In Ghana ist der gesellschaftliche Druck auf Frauen, schwanger zu werden, groß. Wenn das nicht gelingt, wenden sie sich oft hilfesuchend an die Geistlichen ihrer Kirche. Doch scheinen viele von ihnen ihre Machtposition auszunutzen, denn die Fälle von sexuellem Missbrauch häufen sich. Unsere Korrespondentin Sarah Tekath interviewte die ghanaische Wissenschaftlerin Genevieve Nrenzah zu diesem sensiblen Thema.
Wie sind Sie auf den Missbrauch durch Geistliche aufmerksam geworden?
Seit 2018 sehe ich auf Social Media immer wieder Aufnahmen von Frauen, die von Geistlichen missbraucht werden. In Ghana gibt es drei große Religionsgruppen: das Christentum, den Islam und afrikanische indigene Religionen. Diese Misshandlungen kommen in allen drei Religionen vor, aber die meisten, auf die ich gestoßen bin, ereignen sich im christlichen Umfeld. Es geschieht nicht nur in bestimmten Regionen des Landes, sondern ist ein Problem in ganz Ghana, in den ländlichen Gebieten ebenso wie in der Hauptstadt.
Was haben Sie auf den Aufnahmen gesehen?
Die, die ich gesehen habe, zeigen Szenen bei Zeremonien, wo zum Beispiel ein Priester für die Segnung seine Hand auf die Brüste oder das Geschlechtsteil legt anstatt auf den Kopf. Online machen sich User*innen darüber lustig, aber ich dachte: „Nein, das ist falsch. Das ist Missbrauch.“ Dann hörte ich eine Radiosendung, in der Menschen anonym anriefen und ihre Geschichten erzählten. Mir fiel auf, dass immer wieder Frauen von ihren Missbrauchserfahrungen in den örtlichen Kirchen berichteten.
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Was waren Ihre nächsten Schritte?
Die Opfer, die im Radio über ihre Erfahrungen sprachen, nannten weder die Namen der Geistlichen noch der Kirchen. Darum war es sehr schwierig, einen Ansatzpunkt zu finden. Ich habe mich an die örtlichen Kirchen gewandt, wurde aber abgewiesen.
Der nächste Schritt war, mich an den Radiosender zu wenden. Ich schrieb einen Brief an den Moderator, der unbeantwortet blieb. Also fuhr ich dorthin und wartete draußen im Auto, bis der Moderator herauskam. Ich erklärte ihm, dass ich diejenige war, der den Brief geschrieben hatte, und dass ich an der Universität von Ghana arbeite. Er zögerte, weil er die Opfer nicht in Gefahr bringen wollte. Also vereinbarten wir, dass ein Mitarbeiter des Radiosenders die Frauen zurückrufen würde – denn wenn jemand in der Sendung anruft, werden die Nummern gesammelt – und sie fragen würde, ob sie bereit wären, mit mir zu sprechen.
Hatten Sie Erfolg?
Ja, am Ende habe ich mit etwa 40 Frauen und zehn Männern gesprochen. Es hat auch homosexuellen Missbrauch gegeben. Aber so wie die Dinge in der ghanaischen Gesellschaft sind, würden Männer so etwas nie ansprechen. Ein Mann muss ein Mann sein, das heißt, er darf keine Schwächen zeigen und muss immer stark sein. Die Gesellschaft würde ihn sehr hart verurteilen, wenn er nicht in der Lage wäre, sich gegen einen anderen Mann zu verteidigen.
Auch das Vertrauen der Frauen musste ich mir erst erarbeiten. Erst als ich versprach, ihre Namen nicht in meinem Buch zu verwenden, berichteten sie von ihren Erfahrungen. Vielleicht war es auch, weil sie zu einer anderen Frau mehr Vertrauen hatten. Ich habe ihnen erklärt, wie wichtig es ist, dass sie über ihre Erfahrungen sprechen, damit wir verhindern können, dass dies in Zukunft anderen Frauen passiert.
