Mangelndes Faktenwissen, Verdrängung und handwerkliche Missverständnisse führen dazu, dass Klima in vielen Redaktionen zu kurz kommt. Das kritisiert die Journalistin Sara Schurmann – und erklärt in einem Gastbeitrag, warum sie eine Debatte innerhalb der Branche anstoßen will.
Von Sara Schurmann, Berlin
Die Klimakrise ist die größte Herausforderung der Menschheit, die Coronakrise eine Fingerübung dagegen – das sagen nicht nur Politiker*innen, sondern auch Journalist*innen. Das Problem: Regierungen industrialisierter Staaten setzen noch immer keine angemessenen Maßnahmen um und die meisten Medien schenken dem Klima nicht annähernd so viel Aufmerksamkeit wie COVID-19. Wie kann das sein?
Es ist ein Unterschied, ob wir den Mechanismus der globalen Erwärmung grob verstehen und dessen Bedrohung anerkennen. Oder ob wir uns bewusst sind, was das konkret für das eigene Leben bedeutet und wie wenig Zeit bleibt, dramatische Veränderungen zu verhindern, die nicht rückgängig gemacht werden können.
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Diesen Erkenntnisschritt zu machen ist gar nicht so einfach, da auch vielen Journalist*innen gar nicht klar sein dürfte, dass es da überhaupt etwas tiefer zu begreifen gibt. Schließlich sprechen nicht nur Wissenschaftler*innen, Politiker*innen und Journalist*innen seit Jahrzehnten vom „Klimawandel“ – die entscheidenden Fakten sind erforscht und grundlegend bekannt.
Dass sich der Klimawandel in den Jahrzehnten des Nichtstuns in eine lebensgefährdende und alles umfassende Krise ausgewachsen hat, scheinen noch nicht alle realisiert zu haben. Auch wenn etwa die britische Tageszeitung „The Guardian“ seine Klima-Berichterstattung seit Jahren immer wieder verstärkt, sind es international wie national vor allem kleinere journalistische Projekte wie Klimafakten.de, „Riffreporter“ und „Klimareporter“, die versuchen, dem Ausmaß der Klimakrise mit ihrer fundierten Berichterstattung gerecht zu werden.
Die Gründe für dieses global mangelnde Krisenbewusstsein sind vielfältig und komplex. Die drei wichtigsten Gründe – neben bewusst gestreuten Zweifeln durch Lobbygruppen – sind wohl: mangelndes Faktenwissen, psychologische Mechanismen wie Verdrängung und journalistisch handwerkliche Missverständnisse.
1. Fehlendes Wissen in den Redaktionen
Lange war Klima ein Thema für Fachjournalist*innen, ein wahlweise wissenschaftliches oder politisches Problem. In vielen Redaktionen wird die Klimakrise noch immer wie ein Thema unter vielen behandelt, dabei ist ihr Ausmaß mittlerweile so groß, dass sie überall mitgedacht werden musst. Denn die Klimakrise ist ein strukturelles Problem. Heutige Entscheidungen in allen möglichen Bereichen sorgen entweder dafür, der Lösung der Krise näher zu kommen. Oder sie zementieren fossile und klimaschädliche Strukturen und befeuern sie so weiterhin – oft für Jahre und Jahrzehnte.
So etwa beim Autobahnbau, der europäischen Agrarpolitik und dem EU-Finanzpaket für die Wirtschaft in der Coronakrise. Ein bisschen Klimaschutz reicht nicht mehr, um das sogenannte „Pariser Klimaabkommen“ einzuhalten und unsere Lebensgrundlagen zu sichern. Wir müssen so schnell es geht klimaneutral werden, idealerweise sogar klimapositiv. In jedem Land, in allen möglichen Sektoren.
Deswegen müssen auch Sportjournalist*innen schauen, ob etwa Fußballteams Konzepte für klimaneutrale Großveranstaltungen haben. Und Lokaljournalist*innen müssen sich etwa fragen, inwiefern ein neues Bauprojekt mit lokalen Klimazielen vereinbar ist. Und wie gut es sich eigentlich im Sommer 2050 nutzen lassen wird, wenn die Fassaden komplett verglast ist.
