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Vereinbarkeit von Kind und Karriere
Fünf unserer Korrespondentinnen berichten

4. Februar 2016 | Von DEINE KORRESPONDENTIN
Immer mehr Deutsche wollen Kinder und gleichzeitig nicht auf ihre Karriere verzichten. Doch ist das überall so? Foto: Pauline Tillmann

Das Thema Vereinbarkeit von Kind und Karriere beschäftigt in Deutschland immer mehr Menschen. Doch wie ist das in anderen Ländern? Unsere Korrespondentinnen geben Einblick in die Denkweisen von Japanern, Ägyptern, Ugandern, Afghanen, Israelis und Arabern.

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Von Sonja Blaschke, Tokio

Seit ein, zwei Jahren sieht man morgens vereinzelt Männer im Büro-Look in der Tokioter U-Bahn, ein Baby im Tragerucksack vor dem Bauch, die Aktentasche umgehängt. Es sind so wenige, dass sie aus dem Einerlei der Anzugträger, die das Bild dominieren, sofort hervorstechen. „Ikumen“, nennt man sie – ein Kunstwort, das „Männer, die erziehen“ bedeutet. Dass es so ein Wort gibt, spricht schon Bände. Über die Vereinbarkeit von Kind und Karriere denken in Japan, trotz langsamer Fortschritte, meist nur die Mütter nach. Und auch nur solche, die weiterarbeiten wollen und können. Rund 60 Prozent der Japanerinnen scheiden mit dem ersten Kind aus dem Berufsleben aus – die einen freiwillig, andere, weil sie keinen Krippenplatz finden, wieder andere werden hinausgemobbt.

Für japanische Männer hingegen ist die Prioritätenverteilung klar. Erst kommen der Beruf und die Firma… dann lange nichts. Das macht aus vielen Müttern de facto Alleinerziehende – wie eine 38-jährige Mutter von zwei Kindern, die einen anspruchsvollen Job in der Medikamentenentwicklung hat. Sie ist mit einem selbständigen Zahnarzt verheiratet und erzählt, dass sie ihren Mann sechs Tage in der Woche nicht vor Mitternacht sehe. „Er mag wohl seine Arbeit“, sagt sie und versucht ein Lachen. Wenn sie ihn bitten würde, früher heimzukommen, frage er nur genervt: „Warum?“ Doch sich bei ihren Männern zu beschweren, bringe nichts, sagen mehrere berufstätige Frauen bei einem Müttertreffen in Tokio. „Das ist normal, das ist bei anderen auch so, egal wen man heiratet“, ist der einhellige Tenor. Wenn ein „Ikumen“ das Kind morgens zur Krippe bringt und es am Wochenende badet, ist allein das schon ein Grund zur Freude.


SimoneVon Simone Schlindwein, Kampala

Kind und Karriere? Das Thema wird in Afrika so gut wie nie debattiert, im Gegenteil – es ist ziemlich selbstverständlich. Es gibt, entgegen der allgemeinen Annahme, viele erfolgreiche Frauen in führenden Positionen mit endlos vielen Kindern, nicht nur einem oder zwei, sondern mit fünf, sieben oder gar dreizehn. Wie das geht?

Es gibt in Afrika ein Sprichwort, das besagt „Um ein Kind groß zu ziehen, bedarf es ein ganzes Dorf“. Und so kommt es, dass beim Kinder-Aufziehen in der Regel die ganze Großfamilie eingebunden ist. Meist leben Großeltern oder Tanten und Onkel im selben Haushalt, die alle mit anpacken, wenn es darum geht die nächste Generation zu versorgen. Auch ist es üblich, dass Kinder in Abwesenheit der Eltern bei Tanten, Onkel oder Großeltern länger untergebracht werden.

Dass Frauen mit dem Neugeborenen im Tragetuch stillend am Arbeitsplatz sitzen, ist gar nicht so unüblich – und wird nur im seltenen Fall beanstandet. Immerhin sind wir hier vom Konzept „Elternzeit“ oder gar „Mutterschutz“ noch immer weit entfernt. In der Regel ist es aber so, dass wenn eine Frau der afrikanischen Mittelklasse wieder arbeiten geht, ein Kindermädchen zu Hause einzieht. Oft ist es eine entfernte Verwandte aus dem Dorf, die dazu in der Stadt permanent unterkommt. Über diese Kindermädchen-Erziehungspolitik wurde bislang nur wenig diskutiert. Es war einfach immer so üblich und bequem.

