Verena Bentele ist seit 2018 Präsidentin des größten deutschen Sozialverbands VdK. Zuvor war sie erfolgreiche Biathletin und Skilangläuferin. Bei der Digital-Konferenz VISIONÄR*IN hat sie darüber gesprochen, wie wichtig ein Begleitläufer ist – sowohl wenn man blind ist als auch ohne Behinderung. Unsere Chefredakteurin Pauline Tillmann hat sie im Anschluss interviewt.
Frau Bentele, Sie waren Spitzensportlerin. Welche Fähigkeiten kommen ihnen heute aus dieser Zeit in Ihrer Funktion als Präsidentin des VdK zugute?
Als Sportlerin lernt man sich durchzukämpfen und immer wieder aufzustehen, wenn man mal nicht gewinnt oder es nicht so klappt wie man will. In der Politik braucht man diesen Optimismus, das Durchhaltevermögen und den langen Atem ebenfalls. Sport und Politik funktionieren nur, wenn Menschen gemeinsam mit Leidenschaft für ihre Ziele kämpfen.
Was müsste sich Ihrer Meinung nach in Hinblick auf die Inklusion von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft konkret ändern?
Die immer wieder angesprochene Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft ist wichtig und richtig. Aber Bewusstsein wird auch durch Sichtbarkeit gebildet. Und Menschen mit Behinderung können nun mal nur innerhalb der Gesellschaft sichtbar sein, wenn sie daran teilhaben und die Gesellschaft selbst mitgestalten können. Deshalb braucht es unter anderem Barrierefreiheit. Es braucht verpflichtende Maßnahmen für Barrierefreiheit, auch für private Anbieter. Das heißt, ein jeder Bankautomat, jedes Geschäft, Unternehmen, Krankenhaus und Restaurant muss für alle Menschen zugänglich sein. Barrierefreiheit ist ein zentraler Aspekt für Teilhabe und Inklusion.
Warum glauben Sie, ist das Thema Diversity so wichtig (für Unternehmen, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes)?
Es ist für alle Unternehmen ein Gewinn sich diverser aufzustellen. In der UN Charta der Vielfalt ist sehr treffend formuliert, dass verschiedenen Perspektiven und Kompetenzen nicht nur das Zusammenleben spannend machen, sondern auch ermöglichen, dass neue Ideen entstehen und die Zusammenarbeit erfolgreicher wird. Wenn sich Unternehmen teure Beratung ins Haus holen, dann machen sie dies um die Perspektive zu wechseln. Das lässt sich in divers geführten Teams mit den eigenen Leuten großartig realisieren.
Was können Menschen ganz konkret in ihrem Umfeld tun, um Vielfalt besser umzusetzen? Welche 3 To-Dos würden Sie unseren Leser*innen mit auf den Weg geben?
Es ist wichtig, dass Menschen erkennen, dass alle von Diversität profitieren – das gilt in einer Freundesgruppe bis hin zu Teams in der Arbeit. Das sollte man bei Entscheidungen immer berücksichtigen. Ist man in einer diversen Gruppe ist es wichtig, auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen einzugehen und die richtigen Fragen zu stellen. Fragen sind viel wichtiger als eigene Vorstellungen oder sogar Vorurteile. Mir ist es immer lieber, mich fragt jemand was ich brauche als einfach von irgendetwas auszugehen.
Zur Person:
Die 41-jährige Verena Bentele ist von Geburt an blind und kann nur hell und dunkel erkennen. Aufgewachsen ist sie in Tettnang und wurde eine der erfolgreichsten deutschen Sportlerinnen. Im Biathlon und Skilanglauf wurde sie viermal Weltmeisterin und zwölfmal Paralympics-Siegerin. 2014 bis 2018 war sie Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Ihr jüngstes Buch heißt: „Wir denken neu – Damit sich Deutschland nicht weiter spaltet“ (2021).
Der Vdk, dessen Präsidentin Bentele ist, ist Deutschlands größter Sozialverband. Er mischt sich in die aktuelle Sozialpolitik ein, damit sozialer Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Solidarität mehr Beachtung geschenkt wird. Aktuell hat der Verband mehr als zwei Millionen Mitglieder.
Weitere Infos:
Verena Bentele setzt sich immer wieder für die stärkere Beteiligung von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben ein. In diesem Hintergrundartikel erklärt Andrea Schuler unter dem Titel „Weiblich, arbeitslos, Frührente“ wie schwer es für Menschen mit Behinderung ist, einen Job zu finden – obwohl sie oft überdurchschnittlich gut qualifiziert sind (Mai, 2023)