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Mission impossible
Frauen und Verhütung (Teil 1)

23. September 2020 | Von DEINE KORRESPONDENTIN
Foto: Unsplash

Wie gehen Frauen mit dem Thema Verhütung in anderen Ländern der Welt um? Um das näher zu beleuchten, werfen wir einen Blick auf den Libanon, Iran und Argentinien. In den drei Ländern wird das Thema Familienplanung unterschiedlich gehandhabt – je nachdem welcher Wind in der aktuellen Regierung weht und wie groß die Scham innerhalb der Bevölkerung ist.

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Von Julia Neumann, Beirut

Im Libanon ist die Anti-Babypille ohne Rezept in der Apotheke erhältlich. Einige Apotheken in der Hauptstadt Beirut haben sogar den hormonellen Verhütungsring und die „Pille danach“ im Sortiment. Das klingt progressiv, aber wenn eine unverheiratete Frau nach der Pille oder Kondomen fragt, bekommt sie oft prüfende, kontrollierende Blicke von dem Menschen hinter der Theke. In konservativen Gegenden wird die Frau gefragt, ob sie verheiratet ist.

Um in der Nachbarschaft nicht erkannt zu werden oder verurteilt zu werden, schicken heterosexuelle Frauen daher oft ihre Partner zum Kauf des Verhütungsmittels, weshalb das Paar dann mit Kondomen verhütet – auch wenn die Frau vielleicht lieber ein anderes oder zusätzliches Verhütungsmittel gewählt hätte. Sexualität ist noch immer ein Tabu im Libanon und wird nicht offen diskutiert. Bei Sex gilt: Wenn nicht darüber gesprochen wird, wird es auch nicht gemacht. Vor allem nicht zwischen Paaren vor der Ehe. Das resultiert darin, dass Fragen von unverheirateten, sexuell aktiven Menschen unbeantwortet bleiben.

Bei dem Beratungstelefon des feministischen „A Project“, bei dem Freiwillige Fragen zu Sex und Sexualität beantworten, möchten Frauen über 20 daher meistens über ungewollte Schwangerschaft reden. Wenn es um Verhütung geht, fragen sie nach der richtigen Verwendung, dem Einfluss auf die Fruchtbarkeit und möglichen Nebeneffekten. Die Diskussion um gefährliche Nebenwirkungen hormoneller Verhütung wie beispielsweise Thrombose ist im Libanon nicht angekommen.

Aufklärungsunterricht gibt es in libanesischen Schulen nicht – und wenn, dann geht es um Abstinenz. Ein Freund, der auf eine von Ordensschwestern geführte Schule in einer libanesischen Kleinstadt ging, erzählte mir von dem Sexualkundeunterricht: Ein Priester habe der Klasse erklärt, dass Sex die heilige Verbindung Gottes sei, die nach der Ehe passiere. So kommt es, dass Sexualverhalten Unverheirateter dämonisiert und die Ehe zum einzig legitimen Grund für Sex wird. Auch beim Gang zum Arzt wird routiniert gefragt, ob die Patientin verheiratet sei – um herauszubekommen, ob die Frau sexuell aktiv ist.

Abtreibungen sind nach libanesischem Recht illegal, mehr noch: Es droht sogar eine Gefängnisstrafe. Es ist nur möglich abzutreiben, wenn das Leben der Mutter damit gerettet wird und drei Mediziner*innen ihr Einverständnis geben. Laut einer Studie der pharmazeutischen Fakultät der Libanesisch-Amerikanischen Universität im Libanon aus dem Jahr 2019 nutzen 55,6 Prozent der Frauen im Libanon Verhütungsmethoden. 11,4 Prozent haben den Bedarf an Verhütungsmitteln, können ihn aber nicht decken –beispielsweise weil es zu teuer ist.

Die Zahl der Frauen, die gerne verhüten möchten, es sich aber nicht leisten können dürfte inzwischen gestiegen sein. Denn durch die Wirtschafts- und Finanzkrise im Libanon sind Kondome zum Luxusgut geworden. Im Supermarkt sind die Kondomschachteln verpackt wie teures Parfüm oder Uhren: In Plastik-Etuis, damit sie ja nicht geklaut werden. Die Auswahl ist begrenzt auf eine bekannte Marke, manche Supermärkte führen nur noch spezielle Kondome mit Erdbeergeschmack oder Noppen.

Das liegt daran, dass es im Libanon keinen Kondomhersteller gibt. Gummis werden importiert und in US-Dollar bezahlt. Weil die lokale Währung gegenüber dem Dollar aber rasant an Wert verliert, und Dollar nur noch auf dem Schwarzmarkt zu haben sind, steigt der Preis: Eine Packung mit 12 Kondomen kostet knapp 70.000 Lira, und damit nach offiziellem Umrechnungskurs unglaubliche 44 Euro.


Von Lisa Neal, Berlin

Als das Paar erfährt, wie viel  die aus Japan importierten Kondome kosten  (umgerechnet etwa zwei  Euro), sagt der Mann so etwas wie: „Na,  dann ist Kinder kriegen ja billiger.“ Darauf  antwortet die Frau: „Ach, du bringst das Kind auch zur Welt?“ Er: „Dann kaufen wir doch lieber die Kondome.“ So bringt Mim Rasouli, iranischer Künstler, die Gefühlslage und Verteuerung von Verhütungsmitteln  in einem Foto-Comic  auf den Punkt.    

