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Schuldig oder nicht schuldig?
Ein Theaterstück zu sexualisierter Gewalt

4. April 2018 | Von Clara Zink
Die Klägerin (links) und der vermeintliche Vergewaltiger (rechts) tauschen vor Gericht hasserfüllte Blicke aus. Foto: Albert Greg

Über Vergewaltigung wird in Ghana ungern gesprochen, häufig gelten Opfer sogar als mitschuldig an der Tat. Zwei Regiedozentinnen beleben die Debatte durch ein Theaterstück an der Universität neu – und forschen darüber.

Von Clara Zink, Winneba

Der Gerichtssaal ist hell erleuchtet als sich der Richter erhebt und der Jury zuwendet: „Wir haben beide Parteien gehört. Jetzt obliegt es der Jury, eine Entscheidung zu treffen.“ Hat der Angeklagte die Klägerin in jener Nacht vergewaltigt oder nicht? Ist er schuldig oder nicht schuldig? Die Beweislage ist schwammig: Untersuchungen haben ergeben, dass Geschlechtsverkehr stattgefunden hat; Anzeichen von Gewaltanwendung konnten hingegen nicht festgestellt werden. Hat die Klägerin sich gewehrt, hat sie zu verstehen gegeben, dass sie dem Sex nicht zustimmt?

Die Verteidigung führt das Facebook-Profil der Klägerin an, auf dem sie sich als Frau darstellt, „die immer kriegt, was sie will“. Auch ein WhatsApp-Chatverlauf zwischen Klägerin und Angeklagtem wird gezeigt, bei dem offenbar geflirtet wurde. Und ein Video, das kurz vor der mutmaßlichen Tat aufgenommen wurde und zeigt, wie die Frau mit dem vermeintlichen Vergewaltiger Alkohol trinkt und die beiden eng zu tanzen beginnen.

Was während der Verhandlung präsentiert wird, sind keine Beweise für eine Vergewaltigung. Die Jury veranlassen sie dennoch zu einer eindeutigen Entscheidung. Die Männer und Frauen, die diese Entscheidung treffen, arbeiten aber nicht am Gericht: Sie studieren an der University of Education in Winneba (UEW) und sitzen im Theatersaal der Universität. Der Fall ist nicht real, sondern Teil eines Theaterstücks, dem die Studierenden gute anderthalb Stunden lang folgten, bis sich am Ende zwölf von ihnen freiwillig melden, um das finale Urteil zu fällen: Zwölf von zwölf der jungen Männer und Frauen befinden den Angeklagten für nicht schuldig. Als die Entscheidung verkündet wird, ertönt aus den Zuschauerreihen Jubel, als hätte es sich um einen echten Fall gehandelt.

Fast alle plädieren für „nicht schuldig“

„Wir betrachten das Universitätstheater als eine Art Laboratorium, in dem die Stücke erstmals ausprobiert werden können“, sagt Faustina Brew. Sie ist Dozentin für Dramaturgie und sitzt mit ihrer Kollegin Patience Nukpezah in ihrem Büro. Gemeinsam führten sie Regie bei dem Theaterstück „You Raped Me“, das einer ihrer Studenten geschrieben hat. Brew steht auf und holt einige Zettel aus einer Kommodenschublade hervor; manche von ihnen sind rosa, andere blau. So haben Brew und Nukpezah festgehalten, ob die Frauen und Männer, die sich am Ende jeder Vorstellung als Jurymitglieder gemeldet haben, jeweils unterschiedliche Entscheidungen trafen. Fazit: Auf der überwältigenden Mehrheit aller Zettel stehen die Worte „nicht schuldig“. Nukpezah sagt: „Wir haben durchaus mit dieser Bilanz gerechnet – dass aber insgesamt auch so gut wie keine Frau für schuldig plädierte, hat uns doch überrascht.”

Brew und Nukpezah sind überzeugt: Die im Theaterstück getroffene Entscheidung der zwölfköpfigen Jury aus Studierenden beruht auf Meinungen, wie sie mehrheitlich in der ghanaischen Gesellschaft existieren: Wenn nachgewiesen werden kann, dass bei einer Vergewaltigung Gewalt angewendet wurde, dann wird die Tat in Ghana scharf verurteilt. Wenn aber nicht klar ist, ob sich das Opfer gewehrt hat, dann ist die Situation eine ganz andere.

