Viertausendhertz produziert Podcasts in Berlin. Eines ihrer neuesten Projekte: Historische Heldinnen. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz lässt das Label wichtige Frauen der Weltgeschichte auf ihr eigenes Leben zurückblicken. In den Podcasts erzählen sie von Mut und Durchsetzungskraft.
Von Eva Tempelmann, Ibbenbüren / Berlin
Zusammenfassung:
Der Podcast „Historische Heldinnen“ von Viertausendhertz bringt bedeutende Frauen der Geschichte ins Zentrum – erzählt aus ihrer Ich-Perspektive, ermöglicht durch Künstliche Intelligenz. Von Marie Curie bis Junko Tabei beleuchtet das Format inspirierende Lebensgeschichten, die oft übersehen werden. Ziel ist es, Frauen sichtbar zu machen und ihre Stimmen hörbar zu gestalten. Der Podcast schafft authentische Einblicke in die Welt von Heldinnen unserer Zeit.
„Mein Name ist Marie Curie. Ich wurde geboren am 7. November 1867 in Warschau, Polen. In einer Zeit, als Frauen kaum eine Stimme hatten und noch weniger in der Wissenschaft, begann mein Streben nach Wissen. Meine Kindheit war hart, geprägt von dem Verlust meiner Mutter und Schwester und der finanziellen Not, in der meine Familie lebte.“
So beginnt die dreieinhalbminütige Episode der Podcast-Reihe „Historische Heldinnen“ zu Marie Curie, Wissenschaftlerin und zweifache Nobelpreisträgerin und Ikone für den Ehrgeiz von Frauen in einer männlich geprägten Welt. Marie Curies Stimme klingt ruhig und tief, sie erzählt die Geschichte aus ihrer Perspektive. Das Besondere: Sie ist mithilfe von Künstlicher Intelligenz generiert.
Geschichte – aus der Sicht von Frauen
„Historische Heldinnen“ ist ein Projekt von „Viertausendhertz“, einer Podcastproduktionsfirma mit Sitz in Berlin-Kreuzberg. Die beiden Geschäftsführer*innen Marie Dippold und Hendrik Efert arbeiten dort mit einem Team von mehr als 20 freien Redakteur*innen, Producer*innen, Autor*innen und Hosts.
Als eines der ersten deutschen Podcast-Labels entwickelt es seit 2016 Formate für Unternehmen und Institutionen, darunter die Bundeszentrale für Politische Bildung und die ARD – und probiert gerne Neues aus. Bei den „Historischen Heldinnen“ geht es um Frauen, deren Lebensgeschichten zu wenig Beachtung finden. Grund dafür: Geschichte wird oft als eine Geschichte von Männern erzählt.
In jeder Episode stellt „Viertausendhertz“ eine bedeutende Frau der Geschichte vor, darunter historische Persönlichkeiten wie Marie Curie oder Emmeline Pankhurst, Vorreiterin der britischen Frauenwahlrechtsbewegung, bis zu weniger bekannten Figuren wie Ada Lovelace, Erfinderin des ersten Computerprogramms, oder der Japanerin Junko Tabei, die als erste Frau den Mount Everest bestieg. „Junko ist meine persönliche Lieblingsepisode“, sagt Dippold. Denn: Früher sei ihr beim Thema Bergsteigen nur Reinhold Messner eingefallen.
Zwanzig berühmte Frauen? Fehlanzeige
Die Idee zum Format habe schon lange im Raum gestanden, erzählt die Podcastchefin im Interview. „Wir wollten kurze und einfach verdauliche Wissenshappen anbieten und gleichzeitig ausprobieren, was mit Künstlicher Intelligenz machbar ist.“ Als sich die Qualität für KI-basierte Audioformate zuletzt sprunghaft verbesserte, fanden Dippold und Efert: Jetzt packen wir es an.
Das Thema stand bald fest: Frauen. „Podcasts sind immer noch männlich geprägt“, sagt Marie Dippold, die vor der Gründung ihrer Podcastfirma Kund*innen großer Medienkonzerne betreute. Tatsächlich gehören Formate wie Geschichten aus der Geschichte, Fest und Flauschig, Lage der Nation oder Lanz und Precht zu den beliebtesten Podcasts Deutschlands. Hier sprechen Männer über Politik, Gesellschaft und Geschichte.
Vor allem Geschichte sei lange Zeit nur von Männer erklärt worden, so Dippold. Erst in den letzten Jahren öffne sich der Blick für Frauen und ihre Sicht auf die Welt. Die ARD produzierte 2021 eine vierteilige Dokumentation mit dem Titel „HerStory“, die die Geschichte aus dem Blickwinkel der anderen Hälfte der Menschheit erzählte.
Seit Sommer 2022 stellt der Sender mit dem Podcast „Lost Sheroes: Frauen, die in den Geschichtsbüchern fehlen“ Frauen wie die brasilianische Menschenrechtsaktivistin Marielle Franco vor, die 2018 ermordet wurde, oder die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm, die schon Mitte des 19. Jahrhunderts die völlige rechtliche, soziale und ökonomische Gleichberechtigung von Mann und Frau forderte.