Verhütung und Familienplanung sind in Iran  Themen, bei denen  die Haltung von einem ins andere Extrem  umschlägt.  Die ersten staatlichen Maßnahmen zur Familienplanung wurden 1967 eingeführt. Um ein kontrolliertes Bevölkerungswachstum zu erreichen,  wurden Frauen zur Arbeit ermutigt und das Scheidungsrecht  reformiert.  Nach der Revolution und Staatsgründung der Islamischen Republik 1979  förderte  der Staat  Familien mit vielen Kindern und forderte  dazu auf, für Nachwuchs zu sorgen.  Laut den Vereinten Nationen wuchs die iranische Bevölkerung zwischen 1968  bis 1988 von  27 Millionen auf knapp 50 Millionen Einwohner*innen.

Der Babyboom in den  80ern erklärt das junge Durchschnittsalter der Bevölkerung  heute.  Nach dem Krieg und  ab den 90er Jahren  kehrte  sich die Handhabung  wieder  ins Gegenteil:  Das Sozial- und Bildungssystem  war  so überlastet, dass der Staat Verhütungsmittel  produzierte  und Familien zu maximal zwei Kindern anhielt.  Verhütung wurde  so  zum Teil enttabuisiert  –  allerdings nur im konservativ ehelichen  Rahmen.  Innerhalb kürzester Zeit sank die Geburtenrate rapide, im Schnitt bekamen iranische Frauen statt sieben und mehr Kinder etwa so viele wie in Deutschland (Stand 2020: 1,57).  

Aktuell ist wieder ein Richtungswechsel angesagt, denn 1,7 Kinder im Schnitt sind zu wenige, um die demographische Überalterung der Gesellschaft zu stoppen. Mindestens  zwei  Kinder – besser  mehr – sollen  sie  gebären. Wenn  sich an der Geburtenrate nichts ändert, gehört Iran 2050  zu den ältesten Ländern der Welt.  Deshalb fällt die staatliche Subventionierung für Verhütungsmittel und Familienplanung weg. Staatliche Krankenhäuser und Kliniken führen bis auf wenige Ausnahmen offiziell keine Sterilisationen mehr durch und geben keine Verhütungsmittel mehr aus. 

Freie  Verhütungsmittel für junge Iraner*innen  wurden  gestrichen, ebenso das  kostenlose Einsetzen der Spirale nach dem dritten Kind.  Statt Präservativen  gibt jetzt es einen verlängerten Mutterschutz und einen zweiwöchigen  Vaterschaftsurlaub.  Staatsoberhaupt und Revolutionsführer  Ali Khamenei fordert, dass die Bevölkerung von 81 Millionen auf 150 Millionen anwachsen solle.

Allerdings ist Heimlichkeit ein ständiger Begleiter: Homosexualität ist strafbar, vor- und außerehelicher Geschlechtsverkehr sind verboten, ebenso  Prostitution. Das alles gibt es trotzdem –  nur eben versteckter. Abtreibungen sind illegal (außer das Leben der Mutter ist in Gefahr), aber sie werden  bei diskreten  Ärzt*innen oder heimlich   zu  Hause mit Mitteln vom Schwarzmarkt durchgeführt.  Über sexuell übertragbare Krankheiten gibt es wenig sichtbare Aufklärung.   

In Apotheken, privaten  Kliniken und per  Bestellservice „Digikala“ sind Verhütungsmittel  weiterhin  diskret zu  kaufen. Weil Iran vom internationalen Markt weitestgehend abgeschnitten ist, stellt das Land die gebräuchlichsten Verhütungsmethoden Pille und Kondome selbst her. Doch  inländische Produkte und  auch  Importgüter  werden – wie alle Produkte des täglichen Lebens – immer  teurer. Darauf spielt auch der Comic  von Mim Rasouli  an.   Laut  Statista  liegt die  Inflationsrate derzeit  bei  mehr als 34 Prozent.   

Wieder mehr Kinder zu bekommen ist für viele junge Iraner*innen wenig verlockend, denn aktuell ist die wirtschaftliche Lage so schwierig, wie es viele  von ihnen  noch  nicht  erlebt haben.  „Wir wissen uns trotz der  Einschränkungen zu helfen“,  berichtet eine Studentin, die ihren Namen nicht nennen möchte.   „Verhütung ist meistens die Sache der Frau, sie muss sich kümmern.“  Zu ihrer Verantwortung gehörten auch die gesundheitlichen Risiken einer illegalen Abtreibung. Beim Kaufen von Verhütungsmitteln können kontrollierende Fragen und unangenehme Blicke aufkommen: ein Grund,  weshalb vor allem unverheiratete junge Menschen fernab ihrer eigenen Nachbarschaft ihren Bedarf  decken.   


