichen Teil der Bevölkerung ausmachen?

Ich glaube, dass der Grund dafür Rassismus ist, denn er macht schwarze Frauen unsichtbar. Daher gibt es keine Produkte mit guter Qualität für dunkle Haut. Aufgrund des strukturellen Rassismus sind wir für diese Marken schlichtweg nicht relevant. Nur wenige Kosmetikfirmen bieten hochwertige Grundierungen an. Allerdings lassen diese Produkte die Haut dann grau erscheinen. Ich habe meine Marke auf den Markt gebracht, um diesen Kreislauf zu durchbrechen. Mit ihr möchte ich mich explizit an die Bedürfnisse schwarzer Frauen richten.

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Sie sprechen strukturellen Rassismus an. Schwarze Frauen sind in Brasilien die häufigsten Opfer häuslicher Gewalt, haben eine geringere Lebenserwartung als weiße Frauen und leben häufiger in Armut. Ist Ihr Make-up ein Produkt, mit dem sie sich stärker fühlen?

Es ist ein Produkt, das das Selbstbewusstsein stärkt. Denn Schönheit hat viel mit Selbstbewusstsein zu tun. In dieser Hinsicht kann es beim Empowerment, der Selbstermächtigung gegen all diese Diskriminierungsformen, helfen. Aber Empowerment muss mehr sein, als nur Make-up zu tragen. Ich glaube, dass die Schminke dabei helfen kann, sich selbst gut und schön zu fühlen. Ausgehend von diesem Wohlbefinden können schwarze Frauen noch mehr Fortschritte machen.

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Was muss in Brasilien noch passieren, um den Rassismus zu bekämpfen? 

Der Rassismus zeigt sich vor allem institutionell, deshalb braucht es politisches Handeln, das ihn bekämpft. Die Privilegien, die ein Teil der Bevölkerung hat, hat der andere Teil nicht. So werden Schwarze beispielsweise überdurchschnittlich oft Opfer von Polizeigewalt. Das ist eine sehr ernste Angelegenheit, die eingedämmt werden muss. Wir wollen, dass die Angriffe auf Schwarze aufhören und man anerkennt, dass das Leben von Schwarzen etwas zählt. Der Großteil der schwarzen Bevölkerung überlebt. Aber wir wollen leben, nicht nur überleben.

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Sie wohnen im Bundesstaat Rio de Janeiro, waren aber gerade in Bahia. Das Bundesland im Nordosten Brasiliens hat eine besonders große schwarze Bevölkerung. Ist das Angebot für Kosmetik dort besser?

Nein, weil die großen Marken ja alle landesweit vertreiben. Die passen ihre Farbpalette nicht abhängig vom Bundesland an, sondern verkaufen die gleichen Produkte dort wie hier, ohne sich um die unterschiedlichen Hauttöne der Bevölkerung zu kümmern. Ich war bereits drei Mal in Bahia und wurde immer mit offenen Armen empfangen. Die Leute sind daran interessiert, meine Grundierungen kennenzulernen. Bezogen auf meine Produkte ist es ein wunderbarer Ort.

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Wie vertreiben Sie ihre Produkte?

Die Produkte können online bestellt werden, ich habe aber auch Verkäuferinnen, die direkt vermarkten. So kommen meine Sachen bei den Leuten an. Beim Onlineshopping gibt es ja immer das Problem des Versands und dass viele nicht gern ins Blaue hinein einfach einen Make-up-Farbton kaufen. Deshalb sind die Verkäuferinnen wichtig. Sie probieren die Produkte zusammen mit den Frauen aus und beraten sie.

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Sie sind mit Negra Rosa seit 2016 selbständig. Zahlt sich ihr Startup bereits aus?

Wir befinden uns noch im Anfangsstadium. Bisher können meine Geschäftspartnerin und ich uns damit etwas zu unseren normalen Jobs hinzuverdienen, aber so langsam wird es immer mehr.

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Die Verwendung von Make-up ist ja auch ein Weg für Frauen, sich Schönheitsidealen anzupassen. Kann das überhaupt befreiend sein?

Mit meinen Produkten versuchen wir nicht, bestimmten Schönheitsidealen zu folgen. Wer einen Blick auf mein Instagram-Profil wirft, sieht, dass es diverseste Frauen gibt, die ganz viele verschiedene Make-ups tragen. Ich versuche, herüberzubringen, dass Frauen die Wahl haben, Schminke so zu nutzen, wie sie wollen. Ich verwende kein Bildbearbeitungsprogramm, sondern zeige mich so wie ich bin. Zum Beispiel schminke ich meine Nase nicht schmaler – wie viele schwarze Frauen das tun – weil sie Teil meiner Identität ist. Auf den Instagram-Accounts großer Firmen wird nur ein Typ Frau gezeigt. Aber wir sind so divers! Deshalb zeige ich gerne reale Frauen, mit denen sich andere wiederum identifizieren.

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Von Caren Miesenberger, Hamburg

Caren Miesenberger arbeitet als freie Journalistin in Hamburg und Rio de Janeiro, parallel dazu studiert sie Geographie an der Universität Hamburg. Zu ihren Auftraggebern zählen der Freitag, taz, Missy Magazine und BuzzFeed. Sie schreibt über Feminismus, Gesellschaft und Popkultur. Außerdem ist sie ehrenamtliches Redaktionsmitglied der Zeitschrift Brasilicum und betreut den Twitteraccount der Initiative WIR MACHEN DAS. Mehr unter: www.carenmiesenberger.de.

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Mareike GraepelHaltern
Die US-Amerikanerin Cindy O’Brien lebt seit den 90er Jahren in Connemara, ganz im Westen von Irland und züchtet seltene Seeschnecken. Die sogenannten japanischen Abalone gedeihen an der irischen Küste gut. Sie gelten als Delikatesse und Aphrodisiakum, kosten bis zu 44 Euro pro Kilo – und sehen aus wie Vulven.

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