Erst als vor zwei Jahren in Ugandas Klatschpresse Fotos und Videos veröffentlicht wurden, wie ein Kindermädchen ein dreijähriges Mädchen brutal foltert, weil es nicht essen mochte, wurde das Thema „Kindererziehung“ plötzlich heiß in den Medien und den sozialen Onlineplattformen debattiert. Besorgt zeigten sich vor allem die Väter, wie auch im Fall des gefolterten Mädchens, die plötzlich Überwachungskameras in ihren Wohnsimmern anbrachten, um die Lage zu Hause zu verfolgen. Die Mütter blieben erstaunlich ruhig in dieser Debatte. Kein Zweifel hatten sie vor allem Angst, ihre Freiheiten einzubüßen. Denn Kinder zu versorgen, das ist und bleibt auch in Afrika noch immer Frauensache – und ohne Kindermädchen geht’s in der Regel einfach nicht.


VeronikaVon Veronika Eschbacher, Kabul  

Exakt 5,1 Kinder gebärt die afghanische Frau im Durchschnitt. Damit ist das Land am Hindukusch nicht nur der Staat mit der höchsten Geburtenrate Asiens, sondern zählt auch zu jenen mit den höchsten Geburtenraten weltweit. Es liegt aber nicht nur an der hohen Anzahl der Kinder, dass Frauen dem Erwerbsleben fernbleiben – laut einer Statistik der Weltbank liegt die Erwerbsquote unter afghanischen Frauen bei überschaubaren 16 Prozent. Dahinter stehen oft Schikane und Belästigung am Arbeitsplatz, genauso wie die Angst, seine Ehre am Arbeitsplatz zu verlieren – und nicht zuletzt der Druck von männlichen Familienmitgliedern, das Haus nicht zu verlassen.

Jene Frauen, die einer Arbeit nachgehen, überlassen in der Regel die Betreuung den älteren Geschwistern. Gleichzeitig ist ein großer Teil der arbeitstätigen Frauen in Afghanistan im staatlichen Bereich tätig. Wer für die Regierung arbeitet, kann auf Kindergärten zurückgreifen, die den Behörden angeschlossen sind. Kinder sehr armer Familien werden aber auch zum Arbeiten oder Betteln auf die Straße geschickt. Laut Weltbank arbeiteten im Jahr 2011 rund fünf Prozent der Mädchen zwischen sieben und vierzehn Jahre auf der Straße. Aufgrund der konservativen Einstellung der afghanischen Gesellschaft sind Frauen oft auch in der Heimarbeit tätig, etwa mit Stick- oder Näharbeiten, denen sie neben der Kinderbetreuung nachkommen.


SabineVon Sabine Rossi, Kairo

„Um al-Dunya“ nennen die Ägypter ihre Hauptstadt Kairo. Übersetzt heißt das „Mutter der Welt“. In zahlreichen Liedern wird die Mutter besungen und verehrt. „Die Leute sind verwundert, wenn du hier sagt, dass du keine Kinder haben willst“, bestätigt Helen Rizzo. Die Soziologin, die seit rund 14 Jahren in Ägypten lebt und zu Geschlechterrollen an der American University forscht. Heirat und Familie gehörten für die allermeisten Ägypter einfach zum Leben.

Dabei sind die Aufgaben eindeutig verteilt: Der Mann bringt das Geld nach Hause, die Frau kümmert sich um die Kinder und den Haushalt. „Es ist immer noch allein die Aufgabe der Frau, dass es den Kindern gut geht und zu Hause alles rund läuft“, sagt Helen Rizzo. Immer häufiger müssen Frauen in Ägypten jedoch dazuverdienen. Seit den Volksaufständen 2011 und 2013 erlebt Ägypten eine schwere Wirtschaftskrise. Offiziell liegt die Arbeitslosigkeit bei 13 Prozent, inoffiziell dürften jedoch deutlich mehr Menschen keinen Job haben. Die Weltbank geht davon aus, dass 2014 rund 40 Prozent der jungen Ägypter zwischen 15 und 24 Jahren arbeitslos waren. Derweil steigen die Preise für Treibstoff und Lebensmittel stetig.

