Sie zocken genauso gern Video- und Computerspiele wie Männer. Doch als Mitarbeiterinnen und Chefinnen sind Frauen in der Games-Industrie deutlich in der Unterzahl – und wenig sichtbar. Allmählich ist die Branche jedoch in Bewegung geraten, wie nicht zuletzt die Körpermaße von Lara Croft beweisen.
Von Sarah Schaefer, Berlin
Wer sich als fachfremder Mensch mit Rebecca Weiss über ihren Beruf unterhält, muss direkt mal eine Reihe von Wörtern nachschlagen. Routiniert spricht die 26-Jährige über Core Loops, Hidden Objects und Screenflows – es sind Begriffe aus der Arbeitswelt einer Game-Designerin. Bei der Entwicklung eines Computerspiels ist Rebecca Weiss mit ihren Kolleg*innen die Schöpferin des Spiele-Universums. Sie erarbeitet das Regelwerk und die Möglichkeiten des Spiels und sorgt dafür, dass das Gaming-Erlebnis rund läuft.
„Ich habe schon als Kind Videospiele gespielt“, sagt sie. „Mich hat es immer fasziniert, dass man einen Knopf drückt und dann auf dem Bildschirm etwas passiert.“ Ein Job im Games-Bereich sei für sie früh ein Traumberuf gewesen. Dass sie heute Game-Designerin ist, macht sie zur Ausnahme in einer Branche, in der noch immer deutlich mehr Männer arbeiten als Frauen.
Dabei ist das Verhältnis der Spieler*innen fast ausgeglichen: Über 34 Millionen Menschen in Deutschland spielen nach aktuellen Erhebungen des Marktforschungsunternehmens GfK im Auftrag des Branchenverbands Game mindestens gelegentlich Computer- und Videospiele. Fast die Hälfte davon – etwa 48 Prozent – sind Frauen.
Doch bei den Beschäftigten sieht die Sache ganz anders aus: Eine Umfrage der Hamburg Media School bei deutschen Games-Unternehmen ergab, dass im Jahr 2015 der Anteil an Mitarbeiterinnen bei 27 Prozent lag. Im Bereich der Produktion, also der eigentlichen Entwicklung der Spiele, waren es sogar nur 21 Prozent. Im internationalen Vergleich steht Deutschland damit allerdings gar nicht mal schlecht da: In Kanada – einem der weltweit wichtigsten Standorte für Computer- und Videospiele – verzeichneten die Unternehmen für 2015 gerade mal 16 Prozent weibliche Beschäftigte.
Seit drei Jahren arbeitet Rebecca Weiss bei dem Spieleentwickler „Wooga“. Das Unternehmen mit Sitz in Berlin hat sich auf mobile Spiele spezialisiert, die eine Geschichte erzählen. „Wooga“ legt nach eigenen Angaben großen Wert auf eine diverse Unternehmenskultur und ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis. Ein Großteil der Spieler*innen von „Wooga“-Produktionen ist weiblich.
Doch selbst hier machte Weiss die Erfahrung, allein auf weiter Flur zu sein: In ihrem 16-köpfigen Team, das ein neues Spiel entwickelte, war sie ein halbes Jahr lang die einzige Frau. Als schließlich eine Kollegin dazu stieß, sei sie erleichtert gewesen. Denn sie habe durchaus einen gewissen Druck verspürt: „Ist es meine Aufgabe, hier zu zeigen, dass wir das genauso gut können? Ich bin mir sicher, dass meine Kollegen nicht so ticken, aber es ist schwer, das aus dem Hinterkopf zu kriegen.“
Von ihren Kollegen bei „Wooga“ habe sie sich immer respektvoll behandelt gefühlt. Doch so gehe es nicht allen Frauen in der Branche, sagt Weiss. Kolleginnen hätten ihr regelrechte „Horrorgeschichten“ von früheren Arbeitsstellen erzählt: Die Frauen hätten blöde Sprüche und unangenehme Anmachen ertragen müssen, mitunter auch von Vorgesetzten.
