Die Ursprünge des Frauenfußballs reichen bis ins 12. Jahrhundert zurück. Nach der Vereinheitlichung der Spielregeln Anfang der 1860er-Jahre spielten Mädchen an englischen Schulen Fußball, 1894 wurde das erste britische Frauen-Fußballteam gegründet. Seither hat sich viel getan. Es gibt nationale Ligen, Frauenfußball ist heute eine olympische Disziplin, es gibt eine Champions League und Welt- und Kontinentalmeisterschaften werden ausgespielt. In manchen Ländern kämpft Frauenfußball aber weiter um gesellschaftliche Anerkennung. “Deine Korrespondentin” hat einen Blick auf die aktuellsten Debatten rund um das Spiel in Japan, den USA, Frankreich und Indien geworfen.
Von Sonja Blaschke, Tokio
Fünf Jahre nach ihrem ersten Weltmeisterinnentitel geht es für die japanischen Frauenfußballerinnen um das Überleben ihres Sportes. Zuletzt schafften sie nicht einmal die Qualifikation für die Olympiade in Rio de Janeiro im Sommer. Sie wollen und müssen sich neu erfinden.
Wohl kaum jemand hatte die Japanerinnen auf dem Schirm, als sie 2011 Spitzenteams wie Amerika und Deutschland schlugen und Weltmeisterinnen wurden. Sie waren wohl ein Quäntchen extra motiviert: Wenige Monate zuvor hatten nach einem starken Erdbeben Tsunamis den Nordosten Japans verwüstet und die Atomkatastrophe von Fukushima ausgelöst. Der Sieg von Nadeshiko Japan, wie das Team in Japan genannt wird, gab der angeschlagenen Nation Mut und löste eine Frauenfußball-Euphorie aus. Spielerinnen wie Aya Miyama, Kozue Ando, Saki Kumagai und allen voran die damalige Kapitänin Homare Sawa wurden zu Volksheldinnen.
Das bedeutete aber nicht, dass sie dadurch der Fußballnationalmannschaft der Männer finanziell auch nur annähernd ähnlich gut gestellt worden wären. Die Weltmeisterinnen reisten in der Economy Class zu den Spielen, die weniger erfolgreichen Männer flogen Business Class. Während die Männer trotzdem lukrative Werbeverträge einheimsten, trafen solche Angebote bei den Frauen nur direkt nach dem Weltmeisterinnentitel ein, inzwischen kaum mehr.
Denn schon als Nadeshiko Japan bei der nächsten Weltmeisterschaft 2015 „nur“ Zweite wurden und „nur“ die Olympisches Silber erkämpften, sank ihr Stern in Japan merklich. Seit es die in der Weltrangliste viertplatzierte Mannschaft im März nicht schaffte, sich für die Olympischen Spiele in Rio zu qualifizieren, bangen die Spielerinnen um die Zukunft ihres Sportes in Japan, von dem nur wenige anständig leben können.
Die Hoffnung ruht nun auf der 48-jährigen Asako Takakura, die Ende April als erste Frau Trainerin der Nationalmannschaft wurde. „Es musste sie sein“, sagte der Präsident der japanischen Fußballvereinigung. „Lassen Sie mich klarmachen, dass wir sie nicht nur deshalb ausgesucht haben, weil sie eine Frau ist. Sie ist einfach die Qualifizierteste.“ Die frühere Mittelfeldspielerin und viermalige „Trainerin des Jahres“ in Asien hatte Japan zum Sieg bei der U-17-Weltmeisterschaft in Asien 2014 geführt. „Ich möchte einen Stil einführen, den nur Japanerinnen spielen können“, sagte Takakura bei ihrer Ernennung. „Ich will Nadeshiko wieder stark machen.“ Und immerhin – das erste Spiel unter der Ägide von Takakura gegen die USA war ein Unentschieden.