Je nach sozialer Schicht ist es für Frauen in Ägypten leichter oder schwerer, ihre Rolle als Mutter mit einer beruflichen Karriere zu vereinbaren. Gut ausgebildete Ägypterinnen aus Familien mit gehobenem Einkommen können sich eine Nanny leisten. Sie haben häufig studiert und finden eine Anstellung in der privaten Wirtschaft oder in den zahlreichen Behörden. Ägypterinnen aus ärmeren Familien hingegen arbeiten häufig im informellen Sektor – also schwarz. Sie putzen oder kochen für andere. Die Chancen auf bessere Jobs sind gering, denn im Schnitt erfahren Frauen in Ägypten eine schlechtere Bildung als Männer. Rund 35 Prozent der Ägypterinnen können nicht richtig lesen und schreiben, während etwa 18 Prozent der Männer Analphabeten sind. Nur langsam beginne ein Umdenken, sagt Soziologin Helen Rizzo, zumindest in bestimmten Gruppen der Gesellschaft. In jüngster Zeit komme es auch mal vor, erzählen ihre Studenten, dass zu Hause der Vater für die Mutter kocht.


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Von Mareike Enghusen, Tel Aviv  

Unter den reichen Ländern ist Israel das mit der höchsten Geburtenrate: Drei Kinder bringt hier die Frau im Schnitt zur Welt. Im Vergleich: In Deutschland sind es 1,47. Die Gebärfreudigkeit beruht laut Studien vor allem auf kulturell-religiösen Prägungen: So treiben die jüdisch-ultraorthodoxen Israelis, die ein Zehntel der Bevölkerung ausmachen, mit sieben Kindern pro Frau die Rate kräftig nach oben. Auch unter muslimisch-arabischen Bürgern, die immerhin 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen, gilt Kinderreichtum als wünschenswert. Gleichzeitig müssen sich junge Frauen und Männer ohne Kinderwunsch oft erklären, nicht selten auch rechtfertigen.

Der israelische Staat ergriff mehrere Maßnahmen, um Frauen die Vereinbarkeit von Kind und Karriere zu erleichtern. Arbeitgeber dürfen Schwangeren nicht kündigen. Nach der Geburt steht Frauen drei Monate bezahlter Urlaub zu; danach können sie drei Monate unbezahlt freinehmen. Der Job bleibt ihnen so lange garantiert. Die Infrastruktur der Kinderbetreuung ist relativ gut, die Eltern haben einen gesetzlichen Anspruch auf einen Kindergartenplatz.

Gleichzeitig sind es oft soziale Normen, die Müttern die Karriere versagen. In der ultraorthodoxen wie der muslimisch-arabischen Minderheit herrschen traditionelle Rollenbilder vor, sprich: Für Haushalt und Kinder ist die Frau zuständig. Nur 20 Prozent der arabisch-muslimischen Frauen arbeiten. Dagegen arbeiten fast 80 Prozent der ultraorthodoxen Frauen – aber schlicht deshalb, weil vielen keine andere Wahl bleibt: Die meisten ultraorthodoxen Männer verbringen ihre Tage mit dem Tora-Studium, die Mütter sind Hausfrau und Ernährerin. Von „Karriere“ kann meist nicht die Rede sein: Viele arbeiten in schlechtbezahlten Jobs.

In der israelischen Mehrheitsgesellschaft ist das Geschlechterverhältnis ausgeglichener: Frauen dienen wie Männer in der Armee, die meisten arbeiten – etwa 75 Prozent – und schon 1969 wurde Israel von einer Frau regiert. Allerdings: Im Vergleich zu Westeuropa ist Machismo akzeptierter und verbreiteter, die vorherrschenden Rollenvorstellungen sind konservativer. Mit größerer Selbstverständlichkeit wird erwartet, dass es die Frau ist, die, sobald das erste Kind sich ankündigt, Abstriche in ihrer Karriere machen muss.

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Mareike GraepelHaltern
Die US-Amerikanerin Cindy O’Brien lebt seit den 90er Jahren in Connemara, ganz im Westen von Irland und züchtet seltene Seeschnecken. Die sogenannten japanischen Abalone gedeihen an der irischen Küste gut. Sie gelten als Delikatesse und Aphrodisiakum, kosten bis zu 44 Euro pro Kilo – und sehen aus wie Vulven.

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