Abtreibungen in Namibia sind – bis auf wenige Einschränkungen – illegal. Wer Geld hat, kann dafür nach Südafrika gehen. Aber: Das macht nur eine Minderheit der Frauen. Oftmals bleiben gesundheitsgefährdende Abtreibungen durch Medikamente die einzige Option. Junge Aktivist*innen wollen das jetzt ändern.
Von Lisa Ossenbrink, Windhuk
Namibia ist ein Wüstenstaat – und einer der wenigen Orte auf der Erde, an dem die Wüste auf das Meer trifft. Die Dramatik von meterhohen Dünen und dem Tosen des Atlantischen Ozeans ist symbolträchtig: Hier treffen zwei uralte Kräfte aufeinander, Wasser und Erde, die die jeweils andere verdrängen wollen. Das südafrikanische Land ist für seine kilometerweite Fläche bekannt. Hier können Reisende drei Stunden lang über eine Schotterstraße fahren und keinem anderen Auto begegnen.
Namibia hat eine Fläche von mehr als 800.000 Quadratkilometern – das ist so groß wie Deutschland und das Vereinigte Königreich von Großbritannien zusammen. Die Einwohner*innenzahl liegt allerdings nur bei 2,5 Millionen Menschen – also weniger als in Berlin. In der urbanen Hauptstadt Windhuk und im ländlichen Norden des Landes, dem Owamboland, leben die meisten von ihnen.
Aber Namibias Population wächst, denn das Land ist sehr jung. Und das nicht nur, weil es erst seit 30 Jahren unabhängig ist. Sondern auch, weil die Durchschnitts-Namibierin zwischen 18 und 25 Jahre alt ist. Generell ist es unüblich in diesem Alter bereits Kinder zu haben, aber das Land hat ein Problem mit Schwangerschaften von Minderjährigen. Schätzungsweise 1.500 Fälle werden jedes Jahr von der staatlichen Anlaufstelle für Frauenrechte verzeichnet. Das ist eine der höchsten Zahlen im südlichen Afrika.
Trotzdem ist der Zugang zu Verhütungsmitteln bis heute aufgrund der hohen Kosten eingeschränkt. Und die Corona-Pandemie hat die prekäre Lage von Frauen noch einmal verschärft: Verhütungsmittel wie die Pille sind extrem knapp geworden. Geht man zurück in die Geschichte, stellt man*frau fest, dass das Abtreibungsgesetz aus dem Jahr 1975 stammt als sich Namibia unter südafrikanischem Mandat befand.
Demnach ist Abtreibung nur unter den folgenden Bedingungen legal: wenn die Schwangerschaft das Leben oder die psychische Gesundheit der Frau gefährdet; wenn das Kind vielleicht mit einer Behinderung geboren wird; wenn die Schwangerschaft aus Inzest oder Vergewaltigung stammt oder wenn die Frau eine körperliche oder geistige Behinderung hat. Die Abtreibung darf nur dann vorgenommen werden, wenn zwei Ärztinnen und eine Oberärztin die oben genannten Bedingungen bestätigt haben und sie in einem staatlichen Krankenhaus durchgeführt wird.
Soziale Gerechtigkeit durch Aktivismus
Doch es gibt immer mehr Menschen, die diese Situation ändern wollen und sich für mehr Selbstbestimmung einsetzen – und zwar für alle Geschlechter. Beauty Boois ist non-binär und Aktivist*in. Non-binäre Menschen identifizieren sich weder als Frau noch als Mann. Das Pronomen, das im Englischen für sie oft benutzt wird, ist „they“. Auch Boois möchte so angesprochen werden.
Sie*er lebt als Autor*in in Windhuk und startete im Juni 2020 eine Online-Petition für die Legalisierung von Abtreibung. Mehr als 62.000 Unterschriften konnte diese bereits sammeln. Für Namibia – der zweitdünnste besiedelte souveräne Staat nach der Mongolei – ist das eine beachtliche Zahl. Boois’ Motivation ist es, endlich Gerechtigkeit für Frauen und non-binäre Menschen in Namibia zu erreichen.
