Frauen und das Meer verbindet eine lange Geschichte – obwohl die männlich dominierte Seefahrt das nicht vermuten lässt. Der französische Verein „Women for Sea“ ist nur ein Beispiel von vielen, das zeigt: Frauen auf hoher See machen einen Unterschied.
Von Giorgia Grimaldi, Marseille
Eine internationale Modelkarriere mit Jetset-Lifestyle und ordentlichem Gehalt – für viele junge Mädchen ist das eine Traumvorstellung. Auch für Nathalie Illy, die als 17-Jährige auf den Straßen Marseilles von einem Agenten entdeckt wurde. Doch nach ein paar Jahren im Show-Business treibt sie eine Sache um: „Ich habe mich so unnütz gefühlt. Dabei wollte ich etwas Sinnvolles mit meinem Leben anfangen”, erklärt Illy.
Um eine Pause einzulegen und auf andere Gedanken zu kommen, entscheidet sich Nathalie Illy mit ihrem Freund dazu, eine längere Reise zu unternehmen. Nach Neukaledonien soll es für ein Jahr gehen, ein französisches Überseegebiet im Südpazifik, östlich von Australien. Neukaledonien ist eine Inselgruppe, bestehend aus etwa einem Dutzend Eilanden. Was würde sich also besser eignen, um die Gegend zu entdecken, als ein Boot?
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„Das Meer lehrt dich, demütig zu sein“
Illys Freund hat einen Bootsführerschein und nautische Erfahrung. Vor Ort kauft das Paar ein kleines gebrauchtes Segelboot und das Abenteuer geht los. „Dabei wurde mir eines sehr schnell klar: Das Meer weist den Menschen, der oftmals denkt, unbesiegbar zu sein, sehr schnell in seine Schranken“, erinnert sie sich. Stürme, Winde, Flaute und andere Herausforderungen an Deck lehren die damals 22-Jährige eine wichtige, vielleicht die wichtigste Lektion ihres Lebens: Demut. Und Respekt vor der Natur, vor dem Meer.
Nach dieser einschlägigen Erfahrung ist an eine Modelkarriere nicht mehr zu denken. Nathalie Illy macht den Bootsführerschein und legt die notwendigen Prüfungen ab, die zur Ausbildung als Kapitänin, ihrem neuen Traumberuf, nötig sind. Danach bewirbt sie sich immer wieder auf einen Platz auf Expeditionsschiffen. Sie will das Meer erforschen und es schützen. Illy wird auch genommen, doch stellt dabei fest: Die Seefahrt ist eine machistische und sexistische Männerdomäne.
„Mir wurden Posten als Hostess anstatt als Kapitänin angeboten, obwohl ich die gleichen Qualifikationen wie meine männlichen Mitbewerber aufweisen konnte. Und man wollte mir immer noch erklären, wie man einen Knoten richtig macht.“ Die junge Kapitänin sieht daher nur eine Lösung: „Ich dachte mir: Gut, wenn das so ist, dann mache ich eben meine eigenen Expeditionen mit einem rein weiblichen Team, dann bleiben uns diese Situationen erspart.“
Im Jahr 2011 – mit Ende 20 – gründet Nathalie Illy ihren ersten Verein „Expé2M“, der Expeditionen organisiert, die die Beziehung zwischen Mensch und Natur erforschen und hinterfragen. Schnell versammelt sie andere Frauen um sich. Gemeinsam stellen sie multidisziplinäre Projekte auf die Beine. Expertinnen aus der Schifffahrt und Umweltschutz, Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen und Projektentwicklerinnen kommen zusammen, um sich für den Schutz der Meere und Küsten einzusetzen und die Präsenz von Frauen in den jeweiligen Fachgebieten zu stärken.
Wissenschaftliche Expedition nur mit Frauen
Die erste wissenschaftliche Expedition, die mit Expertinnen aus diversen Disziplinen an Bord durch das Mittelmeer reist, startet im Jahr 2015. Das Team nimmt dabei Wasser- und Bodenproben, um den Plastikgehalt festzustellen, macht Fotos, um Korallen- und Fischbestände festzuhalten, führt aber auch Interviews und Umfragen mit Küstenbewohner*innen durch, um herauszufinden, wie sich Meeresschutz und Tradition miteinander vereinen lassen.
Seit der Gründung des Vereins, der mehrmals seinen Namen wechselte, wurden rund 15 Expeditionen realisiert. Das einstige Model ist nun der Kopf der Organisation, kümmert sich mit ihrem Kernteam um Subventionen, konzipiert die Reiseroute, heuert die Crew an, gibt Seminare, besucht Schulklassen oder lädt diese auf das Schiff ein, um Kinder für das Thema zu sensibilisieren – und steht natürlich als Kapitänin hinter dem Steuerrad. Der Katamaran von 47 Fuß Länge (etwa 14 Meter) ankert, wenn er gerade nicht im Einsatz ist, im Hafen von Marseille.
In elf Jahren Vereinsaktivität hat Nathalie Illy ein Team von 25 aktiven Mitgliedern, die teilweise fest angestellt sind, und ein Netzwerk aus etwa 60 Freiwilligen an Bord geholt, sechs originelle Expeditionsformate erstellt und zahlreiche Partnerschaften geschlossen. Heute nennt sich der Verein „Women for Sea“ und finanziert sich mit Geldern von öffentlichen Institutionen und privaten Trägern. Für die Zukunft will sich „Women for Sea“ stärker über die französischen Landesgrenzen hinaus vernetzen, um eine internationale Community zu aufzubauen.