Von Tamara Vogel, Berlin

In Argentinien ist der Zugang zu Verhütungsmitteln gesetzlich geregelt: Ab dem 13. Lebensjahr haben Argentinier*innen das Recht selbstständig auf Verhütungsmethoden zuzugreifen. Kondome sind landesweit in Apotheken, Supermärkten oder Kiosks erhältlich. Die Pille bekommen Frauen in Apotheken auch ohne ein ärztliches Rezept. Während vor allem Letztere bislang verhältnismäßig günstig war, ließ die Wirtschaftskrise auch die Preise für Verhütungsmittel in die Höhe schnellen: Allein im vergangenen Jahr waren inflationsbedingte Preissteigerungen von rund 20 Prozent keine Seltenheit.

Laut eines Berichts des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) aus dem Jahr 2019 nutzen 66 Prozent der argentinischen Frauen zwischen 15 und 48 Jahren moderne Verhütungsmittel. Das schließt die Pille, Spiralen oder die Drei-Monats-Spritze ein. Dennoch nehmen ungewollte Teenagerschwangerschaften immer weiter zu. „Viele Jugendliche unterschätzen das Risiko ungewollt schwanger zu werden oder sich eine Geschlechtskrankheit einzufangen und verhüten nicht. Daher sind in den letzten Jahren besonders bei jungen Menschen Fälle von Syphilis stark angestiegen“, sagt Vilma Rosciszewski, die seit mehr als 25 Jahren als Gynäkologin in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires tätig ist.

Lateinamerika und die Karibik sind nach Subsahara-Afrika die Regionen mit der weltweilt höchsten Schwangerschaftsrate bei Jugendlichen. In Argentinien sind 15 Prozent der Mütter von Neugeborenen unter 20 Jahre alt. Während es in der Hauptstadt Buenos Aires nur sechs Prozent sind, liegt der Prozentsatz in den nordöstlich gelegenen Provinzen Misiones, Chaco und Formosa bei fast 25 Prozent. Häufig treten diese Schwangerschaften bei sozial schwachen Frauen mit einem niedrigeren Bildungsniveau auf. Dies hat auch langfristige Folgen für die Mädchen, denn laut des argentinischen Bildungsministeriums nimmt lediglich ein minimaler Prozentsatz derer, die die Schule wegen einer Schwangerschaft abgebrochen haben, den Unterricht später wieder auf.

„Es gibt landesweit große Ungleichheiten, was den Zugang zur Gesundheitsversorgung angeht. Vor allem Armut, das Fehlen von Gesundheitszentren in ländlichen Gebieten und ein Personalmangel sind hier große Probleme“, sagt Mar Lucas, Direktorin für strategische Innovation der „Fundación Huésped“, einer gemeinnützige Gesundheitsorganisation. Sie ist der Meinung, dass die mangelhafte Umsetzung des Gesetzes zur sexuellen Aufklärung in allen Schulen des Landes ein weiteres Hauptproblem für ungewollte Teenagerschwangerschaften und die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten sei.

Dieses Programm soll Schüler*innen auf verschiedenen Bildungsebenen altersgerecht über biologische, soziale, kulturelle, und rechtliche Aspekte rund ums Thema Sexualität informieren. Doch die Debatte um die Legalisierung von Abtreibungen trug dazu bei, dass sich die Umsetzung der Sexualaufklärung an den Schulen verzögerte.

Schwangerschaftsabbrüche sind in Argentiniengenerellverboten. Der Kongress hatte zwar 2018 erstmals über eine Lockerung des Abtreibungsverbots abgestimmt, die jedoch vom Senat abgelehnt wurde. Aktuell können Schwangerschaftsabbrüche nur vorgenommen werden, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist oder eine Vergewaltigung stattgefunden hat. Lassen Frauen unter anderen Voraussetzungen abtreiben, droht ihnen eine Gefängnisstrafe von bis zu vier Jahren.

Verschiedenen Schätzungen zufolge liegt die Zahl illegaler Abreibungen bei rund 400.000 pro Jahr. Heimliche Eingriffe sind für die Frauen oft mit großen Gesundheitsrisiken verbunden, einige enden sogar tödlich. Der seit Dezember 2019 amtierende Präsident Alberto Fernández strebt eine Legalisierung von Abtreibungen an, was auch eine bessere Versorgung in öffentlichen Gesundheitszentren miteinschließen soll.

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Marinela PotorDetroit
Mittelgroß, schmale Hüften, kleiner Po, leicht rundlicher Busen: Das ist nach wie vor das dominierende weibliche Schönheitsideal in den USA. Es klingt wie eine Klischee-Beschreibung einer westeuropäischen Frau. Viele Amerikanerinnen kämpfen damit – bis sie erkennen: Sie sind nicht das Problem. 
Heike PapenfussValencia / München
Während der Franco-Diktatur wurden in Spanien unzähligen Müttern ihre Babys genommen und an Adoptiveltern verkauft. Noch bis Anfang der 80er Jahre verdienten Ärzte, Notare, Pfarrer und Nonnen an diesem Kinderhandel. Die Rede ist von geschätzt 300.000 betroffenen Kindern. Es ist auch die Geschichte von Susi Cervera und Sonia Espinosa.

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