Weiss selbst erlebte an der Uni, dass manche Männer sie und ihre Ausbildung nicht ernst nehmen. Als „Mädcheninformatik“ hätten einige Kommilitonen und sogar Dozenten ihr Studienfach Medieninformatik abgetan. Zum Glück habe es eine Dozentin gegeben, die allen eine klare Ansage machte, die das Fach lächerlich zu machen versuchten. Ein Beispiel, das zeigt, wie wichtig weibliche Vorbilder für Frauen sind. Aber dafür müssen sie auch sichtbar sein – in Weiss’ Berufsfeld sieht es damit noch schlecht aus, wie allein der deutschsprachige Wikipedia-Eintrag zu „Game Design“ zeigt: Insgesamt 27 „namhafte Game-Designer“ sind dort aufgelistet – alles Männer.
Hot Pants und Wespentaille
Der geringe Anteil an Frauen in der Entwicklung hat auch Folgen für die Spiele: In einer Studie des IT-Branchenverbands Bitkom vom vergangenen Jahr gaben mehr als 80 Prozent der Gamerinnen an, dass sie die Darstellung von Frauen in den Spielen „weder angemessen noch zeitgemäß“ finden. Immerhin 52 Prozent der Männer waren gleicher Meinung. Andererseits gibt es da Lara Croft, die Protagonistin von „Tomb Raider“.
Als das legendäre Spiel im Jahr 1996 an den Start ging, entsprach Croft einem Barbie-Stereotyp: volle Lippen, Wespentaille, Hot Pants und ein überdimensionierter Busen. Die heutige Croft trägt lange Hosen und besitzt eine unauffällige Oberweite. Die äußere Entwicklung dieser Figur gilt vielen als Beleg dafür, dass sexistische Darstellungen von weiblichen Spiele-Charakteren überholt sind.
Eine Erklärung für den Männerüberschuss ist laut Branchenexpert*innen, dass die Games-Produktion lange vor allem technisch geprägt war. Und technische Berufe sind bei Frauen nach wie vor weniger beliebt als bei Männern, wie der Blick auf den MINT-Bereich zeigt: Nach Angaben der Agentur für Arbeit lag der Frauenanteil der Beschäftigten in MINT-Berufen im Jahr 2018 bei lediglich 15,4 Prozent.
Doch schon längst sind es nicht mehr nur IT-Profis, die der Branche ihren Stempel aufdrücken. Der Markt habe sich gewandelt, sagt Felix Falk, Geschäftsführer des Branchenverbands Game: In den vergangenen Jahren habe besonders der Trend zu mobilen Spielen für Smartphone und Tablet dazu geführt, dass große Teile der Gesellschaft sich für Games begeistern.
Dadurch habe sich auch die Herangehensweise an die Formate verändert. „Bei der Entwicklung neuer Spiele müssen künstlerische, technologische oder wirtschaftliche Aspekte beachtet werden. Da braucht es die Kompetenzen von ganz unterschiedlichen Fachleuten“, so Falk. Ausbildungen im Bereich Game-Producing, Grafik-Design, Storytelling oder Marketing seien heute ein üblicher Weg in die Branche – und bei Frauen ebenso beliebt wie bei Männern.
Verband wirbt für Vielfalt
Der Verband setzt stark auf Diversität – nicht nur in Bezug auf Frauen. Das Verbandslogo ist in Regenbogenfarben gehalten, auf der Website gibt es einen „Best Practice Guide Diversity“, der unter anderem Tipps für „diskriminierungssensible Stellenausschreibungen“ gibt. Dabei geht es auch um wirtschaftliche Interessen. „Diverse Teams sind kreativer, innovativer und bringen unterschiedliches Vorwissen ein“, sagt Falk.
Und es gibt einen weiteren Grund: Die Branche ist geplagt von Fachkräftemangel. Sie kann es sich nicht leisten, zukünftige Talente abzuschrecken, weil sie sich ausgeschlossen fühlen. Viele Entwicklerstudios seien aktiv auf der Suche nach Frauen für ihre Teams, so Falk. Daher geht er davon aus, dass in Zukunft immer mehr Frauen zu den Beschäftigten zählen werden.
