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Mit oder ohne Sternchen?
Gendergerechte Sprache weltweit

26. Dezember 2018 | Von DEINE KORRESPONDENTIN
Foto: Martin Howard

In der gesprochenen Sprache ist es schon lange Usus, die gendergerechte Form mitzuverwenden. Nun ziehen auch immer mehr Medienhäuser nach und entschließen sich zu Unterstrich, Binnen-I oder Sternchen. Doch wie sieht es mit dem Gendern eigentlich in anderen Ländern aus? Unsere Korrespondentinnen in Spanien, Israel, Peru, Frankreich und Kolumbien haben recherchiert.

Von Christine Memminger, Barcelona

Viele Spanierinnen wollen sich nicht länger ein O für ein A vormachen lassen. Eine Frau an der Spitze des Staates verleiht der Debatte um gendergerechte Sprache in Spanien jetzt zusätzlichen Wind: Vizepräsidentin Carmen Calvo Poyato. Bei der Vereidigung der sozialistischen Regierung im Juni 2018 setzt sie ein Zeichen. Entgegen des Protokolls formuliert Calvo den Text um und schwört, dass sie im „consejo de ministras y ministros“, also Kabinett der Ministerinnen und Minister dienen wird. Der traditionelle Text sieht nur das männliche Wort „ministros“ vor. Die anderen Regierungsmitglieder machen es ihr nach.

Wäre gar nicht nötig gewesen, findet die Königliche Sprachakademie RAE. Sie weist im offiziellen Stilbuch erneut darauf hin, dass die männliche Pluralendung „-os“ linguistisch gesehen auch ein neutraler Plural für eine Gruppe aus Frauen und Männern ist. Feministinnen wie Calvo sehen hier aber eine Schieflage und so haben sich im Laufe der intensiven Debatte über Gleichberechtigung auch im Alltag neue Schreibweisen durchgesetzt. „Hola tod@s“ ist zum Beispiel regelmäßig als Begrüßung in Gruppenmails oder Chats zu lesen, manchmal auch „todxs“ oder „todes“.

„Orthografisch falsch, offiziell verboten“ heißt es dazu von Seiten der RAE. Entsprechende Vorgabe geht auch an die Schulen. Stattdessen solle man lieber versuchen, neutrale Formulierungen zu finden. Diese offizielle Ansage geht vielen Zeitungen, Universitäten und Organisationen nicht weit genug. Sie haben deshalb eigene, seitenlange Leitfäden für eine gendergerechte Sprache entwickelt, auch ohne @, x oder e. Darin stehen dann konkrete Tipps wie „Nachbarschaft“ statt „Nachbarn“ oder „Wir heißen euch Willkommen“ statt dem spanischen „Bienvenidos“ für „Willkommen“.

Vizepräsidentin Carmen Calvo Poyato ist gleichzeitig Ministerin für Gleichberechtigung, was dem Ganzen nun noch mehr Gewicht verleiht. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen hat sie eine Studie über „inklusive Sprache“ in der spanischen Verfassung in Auftrag gegeben. Calvo bezeichnet den Text als „männlich“ und „vor 40 Jahren stehen geblieben“. Denn dass sich alle angesprochen fühlen, ist für sie das A und O. 


Von Mareike Enghusen, Tel Aviv

Für Verfechter einer genderneutralen Sprache muss Hebräisch ein Albtraum sein. Im Hebräischen, das zusammen mit dem Arabischen der semitischen Sprachfamilie angehört, gibt es zwei grammatikalische Geschlechter, die recht willkürlich verteilt sind: Mensch, Mond und Kopf sind maskulin, Tier, Sonne und Bauch feminin. So weit, so vertraut für jene, die in der Schule Spanisch oder Französisch gelernt haben.

Doch im Hebräischen beeinflusst das grammatikalische Geschlecht nicht nur das Substantiv, sondern auch das Verb. Ein Beispiel: „Sie studiert“ heißt auf Hebräisch „Hi lomedet“; „er studiert“ dagegen „hu lomed“ – jedes Verb existiert in femininer und maskuliner Form. Auch die Pronomen „du“ und „ihr“ kommen in zweifacher Ausführung daher. Unterhält sich jemand am Telefon, können Umstehende also am Anredepronomen hören, ob am anderen Ende der Leitung eine Frau oder ein Mann sitzt.

Im Plural verwendet man – ähnlich wie im Deutschen – die maskuline Form für gemischte Gruppen. Wer sich weder als weiblich noch als männlich definieren möchte, hat es im Hebräischen besonders schwer: Spätestens bei der Verbform muss er, sie, es sich auf maskulin oder feminin festlegen. Gendertechnisch Unentschlossene hat die Sprache des Alten Testaments nicht vorgesehen.

