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Nachgefragt
Bei Lea Gölnitz, Indien-Korrespondentin

11. Mai 2017 | Von Pauline Tillmann

Mit der Rubrik „Nachgefragt“ wollen wir in Zukunft spannende Frauen, die wir getroffen haben, noch einmal zu Wort kommen lassen. Was hat sich getan? Was hat sich seit unserer Berichterstattung verändert? Außerdem erzählen unsere Korrespondentinnen, wenn es sich anbietet, von ihrer Arbeit. Das sorgt, so hoffen wir, für mehr Transparenz, mehr Glaubwürdigkeit, mehr Verständnis. Das Interview führte Chefredakteurin Pauline Tillmann.

Lea Gölnitz ist unsere Korrespondentin in Neu-Delhi. Ende Januar erschien ihre Geschichte „Wut statt Angst – warum immer mehr indische Frauen draußen sind“. Gestern wurde der Artikel auch auf ze.tt – dem jungen Ableger von Zeit Online – veröffentlicht. Was hat sich seit Januar getan?

Es gab in fast allen indischen Großstädten Proteste. Das waren normale Demonstrationen, wo aber alle diesen Spruch #IWillGoOut auf Plakate schrieben und das Ganze war gekoppelt mit Online-Aktivismus, damit die Leute länger mobilisiert blieben. Es gab ja schon mehrfach sehr krasse brutale Übergriffe auf Frauen und auch nach 2012 als die Frau an ihren Verletzungen gestorben ist, gab es große Massenproteste im ganzen Land. Aber das war ein Aufschrei, ein Momentum und ist dann versickert. Und das Neue an der I-Will-Go-Out-Bewegung ist eben, dass die Initiatoren das nachhaltiger und langfristiger machen wollen. Sie sagen, Belästigung gehört für Frauen zum Alltag, deswegen schenkt man dem keine Beachtung. Aber die Aktivisten wollen eben dafür sorgen, dass das nicht so schnell aus den Köpfen der Menschen verschwindet und planen zum Beispiel Aktionen mit Streetart und den öffentlichen Raum mit Sprüchen einzunehmen.

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Du hast von der brutalen Vergewaltigung einer 23-Jährigen gesprochen, die vor vier Jahren an ihren Verletzungen innerlich verblutet ist. Das hat weltweit für Empörung gesorgt. Was ist eigentlich aus den Tätern geworden?

Die sind gefunden und verhaftet worden. Einer der Täter gab der BBC ein Interview, in dem er befand, dass er im Recht war. Die Täter sind noch immer im Gefängnis, aber es wurde im Zuge dieses Vorfalls die Todesstrafe für Vergewaltigung mit Todesfolge eingeführt.

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Und wird über das Problem Vergewaltigung noch immer gesprochen oder ist es mittlerweile wieder Alltag geworden?

Viele Frauen, die politisch aktiv sind oder sich mit Genderfragen beschäftigen und betroffen sind, die haben ein Bewusstsein dafür. Natürlich ploppt das Thema immer wieder auf, wenn es in der Zeitung ist. Eigentlich kommt es nahezu jeden Tag vor, dass über Gewalt bei Frauen berichtet wird. Für die meisten ist es einfach Alltag, so wie die Tatsache, dass es im Sommer heiß ist. Man ist als Frau daran gewöhnt, dass man mit Belästigung rechnen muss.

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Dein Artikel handelt ja davon, dass es ein großes Problem für indische Frauen ist, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen. Hat das mit der Mentalität oder mit der Kultur zu tun?

Das hat mehrere Ursachen. Ein Problem sind auf jeden Fall die traditionellen Geschlechterrollen. Die Frau ist Zuhause, geht nicht raus, ist selten mit Männern befreundet und das führt auch dazu, dass sich generell weniger Frauen in der Öffentlichkeit bewegen. Man sieht einfach kaum Frauen auf der Straße, vor allem nicht alleine. Hinzu kommt, dass die Filmindustrie Sexualität total tabuisiert – aus Filmen werden Kussszenen herausgeschnitten, Gewalt bleibt aber drin. Außerdem haben fast alle ein Smartphone, also Zugang zum Internet und zu Pornografie. Sie konsumieren das aber alles völlig ungefiltert und ohne den Kontext zu sexueller Aufklärung, was eine recht gefährliche Mischung sein kann. Dann ist Sexualität generell total tabuisiert. Es gibt wenige Ansprechpartner, bei denen man sich wirklich aufklären lassen kann. Und die meisten Ehen sind arrangiert, was die Offenheit über Sexualität zu sprechen weiter lähmt. Dann gibt es krasse Diskrepanzen zwischen Stadt und dem Dorf, wo alles nochmal traditioneller ist. Und viele Männer erleben einen krassen Machtverlust, müssen vom Land in die Stadt ziehen, haben furchtbare Jobs und dann wird der Frust und die Aggressivität weitergeleitet. Lange waren sie es einfach nicht gewohnt, Frauen in öffentlichen Positionen zu sehen und es wird der Zusammenhang hergestellt: Die Frauen nehmen uns was weg und müssen bestraft werden. Das sagen Täter auch oft – es gehe ihnen nicht um Sex sondern um Macht. Sie wollen den Frauen Angst einflößen und ihnen klar machen, sie haben hier nichts zu suchen haben.

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Auf der anderen Seite sind Bollywood-Filme sehr beliebt. Die Frauen sind leicht bekleidet, aber nie nackt, trägt das auch dazu bei, dass ein schiefes Bild entsteht?