Von Veronika Eschbacher, Los Angeles
Drei WM-Titel, vier Olympiasiege, zehn Siege beim Algarve Cup und Siege beim CONCACAF Women’s Gold Cup – die US-Nationalmannschaft ist die erfolgreichste Mannschaft der Welt und belegt derzeit Platz 1 der FIFA-Weltrangliste vor Deutschland. Tritt das US-Team an, sind die heimischen Stadien voll und purzeln die Rekorde: Erst vergangene Woche beim Spiel gegen Japan wurde der Besucher-Rekord (fast 24.000 Zuseher) für ein Frauenfußballspiel im Bundesstaat Ohio gebrochen. Es war auch in den USA, wo bei der WM 1999 das Finale mit 90.185 Zuschauern die bisher höchste Zuschauerzahl bei einem von der FIFA anerkannten Frauenfußballspiel erreicht wurde.
Das Interesse an den Kickerinnen reicht bis ins Weiße Haus. Vergangenen Herbst empfing US-Präsident Barack Obama das Frauen-Team in Washington. Laut Obama hat das Team allen Kindern in den USA gezeigt, dass “Spielen wie ein Mädchen” gleichbedeutend sei mit “playing like a badass”, also knallhart.
US-Spielerinnen wie Sydney Leroux haben fast eine Million Follower auf Instagram. Was sie tun, beruflich wie privat, findet Resonanz in den amerikanischen Medien. So verursachte Leroux unlängst Wirbel, als sie ein Foto von Klopapier mit dem Konterfei des Präsidentschaftskandidaten Donald Trump postete und dieses kommentierte: “Mein Mann hat gerade eine Ladung von diesen für unser Haus bestellt. Ich liebe ihn. #FantastischesToilettenpapier.” Wenig später fügte sie hinzu, sie und ihr Mann, ebenfalls Fußballer, seien völlig unpolitisch, sie hätten es nur “wahnsinnig witzig” gefunden.
Das hohe Niveau der US-Spielerinnen kommt nicht von ungefähr. Mädchen haben an vielen High Schools die Möglichkeit, Fußball zu spielen und regelmäßig zu trainieren. Talentierte Spielerinnen können dann in einem der aktuell 333 Collegeteams spielen, die jährlich College-Meisterschaften austragen.
Die US-Profi-Liga glich anfangs allerdings eher einer Achterbahnfahrt. Mehrere Male wurde eine Gründung gestartet, scheiterte nach kurzem Spielbetrieb oder wurde ausgesetzt. Die National Women’s Soccer League ist die derzeit einzige Profiliga. Sie startete im Jahr 2013 mit zunächst acht Teams und wurde zur Saison 2016 schrittweise auf zehn erweitert.
Immer wieder stoßen US-Fußballerinnen Gleichberechtigungsdebatten an. Zuletzt, als fünf Mitglieder des Nationalteams im Frühjahr Beschwerde wegen Diskriminierung gegen den Fußballverband US Soccer einlegten. Ihr Vorwurf lautet, dass ihre Mannschaft mehr zum wirtschaftlichen Erfolg des Verbands beitrage, aber dennoch schlechter bezahlt werde als die männlichen Spieler. Der Verband wehrte sich kürzlich mit einem 20-seitigen Papier und eigenen Berechnungen, deren zufolge Frauen in den vergangenen vier Jahren 2,2 Prozent weniger als die Männer verdient hätten. Die Spielerinnen schließen die Möglichkeit eines Streiks bei den Olympischen Spielen in Rio im Sommer nicht aus.
Von Carolin Küter, Lyon
Wirft man einen Blick auf den Frauenfußball in Frankreich, sieht man vieles, das einem aus Deutschland bekannt vorkommt. Da wäre zunächst die eklatante Gehaltsschere: Französische Profispielerinnen verdienen – wenn überhaupt – etwa ein Hundertstel von dem, was ihre männlichen Kollegen bekommen. Die schwedische Nationalspielerin Lotta Schelin ist mit einem Gehalt von 15.000 Euro monatlich die am besten bezahlte Frau im französischen Fußball laut Sébastian Duret vom Online-Frauenfußballmagazin „footofeminin“. Um auf diese Summe zu kommen, muss der in Paris spielende Brasilianer Thiago Silva nicht einmal einen Tag lang kicken: Er bekommt ein Jahresgehalt von 23 Millionen Euro, exklusive Prämien.