„Die Petition habe ich ins Leben gerufen, weil mir ein Anstieg von sexueller Gewalt aufgefallen ist. Ich glaube, das stammt von fehlendem Wissen über Frauenrechte. Es gibt so viele Situationen, in denen Frauen ihre Rechte nicht kennen. Mir war das Thema schon immer wichtig, aber 2020 habe ich gemerkt, wie viel Einfluss ich eigentlich haben kann. Eine einzige Person kann soziale Gerechtigkeit bewirken. Natürlich hab ich das nicht alles alleine gemacht, sondern hatte viel Hilfe und Unterstützung”, erklärt die*der erst 20-jährige*r Boois.
Die „Voices for Choices and Rights Coalition“, die von Boois mit ins Leben gerufen wurde, organisierten mithilfe weiterer feministischer Organisationen wie „MeToo Namibia“, „Sister Namibia“, „PowerPad Girls“ und „Y+ Fem“ eine große Protestbewegung. Im Juli 2020 demonstrierten die jungen Aktivist*innen in Windhuk. Das Recht auf Selbstbestimmung und legale Abtreibung standen dabei ganz oben auf ihrer Agenda. „Ich glaube an Menschenrechte und Frauenrechte sind nun einmal ein Teil davon. Das Recht auf Selbstbestimmung sollte in unseren Gesetzen verankert sein. Zu entscheiden, ob man eine Abtreibung will oder nicht, sollte ein Menschenrecht sein”, erklärt Aktivist*in Boois.
So wie Wasser und Erde an der Küste Namibias aufeinanderprallen, treffen aktuell zwei namibische Generationen aufeinander: Auf der einen Seite eine ältere, religiöse Gruppe, auf der anderen eine junge, forsche Protestbewegung. Der Konflikt ist nicht erst gestern entstanden. Namibias traditionelle Kultur schreibt vor, dass ältere Personen respektiert werden müssen. Und für Frauen gilt das traditionelle Rollenbild: kochen, sich um die Kinder kümmern und die Wünsche ihrer Ehemänner erfüllen.
Diese gesellschaftlichen Standards machen es für junge Frauen fast unmöglich, ein Mitspracherecht zu haben. Auch politisch gesehen ist die Jugend nicht ausreichend repräsentiert. Die Generation der Freiheitskämpfer*innen, die Namibia zur Unabhängigkeit führte, besitzt heute eine enorme politische Macht. Und diese Generation will Abtreibung auf keinen Fall legalisieren. Es gibt zwar eine funktionierende Demokratie, aber die SWAPO-Partei hat seit der Unabhängigkeit des Landes aufgrund ihrer absoluten Mehrheit quasi die alleinige Regierungsgewalt.
Gewalt gegen Frauen immens hoch
2017 gab es mehr als 7.000 Fälle illegaler Abtreibung – die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Dabei waren laut Tageszeitung „The Namibian“ nur zwei Prozent aller Abtreibungen autorisiert und damit legal. Die meisten illegalen Abbrüche konnten nur deshalb entdeckt werden, weil die Frau danach aufgrund von Blutungen oder einer Infektion ins Krankenhaus gehen musste. Die Einführung irgendwelcher Gegenstände oder Überdosen verschiedener Medikamente werden meist als einziger Ausweg gesehen, um eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden. Und wer dabei beispielsweise von einer Behörde oder der Polizei entdeckt wird, muss rechtliche Konsequenzen fürchten.
Die Gründe für die ungeplanten Schwangerschaften sind zahlreich. So gibt es zu wenig Aufklärung über und Zugang zu Verhütung. Das öffentliche Schulsystem in Namibia ist dem Problem nicht gewachsen. Und traditionell wird nicht über Aufklärung gesprochen, weil Frauen keinen Sex vor der Ehe haben sollen.
