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Selbst ist die Journalistin
Über Myanmars erste Chefredakteurin

29. März 2017 | Von Verena Hölzl
Seng Mai ist die erste Chefredakteurin in Myanmar und hat das Leben in der Provinz ordentlich aufgemischt. Fotos: Verena Hölzl

Es mangelt dem myanmarischen Journalismus nicht an Frauen. Nur eine Einzige allerdings hat es bisher zur Chefredakteurin gebracht – indem sie kurzerhand ihre eigene Zeitung gegründet hat. Damit hat sie nicht nur ein Exempel statuiert, sondern auch das Leben in ihrer Provinz ordentlich aufgemischt.

Von Verena Hölzl, Myitkyina 

Seng Mai ist der Boss. Rundes Gesicht, fester Blick, burschikos. Die Jeans hängt ihr bis zu den Knien, das Kinn vergräbt sie im Rollkragen ihres Strickpullovers. Die 27-Jährige ist Myanmars erste Chefredakteurin.

„Seit es meine Zeitung gibt, traut sich die Regierung nicht mehr, Mist zu bauen“, erzählt sie und lächelt verschmitzt. Kürzlich war das Dach der Markthalle in Myitkyina undicht – ein Riesenthema für die Menschen in der Stadt im Norden Myanmars. Viele echauffierten sich, verlangten, dass die Stadtverwaltung tätig wird. Bevor die Reparaturarbeiten begannen, kamen Vertreter der Stadt zu Seng Mai in die Redaktion und beschwichtigten: „Ihr braucht gar nicht erst darüber zu schreiben, wir regeln das, versprochen.“

Ohne Seng Mai gäbe es so gut wie gar keinen Lokaljournalismus in Myanmars Teilstaat Kachin. Weil Zeitungen in Myanmar außerdem kaum Korrespondenten in den Provinzen haben, erreichen Themen, die sich in den Minderheiten-Regionen abspielen, die 1.000 Kilometer entfernte Metropole Yangon meist erst Tage später. Als Seng Mai ihr „Myitkyina Journal“ gründete, machte deshalb vor lauter Begeisterung sogar der Pfarrer in der Sonntagsmesse dafür Werbung.

Vor der Zeitung gab es nur Gerüchte

Bevor es die Zeitung gab, war alles, was man in der Stadt wusste, nur Gerücht. Die Zeitung brachte die Fakten. Sogar die Justiz beruft sich seither in Gerichtsprozessen auf die Recherchen von Seng Mai und ihrem Team. „Selbst für Familiendramen sind wir zuständig“, erzählt die Chefredakteurin. Ein Vater, der nach der Scheidung von seiner Frau die gemeinsame Tochter vergeblich suchte, verlangte von der Journalistin einen Bericht in der Zeitung. Wenig später stand auch die der Entführung bezichtigte Mutter vor Seng Mais Tür – ein Artikel war danach überflüssig.

Seng Mai sitzt im spärlich eingerichteten Konferenzraum der Redaktion in einem Wohnviertel von Myitkyina auf einem Plastikstuhl. Hinter ihr hängen Karten, auf denen die Verwaltungseinheiten Myanmars eingezeichnet sind, und Plakate mit Checklisten für gute Texte. Wenn die Chefredakteurin auf Burmesisch von ihrem Job erzählt, spricht sie von „layout“, „circulation“ und „story idea“ – Konzepte, die zu Zeiten der Diktatur in Myanmar nie eine muttersprachliche Entsprechung fanden.

Seng Mai mit einer Ausgabe ihrer Zeitung „Myitkyina Journal“, die eine Auflage von 8.000 Exemplaren hat.

