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Wenn Häftlinge beurlaubt werden
Coronavirus in Iran

29. März 2020 | Von Lisa Neal
Faszinierender Blick auf Teheran von oben. Foto: Unsplash

Das Coronavirus trifft Iran besonders stark und tödlich. Doch lassen sich Iraner*innen ihren Humor nicht nehmen, dafür haben sie schon zu viel durchgemacht. Neben all dem Schrecken kommen im Land auch Prozesse in Gang, die wichtige Veränderungen mit sich bringen können.

Von Lisa Neal, Berlin 

„Stell dir vor, in Deutschland fallen Weihnachten und Silvester auf einen Tag – und keiner darf feiern.“ So beschreibt eine iranische Freundin die Situation zum persischen Neujahr Nouruz am 20. März 2020. Iraner*innen aus aller Welt reisen jedes Jahr im März nach Iran, um mit ihren Verwandten zu feiern. Das große Fest und die beliebten Picknickausflüge – 1. April ist landesweiter Picknicktag – fielen nun für viele zum ersten Mal aus. In den sozialen Medien, vor allem auf Instagram, teilen Iraner*innen trotzdem Fotos von reich gedeckten Tischen, um ein Gefühl von Gemeinsamkeit zu erzeugen.  

In Iran selbst wurde an diesem Tag an einigen Orten noch gefeiert. Es herrscht bisher keine landesweite Ausgangssperre, denn die Angst vor einem Versorgungskollaps ist zu groß. Immerhin wurden die Schulen, Universitäten, Basare und Einkaufszentren für 15 Tage geschlossen und von Inlandsreisen abgeraten. Vom Coronavirus die Laune verderben lassen? Nicht in Iran, Ärzt*innen und Pfleger*innen haben Videos gedreht, in denen sie in Kitteln und mit Mundschutz tanzen. Den Humor lassen sich viele nicht nehmen. 

 

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In den sozialen Medien wurde über die Toilettenpapier-hortenden Nordeuropäer gespaßt: Jetzt hätten die „Zivilisierten“ gelernt, sich richtig die Hände zu waschen, vielleicht lernten sie jetzt auch das Benutzen einer viel hygienischeren Po-Dusche. Wohlgehütete Familienrezepte werden preisgegeben, Jüngere kaufen für Ältere ein, Fotos vom sonst smogverhangenen blauen Teheraner Himmel gehen viral. Sie machen das Beste aus der immer größer werdenden Not. Etwas, das viele Iraner*innen ihr ganzes Leben immer wieder tun mussten.

Verschwörungstheorien statt Informationen  

Doch durch Corona dramatisieren sich verschiedene Probleme in Iran und das System der Islamischen Republik könnte sich nachhaltig verändern: Viele in der Bevölkerung glauben den offiziellen Angaben über die Entwicklungen nicht. Bis zum 27. März sind offiziell 32,332 mit Covid-19 infiziert und mindestens 2.378 Menschen daran gestorben, doch die Zahlen werden deutlich höher geschätzt. Das Misstrauen ist groß, vor allem seit die Regierenden im Januar nicht offen über den Abschuss eines Passagierflugzeuges kommuniziert haben.

Statt die Lage jetzt klar einzuordnen, werden Verschwörungstheorien verbreitet: Revolutionsführer Khamenei und andere machen die USA für den Virus verantwortlich, er sei gesendet worden, um Iran zu schwächen. Vor ein paar Tagen wurde der privaten Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ die Arbeit in Iran verboten. Das seien Spione, war die offizielle Begründung. Dabei braucht Iran jede Hilfe, denn kaum ein Land ist so stark und so tödlich von Corona getroffen. Das liegt auch mit daran, dass hunderttausende Menschen durch die Spätfolgen der Chemiewaffeneinsätze im Iran-Irak-Krieg von 1980 bis 1988 geschwächt sind.

Kontinuierlich wird der Ruf nach einer Lockerung der US-Sanktionen lauter – bisher vergeblich, am 18. März wurden die Sanktionen sogar noch weiter verschärft. Gleichzeitig steigt der Druck auf die US-Regierung, weil die Sanktionen verhindern, dass lebensrettende medizinische Ausstattung importiert werden kann. Laut der „Deutschen Welle“ hat die Sharif-Universität in Teheran berechnet, das – sollte sich an dem aktuellen Zustand nichts ändern – im schlimmsten Fall bis zu 3,5 Millionen Menschen in Iran an den Folgen der Coronakrise sterben werden. 

Zwischen Freiheit und Hungerstreik 

Laut britischer Tageszeitung „Guardian“ wurden etwa 85.000 Häftlinge beurlaubt, um die Verbreitung des Virus in den Gefängnissen einzudämmen. Unter den beurlaubten Häftlingen befindet sich auch die britisch-iranische Journalistin Nazanin Zaghari-Ratcliffe, um deren Freilassung seit fünf Jahren gekämpft wird. Andere politische Gefangene wie Nasrin Sotoudeh werden nicht freigelassen. Aus Protest befindet sich die Rechtsanwältin gemeinsam mit anderen in einem Hungerstreik. Sie fürchtet, dass viele im Gefängnis die Corona-Pandemie nicht überleben werden.

Sotoudeh vertrat Oppositionelle und Minderjährige, die 2009 im Laufe der Proteste gegen die Wiederwahl von Präsident Ahmadinedschad festgenommen wurden. Sie war deshalb bereits 2010 in Haft und ist nun erneut eingesperrt, weil sie die Mädchen verteidigt hatte, die 2018 öffentlich gegen die Kopftuch-Pflicht protestierten. Sie gehört zu den wichtigsten Menschenrechtsanwältinnen und mutigsten Frauenrechtlerinnen des Landes. Die schwierige wirtschaftliche Lage hat vielen Iraner*innen auch schon vorher massiv zugesetzt, doch die Lage ist insgeamt durch das Virus verschärft worden. Daran zeigt sich nicht zuletzt, dass die Regierung längst nicht alles unter Kontrolle hat. Das System ist angreifbar.  

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Von Lisa Neal, Berlin

Lisa Neal lebt in Berlin und reist regelmäßig in den Nahen Osten, vor allem nach Iran. Sie schreibt über die Region, über Frauen und Reisen. Volontariat im Dummy Verlag, dann als freie Journalistin selbstständig gemacht. Studium der Soziologie, Politik und Ökonomie. Mehr: https://www.torial.com/lisa.neal. Reise: https://www.instagram.com/lisaliketheriver/.

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