Kannst du dir vorstellen, dass deine Hautfarbe darüber entscheidet, ob du frische Lebensmittel einkaufen kannst? Genau das ist in den USA der Fall. Viele Bürger*innen wollen das nicht länger hinnehmen. In Cincinnati etwa setzt sich Danielle DeLaine mit Workshops, Gesprächsgruppen und einem veganen Restaurant für eine gesündere Ernährung in der Schwarzen Community ein.
Von Marinela Potor, Cincinnati
Wenn Danielle DeLaine in Cincinnati einkaufen geht, erlebt sie zwei verschiedene Welten. In der einen gibt es ein großes Angebot an Läden und Wochenmärkten mit gesunden Lebensmitteln. Hier leben überwiegend wohlhabende, Weiße Menschen. In der anderen Realität ist die Versorgung auf ein paar Tankstellen oder Kioske mit Chips, Alkohol und Fast Food beschränkt. Die Bevölkerung hier ist mehrheitlich einkommensschwach und Schwarz*.
So haben von 16 überwiegend Schwarzen Stadtteilen in Cincinnati lediglich zwei einen Supermarkt. Nach Daten der örtlichen Gesundheitsorganisation „Interact for Health“ sind die rund 300.000 Afroamerikaner*innen in der Zwei-Millionen-Stadt überdurchschnittlich von der ungleichen Lebensmittelversorgung betroffen. Hinzu kommt, dass sich viele Menschen in diesen Vierteln kein Auto leisten können. Und weil der öffentliche Transport in Cincinnati nur dürftig ausgebaut ist, ist es schwierig für sie, an gesunde Lebensmittel zu kommen.
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„Lebensmittelwüste“ mitten in den USA
Diese Situation bezeichnet das amerikanische Landwirtschaftsministerium als „Lebensmittelwüste“. Als Afroamerikanerin, die in einer solchen Öde aufgewachsen ist, kennt Danielle DeLaine das Konzept nur zu gut. „Wir haben sehr viele Lebensmittelwüsten in Cincinnati, die überwiegend dort sind, wo Afroamerikaner und Latinos leben“, sagt sie. Weil sich der Zugang zu gesunder Ernährung in den USA so stark nach Rasse und Ethnizität spaltet, bevorzugen viele Expert*innen den Begriff „Food Apartheid”, also „Essensapartheid“. Dieser Begriff ist bewusst an die Apartheid, die organisierte Rassentrennung in Südafrika, angelehnt. Wörtlich übersetzt bedeutet Apartheid „Trennung“.
Es sei zwar nicht so, dass die Regierung absichtlich die Schwarzen Stadtteile unterversorgen wolle, sagt DeLaine. Viel Hilfe, um die Lage zu ändern, gebe es aber auch nicht. Weil es keine staatliche Unterstützung gibt, lohnt es sich für Supermärkte wirtschaftlich nicht, in einkommensschwachen Gegenden einen Laden zu eröffnen. Fachleute nennen dieses Phänomen „Supermarkt-Redlining“, also eine Praxis, bei der Supermarktketten aus wirtschaftlichen Gründen bestimmte Nachbarschaften meiden.
Das betrifft auch ärmere Weiße Wohnviertel. Doch weil in den USA die Schwarzen und lateinamerikanischen Communitys den größten Teil der Geringverdienenden ausmachen, trifft diese Mangelversorgung vor allem sie. Es gibt zwar viele Dollarläden oder Kioske. Doch diese bieten vor allem Produkte an, die sich gewinnbringender als Obst und Gemüse verkaufen lassen: Alkohol, Zigaretten, Süßigkeiten und fettiges Essen.
Ungesunde Essensgewohnheiten verändern
In Cincinnati macht sich die Food Apartheid besonders bemerkbar, weil die Stadtviertel stark nach Rassen segregiert sind. „Das ist die Realität und ich glaube, es ist eine Ungleichheit, die für viele Politiker bequem zu übersehen ist“, sagt DeLaine. Weil sie bereits mit 22 Jahren mit einer Autoimmunkrankheit diagnostiziert wurde, die sehr eng mit ihren Essensgewohnheiten verbunden ist, ist das Thema Ernährung für Danielle DeLaine auch persönlich sehr wichtig.
Nach ihrer Diagnose begann sie, ein Essenstagebuch zu führen, verzichtete auf Fleisch und seit rund sieben Jahren ernährt sie sich vegan. Diese Umstellung hatte einen großen Effekt auf ihre körperliche und mentale Gesundheit, sagt sie. Darum setzt sich DeLaine seit vielen Jahren dafür ein, gesunde Ernährung in Schwarzen Stadtteilen in Cincinnati zugänglicher zu machen. 2017 gründete sie ihr veganes Restaurant „Herban Vegans“, in dem sie Gerichte aus der traditionell sehr fleischlastigen afroamerikanischen Küche in veganen Varianten anbietet. Dafür hat die Unternehmerin 2022 bei Cincinnatis größtem Food-Festival „Taste of Cincinnati“ sogar die Auszeichnung für das beste vegane Angebot bekommen.
Um diese fleischlosen Alternativen auch in der afroamerikanischen Community mehr zu verbreiten, organisiert DeLaine einmal im Monat einen kostenlosen Essensworkshop in einer afroamerikanischen Kirche in Cincinnati. „Wir bringen veganes Essen mit, geben Tipps, wie sich Gerichte fettarmer zubereiten lassen und sprechen viel über Essensgewohnheiten.“ Vor zwei Monaten startete die Restaurantbesitzerin zudem die Initiative ALIGN. Bei regelmäßigen Treffen informiert DeLaine dabei Interessierte über gesunde Nahrung. Denn neben einem Zugang zu frischen Lebensmitteln fehlt Afroamerikaner*innen oft das Wissen um ausgewogene Ernährung.