Hinzu kommt, dass Namibia Beauty Boois zufolge ein Problem mit sexueller Gewalt hat: „Gewalt hat immer auch psychologische und soziale Konsequenzen – wer sexuelle Gewalt erlebt hat, traut sich vielleicht nicht, ein Kondom zu verlangen oder zu bestimmen, wann und wo sie Sex haben wollen.“ In den 18 Monaten zwischen Januar 2019 und Juni 2020 wurden rund 1.600 Vergewaltigungsfälle verzeichnet. Sexueller Missbrauch wurde rund 200 Mal im Monat gemeldet.
Das Recht auf Selbstbestimmung meint also nicht nur die Entscheidung über eine Abtreibung, sondern allgemein über das, was mit dem eigenen Körper geschehen darf. Oftmals handelt es sich um Frauen aus den unteren sozioökonomischen Klassen, die Missbrauch und Vergewaltigung sowie daraus resultierend gefährliche, illegale Abtreibungen erleben. Empowerment und ein geschärftes Bewusstsein seien daher wichtige Faktoren im Kampf für inklusive Frauenrechte, meint Beauty Boois.
Großer Einfluss der Kirche
Um genau dem entgegenzuwirken, strengt sich vor allem die Kirche mächtig an. Nach dem öffentlichen Protest für die Legalisierung von Abtreibung versammelten sich religiöse Demonstrant*innen im Stadtzentrum. Ihre Argumente: Gott wolle keine Abtreibungen und wer sie befürworte, sei gegen die Unantastbarkeit des Lebens. Die gleichen Argumente wurden schon 1990 nach der namibischen Unabhängigkeit benutzt, als die Aktivistin Rosa Namises eine Reform des strengen Abtreibungsgesetzes forderte.
Auch Beauty Boois sieht den Einfluss der Kirche als Problem. „Die größte Herausforderung für die Legalisierung von Abtreibung ist der Einfluss von religiösen moralischen Standards. Abtreibung wird nicht als eine Frage von Menschenrechten, Geschlechtergleichheit oder einer guten Medizinversorgung gesehen, sondern als Frage der Moral. Nicht nur führende Vertreter der Kirche sehen das so, sondern auch viele Politiker*innen. Meiner Meinung nach ist das das größte Hindernis.”
Einflussreiche politische Akteur*innen wie Doreen Sioka, die amtierende Ministerin für Gender und Armut, sagte noch im Juni, dass die Debatte über Abtreibung keinen Platz in Namibia habe, weil sie unmoralisch sei. Dafür wurde sie von Feminist*innen stark kritisiert. Sie sagten, die Ministerin sei ungeeignet für ihr Amt und forderten ihre Entlassung. Die namibische Regierung ist allgemein bekannt dafür, konservativen und religiösen Motiven zu folgen. Bereits 2009 und 2011 gab es Versuche von zivilen Organisationen, das Abtreibungsgesetz zu reformieren. Doch damals wurden sie durch den Widerstand von religiösen Gruppen und der Regierung blockiert.
„Was Namibia als Gesellschaft verstehen muss, ist das: Frauenrechte sind Menschenrechte. Das Recht auf Abtreibung ist ein Menschenrecht. Aber die Macht, darüber zu entscheiden, ob Abtreibung legal sein sollte oder nicht, liegt bei Regierungsbeamten, die von ihrem persönlichen Glauben beeinflusst werden“, resümiert Boois. Ihre*seine Online-Petition bewirkte immerhin, dass das drakonische Gesetz im Parlament debattiert wurde.
Wirklich geändert hat es bislang nichts. Aber davon lässt sich Boois nicht entmutigen. Sie*er will nicht aufhören, als Aktivist*in tätig zu sein, bis ihr*sein Ziel erreicht ist. „Eine breite Debatte ist der erste Schritt, um reproduktive Gesundheit und Frauenrechte zu stärken. In dieser Hinsicht war die Petition erfolgreich. Aber ich werde erst zufrieden sein, wenn das Recht auf Selbstbestimmung garantiert ist.“ Wie lange das dauert, ist ungewiss. Aber eines ist sicher: Die Wüste und der Ozean an der namibischen Küste toben noch immer.
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