Fast überall auf der Welt arbeiten Frauen in Sportredaktionen in Unterzahl. Doch beim lokalen Radiosender „Windybay“ ist Patience Addo Sosu nicht nur die einzige Frau im Team – sie hat auch die lauteste Stimme.
Von Clara Zink, Winneba
Es ist 17 Uhr und langsam dämmert es. Pat sitzt im Warteraum des Aufnahmestudios auf einer zerschlissenen Bankreihe und lässt die Finger knacken, im Schoß einen Stapel Papier, den sie im letzten Licht des Nachmittags durchsieht. Zwei Themen will sie gleich in den Vordergrund stellen: Den Tod von Frederick Ghartey, einem bekannten ghanaischen Boxringrichter. Und die Afrikameisterschaften im Frauenfußball, die dieses Jahr in Ghana stattfinden werden. Um Punkt 17:15 Uhr springt Pat auf. „Los geht’s!“, ruft sie und reißt unvermittelt die Studiotür auf.
Pat – mit vollständigem Namen Patience Addo Sosu – 29 Jahre alt, ist an sieben Tagen in der Woche für den Sport beim Campusradio „Radio Windybay“ an der University of Education in Winneba verantwortlich. Unter der Woche zweimal, am Wochenende einmal täglich – morgens auf Englisch und abends in Fante, einer Lokalsprache Ghanas. Seit acht Jahren arbeitet sie nun hier, als Moderatorin und einzige Frau in der Sportredaktion.
Frauen im Sportjournalismus – das ist weltweit noch nicht selbstverständlich. Eine 2014 veröffentlichte Studie der Deutschen Sporthochschule Köln und der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation hat gezeigt, dass 89 Prozent der Sportjournalisten in Deutschland Männer sind. International brachte es kein einziges Land in der Untersuchung auf mehr als 25 Prozent Sportjournalistinnen. Auch in Ghana sind von 413 Sportjournalisten, die 2016 bei der „Sports Writers Association“ registriert sind, nur zwölf Prozent Frauen.
Ihren ersten Besuch eines Fußballstadions wird Pat nie vergessen. Sie war damals noch ein Kind, vielleicht acht oder neun Jahre alt, als ihr Onkel sie mitnimmt: Der „Asante Kotoko“ spielt gegen „King Faisal“, zwei Regionalmannschaften im Baba-Yara-Stadion in Kumasi. Als sie die Sicherheitskontrollen passieren, bleibt das Mädchen einen Moment lang stehen und sieht sich staunend um: „Alles, was ich dachte, war: Wow! Es ist so schön und ganz anders, als ich es aus dem Fernsehen kenne!“
Pat wächst in Kumasi auf, einer Stadt in Zentralghana. In jeder freien Minute spielt sie mit ihren beiden Brüdern Fußball, barfuß im Hof der Familie. „Meine Brüder waren die Einzigen in der Umgebung, die einen Fußball hatten“, erzählt sie. Eines Tages schießt Pat versehentlich eine Autoscheibe ein. Ihr Vater wird wütend und sagt, dass Fußball eben doch nur etwas für Männer sei. Außerdem erklärt er, dass sie Anwältin werden solle – und keine Fußballerin. Und dass mit dem Fußball jetzt Schluss für sie sei. „Von diesem Tag an habe ich nur noch gespielt, wenn mein Vater unterwegs war.“
Eine große Chance
Etwa ein Jahr später, im Jahr 2000, stirbt ihr Vater. Kurz darauf zieht Pat zu ihrer Großmutter aufs Land. Auch auf den Straßen ihres neuen Wohnortes spielt sie Fußball mit den Jungs. Irgendwann wird sie dabei beobachtet – und dem Fußballtrainerin Habiba Attah empfohlen. Für Pat ein ungeheures Glück: Attah ist eine Größe im ghanaischen Frauenfußball.
Mit den „Black Queens“ hat sie nicht nur Ghanas erste Frauenfußball-Nationalmannschaft ins Leben gerufen – heute neben Südafrika und Nigeria eine der besten in ganz Afrika – in Kumasi bietet sie auch ein Training an, um junge Talente für eben diese Nationalmannschaft zu rekrutieren. Die ausgewählten Mädchen leben dann bei Attah und spielen unter ihrer Leitung im Team der „Fabulous Ladies“, die mittlerweile aus Ghanas Fußball-Nationalliga der Frauen nicht mehr wegzudenken sind.
