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Mit Tee zu einer besseren Welt
Porträt über Unternehmerin Gigi Crawford

Geschäftsführerin Gigi Crawford inmitten der Teepflanzen auf der einzigen kommerziellen Teeplantage Neuseelands. Fotos: Sönke Dwenger

Manuka-Honig, Hobbits und ein Vogel, der nicht fliegen kann: Es gibt viele Exportschlager aus dem Land der Kiwis. Tee gehört bislang nicht dazu. Eine Frau will das ändern. Denn die Welt weiß kaum davon, dass ihre Teepflanzen unweit des Auenlandes ganz ohne Chemie prächtig gedeihen.

Von Wiebke Reißig-Dwenger, Hamilton

Dass sich Pestizide auch in unserem Tee befinden, ist nur Wenigen bewusst. Der Grund: Die meisten erkennen kaum die Bestandteile der geschrumpelten Schnipsel, wenn sie einen Teebeutel in die Tasse hängen. Es handelt sich dabei um Blätter einer Pflanze, die es in unterschiedlichsten Sorten wie Grünen Tee, Weißen oder auch Schwarzen Tee gibt und die in ausgeklügelten Arbeitsschritten prozessiert wird.

Natürlich bestehen Grenzwerte und Initiativen, mit denen sich die Branche um mehr Nachhaltigkeit bemüht. Und natürlich muss Gigi Crawford vorsichtig sein, was sie sagt. Denn sie will und darf nicht anprangern, sondern geht mit gutem Beispiel voran. Das größte Problem ist dabei der Druck in der konventionellen Landwirtschaft, im Obst- und Gemüseanbau immer mehr zu möglichst günstigen Preisen liefern zu müssen.

 

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Genau deshalb werden viel synthetischer Dünger und Spritzmittel eingesetzt. Zwar steigt das Verbraucher*innenbewusstsein kontinuierlich an, doch ökologisch produzierte Lebensmittel sind nach wie vor teuer. Zu teuer für viele, die hohe Mieten zahlen und ihre Kinder durch Schule und Ausbildung bringen müssen. Zudem haben sich die Endkund*innen an gewisse Preise gewöhnt. Plötzlich deutlich mehr zu bezahlen, kostet Überwindung und den Willen, diese Mehrkosten woanders einzusparen.

Ein Wagnis – eine Vision

Doch Gigi Crawford will das ändern. Dabei hilft es ihr, dass sie sich mit Zahlen auskennt. Ihr ganzes Berufsleben lang hat die 59-Jährige damit zu tun. Früher hat sie Computer verkauft, dann Grundstücke, heute ist es Tee. Aber dieses Mal geht es für sie um mehr. Denn sie ist Geschäftsführerin des „Zealong Tea Estate“ und damit der einzigen kommerziellen Teeplantage Neuseelands.

Auf 48 Hektar – im Herzen der Nordinsel – wachsen mehr als eine Million Teepflanzen ökologisch zertifiziert. Ein fruchtbares Fleckchen Erde. Die Sommer warm, aber nicht heiß, mit kräftiger Brise und abends wolljackenfrisch. Dazu genügend Regen und im Winter ein wenig Bodenfrost. Kurzum: Ein Inselklima, in dem sich sonst übliche Tee-Schädlinge alles andere als wohlfühlen.

Dabei stand das Experiment zu Beginn unter keinem guten Stern. 1996 importierte Vincent Chen 1.500 Teepflanzen aus Taiwan in seine neue Heimat Neuseeland. Nur ein Zehntel davon überlebte die strenge Quarantäne. Doch 2009 sah Gigi Crawford Potenzial in der Idee. Sie lernte Chen kennen, weil sie für dessen Vater in der Grundstücksverwaltung arbeitete. Und sie entwickelte eine Vision und keine Angst, ein Wagnis einzugehen. Gleichzeitig war allen Beteiligten von Anfang an klar, dass es ein steiniger Weg werden würde ohne lokale und globale Vertriebsstruktur, ohne Lehrbücher und Erfahrungen mit diesem Klima, auf diesem Boden, in diesem Land.

Die einzige kommerzielle Teeplantage Neuseelands arbeitet ökologisch zertifiziert nach westlichen Sicherheitsstandards.

Gigi Crawford ist als Jüngste mit zwei Brüdern und zwei Schwestern in Singapur aufgewachsen. Sie sagt, dass ihr erlaubt worden sei, ein „wildes Mädchen“ zu sein. Und deshalb hatte sie doppeltes Glück: „In Singapur war ich als Geschäftsfrau genauso akzeptiert wie Männer. Es war egal, ob Frau oder Mann. Hauptsache, der Job wird gut erledigt.“ Also reist sie geschäftlich nach Japan, Korea, Malaysia, in die damalige Sowjetunion, nach Polen, Ungarn und Österreich. Es sind intensive Jahre.

