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Unsichtbar und unverzichtbar
Der Arbeitskampf indischer Hausangestellten

20. September 2017 | Von Lea Gölnitz
Neelima Tikey war selber lange Zeit Hausangestellte und kämpft jetzt für deren Rechte. Fotos: Lea Gölnitz

Hunderttausende junge Frauen ziehen vom Land in die Großstädte, um als „Maids“ – Hausangestellte – für reiche Inder zu arbeiten. Meistens handelt es sich dabei um Schwarzarbeit: Die Frauen sind nur selten versichert, bekommen weder bezahlten Urlaub noch eine Rente. Im schlimmsten Fall werden sie nicht nur ausgebeutet, sondern auch psychisch, körperlich und sexuell misshandelt.

Von Lea Gölnitz, Neu-Delhi

In den letzten Jahren ist in Indiens Großstädten die Nachfrage nach Hausangestellten immer weiter gestiegen. Wer es sich leisten kann, beschäftigt eine – oder sogar mehrere – Frauen zum Putzen, Kochen und Kinder hüten. Auf der anderen Seite zwingen Armut und Perspektivlosigkeit in den ländlichen Gebieten immer mehr Menschen dazu, wegzuziehen und in den Metropolen nach Arbeit zu suchen. Diejenigen, die keine Ausbildung haben, arbeiten in Privathaushalten und stehen als Dienstmädchen für jede Kleinigkeit zur Verfügung. Das macht den Arbeitstag lang und aufreibend.

Nach Angaben des „Domestic Worker Forums“ sind 95 Prozent der Arbeiter in Privathaushalten Frauen. Eine von diesen Frauen war Neelima Tirkey. Sie kam mit 21 Jahren nach Neu-Delhi, um als Dienstmädchen zu arbeiten. In ihrer Heimat im Bundesstaat Jharkhand, im Nordosten von Indien, lebte ihre Familie in extremer Armut, ohne Aussicht auf Besserung. „Eine Gruppe von Fremden sagte, es gäbe Arbeit in Delhi. Ich wusste nicht, was mich erwartet, aber die Situation zu Hause ließ mir keine andere Wahl als mich darauf einzulassen“, erzählt die heute 39-Jährige.

So ergeht es vielen jungen Frauen aus den Bundesstaaten Jharkhand, Orissa, Chhattisgarh, Assam und West Bengal, wo der Bevölkerungsanteil der sozial benachteiligten niedrigeren Kasten und Ureinwohner besonders groß ist und die Zukunftsaussichten besonders düster. „Nur zehn Prozent der Bediensteten aus diesen Staaten kommen durch sichere Migration in die großen Städte. Menschenhandel ist der normale Weg“, erzählt Prince Varghese, Projektkoordinator beim „Domestic Worker Forum“. „Den Frauen werden falsche Versprechungen gemacht: viel Geld, ein Zimmer mit Klimaanlage und Sicherheit.“ Dabei hatte Tirkey Glück – ihre Vermittlungsagentur stellte sich als hilfreich heraus.

Offiziell arbeiten in Indien vier Millionen Menschen als Hausangestellte. Die „National Platform for Domestic Workers“ (NPDW), ein Zusammenschluss von Organisationen, der für die Rechte Hausangestellter eintritt, geht von weit höheren Zahlen aus. Schätzungen zufolge arbeiten allein in Neu-Delhi bis zu einer halben Million junger Frauen als Bedienstete bei reicheren indischen Familien, oftmals unter schlechten Bedingungen und für schlechte Bezahlung. Im Durchschnitt verdienen diese Vollzeitkräfte zwischen 8.000 und 10.000 Rupien, das sind umgerechnet zwischen 110 und 140 Euro im Monat. Der von der Regierung festgelegte Mindestlohn für ungelernte Arbeiter in Neu-Delhi liegt aber bei 13.350 Rupien im Monat.

Hausarbeit bietet vielen Frauen eine Möglichkeit auf eigenes Einkommen und einen Zugang zum Arbeitsmarkt. Die NPDW sieht die Arbeit daher nicht grundsätzlich als ausbeuterisch und schlecht, sondern auch als Chance an – solange die Bedingungen stimmen. Gewerkschaften und Verbände behaupten, dass die gesamte indische Wirtschaft profitiere, wenn dieser Dienstleistungssektor reguliert würde. Ob die Frauen bezahlte Urlaubstage, einen freien Tag oder einen Schlafplatz haben, entscheidet allein ihr Arbeitgeber. Ohne Rechtsschutz sind die Hausangestellten vielen Formen von Ausbeutung ausgeliefert. „Neben schlechter Bezahlung und Überstunden haben viele der so genannten „live-in Maids“, die bei ihrem Arbeitgeber wohnen, kein eigenes Zimmer oder Schlafplatz und sie werden oft isoliert“, erklärt Projektkoordinator Varghese.