Seng Mais Laufbahn als Journalistin begann vor fast zehn Jahren, als sie für ein Training im nordthailändischen Chiang ausgewählt wurde. Schon damals wusste sie: „Eines Tages will ich meine eigene Zeitung gründen.“ Kurz zuvor, 2007, war in Myanmar die Revolution gegen die Militärregierung ausgebrochen, die das Land fast ein halbes Jahrhundert lang brutal regiert hatte. Der Kampf gegen die Diktatur hielt an und Seng Mai lernte als Praktikantin bei verschiedenen Zeitungen, die damals noch der strengen Pressezensur ausgeliefert waren, ihr Handwerk.

Kachin, die Heimat der Journalistin, ist der nördlichste Teilstaat Myanmars. Die dort lebende christliche Minderheit liegt seit Jahrzehnten mit der Zentralregierung im Zwist. Obwohl der Staat eines der wertvollsten Jade-Vorkommen der Welt besitzt, ist er arm und unterentwickelt. Das burmesische Militär und seine Günstlinge lassen die ethnische Bevölkerung kaum von dem Reichtum ihrer eigenen Böden profitieren. Seit Jahrzehnten herrscht Bürgerkrieg, in dessen Anarchie der Drogenhandel floriert – eines von Seng Mais Hauptthemen.

Eine Wochenzeitung kostet 40 Cent

Alleine stand die junge Frau dem Unrecht immer machtlos gegenüber. Mit dem Journalismus konnte sie endlich etwas ausrichten. „Mit 30 Kugeln kannst du 30 Personen treffen, mit 30 Zeitungsseiten Tausende“, sagt sie. Das „Myitkyina Journal“ erscheint seit 2014. Das Startkapital stammte aus Seng Mais Erspartem.

Eine Ausgabe der Wochenzeitung kostet 500 Kyat, umgerechnet etwa 40 Cent und damit doppelt so viel wie eine Tasse Tee in einem myanmarischen Teeladen. Inzwischen haben 1.000 Menschen die Zeitung abonniert, die Auflage liegt fast acht Mal höher. Ein großer Erfolg für Seng Mai. Zu den Verkaufserlösen kommen Einnahmen aus dem Verkauf von Werbeanzeigen.

Unterstützung bekommt die Redaktion von internationalen Geldgebern wie der Medien-Entwicklungshilfeorganisation „Internews“. Auch die Deutsche Welle Akademie hilft. Kürzlich brachte eine Trainerin den Journalisten des „Myitkyina Journal“ bei, wie man kostengünstig Nachrichten mit dem Smartphone produziert.

Es war nicht immer leicht für Seng Mai. Bevor es losgehen konnte mit dem „Myitkyina Journal“, musste sie ihrem Redaktionsteam sogar das Tippen beibringen. Weil es vor zwei Jahren außerdem noch kein Internet in der Redaktion gab, mussten die Zeitungsdaten per Post auf einem Datenträger in die nächstgrößere Stadt Mandalay geschickt werden, von wo aus die fertigen Druckplatten zurück nach Myitkyina gekarrt wurden. Seng Mai, die keine Freundin großer Worte ist, findet es unangenehm, bewundert zu werden. „Ich habe doch selbst noch so viel zu lernen“, sagt sie. Im März gewann die Chefredakteurin mit einer Fotoserie über die Drogensucht von Arbeitern in den Jade-Mienen Kachins beim Yangon Photo Festival den ersten Preis – in der Kategorie Anfänger.

Die Chefredakteurin fühlt sich ihrer Aufgabe nicht immer gewachsen und ist oft ratlos: „Ohne mich würde die Redaktion überhaupt nicht funktionieren.“ Seng Mai hat Schwierigkeiten, Mitarbeiter zu finden, die von derselben Leidenschaft getrieben sind wie sie – „dabei ist Journalismus doch so mächtig!“ Gut ausgebildetes Personal ist in Myanmar Mangelware. Die Militärjunta hat das Bildungssystem jahrzehntelang bewusst heruntergewirtschaftet und die Medien klein gehalten. Die zwei unabhängigen und noch sehr jungen Journalistenschulen, die es gibt, können der großen Trainingsnachfrage heute nicht annähernd nachkommen.