Gab es die Möglichkeit, mit einem der Opfer näher zusammenzuarbeiten?
Ich bin auch auf ein Ehepaar gestoßen – die Frau wurde von einem örtlichen Priester missbraucht. Zunächst wollte sie ihrem Mann nicht erzählen, was passiert war, aber als sich herausstellte, dass der Priester sie mit einer sexuell übertragbaren Krankheit angesteckt hatte und sie ärztliche Hilfe brauchte, erzählte sie es ihm schließlich. Der Mann hat versucht, den Geistlichen zu konfrontieren, aber er war völlig uneinsichtig und hat den Ehemann später sogar fälschlicherweise wegen körperlicher Angriffe bei der Polizei angezeigt. Die Polizei wies daraufhin beide Parteien an, die Sache unter sich zu klären.
Ich brachte das Paar mit einer Anwältin in Kontakt, die eine Anzeige bei der Polizeiabteilung für häusliche und sexualisierte Gewalt nahelegte. Aber die Frau weigerte sich, aus Angst vor öffentlicher Bloßstellung. Hoffentlich wird es mir in Zukunft noch gelingen, sie zu überzeugen.
Was haben sie Ihnen erzählt?
Das Muster ist oft sehr ähnlich. Die Frauen wenden sich an den Geistlichen, weil sie nicht schwanger werden können. In Ghana glauben die Menschen, dass jede Frau körperlich in der Lage ist, ein Kind zu gebären. Außerdem glauben sie, dass es ein körperliches Selbst und ein spirituelles Selbst gibt und dass beide verletzt werden können. Zum Beispiel mit einem Fluch oder einem bösen Zauber, die eine Schwangerschaft verhindern. Dann braucht sie die Unterstützung des Priesters.
Die Frauen müssen einen Betrag entrichten, etwa zwischen 50 und 300 Euro, um das Material für das Ritual und den Dienst des Geistlichen zu bezahlen.
Dann werden sie gebeten, allein in die Kirche zu kommen. Die Priester bitten sie, sich zu entkleiden, während sie in einem separaten Raum beten. Dann kommen sie zurück, oft schon nackt, und teilen den Frauen mit: „Der Herr hat mir gesagt, ich soll Sex mit dir haben.“Denn jemand habe sie verhext und ein Vorhängeschloss an ihrer Vagina angebracht, und die einzige Möglichkeit, es zu öffnen, sei Geschlechtsverkehr mit ihm. Proteste der Frauen werden von den Geistlichen damit abgetan, dass dies Gotts Wille sei. In den meisten Fällen stehen die Frauen so unter Druck, schwanger zu werden, dass sie einwilligen.
Wie werden Frauen und Schwangerschaft in der ghanaischen Gesellschaft gesehen?
Die Akan, die mit fast 50 Prozent die größte ethnische Gruppe in Ghana sind, glauben, dass es die Aufgabe der Frau ist, Kinder zu gebären, um die menschliche Rasse fortzuführen. Kinderlosigkeit wird als Egoismus verstanden. Hinzu kommt noch der Aspekt des Erbes, denn das Eigentum einer Frau geht an ihre Kinder. Das heißt, wenn sie keine Kinder bekommt, geht ihr Eigentum verloren.
Haben die Opfer Anzeige erstattet?
Nein, die Frauen haben zu viel Angst. Ghana ist ein Land, in dem die Menschen sehr religiös sind und die Priester eine starke Machtposition innehaben. Oft drohen die Geistlichen den Frauen, dass sie ihre Familienmitglieder entweder töten oder sie spirituell vernichten werden. Außerdem ist das Vertrauen in die Polizei aufgrund von Korruption nicht sehr groß. Wenn ein Opfer zum Beispiel jemanden anzeigen will, verlangt die Polizei wahrscheinlich, dass es den Beamten mit dem eigenen Auto zum Täter fährt oder das Taxi bezahlt. Das erhöht für die Opfer das Risiko, mit der Polizei gesehen zu werden.
