Johanna Maul ist 30 Jahre alt – und will nicht länger dabei zusehen, wie immer mehr Müll in die Ozeane gekippt wird. Deswegen hat sie die gemeinnützige Nichtregierungsorganisation „SAMEoceans“ gegründet. Gemeinsam mit deutschen Unternehmen will sie Projekte umsetzen, die im asiatischen Raum durch Aufklärung und nachhaltige Lösungen die Plastikflut beenden sollen.
Von Mareike Graepel, Hamburg
Noch vor zwei Jahren hat Deutschland 340.000 Tonnen Kunststoffabfälle pro Jahr nach China verschickt. 2017 beschloss Peking dem Einhalt zu gebieten und reduzierte den Abfall um 95 Prozent – das heißt, es dürfen nur noch 16.000 Tonnen nach China geschifft werden. Laut Statistischem Bundesamt sind dafür aber die Exporte deutscher Plastikabfälle nach Indien, Malaysia und Indonesien deutlich in die Höhe geschnellt.
Viele Deutschen glauben, der Müll, der im gelben Sack landet, werde recycelt und wiederverwendet. Tatsächlich landet davon aber jede Menge auf Müllhalden in Asien. „Das Problem: Diese Deponien sind oft ungesichert und bei Stürmen oder starken Regenfällen weht oder rutscht der Müll weg, gelangt in die Umwelt und damit oft ins Meer“, erklärt Umweltaktivistin Johanna Maul.
Allein Malaysia musste im ersten Halbjahr 2018 mehr als 750.000 des weltweiten Plastikmülls lagern. Zum Vergleich: In der Nordsee landen pro Jahr nur etwa 20.000 Tonnen. Den größten Müllberg nahm das asiatische Land aus den USA an, gefolgt von Japan und Großbritannien. An vierter Stelle: Deutschland mit gut 72.000 Tonnen. „Wenn man das mit eigenen Augen gesehen und sich informiert hat, kann man sich nicht davor verschließen“, findet Johanna Maul.
Für sie persönlich war es der Müll am Strand von Indonesien, der sie zur Aktivistin werden ließ: „Sowas habe ich vorher noch nie gesehen – und ich reise seit meiner Jugend gerne, weit und viel.“ Wenn man bedenkt, dass nur 15 Prozent des Mülls an der Oberfläche schwimmen, mehr als 70 Prozent auf den Meeresboden sinkenund weitere 15 Prozent an die Küsten gespült werden, ist klar: Sichtbar ist auch an den stärksten betroffenen Stränden Asiens nur die Spitze des Müllbergs. Für Johanna Maul bedeutete das: Es reicht nicht mehr dabei zuzuschauen wie sich die Lage immer weiter verschärft. Es muss etwas getan werden.
Deshalb organisierte sie in ihrem Surfurlaub spontan eine Müll-Sammelaktion. Daraus entstand eine Zusammenarbeit mit einer Schule vor Ort. „Die indonesischen Kinder haben uns gefragt, was wir da tun – ihnen war überhaupt nicht klar, warum man Müll nicht einfach ins Meer werfen oder verbrennen kann. Es gibt dort kein richtiges Entsorgungssystem und wenig Bewusstsein für die Problematik.“
Johanna Mauls Impuls, etwas verändern zu wollen, bekam noch mehr Antrieb, als sich die indonesischen Lehrer*innen Monate später wieder bei ihr meldeten und sich mehr Aufklärung und Information wünschten. Da war sie längst wieder in Hamburg. Sie begann zu planen, Ideen zu sammeln und die ersten Schritte in Richtung Gründung einer Nichtregierungsorganisation – Englisch abgekürzt NGO – zu gehen. Dafür musste sie zunächst entscheiden, welche Rechtsform die richtige ist. Ein Anwalt oder Notar hilft bei der Frage, ob Verein, Stiftung, gGmbH oder gUG die passende Variante ist: Jede Möglichkeit hat in Sachen Steuerrecht, Haftung und Stammkapital Vor- und Nachteile.
Doch die wichtigste Frage war: Wie soll das Projekt heißen? Was ist griffig und eingängig? Die Wahl fiel schließlich auf „SAMEoceans“. Der Grund laut Unternehmerin Johanna Maul: „SAME steht einerseits dafür, dass alle Ozeane verbunden sind, dass alles Wasser gleich ist. Außerdem ist SAME die Abkürzung für ‚So All May Enjoy‘. Das bedeutet für uns, dass alle Menschen die Meere und Strände dieser Welt genießen sollen, im Gegenzug aber auch jeder seinen Beitrag dazu leisten muss, dass sie nicht zugemüllt werden. Und genau dabei möchten wir als Organisation helfen.“
Trendthema Plastikmüll
Anders als Greenpeace, NABU und WWF will Maul als reiner Dienstleister fungieren. Der Plan sei mit allen großen Playern zusammenzuarbeiten: „Wir setzen zwar die Standards für die Aufklärungskonzepte, aber die Firmen können Ort, Zeit und auch Art der Projekte mit auswählen und haben volle Kostentransparenz. Außerdem bieten wir maßgeschneiderte Marketing-Kampagnen zum Thema passend an.“ Besonders Firmen, die mit vielen Kunden direkt zu tun haben, bringen eine große Zielgruppe mit.