Besondere Herausforderungen im Arbeitskampf für Hausangestellte

Hausarbeit findet an einem arbeitsrechtlich gesehen ungewöhnlichen Ort statt – in privaten Haushalten. Das macht eine Kontrolle der Arbeitgeber fast unmöglich. Hinzu kommt, dass Hausarbeit immer noch nicht als offizielle Arbeit anerkannt ist. Dabei unterscheidet sich das Arbeitsverhältnis der Hausangestellten stark von anderen. Dienstmädchen werden als „Helferinnen“ und als „Teil der Familie“ angesehen. Durch diese Sicht werden die Maids weder von Arbeitgeberseite noch von der Politik als offizielle Arbeitnehmerinnen mit Rechten wahrgenommen. Diese ungewöhnliche Situation macht den Arbeitskampf besonders komplex. Traditionelle Arbeitsrechte wie Mindestlohn und geregelte Arbeitszeiten einzuführen ist daher besonders schwierig.

Hinzu kommt das extreme Machtgefälle. Die reiche indische Mittelschicht, gepaart mit dem Selbstbewusstsein der oberen Kasten, trifft auf ungebildete Frauen vom untersten Rand der indischen Gesellschaft. „Die Arbeiterinnen müssen ihre Rechte kennen und selbstbewusst auftreten. Nur so können wir überhaupt gewinnen. Wir müssen stark sein und mehr Macht gewinnen. Deshalb wollen wir eine Gewerkschaft gründen. Nur organisiert und mit Anerkennung der Regierung haben wir eine Chance“, erklärt das ehemalige Dienstmädchen Neelima Tirkey fest entschlossen.

Von der Hausangestellten zur Gewerkschafterin

Auch sie lebte bei ihren Arbeitgebern und arbeitete sieben Tage in der Woche. Sie musste von fünf Uhr morgens bis mindesten 22 Uhr zur Verfügung stehen und konnte meist erst weit nach Mitternacht schlafen gehen. Völlig überfordert von den Eindrücken der Großstadt und ohne jegliche Ausbildung oder Vorbereitung auf ihre Arbeit, war sie viel zu ängstlich und eingeschüchtert, um sich gegen die Ausbeutung zu wehren und mit der Familie über bessere Arbeitszeiten und höheres Gehalt zu verhandeln.

An ihren ersten Arbeitstag erinnert sie sich noch genau: „Ich sollte Chapatis (indisches Brot) machen, aber ich hatte keine Ahnung. Bei uns zu Hause essen wir nur Reis.“ Sie musste jeden Tag vor allen anderen auf den Beinen sein, das Frühstück zubereiten, aufräumen, den Tisch decken, die Familie am Tisch bedienen, abräumen, abwaschen, das Mittagessen vorbereiten, die Wäsche per Hand waschen, das Abendessen vorbereiten und die Küche saubermachen. Hinzu kam, dass sie keine Privatsphäre hatte und keinen angemessenen Schlafplatz.

Als sie eines Morgens früh aufstand, um zur Kirche zu gehen, sah sie, dass der Sohn ihrer Familie direkt neben ihr auf dem Sofa schlief. Aus Angst vor einem Übergriff vertraute sie sich der Agentur an, die ihre Stelle vermittelt hatte. Die Agentur half ihr, die Polizei wurde eingeschaltet und sie wurde an eine neue Familie vermittelt. Diese positive Erfahrung, Hilfe zu bekommen, ermutigte Tirkey bei ihrem Engagement für ihre Rechte. Nach zwei weiteren Jahren als Maid hörte sie ganz damit auf, gründete eine Familie und machte ihr Engagement zum Beruf. Mittlerweile ist sie eine der zehn Anführerinnen beim „Domestic Worker Forum“, die den Arbeitskampf in Neu-Delhi organisieren. Die Gruppe trifft sich jeden Montag in den Räumen der Organisation, die von kirchlichen Trägern unterstützt wird und tauscht sich aus.

Die Frauen beim „Domestic Worker Forum“ sprechen wöchentlich über ihre betreuten Dienstmädchen.