Tatsächlich bietet sie Pat nach einem Probewochenende an, Teil des Teams zu werden. Doch es geht nicht allzu lange gut. „Ich war in dieser Zeit oft wütend und habe auch schnell mal zugeschlagen“, sagt Pat rückblickend. Sie einigen sich darauf, dass sie nur noch an den Spielen am Wochenende teilnimmt. Unter der Woche wird sie wieder im Dorf trainieren. Pat ist das letztlich nur recht, sie fühlt sich dort wohler: „Das Fußballfeld im Dorf war wie ein zweites Zuhause für mich.“
Pats Noten an der Junior High School sind gut. Sie ist auch in zahlreichen Schulmannschaften aktiv, doch am besten schlägt sie sich weiterhin im Fußball. An den regionalen Meisterschaften darf sie als einzige Spielerin ihrer Schule teilnehmen und wird dafür ausgezeichnet. „Irgendwann habe ich herausgefunden, wie viel man im Fußball verdienen kann“, sagt sie und grinst verschmitzt – „Danach hatte ich erst einmal wieder keine Lust auf Schule.“ Eine Zeit lang schwänzt sie sogar die Schule, um auch unter der Woche am Training der „Fabulous Ladies“ teilzunehmen.
Noch nicht gleichberechtigt
Wenn Pat damals von reichen Fußballern gehört hat, dann müssen das Männer gewesen sein: Der ghanaischen Frauen-Nationalmannschaft fehlt es bis heute noch massiv an finanzieller Unterstützung. In den vergangenen drei Jahren demonstrierten die Nationalspielerinnen immer wieder, weil ihnen von der Regierung versprochene Preisgelder und Boni – etwa nach ihrem Sieg bei den Afrikameisterschaften 2015 – nicht ausbezahlt wurden. Erst nach einem Kompromiss zahlte die Regierung später einen Großteil der zugesagten Beträge.
Aber abgesehen von der Bezahlung sind Frauen den Männern im ghanaischen Fußball noch immer nicht gleichgestellt. „In Ghana ist Fußball ein Männersport“, urteilt die Sportjournalistin Akosua Addai Amoo. Aus ihrer Sicht hängt das auch mit traditionellen Wertvorstellungen zusammen, die Frauen mit Häuslichkeit – und nicht mit Fußball – in Verbindung bringen.
Auch dank der Unterstützung von Freunden und Familie schafft es Pat trotz des verpassten Unterrichts, die Junior High School als beste Frau in ihrem Jahrgang abzuschließen. Über Beziehungen erhält sie anschließend 2005 einen Platz an einer Senior High School in Ghanas Hauptstadt Accra, 250 Kilometer von Kumasi entfernt. Der Deal: Pat macht das bis dato amateurhafte Fußballteam der High School fit, im Gegenzug dazu erhält sie ein Stipendium.
Das erste Spiel findet in Ghanas Zentralregion statt. „Wir haben mühelos gewonnen,“ erinnert sie sich, „ich glaube, es stand 12:0.“ An ihrer Schule erhält sie den Spitznamen „Kumasi“, nach ihrer Heimatregion. „Jeder hatte Angst vor mir,“ erzählt sie ernst, „niemand konnte mich stoppen. Und wir haben so ziemlich alles gewonnen, was ging.“
Mit einer befreundeten Mitschülerin geht Pat nach ihrem Abschluss 2008 schließlich nach Winneba, eine mittelgroße Universitätsstadt nahe Accra. Dort tritt sie Winnebas Frauenfußballmannschaft, den „Soccer Intellectuals“, bei und spielt über vier Saisons für sie. Einen Job hat sie nicht, die Familie schickt ihr Geld. „Eine verrückte Zeit!“, fasst sie heute zusammen.
Per Zufall zum Radio
Auf den Straßen Winnebas ist Pat bald bekannt wie ein bunter Hund. Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, dass sie irgendwann mit Bright Fugar ins Gespräch kommt: Fugar ist Sportredakteur beim Campusradio in Winneba, er kennt Pat durch den Fußball. „Ihre Energie hat mich fasziniert“, sagt er. Er lädt sie in die Radiostation ein, will sie als Mitarbeiterin anwerben. Pat verspricht, darüber nachzudenken. Aber eigentlich träumt sie zu dieser Zeit davon, Fußballtrainerin zu werden.
Doch Fugar bleibt hartnäckig, bis Pat sich 2010 schließlich zu einem Besuch des Radiosenders auf dem Campus durchringt. Es gefällt ihr so gut, dass sie die darauffolgenden acht Jahre dort verbringt. Zwar kann der kleine Sender Pat nicht bezahlen, doch man bringt ihr Geduld und Vertrauen entgegen und lässt sie nach und nach zu einem festen Bestandteil des Teams werden.
