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Mit Fashion gegen die Mullahs
Junge Afghaninnen gehen mit Tabu-Themen an die Öffentlichkeit

23. Juni 2017 | Von Veronika Eschbacher
Nargis Azaryun gehört zu den Frauen in Afghanistan, die die Idee für das Magazin hatten. Foto: Veronik Eschbacherbacher

Ein Frauenkollektiv gibt das erste Fashion-Magazin Afghanistans heraus – und legt sich mit den Konservativen des Landes an, weil es neben Modetipps auch über Verhütung und den weiblichen Körper schreibt.

Von Veronika Eschbacher, Kabul


Wie ist die Idee entstanden, in Afghanistan ein Fashion-Magazin herauszugeben?

Nargis Azaryun: Eine Gruppe junger Frauen, genauer gesagt ein feministisches Kollektiv in Kabul, hat die Idee entwickelt und sie einem Verlag hier vorgestellt. In jedem Land der Welt gibt es ein Fashion-Magazin, in dem es um Mode geht, das Leben von Celebrities abgebildet wird und Frauenthemen behandelt werden. Es ist also ein Resultat dessen, was wir an Publikationen im Ausland gesehen haben und dem Wunsch, Frauenthemen außerhalb des männlichen Blickes zu erzählen oder eines Rahmens, der durch irgendeine Organisation vorgegeben ist.

 

„Gellara“ ist nun seit Mai in Afghanistan erhältlich. Wie sind die ersten Reaktionen? 

Sie sind großartig! Es gibt viele Afghanen, die befürworten, dass das Magazin von einem Frauenteam gestartet wurde und dass es sich Frauenthemen widmet. Bisher hatten wir nur ein Frauenmagazin in Afghanistan – „Malalai“ – und das wurde vom Frauenministerium herausgegeben. Aber es berichtet nur über das was der Staat und das Ministerium machen, nicht darüber hinaus. „Gellara“ ist das erste Magazin, das über Frauenthemen aus der Sicht der Gesellschaft spricht.

 

In Afghanistan sind Themen rund um den weiblichen Körper, über die in „Gellara“ berichtet, in der Öffentlichkeit tabu. Weder in der Schule, noch in der Familie wird über die Periode oder Verhütung gesprochen, Debatten darüber spielen sich vielmehr in vielen geheimen Facebook-Gruppen, die oft tausende Mitglieder haben, ab.

Diese heimlichen Gruppen gibt es seit ein paar Jahren. Als ein Resultat dessen trauten sich immer mehr Frauen, über für sie wichtige Themen auch in ihren Familien und im Freundeskreis zu sprechen. Es ermutigte sie auch, beruflich tätig zu werden – etwas, das verpönt ist und von den Familien oft nicht erlaubt wird. Ich selbst war Teil einiger solcher heimlicher Gruppen, sei es auf Facebook, oder in privaten Häusern, wo wir uns über Frauenthemen offen unterhielten. Das hat mir und den anderen jungen Frauen geholfen, Mut und Selbstvertrauen aufzubauen und schuf einen Raum für Sicherheit und gegenseitige Unterstützung. Wir wussten: Wenn sich morgen die Gesellschaft gegen uns erhebt, dann stehen mindestens fünf andere Frauen hinter uns und werden uns verteidigen. Wenn man in Gruppen über solche Themen diskutiert, schafft das ein enges Vertrauensverhältnis. Gleich wie die Facebook-Gruppen – nur eben öffentlich – will „Gellara“ einen Diskurs über Frauenthemen im Land starten und immer mehr mutige Frauen vorstellen, die sich mit kritischen Themen an die Öffentlichkeit wagen.

 

In „Gellara“ geht es aber auch um Mode.

Ja, Mode ist ein Aspekt. Ich hatte, ehrlich gesagt, nicht erwartet, wie viele Menschen das willkommen heißen. Denn auf Fashion wird von der Elite herabgesehen. Es gab in der vergangenen Zeit Fashion-Events in Kabul mit Laufstegen, und jeder, der daran teilnahm, wurde öffentlich verunglimpft und beschimpft. Aber wir haben viel positives Feedback und Unterstützung erhalten. Das zeigt, dass unsere Gesellschaft ein paar Schritte in die richtige Richtung gemacht hat.