Laut einer Haushaltsbefragung des Institute of Development Studies aus dem Jahr 2015 wurden 23 Prozent der Männer und 30 Prozent der Frauen zwischen 15 und 60 Jahren in Ghana mindestens einmal in ihrem Leben Opfer sexualisierter Gewalt. Dazu zählten Gewaltformen wie die der Vergewaltigung, aber auch die Verweigerung von Verhütungsmitteln beim Sex oder verbale Belästigung. Weil sexualisierte Gewalt in Ghana – wie Sex generell – als ein Thema gilt, über das außerhalb der eigenen vier Wände nicht gesprochen wird, wird die tatsächliche Zahl höher geschätzt.

Die Erhebung erfasste auch Fälle von sexualisierter Gewalt, die von der Partnerin oder Ehefrau gegenüber ihrem Partner ausgeübt wurde (Gewalt in gleichgeschlechtlichen Beziehungen wurde nicht dokumentiert, Homosexualität von Männern ist in Ghana strafbar). Diese Fälle werden laut Institut allerdings kaum als existente Form von sexualisierter Gewalt anerkannt und deshalb wahrscheinlich noch seltener dokumentiert.

Rapeculture: Wenn die Frau selbst schuld ist

In derselben Befragung stimmten mehr als 56 Prozent der Männer und 65 Prozent der Frauen der Aussage zu, dass Frauen selbst an ihrer Vergewaltigung schuld seien, wenn sie sich freizügig kleideten. Kulturen, in denen die Verantwortung für eine Vergewaltigung teilweise oder vollständig dem Opfer zugeschrieben wird, heißen „Rapecultures“ und sind weltweit verbreitet. In einer EU-weiten Umfrage im selben Zeitraum gab beispielsweise ein Viertel der Befragten (Deutschland: 27 Prozent) an, dass Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung unter bestimmten Umständen okay sei – zum Beispiel, wenn die Frau knappe Kleidung trägt oder betrunken ist.

Auf Vergewaltigung steht in Ghana eine Haftstrafe zwischen fünf und 25 Jahren. Bei sexualisierter Gewalt sind mindestens drei Jahre Haft vorgesehen. Die Zahl der Fälle, die tatsächlich vor Gericht landen, gilt jedoch als verschwindend gering. Im Jahr 2010 meldete die Domestic Violence & Victim Support Unit, die der ghanaischen Polizei angehört, insgesamt 12.706 Fälle von häuslicher Gewalt, zu der unter anderem Formen physischer, sexualisierter und psychischer Gewalt gezählt wurden. Von diesen Fällen wurden nur 954 vor Gericht verhandelt – das sind nicht einmal acht Prozent. Davon endeten 118 mit einer Verurteilung.

Faustina Brew (zweite von links) und Patience Nukpezah (rechts) während einer Probe des Theaterstücks “You Raped Me” (Foto: Clara Zink).

Die Vorstellung einer Mitverantwortlichkeit des Opfers will Drehbuchautor Desmond Danso Sakyi mit seinem Theaterstück über Vergewaltigung sichtbar machen. Gut vier Monate ist es her, dass der Dramaturgiestudent seine Abschlussarbeit, das Theaterstück „You Raped Me“, präsentiert hat. Wenn Sakyi darüber spricht, betont er: „Ich wollte alle Perspektiven zeigen.“ Er erzählt dann zum Beispiel auch vom ghanaischen Rapper Kwasi Kyei Darkwah, der 2014 wegen versuchter Vergewaltigung angezeigt wurde. Der Fall wurde von den Medien aufgegriffen, aber am Ende zog die 19-jährige Klägerin ihre Anzeige zurück. „Als ich vor drei Jahren damit begann, in einer bekannten ghanaischen TV-Serie mitzuspielen, wurde ich sehr schnell ziemlich berühmt“, erzählt er. „Da habe ich mir schon Gedanken gemacht: Wie könnte ich mich davor schützen, zu Unrecht beschuldigt zu werden?“

