Ab 10. Februar findet die Schach-Weltmeisterschaft der Frauen in Iran statt. Ausgerechnet! Denn das Land gesteht Frauen kaum Rechte zu – sowohl gesellschaftlich als auch vor dem Gesetz werden sie diskriminiert. Die Vorschrift, bei den Wettkämpfen bei Androhung von Strafe ein Kopftuch tragen zu müssen, empört einige ausländische Spielerinnen bis zum Boykott. Einige, nicht alle. Aber müssen jetzt Sportlerinnen eigentlich Frauenpolitik machen? Und müssen Frauen immer solidarisch sein?
Ein Kommentar von Katja Fischborn
Lassen Sie uns auf eine kleine Gedankenreise gehen ins Land Absurdistan. Hier soll ein Wettbewerb im Kirschkernweitspucken stattfinden. Dazu lädt der König die besten Weitspuckerinnen der Welt ein. Unter einer Bedingung: Sie müssen bei ihrem Besuch unbedingt rote Schuhe tragen. Denn so ist es in Absurdistan für alle Frauen Gesetz. Wer das nicht befolgt, muss mit einer harten Strafe rechnen. Das ist nicht okay, finden einige. Denn erstens gibt es für Männer keine solche Vorschrift – etwa grüne Hosen tragen zu müssen – noch wollen sie sich als Besucherinnen so etwas vorschreiben lassen. Und so protestieren ein paar der Kirschkernweitspuckerinnen und sagen schließlich ab. Andere sagen, sie wollen die roten Schuhe tragen, damit sie am Wettbewerb teilnehmen können – schließlich geht es um den Weltmeisterinnentitel!
Und, liebe Leser, wie beurteilen Sie das Ganze? Sind die Frauen, die protestieren, die Guten und die anderen die Bösen, sprich egoistisch oder gar geldgeil (was sich im Sport ja nicht ausschließen muss)?
Nun kehren wir zurück in die Realität und ersetzen Absurdistan durch Iran, Kirschkernweitspucken durch Schach und die roten Schuhe durch ein Kopftuch und eine verhüllende Bekleidung von Armen und Beinen und sowieso allen weiblichen Körperformen und erhöhen die Problematik um den Faktor Religion. Herzlich willkommen bei der Frauen-Schach-WM, die ab dem 10. Februar in Teheran stattfindet!
Auf der offiziellen Webseite zum Wettbewerb kann man den Dresscode für alle öffentlichen Auftritte zwischen Punkten wie den Einreisebestimmungen, der Hoteladresse und der Info, dass Kreditkarten nicht funktionieren – immerhin noch vor bedeutenden Informationen zum Wetter und Steckdosen – nachlesen. Von der Strafe bei Nichteinhaltung steht hier nichts. Wohl aber, dass alle Farben des Regenbogens erlaubt sind. Ist doch toll, oder?
Hätten nicht Spielerinnen wie die amerikanische Meisterin Nazi Paikidze-Barnes die Veranstaltung wegen des Eingriffs in ihre Persönlichkeitsrechte und die extreme Beschneidung der Frauenrechte überhaupt in Iran öffentlich boykottiert, wäre die Berichterstattung in dieser Randsportart wohl noch geringer, die allgemeine Empörung noch leiser ausgefallen. Doch immerhin, es wird diskutiert. Zumindest ein bisschen. Denn Sport und Politik sind untrennbar miteinander verknüpft.
Doch das Politik machen übernimmt hier nicht etwa der Weltschachbund FIDE, indem er versucht, eine Ausnahmegenehmigung für die Sportlerinnen zu erreichen. Dabei sind im Verband und in den Gremien auch Frauen vertreten. Nein, er überlässt die Entscheidung, ob sie teilnehmen will und damit eben auch die islamischen Bekleidungsvorschriften akzeptiert, der einzelnen Spielerin.
Die Spielerinnen werden allein gelassen
Das ist zwar feige, doch die Ausrede lautet: Es habe sich ja kein anderes Land für die Ausrichtung gefunden. Und Proteste der Mitgliedsverbände dagegen habe es nicht gegeben, behauptet der FIDE. Der Präsident des Deutschen Schachbundes, Herbert Bastian, wird mit der Aussage zitiert, er sei während der Abstimmung gar nicht im Saal gewesen! Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Dabei heißt es in der Satzung des FIDE, er lehne eine diskriminierende Behandlung aus nationalen, politischen, rassischen, sozialen, religiösen Gründen oder wegen des Geschlechts ab. Doch genau das lässt er stillschweigend geschehen. Stattdessen wird viel von Respekt als Besucher vor den Gepflogenheiten anderer Länder schwadroniert.
