Aura Dalia Caicedo ist Afrokolumbianerin, Aktivistin und Feministin. Sie setzt sich für die Rechte afrokolumbianischer Frauen ein. Dabei geht es nicht nur um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, sondern auch um die Akzeptanz von weißen Feministinnen. Sophia Boddenberg hat sie interviewt.
Welche Formen von Unterdrückung und Gewalt erleben die afrokolumbianischen Frauen im Vergleich zu anderen Frauen in Lateinamerika?
Diese Gewalt wird sichtbar in der geringen politischen Beteiligung und dem Zugang zu Entscheidungspositionen. Das hängt mit Diskriminierung und Rassismus zusammen. Schwarze Frauen erleben multiple Formen von Gewalt: Sie haben geringe Möglichkeiten, einen Zugang zu Bildung zu bekommen, einen würdevollen Arbeitsplatz zu erhalten. Das hängt vor allem mit wirtschaftlicher Ungerechtigkeit und mit dem Geschlecht zusammen. Deshalb kämpfen wir gegen Rassismus und gegen die extreme Armut.
Sie sind Mitglied des Netzwerks „Red de Mujeres Afrolatinoamericanas, Afrocaribeñas y de la Diáspora” (zu Deutsch: Netzwerk afrolateinamerikanischer und afrokaribischer Frauen und der Diaspora). Welches Anliegen hat dieses Netzwerk?
Mit dem Netzwerk versuchen wir Einfluss auf die regionale und nationale Politik zu nehmen, um eine solidarische Gesellschaft ohne Diskriminierung und Rassismus zu gestalten. Wir wollen nicht nur in unseren jeweiligen Ländern sichtbar sein, sondern auch auf internationaler Ebene bei allen Themen, die uns als afrolateinamerikanische Bevölkerung betrifft – besonders uns Frauen. So wollen wir unsere Präsenz, unsere Träume und Forderungen sichtbar machen.
Wie sind Sie zum Feminismus gekommen?
Ich komme noch immer an. Ich wurde in Tumaco an der Pazifikküste geboren, danach hat das Leben mich in die größte Hafenstadt Kolumbiens gebracht, nach Buenaventura. Dort haben wir das erste internationale Treffen schwarzer Frauen organisiert. Anschließend habe ich mich im Nationalen Netzwerk Afrokolumbianischer Frauen „Kambiri“ engagiert. Dadurch fühlte ich mich als schwarze Frau bestärkt. Dabei ging es auch um Territorium, um meine Gemeinde, mein Volk, meine Wurzeln. Inzwischen leite ich das Zentrum für Bestärkung und Selbstermächtigung der Frauen namens „Ambulua“. Das Wort „Ambulua“ kommt aus Afrika und bedeutet „Licht, das mein Denken erhellt“. Wir definieren uns und den Feminismus neu und bestärken und so. Aber ich muss mich darauf stützen, wer ich bin. Ich in eine schwarze Frau. Der Feminismus betrachtet die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern. Für uns ist die Ungleichheit aber noch viel stärker aufgrund der Diskriminierung, die wir als schwarze Frauen erleben. Der Feminismus ist eine Möglichkeit, uns zu definieren, eine klare und kritische Position einzunehmen.
Was bedeutet „feminismo negro“ konkret?
Es geht darum, Variablen zu verbinden wie Rasse, Klasse und Geschlecht. Es ist die Art und Weise, als schwarze Frau zu sagen, dass ich Frau bin – und zwar in all der Diversität und Komplexität, die meine Herkunft und meine Wurzeln mit sich bringen. Diese Wurzeln zu betrachten, heißt auch unsere afroamerikanischen Männer kulturell zu hinterfragen. Am Anfang war es schwierig für mich, da eine Balance zu finden. Denn als Frauen und Männer wurden wir unterschiedlich erzogen, auch wenn wir zur gleichen ethnischen Gruppe und Kultur gehören. Um als schwarze Frau Feministin zu sein, muss man sehr mutig sein. Denn das bedeutet, sich nicht nur der äußeren Umgebung entgegenzustellen, sondern auch der eigenen Gemeinde, der eigenen Kultur. Deshalb haben wir uns Schritt für Schritt dem Feminismus angenähert.
Welche sind die Herausforderungen des „feminismo negro“ für die Zukunft?
Eine Herausforderung ist es, die Rassendiskriminierung zu verstehen. Wenn die weißen Feministinnen sie verstehen, dann können sie auch eine Position diesbezüglich einnehmen. Und eine interne Herausforderung ist, den Feminismus und seine Komplexität zu vertiefen. Es ist noch nicht das letzte Wort gesprochen, sondern der Feminismus ist ein Weg, der begonnen wurde. Und der muss Hand in Hand gegangen werden mit dem Aktivismus und der Bildung. Eine weitere Herausforderung ist, unsere feministischen Narrative über unsere eigenen Realitäten zu schreiben und gleichzeitig mit unseren Realitäten und Eigenheiten etwas zum Feminismus auf genereller und globaler Ebene beizutragen.
Was heißt das genau?
Als indigene, schwarze und weiße Frauen haben wir Eigenheiten und diese sollten den Feminismus bereichern. Irgendwann im Leben laufen alle unsere Wege in diesem großen Strom zusammen. Und das sollten wir feiern und zwar mit Respekt und Wertschätzung untereinander. Allerdings gibt es da immer noch Spannungen. Das ist manchmal schmerzhaft. Wenn der Feminismus Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern will, dann fordern wir als schwarze Frauen Gleichberechtigung zwischen weißen, indigenen und schwarzen Frauen. Wir wollen in unserer kulturellen Diversität wertgeschätzt, aber als Frauen gleichberechtigt behandelt werden.
Die schwarze feministische Frauenbewegung („Black Feminist Movement“) entstand in den USA in den 60er Jahren als Antwort auf die schwarze Befreiungsbewegung und auf die Frauenbewegung. Viele schwarze Frauen fühlten durch den herrschenden Rassismus in der mehrheitlich weißen Frauenbewegung unterdrückt. Gleichzeitig waren sie aber auch Opfer von Sexismus in der schwarzen Befreiungsbewegung. „Schwarzsein“ wurde sozusagen gleichgesetzt mit schwarzen Männern. Schwarze Frauen existierten nicht laut diesem Konzept. „Frausein“ und Feminismus wurde demnach gleichgesetzt mit weißen Frauen. So entstand der Begriff der „Intersektionalität“, der das Zusammenwirken verschiedener Diskriminierungsformen betrachtet, wie zum Beispiel die Überschneidung von Rassismus, Sexismus und Klassismus. Feministinnen wie Kimberlé Crenshaw prägten diesen Begriff. Die schwarzen Frauen in Lateinamerika teilten viele dieser Erfahrungen und so entstand die Bewegung des „Feminismo Negro“, in der sich afrolateinamerikanische Frauen für ihre Rechte einsetzen.