Brigitte Baptiste ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten Kolumbiens: Die 55-Jährige ist als Direktorin des Humboldt-Instituts Expertin für Biodiversität und die wohl prominenteste Umweltschützerin des Landes. Gleichzeitig ist sie als Transfrau eine engagierte Kämpferin für sexuelle Freiheit.
Von Katharina Wojczenko, Bogotá
Sie leben offen als Transfrau. Werden Sie mehr zu Biodiversität oder zu Gender-Themen befragt?
Ehrlich gesagt zu Gender. Ich war neulich bei einem Zukunftskongress in Chile und hielt dort einen Vortrag über die Folgen des Klimawandels in Punta Arena und Santiago. Ich versuche immer, pädagogisch zu sein. Also sprach ich über die Gefahr, dass wir eines Tages keine Schokolade mehr haben könnten. Nach zwei Fragen zu Klimawandel, Biodiversität und Schokolade wollten die Journalisten vor allem über Gender reden. Das fördere ich neuerdings allerdings, indem ich über sexuelle Vielfalt in der Natur spreche. Für mich ist das ein erzählerisches Mittel, um eine Debatte anzustoßen.
Glauben Sie, dass es für das Institut ein Vorteil ist, eine Transfrau als Direktorin zu haben?
Mittlerweile ja. Bei meiner Ernennung dachte ich das Gegenteil – dass es ein Risiko für das Institut sei und ich aufpassen müsse, meine persönliche Identität nicht mit meiner Arbeit als Direktorin zu vermischen. Heute glaube ich, dass meine Erfahrung, meine Gender-Perspektive mich dazu gebracht hat, andere Wege zu finden, mit der Welt zurechtzukommen.
Außerdem schafft es viel Öffentlichkeit.
Damit müssen wir aber sehr aufpassen, denn es gibt eine gefährliche Tendenz zum Sensationsjournalismus. Ich bin mir dessen bewusst und handhabe das in meinem Team mit Vorsicht. Ich hätte zwar als Person das Recht, mich nackt in einer Zeitschrift zeigen, aber das könnte natürlich negative Folgen für die Institution und den Umweltschutz haben. Das sind Gedanken, die ich mir ständig mache.
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Ich glaube, das ist das erste Mal, dass ich vor dem Treffen ein Video gesehen habe, in dem meine Gesprächspartnerin über ihre Brüste spricht.
Das stimmt.
Das Video ist ziemlich authentisch, oder?
Ich versuche, sehr transparent mit meiner Suche, meiner Trans-Geschichte zu sein, weil ich eine öffentliche Person bin – und von diesem Thema schnell zu den institutionellen oder akademischen zu wechseln. Das ist eine kommunikative Herausforderung. Ich will mit Humor einen Beitrag zur Aufklärung leisten.
Privat und beruflich ist die biologische Vielfalt Ihr Lebensthema. Kolumbien ist nach Brasilien das Land mit der zweitgrößten Artenvielfalt der Welt. Doch dieser Reichtum ist in Gefahr. So wurde 2018 weltweit – vor allem auch in Kolumbien – Regenwald von der Fläche Englands abgeholzt. Warum ist es so schwer, das Abholzen zu stoppen?
Kolumbien ist ein Land der Wälder. Aber wir denken immer noch, dass der Wald keinen Wert hat, weder symbolisch noch materiell. Das Holz, das am Amazonas geschlagen wird, wird nicht einmal zu einem guten Preis verkauft. Die Natur ist ein Störfaktor. Dahinter steckt die kolumbianische Agrarpolitik, die auf die konventionelle Produktion von Nahrung und Gütern für die Wirtschaft besteht – und im kompletten Widerspruch zu den besonderen Eigenschaften unserer Ökosysteme steht. Zum Beispiel ist in Kolumbien die Viehwirtschaft für einen großen Teil der Zerstörung der Feuchtgebiete und Wälder während der letzten 100 Jahre verantwortlich. Immer noch gelten Kuh und Pferdekoppel als Symbol des Wohlstands, der wirtschaftlichen Unabhängigkeit, des Triumphs des Menschen über die Natur. Das ist ziemlich frustrierend.
Die Abholzung ist eins der größten Probleme in Kolumbien. Was sind weitere?
Die Verschmutzung der Flüsse und Gewässer. Von den vielen Gründen dafür nenne ich zwei. Der erste und neueste ist die Quecksilber-Belastung durch den Bergbau, der fast in allen Regionen Kolumbiens Schaden angerichtet hat. Gold ist ein furchtbarer Fluch, denn es hinterlässt nur biologische und soziale Zerstörung. Fast niemand profitiert vom Gold. Der zweite Grund ist die urbane Umweltverschmutzung. Die meisten Städte kippen die Hausabfälle und die Fäkalien ihrer Bevölkerung in die Flüsse. Wir haben Flüsse, die seit Jahrzehnten tot sind. Das grundlegende Problem hinter all dem ist das fehlende Bewusstsein dafür, dass unser Land unglaublich reich an Biodiversität ist.
Sehen Sie denn auch Fortschritte beim Umweltschutz?
Ja.Der Oberste Gerichtshof hat geurteilt, dass Flüsse und Páramos, eine Vegetationsform in den Anden, bestimmte Rechte besitzen und man das Ökosystem entschädigen muss. Das ist in einem Land mit so großer Ungleichheit aber nicht einfach. Großprojekte, die dem Staat Gewinn bringen, wälzen oft die negativen Folgen auf die Bevölkerung vor Ort ab.