Sie lernt als Asiatin auch die europäischen Kulturen kennen, schätzen und verstehen. Immer mehr erkennt sie ihre neue Rolle als Brückenbauerin zwischen Ost und West und setzt diese bewusst ein. Denn sie kennt das forsche Vorgehen der Deutschen und weiß gleichzeitig, dass Chines*innen eben nicht gleich zur Sache kommen wollen.

1995 zieht sie mit ihrem Mann in dessen Heimat Neuseeland. An den Alltag im beschaulichen Hamilton mit ihrem frisch geborenen Sohn muss sie sich erst gewöhnen. Doch mit dem Tee-Experiment bietet sich eine spannende neue Herausforderung. Gemeinsam mit ihrem Junior-Chef Vincent Chen leistet sie Pionier*innenarbeit. Schnell ist es mehr als ein Job. Es wird zur Herzenssache.

In Neuseeland herrschen strenge Maßstäbe

Tee ist – nach Wasser – das weltweit meistkonsumierte Getränk. Der Bio-Anteil wächst, bleibt aber eine Nische, wie der Bericht des Deutschen Tee- und Kräuterteeverbandes aus dem Jahr 2020 zeigt. Nur zwölf Prozent der in Deutschland verkauften Schwarz- und Grüntees waren 2019 Bio-Tees. Der meiste Schwarztee, den Deutsche trinken, stammt aus Indien und Sri Lanka, weit abgeschlagen wird vereinzelt auch Schwarztee aus Afrika konsumiert. Grüntee kommt hierzulande überwiegend aus China.

Seit Jahren prangern Organisationen wie „Greenpeace“, „Fair Trade“ und Initiativen wie „Wir kaufen anders“Niedrigstlöhne auf den Plantagen und in Fabriken an, sowie den teils massiven Einsatz synthetischer Dünger und Pestizide. Arbeiter*innen seien enormen Gesundheitsbelastungen ausgesetzt. Inzwischen bemühen sich Zusammenschlüsse wie „Rainforest Alliance“ und „Ethical Tea Partnership“, in denen auch große konventionelle Teeproduzent*innen Mitglieder sind, darum, nachhaltiger zu wirtschaften und Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Nur die drei äußeren Blätter der frischen Triebe werden per Hand gepflückt. Das symbolisiert der moderne Springbrunnen im Eingang der großzügigen Plantage. Der Name „Zealong“ entstand aus New Zealand und Oolong, einer traditionellen Teesorte, die geschmacklich zwischen dem Grün- und dem Schwarztee liegt.

Mit den bislang verbreiteten Produktionsmethoden und deren ökologischen und sozialen Problemen könne die Teeindustrie langfristig nicht bestehen, sagt Crawford. Der Klimawandel – ­­und damit auch mehr Hitze, weniger Regen und Wetterkapriolen – setze den empfindlichen Pflanzen und ausgelaugten Böden in Asien und Afrika zu. Teebauer*innen fürchten um ihre Zukunft. Gigi Crawford stellt sich dem entgegen und will neue Maßstäbe erreichen: einen streng ökologischen zertifizierten Anbau, der lückenlos nachweisbar ist, Löhne und Arbeitssicherheit nach westlichem Standard sowie den asiatisch hohen Anspruch an Geschmack und Qualität.

Respekt und Toleranz haben oberste Priorität

35 Festangestellte plus etwa 60 Erntearbeiter*innen in der Saison gehören zu ihrem multikulturellen Team. Sie kennt ihre Leute seit Jahren, weiß, wann sie wen geheiratet haben und wo ihre Kinder zur Schule gehen. Die meisten sind Neuseeländer*innen, die in der Region wohnen und irgendwann eingewandert sind so wie sie selbst. Jede*r Vierte der heutigen Kiwis ist nicht in Neuseeland geboren. Seit den 1990er Jahren kommen auch zahlreiche Einwander*innen aus asiatischen Ländern.

Respekt und Toleranz sind für Crawford oberstes Gebot, wenn verschiedene Kulturen, Traditionen und Religionen zusammenarbeiten: „Wir entwickeln eine liebevolle Sprache, unabhängig davon welcher Religion oder welcher Ethnie jemand angehört.“ Der Gemeinschaftsgedanke, der in neuseeländischen Schulen, Familien, Firmen und Kommunen interkulturell gelebt und gefördert wird, ist Gigi Crawford seit ihrer Kindheit in Singapur vertraut: Eine fröhliche Nachbarschaft mit Hindus, Muslim*innen und ihrem christlichen Elternhaus warb dort ihre frühe Schule für Verständnis, Austausch und Zusammenleben. 

Heute weiß Chefin Crawford die jeweiligen kulturellen Eigenschaften ihrer Mitarbeiter*innen zum Wohle der Firma zu nutzen. Sie alle eint die Überzeugung, für eine wichtige Sache zu arbeiten: für einen gesunden Boden, sauberes Wasser und die Vielfalt der Arten. Sie verzichten auf Insektizide und verbringen dafür Stunden mit Unkraut jäten, damit die Pflanzen langsam wachsen, kräftig und widerstandsfähig sind. Das Motto: Es werden pro Saison nur dreimal die drei obersten Blätter der frischen Triebe per Hand gepflückt. Andernorts wird bis zu achtmal geerntet.