Dazu kommt, dass gesundheitliche Probleme Pat dazu zwingen, mit dem Fußball aufzuhören: Ein Augenproblem führt dazu, dass sie sich 2015 endgültig vom Sport abwenden muss. „Ich vermisse den Fußball noch immer sehr“, sagt sie. Ihren Wunsch, Sportjournalistin zu werden, hätten das aber nur weiter bestärkt.
Mehr und mehr steht für Pat fest: Sie will an die Journalistenschule. Sie bewirbt sich gezielt an einer renommierten Schule in Accra, die zu Ghanas bekanntesten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt gehört. Außerdem erzählt sie ihrer Familie von ihren Plänen. Und die unterstützt sie: Der Onkel, der sie als Kind mit ins Stadion genommen hat, schenkt ihr sogar einen Laptop. „Zu Hause habe ich kaum noch geschlafen,“ so Pat, „ich saß nur noch vor dem Bildschirm, auf der Suche nach Stories für den nächsten Tag.“ Im Oktober 2017 erhält sie die Zusage von der Journalistenschule, als sie gerade moderiert. Bei noch angeschalteten Mikros bricht sie in Jubel aus: „Alle konnten es hören, aber das war mir egal! Ich war überglücklich.“
Nur wenige Frauen im Sportjournalismus
Im März dieses Jahres hat Pat ihren Abschluss an der Journalistenschule gemacht. Sie arbeitet zwar weiter beim Campusradio, aber bezahlt wird sie noch immer nicht. Deshalb will sich Pat bald bei anderen Radiosendern bewerben. Sie träumt davon, Journalismus zu studieren, denn sie „will ganz nach oben“. Nach ganz oben – als Frau ist dieses Ziel hoch gesteckt. Von den zwölf Prozent der aktuell registrierten Sportjournalistinnen in Ghana arbeitet keine einzige in einer Führungsposition. Zwar haben die Frauen großes Interesse an der Arbeit im Journalismus, die Medienstudiengänge an Ghanas Universitäten werden mehrheitlich von Frauen belegt. Trotzdem sind von allen bei der „Ghana Journalist Association“ eingetragenen Journalisten aktuell nur 14 Prozent Frauen.
Linda Asante-Agyei ist Vizepräsidentin der „Association of Women in Media“ in Ghana und selbst Journalistin. Für sie hat der Frauenmangel im Journalismus vor allem mit einem Mangel an Vertrauen zu tun – und mit Bevormundung. „Natürlich ist die Arbeit als Journalist auch manchmal mit Nachtschichten oder Reisen verbunden. In diesen Fällen wird schnell entschieden: Da lassen wir die Frau nicht ran, die muss doch zu Hause bei Mann und Kindern bleiben.“ Für Asante-Agyei ist das nicht nachvollziehbar: „Ich bin genauso gut ausgebildet und darüber hinaus ein Organisationstalent. Woher willst du wissen, dass ich das nicht vereinbaren kann, wenn du es mich nicht versuchen lässt?“
Als einzige Frau in der Redaktion zu arbeiten, das findet auch Pat nicht einfach. „Die Jungs nennen mich oft Yaa Asantewaa“, sagt sie lachend, nach einer zentralen Figur in der Geschichte des Aschantivolkes in Ghana: 1900 führte Asantewaa den letzten Aufstand gegen die britische Herrschaft an. „Im Gegensatz zu den Männern war sie die Mutige, die den ersten Schritt gemacht hat“, erzählt Pat. Sie selbst empfindet sich durchaus als Kämpferin: „Bei der Arbeit immer von Männern umgeben zu sein ist eine Herausforderung. Du musst immer wieder sichergehen, dass du dich mit den Jungs gut stellst.“
Für Sportchefredakteur Fugar ist Pat aus der Redaktion nicht mehr wegzudenken. „Sie hat sich phänomenal entwickelt und spornt die Jungs im Team an“, fasst er zusammen. „Wenn sie in der Sendung in Fahrt kommt, kann man sie kaum stoppen. Pat ist eben ein leidenschaftlicher Mensch, sie wird es einmal weit bringen.“
Sechs Mitarbeiter füllen bereits das schmale Aufnahmestudio, als Pat an diesem Nachmittag für ihre Sendung dazu stößt. Pat begrüßt sie alle, indem sie beim einen einschlägt, dem nächsten die Hand schüttelt, einen anderen umarmt. Dann schreitet sie zum Mischpult und verschiebt ein paar Regler, bevor sie vor dem Mikro Platz nimmt und es still wird. Denn jetzt ist Pat an der Reihe: Die Gestik ausladend, die Stimme laut und das Sprechen so schnell, dass ihr so leicht niemand ins Wort fällt.