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Selbst lenken
Eine Autofahrt für mehr Rechte in Saudi-Arabien

2. November 2017 | Von Sabine Rossi
Manal al-Sharif im Auto (2017). Foto: Marwan Naamani (AFP)

„Der Regen beginnt mit einem einzigen Tropfen“, schreibt Manal al-Sharif in ihrem Buch „Losfahren“. Sie selbst war so ein Tropfen, als sie 2011 in Saudi-Arabien Auto fuhr. Die Fahrt endete im Gefängnis. Nun will das Königshaus die strengen Regeln lockern. Doch Manal al-Sharif will mehr: gleiche Rechte für Frauen und Männer.

Von Sabine Rossi, Köln

Manal al-Sharif. Elegante blaue Strickjacke, braune Lederstiefel. Ihr Lachen warm und herzlich. Die braunen Augen strahlen. Eigentlich keine, die sich ständig mit allen anlegt – und doch hat sie die Gesellschaft in ihrer Heimat Saudi-Arabien herausgefordert.

Im Mai 2011 macht in den sozialen Netzwerken ein Video die Runde: Eine junge Frau – schwarze Sonnenbrille, schwarze Abaya, das lange Gewand der Frauen in Saudi-Arabien – sitzt am Steuer eines Autos und fährt den Wagen durch die Straßen. Damit hatte Manal al-Sharif gegen den Urf verstoßen, gegen die Sitten und Traditionen in Saudi-Arabien – nicht gegen die Straßenverkehrsordnung. Ihre zweite Fahrt wenige Tage später endet im Gefängnis. Die Erinnerungen daran hat sie in ihrem Buch „Losfahren“, das sie auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert hat, niedergeschrieben.

Zitat aus dem Buch „Losfahren“: „Sie befahl mir, mich auszuziehen. Auch die Unterwäsche. Wie unendlich beschämend das war, ist schwer zu erklären. Sich unbekleidet zu zeigen, ist für eine traditionell erzogene Frau aus Saudi-Arabien unerträglich. Es ist die größte denkbare Erniedrigung. (…) Mich jetzt an diesem Ort dieser Untersuchung fügen zu müssen, mich vorzubeugen und diese mir fremde Wärterin die intimsten Stellen meines Körpers mit ihren behandschuhten Händen berühren zu lassen, das war die demütigendste Erfahrung meines Lebens.“

Manal al-Sharif wird eingesperrt in eine Zelle mit etwa zwei Dutzend anderen Frauen.

Zitat aus dem Buch „Losfahren“: „Im Arabischen gibt es eine Redewendung: ‚Er hat mit meiner Würde den Fußboden gewischt.‘ Genauso fühlte es sich für mich an, hier wurde dieser stinkende, harte Betonboden mit meiner Würde gewischt. (…) Die Zelle roch feucht, (…) nach Schweiß, nach verschwitzten Körpern, die seit Langem nicht mehr gewaschen worden waren. Und überall Kakerlaken. Tausende. Abertausende.“

Nach neun Tagen erwirkt ihr Vater beim König ihre Freilassung. Der internationale Protest ist da bereits groß – und er hält an. Ende September, vor wenigen Wochen, hob der König das Fahrverbot für Frauen auf. Spätestens im Sommer 2018 sollen Frauen in Saudi-Arabien nun den Führerschein erwerben können. Die Gründe dafür sind vor allem wirtschaftliche: Saudi-Arabien verdient immer weniger durch seine Ölverkäufe. Eine Reformagenda soll deshalb die Wirtschaft breiter aufstellen und die Frauen einbeziehen. Ein richtiger, längst überfälliger Schritt, findet Manal al-Sharif:

Manal al-Sharif: „Wir können es uns nicht mehr leisten, dass die Frauen ausgeschlossen sind und in der zweiten Reihe sitzen. Frauen sollten selbst über ihr Schicksal entscheiden. Sie müssen Teil des Wandels der Gesellschaft sein.“

Noch sind Frauen in Saudi-Arabien aber vor allem eines: abhängig. Von ihrem Mann, ihrem Sohn, ihrem Bruder. Sie brauchen die Erlaubnis des Mahram, des Vormunds, wenn sie verreisen wollen, einen Pass beantragen oder einfach nur ein Konto eröffnen möchten. Manal al-Sharif hat sich deshalb ein neues Ziel gesetzt. Vor gut einem Jahr hat sie Kampagne #IamMyOwnGuardian ins Leben gerufen (zu Deutsch #IchBinMeinEigenerVormund).

Manal al-Sharif: „Ich glaube, dass die Angst das größte Hindernis für den Wandel in Saudi-Arabien ist. Was mag wohl passieren, wenn eine Frau am Steuer eines Autos sitzt? Was passiert, wenn wir in Saudi-Arabien Kinos erlauben? Was passiert wohl, wenn wir ein Parlament einführen – ein gewähltes Parlament? Wir haben immer Angst vor dem Unbekannten. Aber wir können doch alle lernen. Wenn wir auf unserem Platz verharren, dann wird es keinen Fortschritt geben, keine Entwicklung.“

Manal al-Sharif weiß wovon sie spricht. Sie selbst ist einen langen Weg gegangen. Ihre Familie gehört zu einem der angesehensten Stämme in Saudi-Arabien und trotzdem wächst Manal al-Sharif in konservativen und ärmlichen Verhältnissen in Mekka auf, für die Muslime die Heilige Stadt. Ihre Lehrer unterrichten die strenge wahhabitische Auslegung des Koran.