Ausnahmen bei Kleidungsvorschriften im Sport funktionieren andersherum ja gut, wie sich während der Olympischen Spiele 2016 zeigte, als die ägyptischen Beachvolleyballdamen entgegen des sonst üblichen Bikinis in langen Hosen, mit bedeckten Armen und sogar mit Kopftuch auf dem brasilianischen Sand spielten. Auch hier hätte man sagen können: Wem die übliche Klamotte nicht passt, der muss ja nicht teilnehmen, religiöse Gründe hin oder her. Doch es wurde anders entschieden. Dabei ist das Problem ja meist auch nicht, mehr anziehen zu dürfen, sondern weniger. Eine Frauen-Schach-WM zum Beispiel in Deutschland, verbunden mit der Vorschrift, kein Kopftuch tragen zu dürfen? Undenkbar!
Die einzige qualifizierte Deutsche Elisabeth Pähtz nimmt an der WM teil. Es störe sie nicht, dabei ein Kopftuch tragen zu müssen, erklärte sie öffentlich. Für sie stehe der sportliche und finanzielle Erfolg an vorderster Stelle. Ist nun skrupellos das Gegenteil von solidarisch? Ist es eine strategische Entscheidung einer Spitzenspielerin, die sie außerhalb der politischen Dimension treffen darf? Böse Zungen behaupteten, es sei einfacher, zum Boykott aufzurufen, wenn man sich ohnehin nur wenig Siegchancen ausrechne. Doch den Schachspielerinnen nun den Kampf für mehr Frauenrechte in Iran aufzuerlegen, ist nicht fair. Erwartet jemand von einem Fußballnationalspieler ein Statement bezüglich seiner Teilnahme an der WM 2022 in Katar, deren Vergabe auch äußerst umstritten ist? Muss eine Frau sich für Frauenrechte einsetzen, weil sie eine Frau ist?
Große Sportereignisse werden zum Pulverfass
Ist das Tragen eines Kopftuches bei dieser Schach-WM gleichzusetzen mit Unterwerfung, gleichbedeutend mit einem Gutheißen oder zumindest Akzeptieren der Rolle der Frau in Iran? Denn es ist hier kein Respektieren einer fremden Kultur – kein Kopftuch zu tragen verstößt gegen das Gesetz. Und die Nichteinhaltung wird streng verfolgt: So wurden beispielsweise wegen unverschleierter Models, die auf Instagram zu sehen waren, mehrere Personen verhaftet. 2014 wurden Jugendliche, die in einem Video zu „Happy“ getanzt hatten, zu Haftstrafen und Peitschenhieben auf Bewährung verurteilt. Die Angst vor der westlichen Kultur treibt die seltsamsten Blüten. Und dagegen richtet sich auch der Boykott einiger Schach-Damen. Wobei der Women’s Grand-Prix im Schach im vergangenen Jahr ebenfalls in Teheran stattfand – mit denselben Auflagen und ohne Proteste.
Und was sagen iranische Frauen dazu? Einen Boykott der WM haben zumindest einige iranische Schachspielerinnen verworfen. Solche Sportereignisse im Land seien eine mögliche Plattform für Reformforderungen, eine Ausgrenzung oder Isolation des Iran deshalb kontraproduktiv. Sind die „guten“, westlich gesinnten Spielerinnen mit ihrem Boykott nun doch die „Bösen“? Die Wege, iranischen Frauen eine Stimme zu geben, sind sehr unterschiedlich. Wichtig ist aber vor allem das Hinschauen.
FIDE-Handbuch: https://www.fide.com/fide/handbook.html?id=38&view=article
Offizielle Seite der FIDE zum Frauen-Schach-WM 2017: http://tehran2017.fide.com/
Online-Petition von Nazi Paikidze-Barnes: https://www.change.org/p/stop-women-s-oppression-at-the-world-chess-championship-by-challenging-fide-s-decision
Nazi Paikidze-Barnes’ Twitter-Account: https://twitter.com/nazipaiki
Interview mit Elisabeth Pähtz: http://www.chess-international.de/Archive/62649