Weniger optimistisch klingt da Petra Fröhlich, Gründerin und Chefredakteurin des Branchenmagazins „Games Wirtschaft“, in Bezug auf die Führungsebene in der Branche: „Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft weiterhin eine Lücke von Marianengraben-Ausmaßen. Die Top-Positionen bei allen größeren Unternehmen wurden und werden mit Männern besetzt. Und den wenigen Frauen, die es in verantwortliche Funktionen schaffen, fehlt schlichtweg Sichtbarkeit“, schrieb Fröhlich im Januar in einem Meinungsbeitrag. Dieser fehlenden Sichtbarkeit möchte sie entgegenwirken: Nach eigenen Angaben arbeitet sie derzeit an einer aktuellen Liste der „Top 50 Frauen der Games-Branche“.
Auch Ruth Lemmen weiß, wie wichtig es ist, dass Frauen sichtbarer werden. Die Beraterin und Projektmanagerin hat jahrelang in der Games-Industrie gearbeitet und war zuständig für die Organisation der Gamescom in Köln, die als weltweit wichtigste Messe für Computer- und Videospiele gilt. Sie ist Mitgründerin von „Womenize!“, einer Konferenz für Frauen und „unterrepräsentierte Menschen“ in der Branche. Antrieb für die Gründung seien eigene Erlebnisse gewesen, sagt Lemmen: „Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, auf Veranstaltungen und bei Sitzungen eine von nur sehr wenigen Frauen zu sein. Das fühlte sich nicht richtig an.“ Seitdem, sagt sie, habe sich jedoch einiges getan. Das Bewusstsein dafür, Frauen stärker einzubeziehen, sei „mehr und mehr da“.
Bei „Womenize!“ gehe es darum, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Frauen sich austauschen und über ihre Arbeit sprechen können – auch auf der Bühne, so Lemmen. Dann sagt sie einen Satz, der nicht nur zur Games-Branche passt: „Wenn wir Frauen ansprechen und fragen, ob sie Speakerin sein möchten, hören wir ganz oft: ‚Wieso denn ich? Ich habe doch nichts zu sagen.’“
Sexismus und ein geringer Frauenanteil seien Probleme, die auch andere Branchen betreffen, betont Lemmen. Doch es gebe eine Besonderheit in der Games-Industrie: „Diese Branche ist sehr digital. Wer heute in diesem Bereich arbeitet, ist sehr viel exponierter, als ich es jemals war. Da braucht man ein richtig dickes Fell.“ Sie meint damit auch den E-Sport, in dem Gamer*innen in Computerspielen Wettkämpfe austragen.
Immer wieder sexistische Kommentare
Immer wieder gibt es Berichte darüber, dass die wenigen Frauen, die als Profis im E-Sport mitmischen, bei Spielen sexistischen Kommentaren ausgesetzt sind. Felix Falk vom Verband Game hingegen betont, dass die Community sich „lautstark und deutlich“ zu Wort melde, wenn beim E-Sport Grenzen überschritten werden. Man dürfe die „schwarzen Schafe“ nicht mit der Mehrheit verwechseln.
Die Game-Designerin Rebecca Weiss hat noch eine andere Erklärung für die mangelnde Sichtbarkeit von Frauen in ihrer Branche: „Ich glaube, ein großes Problem in der Spiele-Industrie ist, dass man zwischen ‚echten‘ Videospielen unterscheidet und Spielen, die eigentlich keine richtigen Videospiele sind“, sagt sie. Diese ‚echten‘ Spiele seien große Blockbuster wie „Call of Duty“ und „Doom“, die in der Regel so vermarktet würden, dass sie bei Männern gut ankommen – obwohl diese Spiele auch viele weibliche Fans haben. Diese Unterscheidung führe gleichzeitig dazu, dass sich die meisten Frauen, die auf ihrem Smartphone gewöhnliche Spiele wie „Quizduell“ als Zeitvertreib nutzen, nicht als Gamerinnen bezeichnen.
Die Protagonisten der branchenprägenden Spiele seien häufig noch immer die „muskulösen Kerle“, die eine „Heldenphantasie“ leben, sagt Weiss. Zwar gebe es auch bemerkenswerte weibliche Charaktere wie etwa Elizabeth aus „Bioshock Infinite“, in Weiss’ Augen die wichtigste Figur des Spiels. Auf das Cover von „Bioshock Infinite“ hat Elizabeth es allerdings nicht geschafft: Darauf zu sehen ist der männliche Spiele-Charakter, mit Gewehr auf der Schulter.