Zu allem Überfluss ist das hebräische Wort für „feminin“ mit den Worten „Loch“ und „durchbohren“ verwandt – das Wort für „Mann“ dagegen mit „Held“, „stärken“ und „besiegen“. Trotzdem gibt es Linguisten, Feministen und Trans-Aktivisten, die sich an sprachlichen Reformen im Sinne der Geschlechterneutralität versuchen. Manche schlagen vor, im Plural die Wortendungen für maskuline (-im) und feminine (-ot) Substantive zu kombinieren, um bei der Benennung gemischter Personengruppen Neutralität herzustellen. Andere plädieren für die Einführung neuer, geschlechtsneutraler Pronomen. Außerhalb kleiner Aktivistenzirkel finden derartige Ideen jedoch kein Gehör in der breiten Bevölkerung.


Von Eva Tempelmann, Lima

Gendern? Im machistisch geprägten Peru, in dem Anfang vergangenen Jahres eineinhalb Millionen Menschen auf die Straße gingen, um gegen die vermeintliche Indoktrinierung durch die „Gender-Ideologie“ zu protestieren, ist die Gleichbehandlung weder im Leben noch in der Sprache zu finden. Die Bewegung „Finger weg von meinen Kindern“ hatte seit Ende 2016 gegen den neuen Lehrplan des Bildungsministeriums gewettert, das Gendern als Querschnittsthema stärker im Unterricht verankern und die gleichberechtigte Bildung von Mädchen und Jungen fördern wollte.

Man würde Geschlechter auflösen, riefen besorgte Eltern und Kirchenanhänger, die sich in der Organisation „Coordinadora Nacional Pro Familia“, kurz „Conapfam“, zusammengeschlossen haben und von ultrakonservativen evangelikalen Kirchen finanziert werden. Die Gendergleichheit würde Homosexualität forcieren und Kinder dazu animieren, ihre Geschlechtsidentität zu wechseln, befürchteten die Gegner des neuen Lehrplans in öffentlichen Stellungnahmen. Auf Druck des obersten Gerichtshofes zog das Bildungsministerium den umstrittenen Lehrplan schließlich zurück.

Gendergleichheit scheint in Peru Ängste zu schüren. Auf die landesweite Bewegung „Ni una menos“, die seit 2015 die eklatante Gewalt an Frauen in Peru anklagt und Zehntausende von Menschen auf die Straße brachte, gab die peruanische Bischofskonferenz eine Broschüre heraus mit dem Titel: „Gender-Ideologie: ihre Bedeutung und Gefahren“.

Rollenverhältnisse und -zuschreibungen sind in Peru fest verankert. Männer dominieren die Politik, die Wirtschaft und die Sprache. Dabei hätten es die Menschen im Spanischen eigentlich so leicht, die weibliche Endung a und die männliche Endung o mindestens mit einem @ zusammenzudenken oder mit einem x zu ersetzen. Aber selbst Nachrichtenplattformen wie lamula.pe, die sich „Null Toleranz gegen Gendergewalt“ auf die Fahnen schreiben, gendern nicht konsequent. Eine der wenigen Ausnahmen sind Organisationen wie das „Programm für Demokratie und Globale Transformation“ (PDTG), die spannende Publikationen zum Thema Feminismus und Gender sowie Kinderbücher für Antiprinzessinnen herausgibt.


Von Carolin Küter, Lyon

Erst im November hat das Thema Gendern im französischen Parlament für Aufregung gesorgt: Eigentlich sollte es bei der Debatte um den anstehenden Klimagipfel in Polen gehen. Der konservative Abgeordnete Gérard Longuet wollte von Umweltstaatssekretärin Brune Poirson wissen, ob sie dort die französische Atomenergie verteidigen werde und sprach sie dabei mit „Madame le ministre“ an, „Frau Minister“.

„Herr Senator, es heißt Madame LA ministre“ (Frau Ministerin), wies ihn Poirson zurecht. Longuet raunte daraufhin eine nicht hörbare Antwort in sein ausgeschaltetes Mikrofon. Poirson ließ nicht locker: „Es tut mir wirklich leid, aber ich fordere Sie dazu auf, mich Madame la ministre zu nennen.“ Nach einer erneuten Replik des 72-Jährigen legte sie noch einmal nach: „Sie reden von den Wünschen der Franzosen. Ein Wunsch ist Gleichberechtigung. Das ist die Realität. Die Diskussion ist damit beendet.“

Doch weit gefehlt: Die Debatte um die Angleichung von Titeln an ihre Trägerinnen sucht Frankreich in regelmäßigen Abständen heim. Heißt es „Frau Bürgermeister“ oder „Frau Bürgermeisterin“? „Frau Direktor“ oder „Frau Direktorin“? Jedes Lager hat dabei eine mächtige Institution auf seine Seite: Die Regierung, die zuletzt 2017 in einem Rundschreiben die Feminisierung von Berufsbezeichnungen und Titeln für offizielle Dokumente vorgab und die „Académie Francaise“.

