Ausländischen Haushaltshilfen im Libanon fehlt das Geld für die Heimreise. Die Hausangestellten wurden teilweise jahrelang nicht bezahlt, manche sogar geschlagen und misshandelt. Viele von ihnen möchten nun zurück. Kurzfristige Hilfe bekommen sie von selbstorganisierten Aktivist*innen.
Von Julia Neumann, Beirut
Vor dem äthiopischen Konsulat in Beirut steht ein Auto: ein Mann hievt Gepäckstücke auf das Dach, Frauen quetschen sich auf die Rückbank. Dann fährt das Auto weg – zurück bleiben 20 Äthiopierinnen, die weiterhin die Nächte auf dem Gehsteig verbringen. Seit Anfang Juni kommen mehr und mehr äthiopische Hausangestellte vor das Konsulat, knapp 150 waren es Ende Juli. Sie übernachten tagelang im Freien, bis Hilfsorganisationen Zimmer bereitstellen. Die Frauen haben vor Jahren ihre Familien verlassen, um in libanesischen Haushalten zu putzen, zu kochen, Kinder zu betreuen. Nun möchten sie nur noch weg.
Der Libanon durchlebt die schwerste Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Die Staatsschulden betragen umgerechnet 79 Milliarden Euro, knapp 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Im September 2019 gab es die ersten Anzeichen, dass die Wirtschaft zusammenbrechen wird: Tankstellenbesitzer*innen streikten, weil das importierte Benzin zu teuer war. Seitdem verfällt der Wert der lokalen Währung; Mehl, Zucker und Reis kosten dreimal so viel wie noch vor einem Jahr. Tausende sind durch die Wirtschaftskrise arbeitslos geworden.
So auch viele der schätzungsweise 300.000 Migrant*innen, die im Service-Sektor beschäftigt sind. Männer reinigen meist Fenster, holen den Müll ab oder befüllen Autos mit Benzin an Tankstellen. Frauen arbeiten als Putzkräfte und Haushaltshilfen – häufig, damit die libanesischen Frauen arbeiten gehen können. Oftmals pflegen sie auch ältere Menschen, denn Altenpflege ist im Libanon Privatsache. Die Familie zahlt den Angestellten im Gegenzug dazu das Essen, Kleidung und stellt ein kleines Zimmer im Haushalt.
Umstrittenes Sponsor-System
Agenturen rekrutieren die Arbeitskräfte vorwiegend in Äthiopien, den Philippinen und Pakistan. Sie versprechen ihnen ein Gehalt in US-Dollar, das sie an ihre Familien schicken können; außerdem einen Arbeitsvertrag und einen freien Tag in der Woche. Dahinter verbirgt sich ein ausbeuterisches System: Ihr Arbeitsvisum ist mit dem Namen des Arbeitgebers, dem Kafil – übersetzt Sponsor – verbunden.
Die Menschenrechtsorganisationen „Human Rights Watch“ und „Amnesty International“ machen das sogenannte Kafala-System für Missbrauch verantwortlich, da es unmöglich ist, die Anstellung zu wechseln. Wer seine Arbeitsstelle verlässt, weil etwa die Bezahlung ausbleibt, ist illegal im Land. Trotz Arbeitserlaubnis haben die Arbeiter*innen dann keine Aufenthaltsgenehmigung mehr, weil diese an ihre*n Sponsor*in gekoppelt ist.
Manche putzen dann beispielsweise für umgerechnet 4,40 Euro pro Stunde. Der Artikel 7 im libanesischen Arbeitsgesetz schließt ausländische Arbeiter*innen explizit aus. So bleiben ihnen Überstundenvergütung, Entschädigung für ungerechtfertigte Entlassung oder soziale Versicherungen verwehrt.
„Sie behandeln uns wie Tiere“, sagt die 24-jährige Mamit Hayilu Asebah erbost. Sie harrt gemeinsam mit anderen Äthiopierinnen vor dem Konsulat ihres Heimatlandes aus und trägt ein T-Shirt mit dem Schriftzug „I’m going to sleep“. In Wirklichkeit handelt es sich um ihren Schlafanzug, weil sie mitten in der Nacht aus dem Haushalt geflohen ist, in dem sie gearbeitet hat.