Daneben werden Aspekte wie „Victim Blaming“ thematisiert. Damit ist gemeint, dass den Opfern die Schuld an der erlebten Tat zugeschrieben wird. Dazu Sakyi: „In unserer Kultur ist der Glaube verbreitet, dass man es einer Frau anmerken muss, wenn sie sexualisierte Gewalt erfahren hat. Dass sie schwach sein muss. Und wenn sie über 25 Jahre alt und unverheiratet oder keine Jungfrau mehr ist, dann wird man ihr wahrscheinlich nicht glauben.“ Bei dem Theaterstück ist bewusst offen gehalten, ob die Vergewaltigung tatsächlich stattgefunden hat oder nicht. Schauspielstudentin Alice Johnson hingegen vermutet: „Die Frauen und Männer, die in der Vorstellung saßen, wussten genau, dass der Mann die Frau vergewaltigt hat. Sie waren der Meinung, dass er nicht schuldig ist, weil die Frau mit ihm geflirtet und ihm nonverbal suggeriert hat, dass sie Sex will.“

Regisseurin Brew hat in den vergangenen Jahren schon mehrere Analysen über den Einfluss des Theaters auf sein Publikum veröffentlicht. Dieses Mal wollte sie noch einen Schritt weiter gehen und einen wissenschaftlichen Artikel über „You Raped Me“ publizieren. Deshalb hat sie alle Entscheidungen der Jury dokumentiert und die Reaktionen der Zuschauer gefilmt. Außerdem fand im Anschluss an jede Aufführung eine Diskussionsrunde statt, in der sich Brew und Nukpezah Notizen machten. Die Gespräche verliefen dabei ungewöhnlich offen. Ein Mann sagte beispielsweise, er würde eher eine Frau heiraten, die vergewaltigt wurde und dann schweigt, als eine Frau, die vergewaltigt wurde und danach ihre Stimme erhebt.

Sexualisierte Gewalt an der Universität

Obaapanin Adu Oforiwaa ist die ehemalige Direktorin der Abteilung für Gleichstellung von Männern und Frauen an der UEW. Jahrelang war Adu Oforiwaa erste Ansprechpartnerin für Studentinnen, die Opfer sexualisierter Gewalt wurden. Deshalb weiß sie, wie repräsentativ das Theaterstück ist. „Auch die Universität ist von Machtungleichheiten geprägt“, sagt sie. So habe zum Beispiel ein Dozent, der zum Täter wird, viel mehr Macht als eine Studentin in der Opferposition. Neben der mangelhaften Beratung Betroffener führe auch das andauernde Abhängigkeitsverhältnis häufig zu Problemen. „Wenn eine Studentin ihren Dozenten anzeigt, dann brauchen die Untersuchungen Zeit. Sowohl der Dozent als auch die betroffene Studentin behalten währenddessen jedoch ihre Positionen. Daran muss sich dringend etwas ändern.“ Adu Oforiwaa versucht auch, eine Notruf-Hotline in Winneba zu etablieren. Die Idealvorstellung wäre, dass die Hotline mit der Polizei verbunden wäre direkt medizinische Beratung anbieten könnte.

In den nächsten Monaten ist geplant, das Theaterstück auch in anderen Teilen Ghanas zu zeigen. „Wir wollen auch Zuschauer aus einem anderen Umfeld, in einem anderen Kontext entscheiden lassen, um die Ergebnisse vergleichen zu können“, sagt Nukpezah. Darüber hinaus wäre ein Vergleich über Ghanas Grenzen interessant. „Theater kann die Menschen nicht unmittelbar verändern, das wissen wir,“ sagt sie, „aber es kann sie mit einem Thema konfrontieren, das sonst unter den Teppich gekehrt wird – und auf diese Weise kann es sehr wohl die Gesellschaft verändern.“

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Von Clara Zink, Winneba

Clara Zink hat in Göttingen Sozialwissenschaft studiert und berichtet als freie Journalistin aus Westafrika. Im Rahmen einer Sprachassistenz des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) unterrichtet sie außerdem Deutsch an der University of Education in Winneba, Ghana.

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Mareike GraepelHaltern
Die US-Amerikanerin Cindy O’Brien lebt seit den 90er Jahren in Connemara, ganz im Westen von Irland und züchtet seltene Seeschnecken. Die sogenannten japanischen Abalone gedeihen an der irischen Küste gut. Sie gelten als Delikatesse und Aphrodisiakum, kosten bis zu 44 Euro pro Kilo – und sehen aus wie Vulven.

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