Die Frau tanzt inmitten von vielen Männern, trägt einen Sari, Stalking wird romantisiert und es wird verwischt, dass man bei körperlicher Nähe zustimmen muss. Es wird vermittelt, dass die Frau nicht weiß was sie will und je beharrlicher man ist, umso eher wird sie ja sagen. Das sendet auf jeden Fall die falschen Signale.

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Hast du eigentlich auch Angst, nach draußen zu gehen?

Angst wäre zu viel gesagt. Es gibt schon Situationen, in denen ich mich unwohl fühle. Mir ist es sehr bewusst, wenn andere Frauen da sind. Und dieses Angestarrtwerden, immer Beboachtetwerden, fühlt sich feindselig an. Es ist eher unangenehm, ich würde es aber nicht Angst nennen. Man gewöhnt sich daran und ehrlich gesagt, möchte ich dem nicht zu viel Raum geben. Wenn eine Party spät abends anfängt, dann gehe ich da trotzdem hin, auch wenn es schon dunkel draußen ist. Wenn man sich das verbieten lassen würde, hätte man kein Leben mehr. Deshalb darf man sich, meiner Meinung nach, der Angst nicht beugen.

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Ergreifst du irgendwelche Maßnahmen? Bewegst du dich immer in männlicher Begleitung oder hast du nachts ein Pfefferspray dabei?

Ich fahre kein Taxi, sondern nur Uber oder Rikscha, die langsamer fährt und man jederzeit aussteigen kann. Aber einfach so in ein Taxi einsteigen, würde ich nicht. Das wäre eine Vorsichtsmaßnahme. Aber ich habe kein Pfefferspray und halte auch sonst nicht so viel von weiteren vermeintlich schützenden Verhaltensregeln. Bei dem Vorfall von 2012 war die Frau ja in Begleitung eines männlichen Freundes, also das nützt eben auch nichts. Ich sehe es eher so: Es gibt nichts, das man machen kann. Entweder man hat Glück oder Pech. Aber ich versuche im Alltag viel darüber zu reden mit Männern und mit Frauen, dass es nicht sein kann, dass die Frauen die Schuld an allem haben und gleichzeitig die ganze Arbeit leisten. Das Leben wird ja unerträglich, wenn man immer ein Pfefferspray dabei haben muss! Und es garantiert keine Sicherheit, deshalb kann man es auch sein lassen.

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Merkst du in deinem Freundes- und Bekanntenkreis in Deutschland, dass es Vorbehalte gibt nach Indien zu reisen?

Ich glaube schon, dass es seit 2012 einen Bruch gab und die Menschen begriffen haben, das Indien nicht nur für Hippie, Yoga, Gandhi und Non-Violence steht. Die Leute assoziieren jetzt, dass Gewalt und Frauen zusammengehören. Aber die meisten Frauen, die herkommen, sind eher überrascht, wie man angestarrt wird. Darüber kann man lesen, aber es selbst zu erleben, ist doch noch einmal was anderes.

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Was würdest du Touristinnen raten, die eine Backpacker-Tour nach Indien planen?

Keine Hände schütteln und nicht direkt in die Augen schauen. Nicht alle Männer sind potenzielle Vergewaltiger, aber man sollte schon entsprechend vorsichtig sein und zum Beispiel eher eine Frau nach der Uhrzeit fragen. Oder jemanden mit Familie. Gleichzeitig muss man sagen, dass den meisten, die hier unterwegs sind, nichts passiert.

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Du bist jetzt seit einigen Jahren in Indien. Was fasziniert dich so an dem Land?

Ich finde es spannend, dass hier alle Extreme zusammenkommen: Armut und Reichtum, Stadt und Land. Die Extreme der Globalisierung bekommt man in Westeuropa am Wenigsten mit, hier ist es viel heftiger. Dass hier das 17. Jahrhundert und 2017 gleichzeitig stattfinden, ist unglaublich reizvoll. Durch die Arbeit für „Deine Korrespondentin“ treffe ich megaspannende Frauen, bei denen ich denke: Unglaublich, dass es die gibt! Was für progressive, großartige Sachen die machen – trotz der widrigen Umstände! Wirklich spannend ist, dass das alles gleichzeitig passiert.

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Lea, vielen Dank für das Gespräch!

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Von Pauline Tillmann, Konstanz

Pauline Tillmann ist Gründerin und Chefredakteurin von DEINE KORRESPONDENTIN. 2011 bis 2015 war sie freie Auslandskorrespondentin in St. Petersburg und hat für den ARD Hörfunk über Russland / Ukraine berichtet. Zuvor hat sie beim Bayerischen Rundfunk volontiert. Pauline ist regelmäßig als Coachin, Beraterin und Speakerin im Einsatz. 2022 erschien ihr Buch „Lust auf Lokal – das Handbuch für Community-Journalismus“, außerdem hat sie das Buch „Frauen, die die Welt verändern“ herausgegeben. Mehr unter: http://www.pauline-tillmann.de.

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Mareike GraepelHaltern
Die US-Amerikanerin Cindy O’Brien lebt seit den 90er Jahren in Connemara, ganz im Westen von Irland und züchtet seltene Seeschnecken. Die sogenannten japanischen Abalone gedeihen an der irischen Küste gut. Sie gelten als Delikatesse und Aphrodisiakum, kosten bis zu 44 Euro pro Kilo – und sehen aus wie Vulven.

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