„Das Problem ist weitaus komplexer als die sichtbaren Frauen vor dem Konsulat“, erklärt die 28-jährige Zeina Ammar am Telefon. Sie ist verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit des „Anti-Racism Movement“ im Libanon, ein Zusammenschluss von Feminist*innen und Hausangestellten, die sich für Migrant*innen einsetzen. „Seit Beginn der Wirtschaftskrise werden ausländische Arbeiter unterbezahlt, gar nicht bezahlt oder gefeuert.“ Wenn sie überhaupt bezahlt würden, dann in der lokalen Währung – die gegenüber dem Dollar, der vor der Krise als gängiges Zahlungsmittel im Libanon galt, 70 Prozent an Wert eingebüßt hat.
Rückflugticket ist unbezahlbar
„Wir sind hungrig, wir wollen essen, wir wollen duschen. Und eigentlich wollen wir einfach nur ausreisen“, sagt Asebah. Doch das Flugticket kostet knapp 500 Euro. „Woher sollen wir die bekommen?“, fragt sie verzweifelt und verweist darauf, dass das Konsulat wenig hilfsbereit ist. Auch für Stellungnahmen gegenüber der Presse ist das Konsulat nicht zu erreichen.
Seit Wochen sind die Türen geschlossen, beim Besuch vor Ort heißt es, die Belegschaft sei in einer Besprechung. „Sie wollen, dass wir das Flugticket in Dollar bezahlen“, sagt Asebah. Doch das ist schier unmöglich: Banken geben keine Dollar mehr aus und die Migrantinnen haben weder ein Konto noch genügend Bargeld. Umgerechnet verdienen sie 130 Euro im Monat, was aber teilweise schon monatelang nicht ausbezahlt worden ist.
Die Äthiopierin Banchi Yimer hat selber sieben Jahre lang als Haushaltshilfe im Libanon gearbeitet. 2017 hat sie die Organisation „Egna Legna Besidet“, zu Deutsch „Von uns Migrantinnen für uns Migrantinnen“, gegründet. Und zwar von Kanada aus, weil eine Nichtregierungsorganisation, die sich für ausländische Arbeiter*innen einsetzt, nicht im Libanon akkreditiert werde. Die Aktivist*innengruppe sammelt Spenden für Lebensmittel und Damenbinden, die sie an Frauen vor dem Konsulat und in Hilfsunterkünften verteilen.
„Es gibt Frauen, die seit neun Jahren nicht bezahlt wurden. Du hast keine Idee, wie viele Hausangestellte ihre Arbeitgeber nun anbetteln, damit sie mit ihrem Gehalt das Flugticket bezahlen.“ Dabei müsste der Sponsor das Rückflugticket – laut Vertrag – übernehmen. Doch das ist vielen zu teuer. Auch wenn der Monatslohn einer Haushaltskraft weit unter dem libanesischen Mindestlohn von 400 Euro liegt, mussten die Hausherr*innen paar tausend Euro für die Haushaltskraft bezahlen: das Flugticket, die Vermittlungsgebühr, die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis.
Damit das nicht umsonst war, behalten Arbeitgeber*innen die Papiere der Frauen oft ein. Zwar ist das illegal, doch rechtliche Schritte würden nie eingeleitet, sagt Yimer. Denn Gerichtskosten sind teuer, der Prozess langwierig und die Angestellten müssten beweisen, dass sie kein Gehalt bekommen oder ihnen der Pass weggenommen wurde.
Menschen zweiter Klasse
Auch die 25-jährige Ehiti Nasi Malasa fragte erfolglos nach ihrem Gehalt. „Die Madame wollte mich schlagen, ich sollte in drei Haushalten arbeiten. Als ich mich an die Agentur gewandt habe, hieß es, ich müsse zwei Jahre bleiben.“ Für ihre Arbeit habe sie vor der Krise 130 Euro im Monat erhalten. „Zurück im Haushalt habe ich nach dem Geld gefragt und die Madame hat mir gesagt: Ich habe keins.“ Malasa sagt, sie sei um fünf Uhr nachts geflohen. Ihren Pass habe die „Madame“ behalten.