Nach dem Friedensvertrag zwischen der Regierung und der größten Guerilla-Gruppe Farc konnten Expeditionen des Humboldt-Instituts Gebiete erkunden, die ihnen 50 Jahre verwehrt waren, weil sie Rebellenland waren – also ein Drittel Kolumbiens. Sie entdeckten allein in den ersten Monaten 88 vollkommen neue Tier- und Pflanzenarten. Nach einem Attentat im Januar hat die Regierung die Friedensgespräche mit der größten verbliebenen Rebellengruppe ELN abgebrochen. Welche Folgen hat diese politische Situation für den Umweltschutz und die Biodiversität?
Das ist absolut bedauerlich und wirft uns Jahrzehnte zurück in der Diskussion, wie wir eine nachhaltigere und gerechtere Gesellschaft schaffen. Dabei ist Kolumbien kein armes Land, wir können uns gut ernähren und gut leben.
Warum ist diese neue Eskalation des Konflikts schlecht für Ihre Arbeit?
Weil das die Aufmerksamkeit und das Geld vieler Institutionen und der Lokalpolitiker auf den scheinbaren Kampf gegen den Terrorismus konzentriert. Das macht es unmöglich, lokale und soziale Übereinkünfte zu schließen, die Vertrauen und Zeit brauchen. Bei all unseren Biodiversitäts-Projekte arbeiten wir sehr behutsam mit den verschiedenen Betroffenen zusammen – mit den Gemeinden in den Páramos, mit den indigenen Völkern bei der Frage der Anbaugrenze, mit Organisationen der Zivilgesellschaft und mit den Institutionen. Aber bei den Institutionen ist die Personalfluktuation hoch. Vereinbarungen gehen verloren oder lösen sich auf. Es gibt einfach keine Stabilität.
Zur Person:
Brigitte Luis Guillermo Baptiste ist Biologin mit Schwerpunkt Ökologie und Landschaftsökologie. Über 20 Jahre lehrte die bekennende Atheistin Ökologie an der jesuitischen Universidad Javeriana in Bogotá. Seit 2011 ist sie Direktorin des Humboldt-Instituts, einer unabhängigen, teilstaatlichen Einrichtung zur Erforschung und zum Schutz der biologischen Vielfalt des Landes. Sie vertritt Kolumbien in internationalen Gremien und ist gefragte Rednerin bei Kongressen zur Biodiversität. Mit 35 Jahren – beruflich schon etabliert – entschied sie, die als Luis Guillermo aufwuchs, als Frau zu leben. Sie benannte sich nach ihrem Idol Brigitte Bardot und unterzog sich einer Brustoperation. Seit über 20 Jahren ist Baptiste mit ihrer Ehefrau Adriana Vásquez zusammen. Sie leben mit ihren beiden Töchtern in Bogotá. Baptiste ist Autorin von 15 Büchern und veröffentlicht in kolumbianischen Zeitungen Kolumnen zu ökologischen und gesellschaftlichen Themen. Auf Twitter folgen ihr mehr als 65.000 Menschen, mit denen sie lebhaft diskutiert. Dabei versucht sie, das Verständnis von biologischer und sexueller Vielfalt zu erweitern und prangert Missstände an.
Hintergrund: Transfrauen in Kolumbien
Auf dem Papier ist Kolumbien ein fortschrittliches Land. So können LGBTI-Personen heiraten und Kinder adoptieren. Doch Diskriminierungen und Gewalt sind konstant hoch, Nichtregierungsorganisation „Colombia Diversa“ in ihrem aktuellen Bericht an die UN-Frauenkonvention. Auch der Zugang zum Rechtssystem hat sich demnach seit 2013 nicht verbessert. Schuld an der Situation seien hartnäckige Vorurteile, unter anderem bei Gerichten und der Polizei, sowie wirtschaftliche und soziale Ausgrenzung. Transfrauen haben statistisch gesehen eine niedrigere Bildung, schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und eine schlechtere Gesundheitsversorgung. Deshalb beträgt die Lebenserwartung von Transfrauen in ganz Lateinamerika nur 35 Jahre. 2017 wurden 107 LGBTI-Personen in Kolumbien ermordet. Davon waren ein Drittel Transfrauen. 60 Menschen wurden bedroht. Fast alle Taten blieben straffrei, die Dunkelziffer ist hoch.
Seit Beginn der Regierung des konservativen Präsidenten Iván Duque hat sich das Klima für Transmenschen weiter verschärft: Unter dem Kampfbegriff „Gender-Ideologie“ wendet sich die konservative Strömung gegen die Rechte von Frauen allgemein und der LGBTI-Bevölkerung. Die Regierung verhält sich dazu passiv bis nachgiebig. Auch in ihrem Entwicklungsplan für die kommenden vier Jahre fehlen konkrete Maßnahmen und Finanzmittel, um Gesetze, Gerichtsurteile und die Gender-Passagen des Friedensabkommens zwischen Farc-Rebellen und Regierung umzusetzen. Unter dem mehr als 50 Jahre andauernden bewaffneten Konflikt hatten Minderheiten besonders gelitten.