Eine Arbeit zu finden ist für weibliche Geflüchtete in den Niederlanden schwer. Christina Moreno will ihnen mit der Agentur „She Matters“ dabei helfen. Sie bietet ihnen mehrwöchige Workshops an und versucht sie, an niederländische Firmen zu vermitteln.
Von Sarah Tekath, Amsterdam
Eine interessante Anstellung, eine spannende Aufgabe, nette Kollegen – all das kann helfen, sich in einem neuen Land zu integrieren und ein neues Leben zu beginnen. Aber was ist, wenn das mit der Beschäftigung nicht klappt? Laut dem Amt für Statistik kamen von 2014 bis 2017 knapp 140.000 Flüchtlinge, die meisten aus Syrien und Irak, in die Niederlande. 51.500 davon sind Frauen. Durch den Nachzug der Familien erhielten 2016 und 2017 viele Frauen und Kinder den Asyl-Status. Arbeit zu finden ist zwar für alle Geflüchteten schwer, aber für Frauen ist es besonders problematisch. Das belegt auch der Amsterdamer „Vluchtelingenmonitor 2016“: Nach drei bis fünf Jahren haben 33 Prozent der Männer eine Arbeit gefunden, aber nur 15 Prozent der Frauen.
Um dieses Thema geht es auch in der Studie „Mind the Gap“ (2018) der niederländischen „Kennisplatform Integratie & Samenleving“, finanziert vom Ministerium für Arbeit und Soziales. Joline Verloove ist Projektleiterin der Folgestudie für 2019 und erklärt: „Die Probleme sind vielfältig, da die Frauen keine homogene Gruppe sind.“ Unterschiede zeigten sich in Familienstand, Ausbildung, Berufserfahrung und Sprachkenntnissen.
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Sie erklärt, dass niederländische Gemeinden Familien als Einheit sehen und sich bei der Jobvermittlung auf den Vielversprechendsten – und damit den Mann – fokussieren würden. Im Gegensatz zur nachreisenden Frau könne er bereits Niederländisch, sei besser integriert und so vermittelbarer. Sei ein Job gefunden, bestehe keine Unterstützungspflicht mehr für die Familie – und die Frau falle durch das Raster. „Es kann auch sein, dass eine klassische Rollenverteilung herrscht. Der Mann geht arbeiten, die Frau versorgt die Kinder. Den Frauen ist es in erster Linie wichtig, ihren Kindern eine Zukunft zu bieten“, erklärt Verloove. Für Frauen, die Arbeit suchen, bestünden zwei Probleme: Es gebe immer weniger Chancen für Gering- oder Nichtausgebildete ohne Erfahrung. Die wenigen Stellen in ungeschulter Arbeit würden vor allem mit Männern besetzt. Und: Typische Stellen für Frauen, etwa in Kindertagesstätten, seien unerreichbar, weil ihnen die notwendigen Zertifikate fehlen.
Eine dieser geflüchteten Frauen ohne Job ist die 23-jährige Joud Almohamad, die seit 2017 in den Niederlanden lebt. Sie wohnt mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in Haarlem, 30 Kilometer von Amsterdam entfernt. In Syrien studierte sie Sport in Aleppo, wollte in der Sport- und Physiotherapie arbeiten. Dazu, den Abschluss zu machen und Arbeitserfahrung zu sammeln, kam sie wegen des Krieges nicht mehr. Nun sucht sie Arbeit. „Es ist schwer, weil ich drei Mal pro Woche Niederländisch-Unterricht habe. Das kollidiert mit den Arbeitszeiten“, sagt sie. Seit zwei Wochen bewirbt sie sich, fühlt sich nun sicher genug in der Sprache. Aus zehn Bewerbungen, die sie an Bekleidungsgeschäfte schickte, habe sich nichts ergeben.
Es gebe kaum Ausschreibungen, die keinen Abschluss oder zumindest Arbeitserfahrungen voraussetzten. Die Gemeinde, in der sie lebt, unterstütze sie finanziell und biete ihr zeitlich befristete Jobs an. „Ich habe zum Beispiel mal bei IKEA gearbeitet, aber das war anstrengend und weit weg von meinem Zuhause,“ sagt sie. Gerne möchte Joud Almohamad in den Niederlanden ihr Studium abschließen. „Ein Job wäre gut für mein Selbstvertrauen. Ich könnte endlich eine Karriere starten und auf eigenen Beinen stehen“, erklärt sie.
Ohne Perspektive zu sein – Christina Moreno kennt das Gefühl. Die US-Amerikanerin brach an ihrem 16. Geburtstag die Schule ab und wurde bald Mutter. Ihre Familie war arm, lebte von Sozialhilfe: „Ich hatte keine Zukunft!“ In einem Gespräch mit ihrer Sozialarbeiterin erklärte sie damals, dass sie seit jeher davon träume, Anwältin zu werden und wurde ausgelacht. Stattdessen wurden ihr Bewerbungsformulare für Jobs als Kassiererin gegeben. Heute sagt Moreno: „Ich bin sogar dankbar. Denn das hat mir den Anstoß gegeben, das zu erreichen, was ich heute bin.“ Sie kümmerte sich um ihr Kind, arbeitete Vollzeit in einem Callcenter und studierte am Abend. Zwölf Jahre später machte sie ihren Abschluss in internationalem Recht, nahm eine Stelle als Anwältin in Den Haag an und zog in die Niederlande.