In dem Forum sind 4.000 Arbeiterinnen organisiert. Tirkeys Aufgabe ist es, in ihrem Gebiet – Nord- und Nord-West-Delhi – für die Hausangestellten da zu sein. Sie nimmt Beschwerden entgegen, ermutigt sie, erklärt, was sie sich nicht gefallen lassen müssen und begleitet sie bei Bedarf zum Arbeitsplatz „Die häufigsten Probleme sind laut Tirkey: schlechte Bezahlung, fehlender Kündigungsschutz, kein freier Tag und des Diebstahls beschuldigt zu werden. Die Frauen, die selbst Kinder haben, sehen sie in der Regel nur selten, weil ihnen die langen Arbeitszeiten und unbezahlter Urlaub keine andere Wahl lassen.

Angestellte, die auch an ihrem Arbeitsort wohnen, sind Ausbeutung und Missbrauch am ehesten ausgesetzt. Sie dürfen selten raus und haben kaum freie Zeit, um andere Menschen zu treffen. Auch zu wenig Essen, eine fehlende Gesundheitsversorgung oder Erniedrigungen und Beschimpfungen sind keine Seltenheit. Die meisten Stadtteile Delhis sind in „Resident Welfare Organisations“ zusammengeschlossen, wo Angelegenheiten der Nachbarschaft geregelt werden. „Dadurch können wir die Hausangestellten wenigstens wissen lassen, dass es uns gibt. Gleichzeitig erhöht jede Befreiungsaktion, Demonstration oder ein Streik unsere Sichtbarkeit“, erklärt Tirkey.

Neues Gesetz zum Schutz der Hausangestellten

2011 haben Hausangestellte bei der International Labour Conference einen großen Sieg errungen. Die Konvention für die Rechte von Hausangestellten der „International Labour Organization“ (ILO) wurde von einer Mehrheit der Mitgliedsstaaten verabschiedet. Auch Indien hat die Konvention für mehr Rechte der Hausangestellten unterschrieben, aber noch nicht umgesetzt. Ohne ein nationales Gesetz hätten Hausangestellte aber nach wie vor kaum Hoffnung auf Gerechtigkeit, so die „National Platform for Domestic Workers“.

Aktivistin Tirkey sagt, Gesetze seien gut und wichtig und die ILO-Konvention sei hilfreich für ihre Arbeit. Es gebe einen Entwurf, der vieles vorsieht, um das Leben der Maids zum Besseren zu gestalten: soziale Absicherung, eine 48-Stunden-Woche, Mindestlohn, Lohnausgleich für Überstunden, einen freien Tag pro Woche, 15 Urlaubstage um Jahr und eine angemessene private Unterbringung im Haus. Über den Gesetzentwurf soll demnächst im Parlament debattiert werden. Gleichzeitig weiß Neelima Tirkey auch, dass Gesetze in Indien nicht immer eingehalten werden.

In den letzten drei Jahren hat ihre Gruppe bei 150 Rettungsaktionen Frauen aus Haushalten befreit, in denen sie diskriminiert, verbal oder körperlich misshandelt wurden. Im gleichen Zeitraum bekamen nur fünf Arbeitgeber eine Anzeige. „Die Reichen und Mächtigen wissen sich zu helfen“, erklärt Projektkoordinator Prince Varghese. „Genau deshalb braucht es Initiativen wie unsere, in der sich Hausangestellte organisieren können. Das Ziel ist, den Maids eine Stimme zu geben und ihnen das Selbstbewusstsein zu vermitteln, sich gegenüber ihren Arbeitgebern zu behaupten.“ Die wichtigste Errungenschaft des „Domestic Worker Forums“ sieht Aktivistin Tirkey darin, dass die Frauen und ihre Arbeit überhaupt sichtbar gemacht werden und ihnen eine Stimme gegeben wird: „Den Arbeiterinnen helfen zu können, das macht mich stolz und glücklich. Das Kollektiv macht die einzelnen Frauen stärker.“

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Von Lea Gölnitz, Neu-Delhi

Lea Gölnitz arbeitete für das entwicklungspolitische Nachrichtenportal Entwicklungspolitik Online und befasst sich vor allem mit Gender- und Frauenrechtsthemen. Nachdem sie 2012 in Indien bei einer Frauenrechtsorganisation gearbeitet hatte, ist sie immer wieder dorthin gereist und lebte 2015 bis 2018 in Neu-Delhi. Anschließend war sie Projektleiterin für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Singapur. Seit zwei Jahren führt sie das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Bangkok.

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