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„Wenn Binden brennen, stirbt der Ehemann“
Gegen den Aberglauben rund um die Menstruation

18. Mai 2016 | Von Lea Gölnitz
Monalisa Padhee klärt indische Frauen über Menstruation auf - damit diese tief verwurzelten Aberglauben hinterfragen. Foto: Lea Gölnitz

An vielen Orten auf der Welt wird Menstruation tabuisiert. Auch in Indien gelten Frauen als unrein und werden während ihrer Tage diskriminiert und ausgeschlossen – man(n) glaubt, dass Essen und Wasser in ihren Händen schlecht wird. Die Wissenschaftlerin Monalisa Padhee kämpft gegen die Stigmatisierung. „Deine Korrespondentin“ hat mit ihr gesprochen.

Von Lea Gölnitz, Neu Delhi

In fast allen großen Religionen wird Menstruation dazu benutzt, Frauen als unrein zu erklären. Sie dürfen während ihrer Regelblutung etwa nicht in die Gebetsstätte. In West-Nepal zum Beispiel müssen Frauen während der Periode in einem Schuppen leben und dürfen nicht am Familienleben teilnehmen. Wie ist das in Indien?

Da Indien sehr groß und religiös divers ist, gibt es regionale Unterschiede. Generell aber gilt: Menstruation als Teil von Reproduktion und damit Sexualität ist ein großes Tabu. Menstruierende Frauen werden als unrein angesehen. Sie dürfen in der Zeit nicht in den Tempel, sollen keine Götterstatuen berühren, die Küche betreten oder eingelegtes Gemüse anfassen. Frauen sollen, während sie ihre Tage haben, auch nicht mit Essen in Berührung kommen, also dürfen sie nicht kochen. Das ist ein Grund, warum Töchter meistens schon sehr jung kochen lernen müssen. Die Diskriminierung von Frauen geht in Indien also auch über religiöse Riten hinaus. Es kontrolliert niemand, ob eine Frau ihre Tage hat oder nicht. Aber die Frauen selbst glauben, dass sie unrein sind und das Menstruationsblut böse oder negative Kräfte hat und Unglück bringt.

Der Umgang der konservativen indischen Gesellschaft mit Menstruation spiegelt den niedrigeren Status von Frauen gegenüber Männern wider und verstärkt diese Position. Das hat psychologische und physische Konsequenzen. Die Abwertung des Körpers als etwas Unnatürliches und Schlechtes oder gar Böses führt zu Minderwertigkeitsgefühlen und Verunsicherung. Da nicht über Menstruation gesprochen werden kann, ist der Zugang zu Informationen stark eingeschränkt.

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Ende vergangenen Jahres haben Frauen in Indien mit der Kampagne #happytobleed in sozialen Medien dagegen protestiert, dass sie nicht in den Tempel dürfen. War das ein Schritt in die richtige Richtung?

Viele Hindu-Tempel verbieten menstruierenden Frauen den Zutritt und gläubige Frauen halten sich daran. Der Protest richtete sich gegen die Aussage eines Tempelvorsitzenden, der Frauen generell den Zutritt zu Tempeln verbieten wollte, solange man nicht mit einer Maschine „scannen“ kann, ob eine Frau grade ihre Tage hat.

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Foto: Twitter

Die #Happytobleed-Kampagne richtete sich gegen die Tabuisierung von Menstruation. Genau darum geht es auch in meiner Arbeit. Frauen sollten sich nicht minderwertiger oder unrein fühlen. Wenn es für sie bereichernd ist, sich Zugang zu Tempeln zu erkämpfen, sollen sie das machen. Es spielt keine Rolle, ob es um Zugang zum Tempel oder was anderes geht. Auch hier geht es um Gleichberechtigung und um Macht und Kontrolle über Frauenkörper. Aber es ist noch wichtig zu sagen, dass das eine urbane Kampagne war. Die Situation auf dem Land ist noch viel konservativer, ich denke nicht, dass die Frauen hier ein Recht auf Zugang zum Tempel einfordern würden.

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Sie sind Wissenschaftlerin, haben einen Doktor in Biomedizin. Wieso interessiert Sie Menstruation und der Umgang damit im ländlichen Indien?

Ich komme selbst aus einer Kleinstadt in dem ostindischen Staat Orissa. Ich erinnere mich noch genau, wie irritierend und verwirrend es war, als ich selbst nur Halbwissen über Menstruation hatte. Meine Mutter konnte mir nicht viel dazu sagen. Ich weiß noch, dass mir eine Freundin, als ich zum ersten Mal meine Tage bekommen habe, erklärt hat, dass ich jetzt schwanger werden könnte. Ich habe das nicht richtig verstanden und dachte, ich wäre schwanger. Da hatte ich natürlich richtig Angst. Ich hatte keine Ahnung, wo Kinder herkommen und wusste überhaupt nichts.

