Lerne inspirierende Frauen aus der ganzen Welt kennen.

Lerne inspirierende Frauen weltweit kennen.

„Theater ist eine Sprache, die jeder versteht“
Porträt einer kasachstandeutschen Regisseurin

17. Oktober 2018 | Von Othmara Glas
Natscha Dubs (Mitte) mit dem Ensemble des Deutschen Theaters und dem Choreographen Florian Bilbao in Astana. Fotos: privat

Natascha Dubs ist seit 2014 künstlerische Leiterin des Deutschen Theaters in Almaty. Durch ihre experimentellen und sozialkritischen Inszenierungen hat sich die Kasachstandeutsche einen Namen gemacht.

Von Othmara Glas, Almaty

Wenn es im Saal dunkel wird und die Scheinwerfer die Bühne erhellen, ist Natascha Dubs in ihrem Element. Dann beobachten sie und die Zuschauer die Szene vor ihnen genau. Es betreten Goethes Faust, Brechts Ja-Sager oder Strauß’ Schlusschor die Bühne. Mit deutschen Texten begrüßen sie ihr Publikum. Was wie die typische Situation in einem Theater in Deutschland klingt, spielt jedoch in Zentralasien. Genauer gesagt: in Kasachstan.

Dort ist Natascha Dubs künstlerische Leiterin des Deutschen Theaters. Die zierliche Frau mit den braunen Haaren und hellgrünen Augen hat es sich zur Aufgabe gemacht, modernes, experimentelles Theater zu zeigen. „Ich versuche, mich an der Form der Sprache und den menschlichen Erregungen zu orientieren. Das Theater ist für mich ein Ort, an dem alle Persönlichkeiten und Gefühle eines Menschen zusammentreffen.“ Dazu gehören moderne Tanzeinlagen nach dem Vorbild Pina Bauschs und Inszenierungen, die es an kasachischen Theatern, welche vor allem von Tradition und Folklore geprägt sind, kaum gibt. Dubs greift in ihren Stücken gesellschaftliche Themen wie Rollenbilder und Identitätsfragen auf, befasst sich aber auch mit aktuellen Ereignissen und Jubiläen wie „100 Jahre Bauhaus“.

Deutsches Erbe in Kasachstan

Dubs selbst stammt aus Karaganda, in der Nähe der heutigen Hauptstadt Astana. Früher war die Region ein Zentrum der Deutschen in Kasachstan, die von Stalin während des Zweiten Weltkriegs dorthin deportiert worden waren – wie auch ihre Eltern. Nachdem sich das Ensemble des Deutschen Theaters nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Auswanderungswelle Anfang der 90er aufgelöst hatte, tourte der Theaterdozent „Herr Freitag“ durch Russland, Kasachstan und Kirgisistan, um Studenten für eine deutsche Theaterakademie in Almaty zu finden. Dabei stieß er auf die junge Dubs.

Im März wurde Natascha Dubs bei der Verleihung des Nationalen Theaterpreises „Sachnager“ als beste Regisseurin ausgezeichnet.

Sie folgte seinem Ruf in den Süden des Landes und kam so zur Schauspielerei, die sie seitdem nicht mehr losgelassen hat. Als Angehörige der deutschen Minderheit war sie schon früh ein aktives Mitglied der Gemeinschaft. Die deutsche Sprache lernte sie allerdings erst auf der Theaterakademie. „Theater ergänzt Folklore, Essen, Sprache. Kasachstan ist ein multikulturelles Land, das sich in einer Transformationsphase befindet. Ein Teil des Landes ist europäisch – und dazu gehört auch die deutsche Minderheit. Das will ich erhalten“, sagt die heute 47-Jährige.

Unter Stigmatisierung leidend, versuchten viele Deutsche sich anzupassen und in der Öffentlichkeit nicht „die Sprache der Faschisten“ zu sprechen. Erst unter Leonid Breschnew veränderte sich in den 60er Jahren das Verhältnis der sowjetischen Machthaber zu den Deutschen. Heute leben mehr als 120 Ethnien in Kasachstan, die vom Staat finanziell unterstützt werden. So gibt es neben dem deutschen auch ein russisches, ein koreanisches und ein uigurisches Theater in Almaty. Das Deutsche Theater wurde ursprünglich 1980 in Temirtau, einer Industriestadt im Gebiet Karaganda, gegründet.

Jährlich hatte das Deutsche Theater in den 80ern knapp 300 Gastspielauftritte und zählte etwa 60.000 Zuschauer in der gesamten Sowjetunion. Damals ging es vor allem um die politischen und sozialen Probleme der Deutschen, mitunter sogar um die Wiederherstellung einer deutschen Republik, die schon einmal von 1924 bis 1941 in der Sowjetunion existiert hatte.

