Theoretisch können Jungen und Mädchen alles erreichen, wenn sie nur wollen. In der Praxis zeigt sich allerdings, dass es wesentlich von der sozialen Schicht abhängt, ob sie eines Tages studieren und sich ein Haus kaufen können. Auch in Hinblick auf ihr Geschlecht bekommen Mädchen schon früh Grenzen aufgezeigt. Das neue Magazin „Kosmos“ will das ändern.
Von Pauline Tillmann, Warschau
In ihr Büro soll ich lieber nicht kommen. Stattdessen schlägt Krystyna Wilk-Koncewicz, Geschäftsführerin von „Kosmos“, für das Gespräch lieber ein weitläufiges Café im Zentrum von Warschau vor. Dort mustert sie mich skeptisch und stellt mir gleich zu Beginn die Frage: „Kann ich den Artikel vor der Veröffentlichung sehen?“ In Deutschland ist das unüblich, in Großbritannien gänzlich undenkbar, in Polen offenbar ziemlich normal. Seit dem Amtsantritt der Regierung „Recht und Gerechtigkeit“, kurz PiS, im Jahr 2015 herrschen in der Berichterstattung viel Willkür, viel Propaganda, aber auch viele Lügen und viel Selbstzensur. Die Bitte, den Artikel vorab sehen zu dürfen, wehre ich trotzdem erfolgreich ab.
Krystyna Wilk-Koncewicz verdient ihr Geld eigentlich als Beraterin für Investmentbanking. Seit zwei Jahren kümmert sie sich in Teilzeit und ehrenamtlich um das Mädchenmagazin „Kosmos“. Die Idee für das Projekt entstand auf Facebook. Dort hatte einer der acht Gründer nach Mitstreitern gesucht, um eine Stiftung zu gründen. Wilk-Koncewicz meldete sich, weil sie selber zwei Töchter im Alter von fünf und sieben Jahren hat. „Es ist unglaublich zu sehen, wie sie gerade aufblühen, wie gut sie sich entwickeln“, sagt sie, „aber irgendwas passiert zwischen jetzt und den wenigen Frauen, die in Führungspositionen landen.“ Und dieses „Irgendwas“ ist ihrer Meinung nach das, was die Mädchen in der polnischen Gesellschaft erfahren: Zum Beispiel, dass ihnen weniger zugetraut wird oder dass sie als „weiches Geschlecht“ stark von ihren Emotionen getrieben würden.
Kampf gegen Stereotype
Dabei geht es viel um Stereotype und Klischees. Deshalb will „Kosmos“ genau hier ansetzen. Der wichtigste Hebel, um sowohl die Mädchen als auch deren Eltern zu erreichen, ist ein gedrucktes Magazin, das alle drei Monate erscheint. Jedes Heft hat ein Oberthema wie zum Beispiel „Schenken oder Teilen“ und erscheint – in ganz Polen – mit einer Auflage von 10.000 Stück. Das ist zwar nicht sonderlich viel, aber immerhin ein Anfang. Die Qualität dieser Ausgaben liegt Wilk-Koncewicz dabei besonders am Herzen: „Das betrifft sowohl das Papier, aber vor allem die Inhalte und die Bebilderung – wir greifen nicht auf günstiges Fotoagenturmaterial zurück, sondern lassen das meiste kindgerecht von einer Grafikerin illustrieren.“
Überhaupt erst möglich wurde das Magazin durch eine Anschubfinanzierung via Crowdfunding. Bislang erschienen sieben Ausgaben. Die Autoren werden teilweise bezahlt, teilweise sind sie ehrenamtlich an Bord. Die Zielgruppe sind Mädchen zwischen sieben und elf Jahren. Die meisten Zeitschriften in diesem Segment setzten auf Gadgets als Kaufanreize, die einzeln in Plastik verpackt und billig in China produziert werden.
Schaue man sich die Hefte aber genauer an, seien sie „ohne jede Inhalte“, urteilt die „Kosmos“-Geschäftsführerin. Dabei gehe es bei ihrem Heft genau darum: „Die Mädchen sollen gebildet werden, auch ästhetisch.“ Deshalb sei es wichtig, positive Vorbilder zu zeigen und unterschiedliche Perspektiven eines Themas zu beleuchten. So finden sich in jedem Heft die Kategorien Körper, Do It Yourself, Kunst, neue Technologien, Mädchen mit Power, Frauen mit Power und Natur.
Schwarze Zahlen schreibt das Heft zwar noch nicht, aber „Kosmos“ sei auf einem guten Weg, gibt sich Krystyna Wilk-Koncewicz optimistisch. Das hat auch damit zu tun, dass nicht nur durch die Heftverkäufe Geld verdient wird. Daneben gibt es inzwischen etwa 20 Unternehmen, die eine Patenschaft für ein spezielles Projekt wie einen Workshop zum Thema „Powerful Kids“ übernehmen, die von „Kosmos“ organisiert werden. Und: Es gibt ganz normale Spender, die die Idee gut finden und regelmäßig unterstützen.
Wichtiges Ziel: Positive Vorbilder sichtbar machen
Rückblickend stellt die zweifache Mutter fest: „Uns war von Anfang an klar, dass unser Projekt nicht nur das Heft umfasst, sondern einen ganzen Kosmos rund ums Thema Female Empowerment.“ Damit seien auch Weiterbildungsseminare für Eltern sowie öffentliche Diskussionen zur Rolle der Mädchen und Frauen in Polen gemeint. Die Mission sei immer die gleiche: Mädchen stärken und sie dazu ermuntern, an ihre Fähigkeiten zu glauben.
Eine der größten Herausforderungen ist der unberechenbare Printmarkt in Polen, also der Verkauf von Zeitungen und Zeitschriften, der tendenziell eher rückläufig ist. Eine zweite Herausforderung ist der Aufwand, mittlere und große Unternehmen davon zu überzeugen, Geld zu spenden. „Eigentlich hat jede größere Firma heutzutage eine Diversity-Abteilung und setzt sich auch für Social Responsibility ein, aber sie zu einer dauerhaften Kooperation zu bewegen ist extrem mühsam“, resümiert Krystyna Wilk-Koncewicz.
Als drei Hauptziele für 2019 formuliert Krystyna Wilk-Koncewicz: die Qualität halten, mehr förderwillige Firmen finden und die Bildungsangebote ausbauen. Auf der Webseite ist außerdem die Rede von Forschungsprojekten, die öffentliche Debatten anstoßen sollen. Dafür fehlt im Moment aber das nötige Geld. „Klar ist, dass man den größten Effekt beim Thema Gleichberechtigung von Frauen und Männern erzielt, wenn man früh anfängt“, ist Wilk-Koncewicz überzeugt. Mit dieser Überzeugung kämpft sie auch in Zukunft für junge Mädchen in Polen – und damit auch für ihre beiden Töchter.