Seit ihren ersten wackligen Schritten in der Welt der Seefahrt hat sich laut Illy einiges getan. „Vor allem die Bewegung ‚metoo’ – in Frankreich bekannt unter ‚balancetonporc’ – hat dazu beigetragen. Vor ein paar Jahren habe ich noch Kommentare bekommen wie ‚Ah, zehn Frauen auf einem Boot? Was macht ihr noch, außer euch gegenseitig die Nägel zu lackieren?’ Und das war nicht als Witz gemeint! Heute passiert das nur noch selten.“ Man frage sie eigentlich kaum noch, warum sie ein Frauenteam mobilisiere, um Meeresschutz zu fördern. Es geht immer mehr darum, was sie am Ende des Tages emachen – nämlich die Meere zu schützen.
Seefahrt war schon immer weiblich
Frauen an Bord werden also immer gewöhnlicher. Doch genauso gut könnte man sagen, dass die Seefahrt schon immer weiblich war. Die erste Frau überhaupt, die um die Welt segelte, soll die Französin Jeanne Barret gewesen sein. Unter dem falschen Namen „Jean Barret“ kam die als Mann verkleidete junge Botanikerin 1766 an Bord der Expedition von Louis-Antoine de Bougainville (ein bis heute noch sehr bekannter Seefahrer in Frankreich), der unter der Regierung von König Ludwig XV. den Auftrag bekam, als erster Franzose um die Welt zu segeln.
Als die Besatzung die Insel Tahiti erreichte, wurde sie entlarvt, ging von Bord und forschte vor Ort. Mit ihrer Arbeit leistete sie einen beträchtlichen Beitrag zur Botanik. Ihre Ergebnisse sind heute in den Pariser Museen zu sehen. Ob sie die erste Frau oder Französin war, die die Welt per Schiff bereiste, lässt sich nicht nachweisen.
Frauen waren schon immer auf den Meeren unterwegs
Sicher ist aber, dass sie nicht die Einzige war, die gegen den internationalen Marine-Codex verstieß, der Frauen an Bord strikt untersagte und von dem bekannten Aberglaubengestützt wurde, dass Frauen an Bord Unglück brächten. Die Liste der Seefahrerinnen, die Spuren in der Geschichte hinterlassen haben, ist lang.
Eine der ältesten Überlieferungen handelt von Lagertha, eine Wikinger-Kriegerin, die laut der Chronik „Gesta Danorum“, einer in lateinischer Sprache verfassten Geschichte Dänemarks, im 9. Jahrhundert nach Christus im heutigen Norwegen geherrscht haben soll. Für ihre Existenz gibt es keine historischen Belege, doch mit ihren Schiffen soll sie wichtige Schlachten für sich und ihr Volk entschieden haben.
Grace O’Malley war eine irische Anführerin, die Mitte des 16. Jahrhunderts ihre Gebiete und vor allem die Küsten erfolgreich sowohl gegen die britische Regierung als auch gegen feindliche irische Clans verteidigte. In manchen Texten wird sie auch als „Piratenkönigin” bezeichnet. Und obwohl Piraten popkulturell meist männlich dargestellt werden, gab es in der Vergangenheit viele Frauen, die die Weltmeere unsicher machten.
Die berüchtigtste unter ihnen soll Zhen Yisao gewesen sein, eine ehemalige Sexarbeiterin, die 1801 den Piratenführer Zheng Yi heiratete und nach dessen Tod die Kontrolle über das Heer übernahm. Mit einer Streitmacht von mehr als 70.000 Männern kontrollierte sie die südchinesische See. Auch abseits krimineller Machenschaften haben Frauen auf dem Wasser Geschichte geschrieben.
Nur 1,2 Prozent der Seeleute sind weiblich
So war Krystyna Chojnowska-Liskiewicz die erste Frau, die im Alleingang die Welt umsegelte und damit alle Rekorde brach. Im März 1976 stach sie von den Kanarischen Inseln aus in See und kam im April 1978 zurück. Für diese 31.166 Seemeilen (57.719 km) benötigte sie gut 400 Tage. Diese und andere Erfolgsgeschichten geraden schnell in Vergessenheit. Der Seafarer Workforce Report schlüsselt beispielsweise auf, dass im vergangenen Jahr nur 1,2 Prozent der international 1,9 Millionen Seeleute weiblich waren. Initiativen wie „Women for Sea“ sind also bitter nötig.
Die gute Nachricht ist: Innerhalb der Branche gibt es mächtig Bewegung. So hat die Institution „International Maritime Organization“ zum diesjährigen Internationalen Tag der Frau in der Schifffahrt am 18. Mai ein Programm unter dem Slogan „Turning the Tide“ ins Leben gerufen, um für mehr Parität in der kommerziellen Seefahrt zu sorgen. Dass dies aber nur aus Gründen der Gleichberechtigung passiert, ist fraglich. Die Journalistin Susanne Preuß führt in ihrem F.A.Z-Artikel noch einen anderen Grund an: „Dass die Frau auf hoher See plötzlich ins Blickfeld rückt, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Schifffahrt ein Nachwuchsproblem hat. Die Branche sieht daher in jungen Frauen auch eine potentielle Zielgruppe, um für neue Arbeitskräfte auf See zu werben.”
Egal ob Forschung, Industrie oder Umweltschutz: Frauen auf dem Meer sind stark unterrepräsentiert. Und dabei ignorierten wir Ressourcen, deren Verzicht wir uns nicht mehr leisten können, sagt Nathalie Illy: „Die Hälfte der Bevölkerung ist weiblich und dennoch ist die Seefahrt und der Meeresschutz eine Männerdomäne. Angesichts des Klimawandels, des Artensterbens und der Verschlechterung der Ökosysteme ist es an der Zeit, dass wir alle anpacken. Indem wir mehr Frauen einbeziehen, schaffen wir mehr Nachhaltigkeit.“
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