Als Michail Gorbatschow die Perestroika einleitete, eröffnete diese auch für das Deutsche Theater neue Freiheiten. So zog es 1989 von der Steppe in das damalige Alma-Ata. Doch mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion zwei Jahre später verschwand auch ein Großteil der knapp eine Million Deutschen. Heute leben nur noch 180.000 ethnische Deutsche in Kasachstan – der Großteil, wie Dubs’ Eltern, im Norden des Landes.

Tournee durch Deutschland, Frankreich, Belgien

Somit fehlt es dem Theater nicht nur an deutschsprachigen Schauspielern, sondern auch an einem Publikum, das Deutsch versteht. Viele der Stücke im Deutschen Theater werden deshalb auf Russisch aufgeführt. Die deutschsprachigen Stücke übersetzt Dubs während der Aufführung simultan ins Russische. Und auch thematisch geht es weniger um „deutsche Themen“ als früher.

Doch hier versucht Dubs, einen Bogen zu schlagen und zwei Welten zu verbinden: Eines der erfolgreichsten Stücke der vergangenen Jahre ist „Karagos“, das auf dem gleichnamigen Buch des kasachischen Autors Muchtar Auesow basiert. Eine junge Frau – Karagos – soll an einen Mann verheiratetet werden, dessen wohlhabende Familie eine ordentliches Brautgeld zahlen kann. Verliebt ist sie jedoch in einen anderen. Hin- und hergerissen zwischen ihrer Liebe und der Verantwortung ihrer Familie gegenüber nimmt es ein tragisches Ende mit Karagos.

Szene aus Karagos.

Mit Unterstützung des Goethe-Instituts und des in Berlin lebenden Choreographen Florian Bilbao wurde das Stück – auf Deutsch – auf die Bühne gebracht. Mit seinen modernen tänzerischen Einlagen greift es auf vielschichtige Weise die Themen Tradition und Zwangsheirat in Kasachstan auf.

Ende 2017 tourte das Ensemble des Deutschen Theaters damit durch Europa, unter anderem durch Deutschland, Frankreich und Belgien. Auch Brechts Version von „Der Jasager“ aus dem Jahr 1930 fand in moderner Inszenierung im Deutschen Theater statt. Es geht um die Frage, allem zuzustimmen und wie alle zu sein oder das etablierte Wertesystem herauszufordern. In einem autoritären Staat wie Kasachstan keine einfache Frage, doch bietet Almatys Kunstszene die Freiheit, auch solche Thematiken aufzugreifen.

Schauspielerin, Regisseurin, Psychologin

Dubs arbeitet seit 1993 am Deutschen Theater, zunächst als Schauspielerin, dann als Choreographin und Regisseurin. Vor vier Jahren übernahm sie schließlich die gesamte künstlerische Leitung. Außerdem gibt sie an der Kasachischen Nationalen Kunstakademie Schauspielunterricht. Aktuell stammen acht der insgesamt 24 Schauspieler am Deutschen Theater aus ihren Kursen. „Es ist eine gute Praxis für die Studenten. Im heutigen Bildungssystem mit seinen Credit Points bleibt dafür oft zu wenig Zeit. Mit ihrem Engagement am Deutschen Theater erhalten sie bereits erste Berufserfahrung“, erzählt sie.

Julia Teifel arbeitet bereits seit mehr als neun Jahren mit Dubs zusammen. „Sie war meine erste Schauspiellehrerin“, erzählt sie. „Natascha hat mich geprägt – nicht nur als Schauspielerin, sondern auch als Mensch, als eine starke Frau.“ Teifels erster Beruf ist Musikerin. Sie ist ausgebildete Violinistin und Sängerin. Dann hat sie an der Kunstakademie eine Ausbildung zur Regisseurin absolviert und angefangen, Deutsch zu lernen. „Eigentlich hatte ich nie den Wunsch, Schauspielerin zu werden“, sagt sie. Doch sie wollte „etwas mit Deutsch machen“ und als Dubs 2009 an der Kunstakademie eine Gruppe für das Deutsche Theater zusammenstellte, bewarb sich die junge Frau – „Es war mein Schicksal. Natascha hat mit gezeigt, wer ich bin.“

Sprache ist zweitrangig 

Eine weitere Stärke von Dubs: Sie verbindet nicht nur in ihren Inszenierungen verschiedene Kulturen miteinander, auch das Ensemble selbst ist bunt gemischt. Es gibt Deutsche, Russen, Ukrainer, Weißrussen, Juden, Uiguren, Kasachen und Pakistaner. Dass viele Theatermitglieder kein Deutsch sprechen ist kein Hindernis. „Für die Schauspieler ist Sprache ein Arbeitsmittel. Natürlich üben wir ständig Aussprache und Phonetik, aber an sich ist Theater selbst eine universelle Sprache, die jeder versteht“, so Dubs. Sie selbst spricht fließend Russisch und Deutsch.