 

Auf der ersten Ausgabe ziert die Sängerin Moschda Jamalzada das Cover, sie ist “Liebhaberin der logischen Liebe”.

Wie einfach oder schwer ist es, einheimische Models für die Modestrecken zu finden?

Das ist eine große Herausforderung. Aber unser Team ist in der Gesellschaft stark verwurzelt und in verschiedenen Bewegungen aktiv. Wir kommen aus allen Gesellschaftsschichten und deshalb glaube ich, dass wir mit unserem großen Netzwerk sehr wohl bald auch Models finden können. Wir haben keine Anruferinnen, die sagen, ich möchte unbedingt mitmachen. Im Gegenteil, wir müssen ihnen nachlaufen.

 

Wie ist generell das Bild der Frau in afghanischen Medien?

Als ich jünger war und Magazine und Zeitungen gelesen habe, waren die meisten Frauengeschichten Opfergeschichten oder Berichte über Gewalt an Frauen. Ein gängiges Narrativ war ein junges Mädchen, das sich verliebt hatte und wegen der enttäuschten Liebe beschloss, sich das Leben zu nehmen. Wir wurden über Jahre mit traurigen Frauengeschichten gefüttert – und das dauert bis heute an.

Insgesamt muss man sagen, dass die Vielfalt der Medien, die seit dem Fall der Taliban im Jahr 2001 erreicht wurde, vor allem für Frauen eine der wichtigsten Errungenschaften in unserem Land ist. Wir haben nun Frauen, die im Fernsehen auftreten. Zuvor war das verboten, sogar ihre Stimmen waren nicht erlaubt. Gleichzeitig wird aber die Frau in den Medien sehr oft noch als Objekt dargestellt. Es gibt nur wenige Frauen, die an politischen Diskussionen im TV oder Radio teilnehmen. Man sieht sie viel mehr in Musikprogrammen oder als Nachrichtensprecherinnen. Mir persönlich ist nicht erklärbar, warum sie gezwungen werden, so viel Make-up zu tragen. Frauen werden dazu benutzt, höhere Zuschauerquoten zu erreichen. Aber das Frauen früher überhaupt nicht in afghanischen Medien stattgefunden haben, ist sogar das ein Erfolg. Nach dieser Phase werden wir in einen seriöseren Dialog über die Rolle von Frauen in den Medien eintreten.

 

Was sind die brennendsten Themen, die afghanische Frauen beschäftigen?

Das kommt sehr darauf, wo man lebt. In Kabul haben wir jetzt viele junge Mädchen und Frauen, die die Schule und die Universitäten besuchen. Für sie ist Belästigung auf der Straße ein großes Thema, dass man mit Schimpfwörtern dafür bedacht wird, dass man auf der Straße läuft und nicht zuhause ist. Das hat sich in den vergangenen zwei, drei Jahren etwas gebessert. Kabul wird offener, die Stadt entwickelt sich zu einem Raum, in dem man sich als Frau nicht mehr total kontrolliert fühlt. Langsam beginnen auch die Männer zu verstehen, dass sie ohne Frauen nichts erreichen können. In den Provinzen ist es nach wie vor schwierig. Dort gibt es viele Vorfälle, die jungen Frauen in Kabul gänzlich fremd sind. Frauen werden entführt, vergewaltigt oder von ihren eigenen Familien getötet, weil sie sich wünschen, mit einer bestimmten Person zusammen zu sein.

 

„Gellara“ ist aber auch auf einigen Widerstand gestoßen, die Adresse der Redaktion ist aus Sicherheitsgründen nicht öffentlich. Kommentare auf der Facebook-Page sind durchaus harsch: Es wird kritisiert, die Themen und Idee würden den islamischen und kulturellen Werten des Landes widersprechen.

 Ja, es gab Menschen, denen nicht gefiel, dass wir über Frauengesundheit schreiben. In der ersten Ausgabe gibt es Berichte über Geburtenkontrolle, Anti-Baby-Pille oder Brustkrebs. Diese Themen sind hier tabu. Wenn man darüber spricht, dann soll man das nur sehr verschlüsselt machen. Aber „Gellara“ nimmt kein Blatt vor den Mund. Es gab auch Widerstand aus den Reihen der Kabuler Universität, vor allem von Studenten des Islamischen Rechts. Sie haben versucht, ein Event, bei dem wir das Magazin vorstellten und Studenten dazu aufforderten, mitzuarbeiten, zu verhindern. Persönliche Drohungen haben wir aber keine bekommen.