Ähnlich ist es zudem mit den Zuschauerzahlen: 4,1 Millionen Menschen sahen das letzte Spiel der französischen Frauennationalmannschaft bei den Weltmeisterschaften 2015 in Kanada, ein Viertelfinale gegen Deutschland. Das war absoluter Rekord. Beim letzten Turnierauftritt der Männernationalmannschaft bei der WM 2014 in Brasilien – ebenfalls ein Viertelfinale gegen Deutschland – schauten 16,9 Millionen Menschen zu.
Doch es gibt auch wesentliche Unterschiede zu Deutschland. Im französischen Spitzenfußball ist Homosexualität auch bei den Frauen ein absolutes Tabu. Noch nie hat sich eine aktive Spielerin als lesbisch oder bisexuell geoutet. Das werde institutionell befördert, sagt Veronica Noseda von der Organisation „Les Dégommeuses“ (dt. „Die Zerstörerinnen), die gegen Diskriminierung im Frauenfußball kämpft. Denn der französische Fußballverband tue alles, um gegen das Klischee vom lesbischen Mannsweib anzugehen.
2010 startete der Verband eine Kampagne zur Förderung des Frauenfußballs. Die offizielle Botschafterin wurde Adriana Karembeu, Schauspielerin, Model und damals noch Frau eines Ex-Nationalspielers. Die Bilder zeigen sie in einer rosa Umkleidekabine in sexy Pose oder als glückliche Gewinnerin im Trikot. Dazu der Slogan: „Wenn ihr alle Blicke auf euch zieht, dann liegt das nicht daran, dass eure Wimperntusche verlaufen ist.“ Das gemeinsam mit dem Innenministerium betriebene Programm, mit dem Mädchen an den Ball gebracht werden sollen, wurde „Prinzessinnenfußball“ getauft. „Das hat zu einem superweiblichen Erscheinungsbild der Nationalmannschaft geführt“, sagt Noseda. Eine geoutete Spielerin passe da nicht ins Bild. „Die würde nicht als echte Frau angesehen werden.“ Auch wenn lesbisch nicht gleich Mannsweib bedeuten müsse, geht auch die ehemalige Nationalspielerin Karine Drost davon aus, dass die Kampagne des Fußballverbands die Spielerinnen davon abhält, sich zu weit außerhalb des klassischen Frauenbilds zu präsentieren. „Die Mädels spielen das Spiel mit. Sie tragen lieber lange Haare, damit sie in Ruhe gelassen werden. Das passiert unbewusst.“
Bei aller Kritik an der Kampagne: Ihr Ziel, den Fußball weiblicher zu machen, hat sie erreicht. Vor vier Jahren waren nur 58.000 Frauen offiziell als Spielerinnen in den Vereinen registriert. Mittlerweile sind es 105.000, Tendenz steigend. „Die Kampagne war ein großer Erfolg“, so Sébastian Duret. „Aber wir haben auch von ganz unten angefangen.“
Von Lea Gölnitz, Neu-Delhi
Es hat 37 Grad an einem Samstagnachmittag im Duler Stadium. Tibet spielt gegen Goa. Etwa 200 Zuschauer haben sich eingefunden – zu einem Frauenfußballspiel in Indien. „Das ist eigentlich echt gut. Wir sind es auch gewohnt ohne Publikum oder vor weit weniger Menschen zu spielen“, erklärt Cassie Childers in Mapusa, einer Kleinstadt in Goa. Die Amerikanerin hat vor fünf Jahren begonnen, ein Team für Exil-Tibeterinnen in Indien aufzubauen. Gelegenheiten wie diese, gegen andere Teams zu spielen, sind selten. Ihr Team besteht aus jungen Tibeterinnen, die über ganz Indien verstreut leben. Sie treffen sich nur für Trainingslager vor Turnieren. Denn für Frauen gibt es in Indien noch keinen regelmäßigen Spielbetrieb, keine Profi-Liga.