Den letzten Schub für ihr Projekt habe ein kurzes Experiment gegeben, erzählt Podcastproduzentin Dippold. „Wir haben 25 Personen aus unserem Bekanntenkreis gefragt, ob sie uns in zwei Minuten 20 Frauen der Geschichte nennen können. Das schockierende Ergebnis: Niemandem fielen 20 Frauen ein. Auch mir nicht – das hat mich richtig geärgert.“
So entstand der Podcast über bedeutende Frauen der Geschichte – mit einem besonderen Dreh: Mithilfe von Künstlicher Intelligenz erzählt „Viertausendhertz“ ihre Geschichten aus der Ich-Perspektive. „So rücken wir Frauen aus den historischen Randnotizen ins Zentrum der Aufmerksamkeit.“
Der Podcast startete im September 2023, fast 90 Folgen gibt es bereits, im Januar folgen weitere neue Episoden. Großen Wert legten die Macher*innen darauf, eine Vielfalt von Frauen zu zeigen – aus unterschiedlichen Ländern, sozialen Schichten und Hintergründen. Held*innentum ist keine Frage der Herkunft oder des gesellschaftlichen Status, so die Botschaft.
Künstliche Intelligenz als Mitarbeiterin
Für die Produktion des Podcasts nutzte das „Viertausendhertz“-Team KI-Programme als kreative Mitarbeiterin. ChatGPT half bei der Recherche und dem Skripten der Texte, die Stimmen produzierte das Programm ElevenLabs, für die Postproduktion griffen die Podcast-Macher*innen auf DeScript zurück. Klingt, als sei für die Menschen bei „Viertausendhertz“ nicht mehr viel Arbeit übriggeblieben.
„So einfach ist das mit der künstlichen Intelligenz auch nicht“, lacht Marie Dippold. Die von der KI geschriebenen Texte und erstellen Audios würden am Ende immer von zwei Personen überprüft. Oft gebe es Fehler bei Daten und Namen von Personen oder Orten. Auch die Auswahl der Protagonistinnen erfolge per Hand, weil das Leben vieler berühmter und starker Frauen nicht frei von Kontroversen gewesen sei.
Ihre Lebensgeschichten zu erzählen brauche eine gewisse historische und kritische Einordnung. „Die KI unterstützt uns bei Ideen und der kreativen Umsetzung, aber am Ende entscheiden wir Menschen, wie die Geschichten erzählt werden.“ Der Einsatz Künstlicher Intelligenz wird derzeit sowohl gefeiert als auch kritisch beäugt. Marie Dippold ist sich sicher: „Die Künstliche Intelligenz wird nie klassische Podcasts ersetzen. Menschen wollen persönliche Meinungen, Emotionen und Erfahrungsberichte hören.“
Dennoch sieht sie die KI als das Produkt unseres Jahrhunderts und ihre Aufgabe darin, herauszufinden: Wo ist KI sinnvoll und wo nicht? In unserem Leben sei schon mehr KI als die meisten Menschen denken: Bei Übersetzungsprogrammen, Suchmaschinen, Chatbots im Kundenservice oder Smarthome-Geräten. Auch E-Mailprogramme greifen auf KI zurück und entscheiden, welche Nachrichten im Spamordner landen. Eine pauschale Ablehnung finde sie daher wenig hilfreich. „Die Frage ist doch: Wie können wir die KI gut für uns nutzen?“
Abgrenzen, nicht klonen
Die ersten Folgen seien zeitintensiv gewesen: Pro Folge hätte das dreiköpfige Team, das an den Historischen Heldinnen mitarbeitet, einen Tag für die Auswahl und Texterstellung benötigt, zuletzt produzierten sie in ein bis zwei Tagen fünf Folgen am Stück – von der Auswahl bis zur Postproduktion und Bilder. Die größte Herausforderung sei die Erstellung von authentischen und glaubwürdigen Sprachprofilen gewesen.
„Wir wollten unterschiedliche Stimmen, die zu den Frauen und ihren Geschichten passen“. Ganz bewusst haben sie sich von den Originalstimmen, wenn diese zu finden waren, abgesetzt. „Wir wollten nicht klonen.“ Meist habe das Team schon eine Stimme im Ohr gehabt – eine tiefe Tonlage für ältere Frauen, eine höhere für Frauen, die in jungen Jahren bedeutende Wege gegangen sind.
Über Frauen – für Frauen?
Der Podcast hat eine treue Fangemeinde, durchschnittlich hören etwa 2.000 bis 3.000 Hörer*innen die Folgen. Manche Episoden erreichten bis zu 15.000 Abrufen – vor allem über bekannte Frauen wie Frida Kahlo, die fast Popkulturstatus habe. „Mein Leben war wie ein gemaltes Bild, voller heller Farben und dunkler Schattierungen“, erzählt die KI-generierte Stimme der mexikanischen Malerin.
Das Feedback sei durchweg positiv, freut sich die Geschäftsführerin. Einige Hörer*innen wünschten sich längere Geschichten. Das könne und wolle der Podcast „Historische Heldinnen“ aber nicht liefern. Ihr Fokus liege auf Wissenshappen, andere Podcasts, die von weiblichen Autorinnen produziert werden, könnten da mehr redaktionelle Recherche liefern.
90 Prozent der Hörer*innen sind Frauen. Über die Gründe rätseln Marie Dippold und ihr Team. Möglicherweise richte sich der Titel zu ausschließlich an Frauen, oder Männer interessierten sich weniger für deren Geschichten? „Interesse für Geschichte sollte aber geschlechtsneutral sein“, findet die Podcastchefin.
In einer der letzten Episoden von „Historische Heldinnen“ kommt Melitta Bentz zu Wort. Die Hausfrau und Mutter ärgerte sich lange Zeit über den Kaffeesatz in ihrem Kaffee und erfand 1908 mit Löschpapier und einer durchlöcherten Messingdose den Kaffeefilter – ein Produkt, das heute global verwendet wird, von Männern und Frauen. Ihre Firma führte sie erfolgreich durch den Ersten Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise. Im Podcast sagt sie: „Ich hatte schon als Kind ein Händchen für praktische Lösungen.“