Ausländische Haushaltshilfen sind im Libanon Menschen zweiter Klasse und leiden sichtlich darunter: „Human Rights Watch“ zählt statistisch pro Woche einen „unnatürlichen“ Todesfall, Suizid ist die meistverbreitete Todesursache. Im März starb die ghanaische Hausangestellte Faustina Tay – sie sprang aus dem vierten Stock des Hauses, in dem sie arbeitete. Im Mai hatte sich die philippinische Hausangestellte Jenalyn Banares in einer Notunterkunft der Botschaft das Leben genommen.
Aktivist*innen hatten zuvor auf die schlechten Bedingungen in den Unterkünften, die für aus den Haushalten geflohene Frauen gedacht sind, hingewiesen. Auch Yimer erzählt, dass sich bis zu 15 Frauen ein Zimmer teilen müssten. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Berichte, die dokumentieren, dass die Hausangestellten bei ihren Arbeitgeber*innen in winzigen Zimmern untergebracht sind, angeschrien, geschlagen, sexuell belästigt oder eingesperrt werden.
Die Libanes*innen hingegen geben an, ihre Hausangestellten gehörten zur Familie – weil sie teilweise seit 20 Jahren für sie arbeiten. Warum vor allem die so genannten „Madames“, also die Chefinnen, ihre Macht demonstrieren, die Hausangestellten schlagen, anschreien und ausbeuten, darauf hat Banchi Yimer keine Antwort.
Kurzfristige Hilfe
Selbstorganisierte Gruppen springen seit Monaten ein, weil weder die libanesische noch die äthiopische Regierung Hilfen bereitstellen. In einer einmaligen Aktion ließ die libanesische Arbeitsministerin einige Äthiopierinnen in ein Hotel bringen, doch immer mehr Frauen kamen aus Not zum Konsulat oder wurden von ihren Arbeitgeber*innen regelrecht dort ausgesetzt. Zwar musste der äthiopische Konsul, Aklilu Tatere Wube, zurücktreten, weil er für die ausgesetzten oder geflüchteten Äthiopierinnen nichts getan hatte – an der Situation vor Ort hat das nichts geändert.
Andere Botschaften kümmern sich um die Frauen ihrer Länder, aber auch sie können nicht alle Fälle ausgesetzter Frauen bewältigen. Der nigerianische Außenminister ließ über Twitter verkünden, dass 50 „gehandelte“ Nigerianerinnen aus dem Libanon evakuiert wurden. Die philippinische Botschaft ließ verlauten, dass sie alle 165 Philippinerinnen in ihren Notunterkünften nach Hause fliegen wolle. Bereits im Oktober hatte die philippinische Vertretung Arbeiter*innen ohne Papiere ausgeflogen. Doch die meisten Hausälterinnen kommen nach wie vor aus Äthiopien.
Nach Angaben der Aktivst*innengruppe „Egna Legna“ befinden sich derzeit 35 Frauen aus verschiedenen Ländern in Unterkünften der Caritas, 13 schlafen außerhalb des Konsulates, 28 in einem Hotel, 35 Äthiopierinnen hat der Zusammenschluss in privaten Zimmern untergebracht. Sie alle wollen ausreisen. Wie viele Frauen weiterhin unbezahlt arbeiten, ist nicht bekannt. Im April und Mai hat die „Egna Legna“ mehr als 3.000 Frauen aller Nationalitäten geholfen, ihre Miete, Essen oder Medizin zu bezahlen.
Langfristig könne sich die Lage nur verbessern, wenn man das Kafala-System abschafft, erklärt Aktivistin Zeina Ammar. „Die Arbeitgeber müssen zur Rechenschaft gezogen werden und ausländische Angestellte in das Arbeitsgesetz aufgenommen werden.“ Bis es soweit ist, helfen Aktivist*innen. Seit Jahren geben sie Workshops zur Seifenproduktion, Computer- und Sprachkurse, bereiten die Frauen auf den Arbeitsmarkt im Herkunftsland vor. „Wenn ich in meine Heimat zurückkehre, möchte ich in der Landwirtschaft arbeiten oder einen kleinen Kiosk aufmachen“, sagt Ehiti Nasi Malasa. Bis es soweit ist, bleibt ihr nur, weiter auf dem Gehweg zu übernachten.