 

Sogar eigentlich liberaler eingestellte Aktivisten der Zivilgesellschaft meinen, dass „Gellara“ – vor allem einzelne gezeichnete Bilder, die Frauenkörper zeigen – in die Hände konservativer Mullahs spielen.

 Ich glaube, diejenigen, die so etwas sagen, sind selbst die Mullahs, gegen die wir Widerstand leisten wollen. Uns war klar, dass die Mullahs „Gellara“ nicht mögen werden. Aber wir müssen beginnen, über die Körper von Frauen zu sprechen, sonst brauchen wir noch 100 Jahre bis sich etwas ändert. Unsere Zielgruppe sind auch jene, die diese Themen ablehnen. Wir wollen ihnen klarmachen, dass es wichtig ist, über Frauenkörper zu sprechen, wir wollen sie diesen Themen aussetzen. Wir müssen unsere Menstration verstehen, ein Thema, über das hier niemand jemals spricht. Egal, wie lange wir die Augen vor diesen Themen verschließen, es ändert nichts daran, dass sie existieren. Je mehr wir schreiben, desto mehr werden wir die Meinung jener verändern, die das ablehnen.

 

Wie groß ist der Clash in Afghanistan zwischen Ideen, die über die Globalisierung ins Land kommen – sei es über türkische Serien, Bollywoodfilme oder allgemein durch den Zugang ins Internet – und den sehr konservativen Lebensvorstellungen afghanischer Traditionalisten?

Diesen Clash gibt es in der Tat. Schwierig ist, dass der, der hier liberalere soziale Einstellungen ausdrückt, sofort als jemand abgestempelt wird, der das Land verwestlichen will. Das wirklich Gute ist aber, dass die jüngere Generation sich heute gemeinsam ändert – also die Frauen und die Männer. Für beide sind Ideen, die durch die Globalisierung und über soziale Medien ins Land drängen, gleich neu. Viele dieser Ideen fordern unsere traditionellen Ansichten und Glaubenssätze heraus, und ich finde, das ist gut so. Sie müssen herausgefordert werden.

 

Nargis Azaryun, vielen Dank für das Gespräch!

 

 Weitere Informationen:

Die erste Ausgabe von „Gellara“ wurde im Mai herausgegeben. Das Heft soll anfangs alle zwei Monate erscheinen, später monatlich. Das Kollektiv von „Gellara“, dem Nargiz Azaryun angehört, besteht gänzlich aus ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen. Zielgruppe sind Schülerinnen und Studentinnen sowie Frauen, die lesen können. Da es in Afghanistan keine Zeitungskioske gibt, verkaufen die Macherinnen das Blatt selbst auf der Straße. Ziel ist es, das Magazin in ganz Afghanistan zu vertreiben, nicht nur in der Hauptstadt Kabul.

 

Weiterführende Links:

www.facebook.com/gellara.magazine 

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Von Veronika Eschbacher, Wien

Veronika Eschbacher war, bis zum Fall Kabuls 2021, Büroleiterin der Deutschen Presse-Agentur für Afghanistan und Pakistan. Davor war sie freie Korrespondentin für die USA und Afghanistan. Ihre journalistische Laufbahn begann als Redakteurin für Außenpolitik und Außenwirtschaft bei der österreichischen Tageszeitung „Wiener Zeitung“. Sie beschäftigt sich in ihren Reportagen und Analysen vor allem mit politischen und sozialen Themen, aber auch mit Fragen der Sicherheits- und Wirtschaftspolitik.

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Mareike GraepelHaltern
Die US-Amerikanerin Cindy O’Brien lebt seit den 90er Jahren in Connemara, ganz im Westen von Irland und züchtet seltene Seeschnecken. Die sogenannten japanischen Abalone gedeihen an der irischen Küste gut. Sie gelten als Delikatesse und Aphrodisiakum, kosten bis zu 44 Euro pro Kilo – und sehen aus wie Vulven.

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