Musik zu hören ist wie einen Pakt mit dem Teufel zu schließen

Manal al-Sharif: „In der Schule haben sie uns gesagt, dass Musik haram sei, also verboten. Wer Musik höre, schließe einen Pakt mit dem Teufel und seine Ohren würden mit geschmolzenem Eisen gefüllt. (…) Wir sind also nach Hause gekommen und haben das unseren Eltern gesagt. Wir haben gesehen, dass sie beten und fasten. Warum hören sie dann Musik, wenn es doch verboten ist?“

Musik ist nicht das einzige, das als haram gilt. Vieles habe sie gar nicht erst angefangen, nur für den Fall, dass es verboten ist, sagt Manal al-Sharif. Sie selbst nennt diese Zeit ihre „extremistische Phase“. Überzeugt das Richtige zu tun und ihre Familie zu retten, verbrannte sie die Backstreet-Boys-Kassetten ihres Bruders und die Modemagazine ihrer Mutter. Sie brach Freundschaften ab, wenn sie erfuhr, dass andere junge Frauen auf der Straße nicht den Gesichtsschleier trugen.

Erst im Studium entdeckte sie eine andere Welt. Zwar waren die Vorlesungen nach Geschlecht getrennt – die Studentinnen sahen den Professor per Videoschalte in einem anderen Raum – doch Manal al-Sharif hatte ein Tor nach draußen:

Manal al-Sharif: „Im Internet hattest Du auf einmal Zugang zu all den verbotenen Büchern, die man in Europa einfach legal herunterladen kann. Wir hatten Zugang zu Wissen, das vorher versperrt war – und Wissen ist eine gefährliche Waffe.“

Manal al-Sharif lebt mit ihrem zweiten Mann und jüngsten Kind in Sydney (Foto: Maha Nasra Eddé).

Nach der Uni begann sie als IT-Expertin, spezialisiert auf Datensicherheit, bei der saudischen Ölfirma Aramco. Als eine der ersten Frauen des Landes arbeitete sie mit Männern in einem Büro. Ihr erster Besuch auf dem Firmengelände sei der Schock ihres Lebens gewesen, schreibt Manal al-Sharif in ihrem Buch.

Zitat aus dem Buch „Losfahren“: „Nichts von dem, was mich umgab, sah aus wie das Saudi-Arabien, das ich kannte. (…) Ich sah Holzhäuser mit großen Fenstern, ohne die Eisengitter davor, die sonst an den meisten saudischen Wohnhäusern üblich sind. (…) Wir fuhren an einer Frau vorbei, die am Steuer eines Autos saß. (…) Auf der Straße gingen viele Frauen ohne Abaya.“

Von diesem Firmengelände aus startet Manal al-Sharif einige Jahre später ihre Fahrt, für das Recht Auto zu fahren. Etliche Kollegen – Frauen wie Männer – unterstützen sie. Andere sind strikt dagegen. Als sie aus dem Gefängnis zurückkehrt, ist der Druck so groß, dass sie kündigt. Manal al-Sharif verlässt ihre Heimat. Ihren Sohn darf sie nicht mitnehmen. Das Sorgerecht erhält in Saudi-Arabien für gewöhnlich der Vater. Heute lebt sie mit ihrem zweiten Mann und ihrem jüngsten Sohn in Sydney. Die beiden Brüder kennen sich nur von Videoschalten und Fotos. Will sie den einen sehen, müsse sie den anderen verlassen, sagt Manal al-Sharif. Deshalb hat sie nur einen Wunsch:

Manal al-Sharif: „Ich möchte in meine Heimat zurückkehren. (…) Ich möchte, dass meine Kinder in Saudi-Arabien groß werden und die Frauen respektieren als Bürgerinnen eines Landes, in dem Männer keine Kontrolle über erwachsene Frauen ausüben.“

 

 Weiterführende Links:

Manal al-Sharif auf Twitter: https://twitter.com/manal_alsharif?lang=de

Das komplette Interview mit Manal al-Sharif in COSMO: http://www1.wdr.de/radio/cosmo/magazin/specials/manal-al-sharif-102.html

Manal al-Sharifs Buch „Losfahren“: http://secession-verlag.com/content/losfahren 

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Von Sabine Rossi, Köln

Sabine Rossi ist Redakteurin bei dem Radiosender COSMO (WDR). Spezialisiert ist sie auf den Nahen Osten, vor allem auf Syrien, wo sie nach ihrem Studium ein Jahr gelebt hat. Regelmäßig verstärkt sie das Hörfunkteam im ARD-Studio Kairo. Für „Deine Korrespondentin“ sucht sie nach starken Frauen im Nahen Osten – und die sind gar nicht so selten.

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Pauline TillmannKonstanz
Anica Heinlein war vor Kurzem im Westjordanland und schildert die dramatische Verschlechterung der Lage vor Ort. Sie berichtet von Hoffnungslosigkeit, fehlender Grundversorgung und der besonderen Belastung von Frauen und Kindern in der humanitären Krise.

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