Bei der Media Development Konferenz trifft sich einmal im Jahr die Journalistenszene von Myanmar.

Ortswechel: Ein Fünf-Sterne-Hotel in Yangon. Man versinkt in weichem Teppichboden und nimmt sich Mini-Croissants vom Kaffeebüffet. Wie jedes Jahr trifft sich die Journalistenszene zur Media Development Konferenz, um zu erörtern, wo Myanmars Medien in ihrer Entwicklung stehen. „Als ich für eine Recherche in den Dschungel fahren wollte, musste ich meinem Chefredakteur schriftlich versichern, dass ich ihn von jeglicher Verantwortung für mich entbinde“, erzählt eine myanmarische Journalistin aufgebracht, als über das Thema Gleichberechtigung diskutiert wird.

Beim „Myitkyina Journal“ gibt es solche Beschränkungen nicht. Seng Mai beschäftigt 18 Frauen und zehn Männer. In Kachin bleiben allgemein viele Aufgaben an den Frauen hängen, weil die Männer als Rebellenkämpfer im Dschungel sind. Die Zivilgesellschaft ist deshalb stark weiblich geprägt. Auch Myanmars Nachrichten-Industrie ist voll von Frauen. Die Wenigsten von ihnen schaffen es allerdings, im konservativen Myanmar Karriere zu machen wie Seng Mai. Nach der Diskussionsrunde zum Thema Gleichberechtigung im Journalismus erhebt sich ganz vorne im Publikum ein männlicher Diskussionsteilnehmer. Er fuchtelt mit den Händen, spricht lange.

Frauen würden ja gar nicht zu riskanten Recherchen etwa in die Bürgerkriegsgebiete des Landes geschickt werden wollen, behauptet er. Ein paar Frauen lachen laut auf. „Ja wer denn?“, fragt der Mann. Dutzende Frauen recken johlend ihre Hände nach oben, im Konferenzsaal bricht ein kleiner Tumult los. Auf der Bühne sitzt auch Esther Htusan. Die Journalistin der Nachrichtenagentur Associated Press ist so wie Seng Mai eine Kachin. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie im April vergangenen Jahres den renommierten Pulitzer-Preis für eine Recherche zu Sklaverei in Südostasiens Fischindustrie gewonnen.

Hätten sie und ihre Kolleginnen nicht so beharrlich recherchiert, dann säßen 2.000 Männer aus Myanmar vermutlich noch heute als Sklaven auf einer indonesischen Insel fest. Manchmal spielt das aber keine Rolle: Als Esther Htusan kürzlich in Myanmar auf einem Elefanten reiten wollte, hieß es, das ginge nicht, das könnten nur Männer. Seng Mai kann über diese Geschichte lachen. Dann packt sie das „Myitkyina Journal“ mit Kachins erster Pulitzer-Preis-Gewinnerin auf dem Titel aus und sagt: „Das ist eine meiner Lieblingsausgaben.“

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Von Verena Hölzl, Yangon

Verena Hölzl berichtet für uns aus Südostasien. Derzeit lebt sie als freie Korrespondentin in Myanmar, wo im Herbst 2015 – nach über fünf Jahrzehnten Militärdiktatur – die ersten freien Wahlen stattfanden. Von Yangon aus geht sie unter anderem für Spiegel Online, Deutsche Welle, WELT, dpa und taz den Dingen auf den Grund. Am liebsten in langen Reportagen.

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Mareike GraepelHaltern
Die US-Amerikanerin Cindy O’Brien lebt seit den 90er Jahren in Connemara, ganz im Westen von Irland und züchtet seltene Seeschnecken. Die sogenannten japanischen Abalone gedeihen an der irischen Küste gut. Sie gelten als Delikatesse und Aphrodisiakum, kosten bis zu 44 Euro pro Kilo – und sehen aus wie Vulven.

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