Die jahrhundertealte staatliche Akademie ist die offizielle Wächterin über den Gebrauch der französischen Sprache. Ihre Chefin bezeichnete die Gendersprachregelung der Regierung im vergangenen Jahr als „autoritäre Feminisierung“, die dem Willen der meisten Bezeichneten widerspreche. Solche Vorschriften würden an das Vorgehen „totalitärer Staaten“ des 20. Jahrhunderts erinnern.

Der Streit dauert schon seit Jahrzehnten an. Bereits in den 90ern und 2000ern verteidigten Politikerinnen in der Nationalversammlung ihr „Madame la ministre“. Die Regierung gab in Verordnungen schon 1986 und 1998 die Feminisierung von Berufsbezeichnungen und Titeln vor. Die „Académie francaise“ hielt jedes Mal dagegen. In einem Punkt sind sich beide Institutionen aber einig: Eine inklusive Schreibweise, bei der die weibliche Form durch Punkt, Sternchen oder Binnen-I an die männliche angehängt wird, lehnen sie ab.


Von Katharina Wojczenko, Medellin

Die oberste Spanisch-Autorität bleibt dabei: Gendern ist künstlich, gedoppelt und unnötig, sagt die Real Academia Española (RAE). Ein Grund, weshalb kolumbianische Medien nicht gendern, sagt Paola Gómez. Sie ist Redaktionschefin der Regionalzeitung „El Pais Cali“ und lehrt Journalismus mit Schwerpunkt Gender. „Gendern ist ein beliebtes Thema für Witze“, sagt Gómez. Dabei klingt es auf Spanisch so positiv: Lenguaje inclusivo oder no sexista.

Als Venezuelas Präsident Nicolás Maduro über seine „Millionen und Millioninnen“ von Anhängern sprach, war die Häme im Nachbarland groß. Bogotás Bürgermeister Enrique Peñalosa wurde 2017 von einem Gericht verurteilt, seinen Slogan auszubessern: „Ein besseres Bogota für alle“ sei nicht ein „Ein besseres Bogotá für jeden und jede“. Schließlich hatte sich die Stadt 2009 zu inklusiver Sprache verpflichtet. Doch weil die Korrektur Millionen gekostet hätte, wurde das Urteil aufgehoben.

Auch in den Medien hat sich „todos y todas“ nicht durchgesetzt. Verkürzungen mit @ oder x lehnen kolumbianische Feministinnen als Rückschritt ab, ebenso diechilenische LGBTI-Erfindung „todes“. Gómez rät ihren Studierenden zur Abstraktion: „Bürgerschaft“ statt „Bürgerinnen und Bürger“. Viel wichtiger sei jedoch erst einmal, die Ungerechtigkeit und Gewalt deutlich zu benennen, die Frauen im Macholand Kolumbien erleben.

Viviana Bohórquez sieht das genauso. Sie ist Anwältin mit Schwerpunkt Menschenrechte und Diskriminierung und Miterfinderin des Youtube-Kanals „Las Igualadas“ der Zeitung „El Espectador“, der sich mit Geschlechterfragen beschäftigt. Ungleichheit, Stereotype und Morde an Frauen seien mittlerweile überall Thema, egal ob im Radio, TV oder Zeitungen. „Kaum einer spricht mehr von Verbrechen aus Leidenschaft, sondern von Femizid oder Mord. Der Umgang mit der Sprache hat sich verbessert.“ Dazu haben nicht zuletzt Journalisten-Organisationen wie „Consejo de Redacción“ mit Gender-Handbüchern wesentlich beigetragen.

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Marinela PotorDetroit
Mittelgroß, schmale Hüften, kleiner Po, leicht rundlicher Busen: Das ist nach wie vor das dominierende weibliche Schönheitsideal in den USA. Es klingt wie eine Klischee-Beschreibung einer westeuropäischen Frau. Viele Amerikanerinnen kämpfen damit – bis sie erkennen: Sie sind nicht das Problem. 
Heike PapenfussValencia / München
Während der Franco-Diktatur wurden in Spanien unzähligen Müttern ihre Babys genommen und an Adoptiveltern verkauft. Noch bis Anfang der 80er Jahre verdienten Ärzte, Notare, Pfarrer und Nonnen an diesem Kinderhandel. Die Rede ist von geschätzt 300.000 betroffenen Kindern. Es ist auch die Geschichte von Susi Cervera und Sonia Espinosa.

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