Ich habe mich aber immer damit beschäftigt und einfach alles gelesen und aufgesaugt, was ich finden konnte. Ich habe angefangen, mich mit Freundinnen darüber zu unterhalten. Durch den Austausch mit anderen habe ich mehr gelernt als durch Bücher.

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Wie ist daraus Ihr Einsatz als „Menstruationsaktivistin“ entstanden?

Durch das „Youth for India“-Programm der indischen Regierung, das junge Inder für ein Jahr lang in verschiedene soziale Projekte vermittelt, bekam ich die Möglichkeit, ein Aufklärungsprojekt zu Menstruationshygiene und Gesundheit für Frauen und Mädchen zu entwickeln. Die Mädchen sind zwischen 11 und 15 Jahre alt und ich erreiche sie sowie ältere Frauen durch Schulen und soziale Projekte, die in ihren Dörfern zu anderen Themen arbeiten.

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Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?

In ländlichen Gebieten sind die Einstellungen oft sehr konservativ. Über ein Thema wie Menstruation überhaupt zu sprechen, ist dort noch viel verpönter und auch mit Scham besetzt. Ich hatte damit gerechnet, dass ich auf dem Land noch einmal mit ganz anderen Geschichten konfrontiert würde. Aber ich war dann doch überrascht davon, wie schüchtern besonders die Mädchen sind und welcher Aberglaube noch tief verankert ist.

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Zum Beispiel?

In einigen Teilen des Landes dürfen Frauen nicht das gleiche Wasser trinken wie der Rest der Familie. Einige glauben auch, es sei ein schlechtes Omen, in dieser Zeit in den Spiegel zu gucken.

In Karnataka sagen die Frauen, dass sie Ausschlag bekommen würden, wenn sie ihre Binden verbrennen. In Bihar hingegen sind Frauen fest davon überzeugt, dass ihre Ehemänner sterben, wenn sie ihre Binden verbrennen. Es war bisher unmöglich, ihnen das auszureden. Keine von ihnen würde riskieren, ihren Mann „umzubringen“. Das muss ich dann akzeptieren.

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Was willst du mit der Aufklärungsarbeit erreichen?

Verdorbenes Essen ist natürlich leichter zu riskieren als den Tod des Ehemanns oder einen Ausschlag. Das Problem ist auch, dass dieser Aberglaube sehr verankert ist und der Ursprung meist unklar. Wenn ich wüsste, wo diese Geschichten herkommen, wäre es leichter, sie auseinanderzunehmen und zu widerlegen.

Ich sehe meine Aufgabe nicht darin zu sagen, alles ist falsch. Ich versuche, sie mit Fakten zu überzeugen. Ich frage, wie es sein kann, dass etwas vom eigenen Körper unrein sein kann. Ich erkläre, dass Menstruation ein biologischer Prozess ist, der mit Reproduktion zu tun hat. Andere Körperteile sind ja auch nicht unrein. Das zu erklären rüttelt schon an ihrer Überzeugung.

Ihnen wissenschaftliche Fakten um die Ohren zu hauen bringt nichts und würde sie auch überfordern oder sogar beleidigen. Mir geht es darum, dass sie selbst zu dem Ergebnis kommen und überlegen, ob sie wirklich unrein sind. Ich sehe das Ganze als langsamen Prozess. Es geht mir um den Denkanstoß. Ich hoffe, sie erzählen ihren Töchtern nicht, dass sie unrein sind.

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Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?

Ich habe sechs Workshopeinheiten entwickelt, in denen ich versuche, eine lockere und sichere Atmosphäre zu ermöglichen. Es ist wichtig, Vertrauen zu schaffen und Aberglaube ernst zu nehmen. Während des ersten Treffens habe ich nur zugehört. Später haben wir besprochen, welche Mythen wir widerlegen können.

Ich habe einen naturwissenschaftlichen Hintergrund, ich liebe es also, zu experimentieren. Ich habe die Teilnehmerinnen aufgefordert, das Gleiche zu tun. Wird eingelegtes Gemüse wirklich schlecht, wenn sie es anfassen, während sie selbst ihre Tage haben? Ich konnte sie überzeugen, mit kleinen Mengen zu experimentieren.

Es ist leichter, über Anatomie und den Zyklus zu sprechen, nachdem wir uns besser kennengelernt haben. Ich versuche zu vermitteln, dass alle Körperteile gleich sind. Es sollte keinen Unterschied machen, über Arme und Beine oder Geschlechtsorgane zu sprechen.

Mit Hilfe von Comics und kleinen Filmen kann ich die Informationen so vermitteln, dass die Frauen und Mädchen es verstehen. Natürlich ist das für Analphabetinnen sehr komplex und viel Wissen auf einmal. Einige haben eine vage Vorstellung davon, dass Menstruation mit Kinderkriegen zusammenhängt.