„Zealong“ exportiert nach Europa – vor allem nach Deutschland – in die USA sowie nach China, Taiwan, Südostasien und Japan. Dabei erzeugt China noch vor Indien selbst am meisten Tee: Beide zusammen liefern weit mehr als zwei Drittel der Welt-Produktion. Für kleinere Anbieter*innen wie „Zealong“ ist es deshalb schwer, überhaupt wahrgenommen zu werden. „Neuseeland ist wahrlich kein typisches Anbaugebiet für Tee“, sagt der Schweizer Importeur Olivier Arnold, Geschäftsführer der „Orakei Ltd“. Es brauche seiner Meinung „noch Zeit und Überzeugungsarbeit, um Neuseeland nachhaltig als ‘Tea-Origin’ ins Bewusstsein der Konsumenten zu rücken“.

Gigi Crawford, Geschäftsfrau aus Singapur, hat in asiatischen und europäischen Ländern gearbeitet, bevor sie nach Neuseeland zog.

Stattdessen sind konventionell erzeugte Milch und Milchprodukte die wichtigsten Exportschlager des Landes und sogar im Öko-Sektor weit vor Kiwis und Wein. Die neuseeländische Öko-Branche führt derzeit noch ein Nischendasein, wenngleich sich dessen Erzeuger*innenverband „Organics Aotearoa New Zealand“im aktuellen Marktbericht über konstante Zuwächse freut. Interessant ist, dass 65 Prozent der im Land produzierten Öko-Lebensmittel exportiert werden – diese machen allerdings nur gut ein Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Exporte aus. Tee ist in dem Bericht nicht mal als Produkt extra aufgeführt.

Wie ein gutes Glas Wein

Der gesetzliche Mindestlohn von rund zwölf Euro, nur drei Ernten pro Saison und die strikten Öko-Zertifikate machen die Herstellung bei „Zealong“ vergleichsweise teuer. Im deutschen Teefachhandel kostet er daher einige Euro mehr als Bio-Tee anderer Anbaugebiete. Von ihrem konsequenten Kurs abzurücken, kommt für Geschäftsführerin Crawford jedoch nicht in Frage und sie ist froh, dass Investor Chen ihr freie Hand und Rückendeckung gibt.

Ihr Leben in Neuseeland, Gärtnern, Kochen, Wochenenden in der Natur, Forellen angeln mit Mann und Sohn am Lake Taupo, zudem die öko-sozialen Probleme der Branche sowie der Krebstod ihres Bruders haben sie im Umdenken bestärkt. Vom Bewerten der reinen Umsatzzahlen zu dem, was sie darüber hinaus mit ihrem Team geschaffen hat: ein ökologisches Fair-Trade-Produkt von höchster Qualität, über das sie gern aufklären und erzählen.

Das machen sie bei Teeproben und Führungen im hauseigenen Restaurant und Shop, bei Geschäftsessen und Staatsbesuchen in der Metropole Auckland und auch beim internationalen Verkauf. Dabei schwingt im Hinterkopf immer das Bewusstsein mit, dass sie mit dem Betrieb langfristig Geld verdienen muss, um zu bestehen. Ihrer Überzeugung nach ist Tee ein „Peace maker“, ein innerer Friedensstifter sowie Wohltat und Beruhigung für die Seele.

Gerade Corona habe gezeigt, wie wichtig es sei, bei aller äußeren Unruhe zu entspannen und qualitative Zeit miteinander zu verbringen. Ähnlich wie bei einem guten Glas Wein – aber ohne Alkohol. Als Nächstes möchte sie Musiker*innen zu Tee-Konzerten auf die Plantage einladen und Teamführungs-Seminare anbieten. Die Ziele bleiben dabei immer dieselben: Wertschätzung für nachhaltig produzierte Lebensmittel, für die eigene Gesundheit sowie für einen rücksichtsvollen Umgang miteinander, mit der Natur und mit der Welt.

Kamera und Schnitt: Wiebke Reißig-Dwenger und Sönke Dwenger.
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Von Wiebke Reißig-Dwenger, Auckland

Wiebke Reißig-Dwenger ist seit mehr als 20 Jahren Journalistin aus Leidenschaft. Seit 2009 arbeitet sie mehrere Monate im Jahr in Neuseeland. Ihre Themen kreisen um Umwelt, Natur, Nachhaltigkeit, Frauenpower und multikulturelle Gesellschaft. Gemeinsam mit ihrem Mann Sönke Dwenger hat sie bereits drei Reiseführer über Neuseeland sowie „Herzstücke aus Ostfriesland“ herausgebracht (Bruckmann-Verlag).

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