Dort erhielt sie das Angebot, einen Vortrag über internationale Ungerechtigkeiten zu halten. Als sie dafür Veranstaltungen von „Amnesty International“ besuchte, sei sie kaum Frauen begegnet. Daraufhin habe sie beschlossen, diese zu finden – und ihnen zu helfen. Nicht, um damit Geld zu verdienen, sondern aus dem Gefühl heraus, zu wissen, wie es ist, am Boden zu sein und jemanden zu haben, der beim Aufstehen hilft. Mit Anfang 30 gründete sie in Den Haag, wo sie immer noch als Anwältin arbeitete, ihr Unternehmen „She Matters“, zu Deutsch „Sie zählt“. Jetzt, zwei Jahre später, hat ihre Agentur fünf Mitarbeiter*innen und expandiert demnächst in zwei weitere Städte in den Niederlanden.
Das Lotusblüten-Programm soll Fähigkeiten vermitteln
Ziel von „She Matters“ sei es, die geflüchteten Frauen, die vornehmlich aus Syrien, Afghanistan und Eritrea stammen, auf dem Arbeitsmarkt unterzubringen, sagt Christina Moreno. Denn trotz Universitätsabschlüssen und Berufserfahrung würden sie nie zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Dafür bietet sie in ihrem Büro in Rotterdam zwölfwöchige Workshops in kleinen Gruppen von zehn Frauen an, das sogenannte „Lotusblüten-Programm.“ Ein symbolischer Name, denn die Blume wächst trotz schlammigem Wasser zu besonderer Schönheit heran. Bedingungen für die Teilnahme sind, dass die Frauen eine Aufenthaltsgenehmigung für die Niederlande haben und dass ihr legaler Status geklärt ist. Auch müssen sie das den Einbürgerungstest bestanden haben, also bereits etwas Niederländisch können.
„Die Frauen müssen zum Beispiel lernen, mit einem Mann ein Vorstellungsgespräch zu führen. Dies beginnt schon beim Händeschütteln.“ In vielen Herkunftsländern der Frauen seien Berührungen zwischen Mann und Frau auf professioneller Ebene nicht üblich. Außerdem werden die Frauen psychologisch von Experten betreut, um eventuelle traumatische Erlebnisse während ihrer Flucht zu bewältigen. Auch ein Selbstverteidigungskurs von externen Kampfsport-Trainerinnen ist Teil des Programms, das vom niederländischen Staat bezuschusst wird.
Weitervermittlung an Firmen in den Niederlanden
Auf das Lotusblüten-Programm folgt die Personalvermittlung. Bekommt eine Frau einen Vollzeit-Arbeitsvertrag, zahlen die Firmen eine Provision an „She Matters“. Es gehe nicht darum, den Frauen einen Job anzubieten, weil sie Geflüchtete seien. Stattdessen sollen sie wie bei einem Wettrennen mit allen anderen Bewerber*innen an der Startlinie antreten können, sagt Moreno. „Aktuell stehen sie nämlich zwei Schritte hinter den übrigen Kandidaten.“ Absolventinnen des Programms unterstützen „She Matters“ inzwischen als Arabisch-Übersetzerinnen und animieren geflüchtete Frauen aus ihrem Umfeld, mitzumachen. Das funktioniert gut. Mittlerweile haben von den 30 Absolventinnen zehn eine Arbeit gefunden.
Eine dieser zehn ist Zulfar Rahimi aus Afghanistan, die vor zwei Jahren als allererste Frau an dem Programm teilnahm. Gefunden habe sie das Angebot über Facebook. Zum ersten Treffen habe sie einen Ordner mit Zeitungsausschnitten und Medaillen mitgebracht, die in ihrem Heimatland anstelle von Zertifikaten für berufliche Leistungen verliehen worden seien. Obwohl sie knapp 90 Minuten von Den Haag wohnte, sei sie mit ihrer Familie angereist und ihr Mann habe mit den Kindern geduldig draußen gewartet. Dank „She Matters“ ist Zulfar Rahimi nun Costumer Support Coordinator bei Canon.
Christina Moreno glaubt, dass die Schwierigkeit, eine Arbeit zu finden, auch mit dem Bild von weiblichen Geflüchteten zusammenhänge, das Medien zeigen: „Weibliche Flüchtlinge werden oft auf die gleiche Weise präsentiert. Sie sitzen in einem Flüchtlingscamp, sind verschmutzt und erschöpft von der langen Reise und oftmals völlig orientierungslos.“ Die Absolventinnen, die „She Matters“ auf ihren sozialen Kanälen präsentiert, haben damit nichts gemeinsam. Dort zeigen sich Frauen in Kleidern, im Business-Outfit, mit hohen Absätzen, mit Kopftuch oder ohne, aber auf jeden Fall selbstbewusst, stark und zufrieden mit sich selbst und ihren Leistungen.