Ich lasse die Frauen und Mädchen aufmalen, was sie verstanden haben, und wir basteln Armbänder mit Perlen, um den Zyklus darzustellen. Generell sind die Frauen mehr an Verhütungsmethoden interessiert und die Mädchen mehr daran, Aberglaube zu überwinden und überhaupt Informationen zu bekommen. Die Tabuisierung führt dazu, dass die Mädchen keine Ansprechperson für Fragen haben und oft von ihrer ersten Periode überrascht werden und denken, sie würden sterben.

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Über Menstruation zu reden ist in Indien verpönt. In den Workshops von Monalisa Padhee lernen Mädchen einen anderen Umgang mit dem Thema.

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Ist die Hygiene ein Problem auf dem Land?

Wie fast überall in Indien wird Müll meistens verbrannt. So verbrennen Frauen auch oft Binden oder das Material, das sie als Binden verwenden. Das ist für sie auch die ideale Lösung, die Beweise für ihre Menstruation loszuwerden.

Viele Frauen schmeißen die Binden aber auch in den Fluss. Ich habe ihnen erklärt, dass das nicht gut ist, aber es ist schwer, Alternativen zu finden. Vor allem wenn Verbrennen keine Option ist. Der Zugang zu gesundheitlicher Versorgung und hygienischen Produkten ist auch problematisch. Die meisten Frauen haben Einweg-Binden, wiederverwendbare Binden oder sie benutzen alten Stoff. Ich kläre sie über Hygieneregeln auf und versuche, ihnen Scham vor Arztbesuchen zu nehmen. Wenn der nächste Arzt zu weit weg ist, kann ich natürlich nichts machen.

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Wie ist der Umgang der Männer mit Ihrer Arbeit und dem Thema allgemein?

Die Frauen sind sehr schüchtern und wollen nicht mit Männern sprechen. Aber nach einiger Zeit haben sie sich mehr zugetraut und sind zum Beispiel auch alleine zum Arzt gegangen. Vorher musste ich immer mitkommen und für sie sprechen. Ich habe ihre Ehemänner nicht kennengelernt. Das wäre natürlich interessant. Ich selbst habe bisher keine negativen Reaktionen von Männern zu meiner Arbeit erfahren. Aber ich gebe keine Workshops für Männer, daher weiß ich nicht, wie sie reagieren würden, wenn sie über Menstruation sprechen sollen, statt dass ich von meiner Arbeit zu Menstruation spreche. Das ist ein Unterschied.

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Sie stehen noch am Anfang des Projekts und hatten den ersten Durchlauf der Workshops. Wie geht es weiter?

Ich arbeite daran, die Inhalte besser aufzubereiten und die Workshops interaktiver zu gestalten. Ich erarbeite auch ein Handbuch, dass die Frauen behalten können, um ihren Tanten, Töchtern und Nachbarinnen das Wissen weiterzuvermitteln. Das war den Frauen wichtig.

In den Aufklärungsworkshops soll die Stimmung locker und positiv sein, es ist wichtig, dass das auch rüberkommt und somit Tabuisierung und Scham überwunden werden. Als Nächstes werde ich Küchenschürzen, die mit der weiblichen Anatomie bedruckt sind, im Workshop benutzen. Das soll den Umgang mit dem neuen Vokabular vereinfachen und Hemmungen abbauen. Es soll Spaß machen und den Frauen wirklich klar machen, dass Menstruation nicht einschränkend sein soll. Sie sind weder unrein noch unfrei.

  Weiterführende Links:

Am 28. Mai ist „International Menstrual Hygiene“ Tag, mehrere Organisationen aus dem WASH (Water Sanitation and Hygiene)-Sektor und Frauenrechtsorganisationen nutzen die Gelegenheit, um auf Menstruationshygiene aufmerksam zu machen.

Menstrupedia ist eine Onlineplatform zu Menstruationsaufklärung. Die Comics, die Monalisa in ihren Workshops verwendet, sind von Menstrupedia. 

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Von Lea Gölnitz, Neu-Delhi

Lea Gölnitz arbeitete für das entwicklungspolitische Nachrichtenportal Entwicklungspolitik Online und befasst sich vor allem mit Gender- und Frauenrechtsthemen. Nachdem sie 2012 in Indien bei einer Frauenrechtsorganisation gearbeitet hatte, ist sie immer wieder dorthin gereist und lebte 2015 bis 2018 in Neu-Delhi. Anschließend war sie Projektleiterin für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Singapur. Seit zwei Jahren führt sie das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Bangkok.

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Mareike GraepelHaltern
Die US-Amerikanerin Cindy O’Brien lebt seit den 90er Jahren in Connemara, ganz im Westen von Irland und züchtet seltene Seeschnecken. Die sogenannten japanischen Abalone gedeihen an der irischen Küste gut. Sie gelten als Delikatesse und Aphrodisiakum, kosten bis zu 44 Euro pro Kilo – und sehen aus wie Vulven.

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