Werden sexuelle Übergriffe normalerweise von den Opfern angezeigt?
Es hat schon Fälle gegeben, dass ein Geistlicher, der Missbrauch begangen hat, verhaftet wurde, aber dann für ein anderes Vergehen. Wenn im Fall von Missbrauch die Opfer Anzeige erstatten, wird die Strafverfolgung dadurch erschwert, dass die Geistlichen die Schuld von sich wegschieben. Sie machen Gott verantwortlich, denn der Geschlechtsverkehr sei Gottes Wille gewesen.
Generell ist die Anzeige von sexualisierter Gewalt und Missbrauch schwierig, denn die Frauen möchten nicht, dass die Öffentlichkeit erfährt, was ihnen im Privaten passiert ist. Sie fürchten sich davor, für Zuschauer*innen oder Medien während des Gerichtsprozesses sichtbar zu sein. Besonders, wenn es sich um einen berühmten Geistlichen handelt, wäre das öffentliche Interesse riesig.
Genevieve Nrenzah zeigt in ihrem Büro eine Aufnahme der Kirche, in der sie recherchiert hat. | Foto: Sarah Tekath
Haben Sie sich auch an einen der beschuldigten Pastoren gewandt?
Ich war selbst bei einem Geistlichen, wurde aber nicht ins Haus gelassen. Am Telefon hat er mich abgewimmelt. Also kam ich auf die Idee, so zu tun, als ob ich seine spirituelle Unterstützung bräuchte. Ich buchte eine Sitzung bei ihm, bezahlte dafür und erklärte ihm, dass ich vergeblich versuche, schwanger zu werden. Er stellte mir Fragen und sagte mir, dass er sich mit Gott beraten müsse.
Ich erkundigte mich bei ihm nach den Ritualen. Ich fragte: „Was ist, wenn Gott Ihnen sagt, dass Sie Sex mit mir haben müssen?“ Er verneinte, dass das möglich sei, aber es wurde deutlich, dass er immer mehr zögerte, mir Antworten zu geben. Am Ende bat er mich zu gehen und sagte, ich solle mich später nochmal telefonisch bei ihm melden. Das werde ich in den nächsten Wochen tun, weil mein Umzug nach Rostock dazwischenkam.
Was möchten Sie mit Ihrer Forschung erreichen?
Ich möchte die Geschichten der Opfer erzählen und meine Ergebnisse in meinem Buch veröffentlichen, weil ich Aufmerksamkeit schaffen und Menschen sensibilisieren möchte. Die Gesellschaft muss von den Schattenseiten der Religionen erfahren. Die Opfer bleiben wie versprochen anonym. Ich habe mit Kolleg*innen besprochen, ob ich die Namen der Kirchen und Geistlichen nennen soll, habe mich aber aus ethischen Gründen dagegen entschieden. Allerdings werde ich, sollte die Polizei oder Staatsanwaltschaft anfragen, alle personenbezogenen Informationen zur Verfügung stellen.
Ich versuche außerdem, die Opfer zu ermutigen, sich öffentlich zu äußern, denn diese Männer müssen bestraft werden. Wir müssen zeigen, dass dies nicht nur etwas ist, über das sich Leute auf Social Media lustig machen. Dies sind echte Fälle, die echten Menschen passieren. Ich bin sicher, wenn eine Frau redet, werden sich bald noch mehr melden.
Weitere Informationen:
Dr. Genevieve Nrenzah arbeitet in der Abteilung für Religion und Philosophie des Instituts für Afrika-Studien der Universität Ghana. Zu ihren Forschungsthemen gehören indigene religiöse Überzeugungen und Zeremonien, Religion und Wirtschaft, Sexualität, Religion und Menschenrechte sowie Neo-Feminismus. Für ihre Untersuchungen zum Thema Missbrauch der Frauen durch die Geistlichen hat sie ein Alexander-von-Humboldt-Fellowship erhalten. Derzeit lebt sie in Deutschland und arbeitet an der Universität von Rostock an ihrem Buch.