In den USA wird das Fach „Gesundheit“ zwar an Schulen unterrichtet, doch aufgrund der Rassentrennung hatten Schwarze lange keinen Zugang zu Bildungseinrichtungen und auch heutzutage ist die Qualität der Schulen in armen Schwarzen Stadtteilen mangelhaft. Gesundheit findet dabei häufig keinen Platz im Lehrplan. Mit schwerwiegenden Folgen: So sind Herz- und Gefäßkrankheiten die häufigste Todesursache in den USA.
Nach Daten des US-Gesundheitsministeriums ist das Risiko, an einer Herzkrankheit zu sterben, für Schwarze fast dreimal so hoch wie für Weiße. Der Hauptgrund: ungesunde Ernährung. Viele glauben, das liege daran, dass Afroamerikaner*innen nur Fast Food essen wollen, so DeLaine. „Es gibt diesen Irrglauben, dass Schwarze in den USA kein gesundes Essen mögen. Diese Aussage kannst du aber nur machen, wenn dieses auch verfügbar ist und die Menschen eine Wahl haben. Und ich sehe ja an der starken Nachfrage nach meinen Workshops und Gerichten, dass das nicht stimmt. Wir brauchen nur mehr solcher Angebote.“
Mehr als nur ein Garten
Insbesondere seit der Corona-Pandemie, als die Versorgung durch die Lockdowns noch schwieriger war, haben sich in Schwarzen Stadtteilen Nachbar*innen und Organisationen zusammengetan, um das Fehlen von Supermärkten zu kompensieren. In einigen Stadtteilen haben Einwohner*innen kleine Lastwagen organisiert, die als „mobile Supermärkte“ mit frischen Lebensmitteln regelmäßig in die Viertel kommen. In einem anderen Stadtteil eröffnet bald ein Mini-Supermarkt, der frisches Obst und Gemüse im Angebot haben wird.
Und immer mehr Nachbarschaften starten Gemeinschaftsgärten. Einer dieser Gärten liegt im Schwarzen Stadtteil Walnut Hills und wird von der Organisation „Black Power Initiative“, kurz BPI, betrieben. Hier wachsen in etwa einem Dutzend Hochbeeten Tomaten, Kartoffeln, Kürbisse, Bohnen, Kohl und Erdbeeren. BPI-Gründer Rico Blackman legte den Garten 2022 gemeinsam mit Mona Jenkins an. Jenkins ist Mitgründerin der Ladengenossenschaft „Queen Mother‘s Market“ im selben Stadtteil, eine weitere Initiative, die die Lebensmittelversorgung in Walnut Hills verbessern möchte. Ihr gehört das Grundstück, auf dem der Garten ist.
Jenkins hat das Grundstück von ihrer Mutter geerbt. Diese wollte, dass ihre Tochter darauf etwas anbaut. Denn Gärtnern ist etwas, auf das Jenkins‘ Familie seit Generationen viel Wert legt. Wie auch Danielle DeLaine wollen Mona Jenkins und Rico Blackman dieses Wissen weitergeben. Die Idee des Gemeinschaftsgarten ist daher nicht nur, Obst und Gemüse für die Nachbarschaft anzubauen, sondern auch Erziehung. „Wir müssen den Leuten auch zeigen, wie sie gesunde Lebensmittel zubereiten können. Ich kann einer Person eine Avocado geben und sagen, dass das gut für sie ist“, sagt Blackman. „Doch wenn diese Person nicht weiß, was eine Avocado ist und was sie damit zubereiten kann, bringt das nicht viel.“
„Wir müssen selbst die Initiative ergreifen“
Deswegen organisiert die BPI auch viele Veranstaltung rund um Ernährung. Diese reichen von Treffen im Gemeinschaftsgarten bis hin zu Kochkursen. Ähnlich wie Danielle DeLaine hat auch Rico Blackman festgestellt: Die Schwarze Community nimmt das Angebot sehr gut an. „Natürlich wollen auch Schwarze sich vielseitig ernähren. Doch wenn sie nur McDonald’s und Tankstellen haben und darüber hinaus auch nicht wissen, wie sie gesünder kochen können, ist das sehr schwierig.“
Für Danielle DeLaine sind Bürger*inneninitiativen wie die Ladenkooperative und Gemeinschaftsgärten ein wichtiger Schritt für eine bessere Versorgung. Sie glaubt nämlich, dass sich Afroamerikaner*innen nicht auf staatliche Hilfe verlassen können. „Wir müssen selbst die Initiative ergreifen, weil wir nicht auf die Regierung allein bauen können. Wir müssen uns daher auch selbst erziehen und selbstverantwortlich handeln. Dann wird es uns besser gehen.“
* Schwarze Menschen ist laut den Neuen Deutschen Medienmacher*innen eine Selbstbezeichnung von Menschen mit beispielsweise afrikanischen, karibischen oder afro-US-amerikanischen Vorfahren. Schwarz wird in diesem Zusammenhang immer groß geschrieben, um deutlich zu machen, dass damit keine Hautfarbe beschrieben wird. Schwarz ist vielmehr eine politische Selbstbezeichnung, die gemeinsame Erfahrungen sowie die gesellschaftspolitische Position und die Lebensrealität von Menschen beschreibt, die von Anti-Schwarzem Rassismus betroffen sind.