Die 30-Jährige erklärt: „Viele Unternehmen möchten – gerade jetzt, da das Thema Plastikmüll sehr präsent ist – ihre Verantwortung stärker wahrnehmen. Wir helfen dabei, nachhaltig zu handeln und eine gute Strategie für soziale Verantwortung umzusetzen.“ Auch mit Blick auf langfristige Veränderungen. Denn, so Kim Cornelius Detloff vom Naturschutzbund: „Der Müll in den Meeren, der bis zu 75 Prozent aus Plastik besteht, ist im Meer nahezu unvergänglich, zerfällt – wenn überhaupt – nur langsam über einen Zeitraum von Jahrzehnten, manchmal Jahrhunderten durch die Einwirkung von Salzwasser, Sonne und Reibung.“ So brauche eine Plastiktüte bis zu 20 Jahre, ein Styroporbecher 50 Jahre und eine PET-Flasche 450 Jahre.
In ihrem aktuellen Plastikatlas erklärt die Heinrich-Böll-Stiftung, dass seit Beginn der Massenproduktion synthetischer Materialien Anfang der 1950er Jahre weltweit 8,3 Milliarden Tonnen Kunststoff hergestellt wurden. Mehr als 75 Prozent davon seien heute Müll. Seitdem würden auch nur neun Prozent des gesamten weggeworfenen Kunststoffs recycelt. Global liegt die Zahl zwar bei 14 Prozent, aber dabei handelt es sich vorwiegend um sogenanntes „Downcycling“ zu minderwertigen Produkten.
Dem Team von „SAMEoceans“ ist wichtig, Akteure für eine langfristige Zusammenarbeit zu finden, die voll hinter der Sache stehen. Es sollen keine Umweltsünder dabei sein und sie sollen ernsthaft etwas bewegen wollen. Als bloßes Feigenblatt wollen die Aktivist*innen auf keinen Fall herhalten. Zwar gebe es auch andere gemeinnützige Organisationen in diesem Bereich, aber die sieht Johanna Maul nicht als Konkurrenz. Im Gegenteil: „Wir möchten alle die Umwelt schützen – je mehr das tun, desto besser.“
Und das sind tatsächlich themenübergreifend immer mehr. Von 1991 bis 2015 erhöhte sich die Anzahl der zivilgesellschaftlichen Organisationen stetig von 4.620 auf knapp 9.0000 – auch weil die Bedeutung der NGOs durch Mitarbeit, Expertise und Lobbytätigkeit weiter zugenommen hat, so die Bundeszentrale für politische Bildung.
Aber eine NGO gründet sich nicht einfach so nebenbei. Leidenschaft und Motivation sind gefragt – und Geld kosten die Projekte auch. Johanna Maul meint: „Wir haben bisher keine hohen Fixkosten, benötigen kaum Startkapital. Die konkreten Projekte bezahlt der jeweilige Sponsor. Mit Einzelspenden gehen wir übergreifende Aktionen und Maßnahmen an.“ Dabei ist der Aufbau des Projekts längst zum Fulltime-Job geworden. Ihr Engagement finanziert sie quer, indem sie als Kellnerin in einem Restaurant arbeitet. Zwar verschwimme Privates und Arbeit immer mehr – „aber das Verrückte daran ist, dass es auch noch Spaß macht!“
Ehrenamtliche Unterstützung von Freund*innen
Sie findet es spannend, sich mit neuen Themen wie Mitarbeiterakquise, Kundengewinnung und Arbeitsorganisation zu beschäftigen. Dabei dürfe man nicht außer Acht lassen, dass man für all das einen langen Atem brauche. Passenderweise bekommt sie von ihrem Freundes- und Bekanntenkreis viel Unterstützung. Im Moment arbeiten bei „SAMEoceans“ etwa zwölf Menschen ehrenamtlich mit. Die Idee ist zwar, in Zukunft Mitarbeiter fest anzustellen, doch selbst dann soll der Anteil von Freelancern hoch und nachhaltig sein: „Wir arbeiten gerne mit Fotografen, Übersetzern und Mitarbeitern vor Ort zusammen, um Schadstoff-Emissionen zu vermeiden, die durchs Fliegen entstehen und die jeweilige Wirtschaft zu stärken.“
Im Oktober soll das erste konkrete Projekt starten. Das erklärte Ziel ist die thailändische Urlaubsinsel Phuket, weil dort bereits ein Netzwerk zu heimischen Schulen besteht. An diesem Beispiel könne man aufzeigen, so die Gründerin, wie individuelle Projekte aussehen könnten. Parallel dazu will sie auch Projekte in Hamburg umsetzen. So hat die Organisation bereits mehrere Aufräumaktionen an Stränden und Ufern, sogenannte „Clean-ups“, veranstaltet. Und im Juni fand sogar der erste „SAMEoceans Day“ statt, inklusive Workshops, einer Kunstinstallation und jeder Menge Aktionen, um auf das Thema Plastikvermeidung breitenwirksam aufmerksam zu machen.