Allerdings gibt es gleich zwei Profi-Ligen für Männer. Sie heißen ganz unironisch Hero I League und Hero Indian Super League. Hautsponsor ist der Motorrad-Hersteller Hero MotoCorp Ltd. Das Cricket-Land hat vor ein paar Jahren die Begeisterung für den Fußball und das finanzielle Potenzial des Sports für sich entdeckt. Im Herbst 2017 ist Indien zum ersten Mal Gastgeber eines internationalen Fußballturniers – der U-17 FIFA Weltmeisterschaft der Männer.
Könnte das einen positiven Einfluss auf den Frauenfußball haben? Disha Malhotra, ehemalige Nationalspielerin und Trainerin aus Delhi, ist skeptisch: „Natürlich wird zuerst in die Männer investiert. Das ist insgesamt gut für den indischen Fußball. Es bleibt aber abzuwarten, was für den Frauenfußball herauskommt.“ Für September 2016 ist die Gründung einer Profi-Liga für Frauen geplant. Auch hier gibt Malhotra sich zurückhaltend. Es wäre nicht das erste Mal, das aus Förderungsplänen für Frauenfußball doch nichts werde.
Auch im Amateurfußball haben Frauen mit Hindernissen zu kämpfen. Es gibt kaum finanzielle Förderung und keine nennenswerte Berichterstattung. Viele Eltern und Lehrer können oder wollen die Fußballträume der Mädchen nicht verstehen und erst recht nicht unterstützen.
Das sind Probleme, die Malhotra durch ihre Arbeit nur zu gut kennt. Deshalb arbeitet die junge Inderin seit der Gründung ihrer eigenen Fußball Akademie „Foot and Ball“ vor einem Jahr in Neu Delhi selbst an der Zukunft des Frauenfußballs in Indien. Sie trainiert Teams verschiedener Altersgruppen. Mit Jungen- und Männer-Teams verdient sie das Geld, mit dem sie Mädchen-und Frauenfußball fördert und Frauen zu Trainerinnen ausbildet. „Wenn Mädchen eine Frau auf dem Platz sehen, trauen sie sich auch, zu kommen und zu spielen. Vorbilder sind sehr wichtig.“
Wenn sie nicht auf dem Platz steht, verbringt sie einen nicht unwesentlichen ein Teil ihrer Arbeitszeit am Telefon mit Eltern. Überzeugungsarbeit ist gefragt. Malhotra erzählt ihre eigene Geschichte: „Ich habe in der Schule angefangen zu spielen. Mit Jungs natürlich. Ich wurde immer besser, spielte bald für meinen Bundesstaat und später für Indien. Dann habe ich in Italien und den USA gespielt und dort auch studiert. Meine Eltern haben mich immer unterstützt. Durch Fußball wurde ich selbstbewusst und habe sehr viel Disziplin gelernt. Alles was ich heute bin, bin ich durch den Fußball.“
Am Spielfeldrand in Goa jubelt das Publikum am dem Ende der Partie den Teams zu. Einige sind überrascht, sie hätten keine Ahnung gehabt, dass es in Indien Fußballspielerinnen gibt. Wäre das nicht auch was für die eigene Tochter? Die Reaktionen von Eltern sind zum Teil reserviert. Fußballtrikots – Short und T-Shirts – seien keine angemessene Kleidung. Die Reisen zu Spielen heißen: Die Töchter sind unbeaufsichtigt unterwegs. Und ob eine Frau, die einem Ball hinterherrennt, noch zu verheiraten ist? Das sind nur einige der Hindernisse, die es zu überwinden gilt.
DFB Kultur Stiftung http://www.fussball-kultur.org/ Europäisches Netzwerk gegen Rassismus und Sexismus im Fußball http://www.farenet.org