Nach den Übergriffen von Köln versuchen manche, die Bedeutung unterschiedlicher Frauenbilder kleinzureden – aus Angst vor Rassismus. Aber nicht die Diskussion ist gefährlich, sondern der Versuch, sie zu ersticken.
Ein Kommentar von Mareike Enghusen, Tel Aviv
Sex, Kriminalität, Islam, Flüchtlinge – fast alles, was hierzulande reizt, aufregt und wehtut, vermengt sich nach den Kölner Massenübergriffen in einer einzigen Debatte. Mehr als 200 Frauen haben Anzeige wegen sexueller Belästigung aufgegeben, mindestens zwei sind offenbar vergewaltigt worden. Das sind krasse Zahlen, und es ist angemessen, dass wir darüber diskutieren. Die Frage ist nur: wie?
Nach allem, was man weiß, kommen die meisten der Täter von Köln aus dem arabischen Raum. Manche Kommentatoren betonen nun, dass auch deutsche Männer Frauen belästigen. Das ist trivial; natürlich gibt es kein kulturelles Monopol auf Grabschen. Nur ist das Argument in etwa so hilfreich wie der Hinweis des trotzigen Kettenrauchers, dass Helmut Schmidt trotz heftiger Nikotinsucht fast hundert Jahre alt geworden ist. Dass es etwas gibt, sagt noch nichts über seine Häufigkeit und seine Ursachen.
Natürlich verallgemeinert man, wenn man über kulturelle Prägungen einer ganzen Gesellschaft oder, wie in diesem Fall, gar einer ganzen Staatengruppe spricht, die so verschiedene Länder wie Marokko, Libanon, Jemen und Katar einschließt. Und natürlich sind Verallgemeinerungen zwangsläufig unscharf, unvollständig und ungerecht. Nur: Sie sind auch unumgänglich, wenn man überhaupt über irgendein Phänomen sprechen will, das mehr als ein Individuum betrifft. Alle Nuancen und Einzelfälle ändern nichts an dieser Feststellung: Das vorherrschende Frauenbild in arabischen Ländern, laut dem die Frau unter dem Schutz, aber eben auch unter der Kontrolle der Männer steht, unterscheidet sich wesentlich von jenem Westeuropas.
Erinnern wir uns an die Massenvergewaltigungen auf dem Tahrir-Platz
Dazu ist sexuelle Belästigung in der Öffentlichkeit in arabischen Ländern ein wesentlich größeres Problem als hierzulande – um das festzustellen, genügt es, als Frau fünf Minuten allein durch fast jede beliebige arabische Stadt zu spazieren. Während der Proteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo kam es regelmäßig zu Massenvergewaltigungen. Und das Bundeskriminalamt hat gerade bestätigt, man „kenne aus einigen arabischen Ländern das Phänomen der gemeinschaftlich begangenen sexuellen Belästigung von Frauen in der Öffentlichkeit.“
In vielen konservativen arabischen Familien darf sich die Frau kaum ohne männliche Begleitung allein in der Öffentlichkeit bewegen. Zwar unterlaufen viele junge Frauen die geltenden Moralvorstellungen – aber entscheidend dabei ist: Es passiert heimlich. Alles andere würde die Familienehre verletzen. Westliche Frauen, die allein ausgehen, wechselnde Partner und Sex vor der Ehe haben, gelten nach diesen Maßstäben als unzüchtig, um es vorsichtig auszudrücken.
„Dass (…) Männer aus dem arabischen patriarchalen Raum Frauen verachten und als Freiwild betrachten, weil sie einen Minirock tragen oder allein ausgehen, das ist leider nicht neu. Mit diesem Männer- und Frauenbild müssen sich Lehrerinnen, Sozialarbeiter, Polizistinnen schon seit Jahren herumschlagen“, sagte der arabischstämmige Therapeut Ahmad Mansour gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Wie glaubwürdig ist vor diesem Hintergrund das Argument, der kulturelle Hintergrund der Täter von Köln sei reiner Zufall und deshalb keiner Debatte würdig? Vom größten Volksfest der Welt, dem Münchner Oktoberfest, das nun hier und da als Vergleich angeführt wird, ist immerhin noch kein organisierter Massenübergriff berichtet worden.
Müssen Frauen in jedem arabischen Passanten einen potentiellen Grabscher sehen? Müssen wir die Grenzen für syrische Flüchtlinge schließen? Nein und nein – es gehört zu den Merkwürdigkeiten unserer gegenwärtigen Debattenkultur, dass man solche Selbstverständlichkeiten aussprechen muss. Es geht allein darum, zu verstehen, dass gerade sehr viele Menschen aus einem anderen Kulturkreis zu uns kommen; und, im zweiten Schritt, zu überlegen, wie ihre Eingliederung ohne größere gesellschaftliche Verwerfungen gelingen kann. Dass Warten und Hoffen allein nicht ausreicht, zeigen Erfahrungen von Ländern wie Frankreich und Belgien.
Bisher ist nicht klar, wie viele Asylbewerber unter den Grabschern waren. Das ist aber auch nicht entscheidend: In keinem Fall darf die Kölner Silvesternacht unseren Umgang mit unschuldigen Flüchtlingen beeinflussen. Ja, es besteht Bedarf für eine Debatte über die deutsche Flüchtlingspolitik, und die wird ja auch seit einiger Zeit geführt. Aber das ist eine andere Diskussion. Wer nach geltendem Recht als Flüchtling gilt, darf bei uns bleiben – das gebietet unser Grundgesetz ebenso wie die Moral.
Es gibt viele Versuche, Willkommenskultur zu ersticken
Natürlich gibt es nun jene, die versuchen, beide Debatten zu vermischen: Sie verweisen auf Köln, um im nächsten Satz „Flüchtlinge raus!“ und „Grenzen dicht!“ zu rufen. Die Facebook-Gruppe NETT-WERK KÖLN musste geschlossen werden, weil „Wut, Hetze, Aggression“ und „Gewaltphantasien“ der User unkontrollierbare Ausmaße annahmen, wie der Administrator schrieb.
Dass Demagogen die Verbrechen von Köln missbrauchen, war zu erwarten. Manche Kommentatoren folgern daraus, dass jede Diskussion über kulturelle Differenzen vermieden werden muss. Aber das ist erstens falsch und zweitens kontraproduktiv: Schweigen bestätigt die Demagogen in ihrer Selbstdarstellung als mutige Kämpfer gegen ein politisch korrektes Meinungskartell. Ehrlicher und wirkungsvoller ist es, mit einer sachlichen, humanen Diskussion zu kontern, darüber wie es gelingen kann, kulturelle Unterschiede zu überwinden. Unterschiedliche Frauenbilder spielen dabei eine zentrale Rolle.
Nicht die offene Debatte ist gefährlich, sondern der Versuch, sie zu ersticken. Das hilft einzig und allein jenen, die nun wieder „Lügenpresse“ schreien. Diesen Gefallen sollten wir ihnen nicht tun.