Alibek Omirbekuly ist von Kökschetau nach Almaty gezogen, um bei Dubs zu lernen.

Welche Wirkung ihre Inszenierungen haben, beschreibt Alibek Omirbekuly: „Ich habe das Deutsche Theater erstmals bei einem Gastspiel in Kökschetau gesehen. Ich war damals im vierten Studienjahr am dortigen Kulturcollege. Als ich Natascha und das Deutsche Theater kennenlernte, wollte ich dazugehören. Mir gefällt besonders die Ästhetik und die Sprache des Theaters“, sagt er. Deshalb zog er nach seinem Abschluss ins 1.600 Kilometer entfernte Almaty und schrieb sich an der Kunstakademie ein.

Eigentlich wolle er Regisseur werden, sagt Omirbekuly. An manchen Samstagen gibt es so etwas wie eine offene Bühne am Deutschen Theater, wo sich die jungen Leute ausprobieren können. So hatte Omirbekuly bereits die Gelegenheit, eigene Ideen zu inszenieren. Als ethnischer Kasache sei er bereits des Öfteren gefragt worden, warum er an einem deutschen Theater und nicht an einem kasachischen spiele. „Ich wähle meine Engagements nicht nach Nationalität aus, sondern suche mir die Ideen und die Menschen aus, mit denen ich zusammenarbeiten möchte“, so Omirbekuly. Auf Deutsch zu spielen sei für ihn anfangs schwierig gewesen. Aber die Proben hätten gezeigt, dass ein zukünftiger Schauspieler alles machen könne. Die Sprache sei kein Problem, man müsse lediglich verstehen, worum es in einem Stück gehe und das dann auf der Bühne umsetzen.

Doch bei allem Optimismus und Engagement ist die Zukunft für das Theater ungewiss. Es wird zwar vom Staat unterstützt, aber einen festen Spielsitz hat es bereits seit einigen Jahren nicht mehr. Hinzu kommt, dass die Eintrittsgelder für Theater in Kasachstan traditionell günstig sind und daher umgerechnet gerade einmal zwischen fünf und sieben Euro kosten. Etwa sechs Auftritte hat das Theater im Monat. Auch deshalb haben die meisten Schauspieler noch weitere Engagements an anderen Theatern, spielen in Filmen mit oder geben Schauspielunterricht. In der aktuellen Saison wird Dubs mit ihrem Ensemble im ehemaligen Gebäude des Koreanischen Theaters einziehen.

image/svg+xml

Von Othmara Glas, Frankfurt / Main

Othmara Glas war bis 2021 freie Journalistin in Almaty, Kasachstan. Als studierte Politikwissenschaftlerin schreibt sie vor allem über die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Zentralasien, arbeitet aber auch zu Wirtschafts- und Kulturthemen. Neben Zentralasien gilt ihr Interesse dem Kaukasus und den baltischen Staaten. Aktuell volontiert sie bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).

Alle Artikel von Othmara Glas anzeigen

image/svg+xml
Marinela PotorDetroit
Mittelgroß, schmale Hüften, kleiner Po, leicht rundlicher Busen: Das ist nach wie vor das dominierende weibliche Schönheitsideal in den USA. Es klingt wie eine Klischee-Beschreibung einer westeuropäischen Frau. Viele Amerikanerinnen kämpfen damit – bis sie erkennen: Sie sind nicht das Problem. 
Heike PapenfussValencia / München
Während der Franco-Diktatur wurden in Spanien unzähligen Müttern ihre Babys genommen und an Adoptiveltern verkauft. Noch bis Anfang der 80er Jahre verdienten Ärzte, Notare, Pfarrer und Nonnen an diesem Kinderhandel. Die Rede ist von geschätzt 300.000 betroffenen Kindern. Es ist auch die Geschichte von Susi Cervera und Sonia Espinosa.

Newsletter Anmeldung

Trage dich jetzt für unseren kostenfreien Newsletter ein, der dich jede Woche mit aktuellen Infos zu neuen Artikel und mit Neuigkeiten rund um DEINE KORRESPONDENTIN versorgt!

Abonniere unseren kostenfreien Newsletter