Aber: Nur wenige Journalist*innen haben umfassendes Wissen zur Erderhitzung. Auch das ist ein strukturelles Problem: Viele arbeiten unter ständigem Zeitdruck, schon die eigenen Themen ausreichend zu bearbeiten ist oft nicht ohne Überstunden machbar. Sich nebenbei noch selbstständig in ein weiteres, extrem komplexes Feld einzulesen ist kaum möglich.
Das führt in Redaktionskonferenzen auch dazu, dass Klimathemen meist nicht die Aufmerksamkeit und den Platz erhalten, den sie aufgrund ihrer Relevanz haben sollten. Und es sorgt dafür, dass Verzögerungstaktiken im Klimadiskurs nicht konsequent transparent gemacht und eingeordnet werden. Zu oft werden sie stattdessen als legitime, kritische Argumente wiedergegeben, bremsen so den öffentlichen Diskurs – und damit das Handeln.
2. Kollektive globale Verdrängung
Diese Art von kollektivem Missverständnis ist nur möglich, weil wir Menschen in vielen Fällen Fakten verdrängen, die nicht in unser Selbst- und Weltbild passen. Die Klimakrise ist auch eine psychologische Krise. Und Journalist*innen sind auch Menschen. Das Weltbild vieler Menschen in westlichen Industrie- und Wohlfahrtsstaaten ist oft, zumindest unbewusst, geprägt von einer neoliberalen Erfolgserzählung, dass Wirtschaftswachstum viele gesellschaftliche Probleme lösen werde. Unter anderem diese Annahme lässt uns beunruhigende Berichte, Bücher oder Dokumentationen im Alltag oft wieder wegschieben.
Denn wenn das wirklich alles so schlimm wäre, stünde es ja auf den Titelseiten, liefe ständig in den Nachrichten. Solange das nicht der Fall ist, solange sich Politik und Medien im Gesamtbild mehr Sorgen machen um Wirtschaftswachstum als um ökologische Probleme – solange erscheinen diese Krisen einigermaßen unter Kontrolle.
Bei Politiker*innen und Journalist*innen kommt hinzu, dass sie sich jeden Tag mit den Problemen des Landes und der Welt beschäftigen. Dass sie dabei etwas so Gravierendes übersehen haben könnten, scheint für viele so schwer vorstellbar, dass selbst die immer neuen Warnungen von Tausenden von Wissenschaftler*innen nur wenige grundlegend zu erschüttern scheinen.
Es ist nicht so, dass Warnungen, Probleme oder alarmierende Ereignisse komplett ignoriert würden. Natürlich werden sie berichtet. Diverse Journalist*innen warnen seit Jahren und Jahrzehnten vor den Auswirkungen der Klimakrise, des Artensterbens oder der Ozeanversauerung, erklären die gleichen Grundlagen alle paar Monate wieder. Nur landen diese selten auf den Titelseiten. Und anstatt die Implikationen fortan konsequent mitzudenken, geht es für alle anderen Kolleg*innen danach oft weiter im Tagesgeschäft.
Ähnlich wie in der Coronakrise gilt allerdings: Nur wer sich bewusst ist, wie akut die Situation ist, kann angemessen reagieren. Mit einer neuen Grippewelle gehen Regierungen und Bürger*innen anders um als mit einer tödlichen Pandemie. Den Klimawandel zu stoppen erscheint vielen noch immer vergleichsweise wenig dringlich. Das wäre wohl anders, wenn mehr Menschen bewusst wäre, dass es um nichts Geringeres geht, als die akut drohende Klimakatastrophe abzuwenden.
3. Journalistisch handwerkliche Missverständnisse
Auch wenn das Wort Klima im aktuellen Bundestagswahlkampf vergleichsweise oft fällt, wird mit Blick auf die Debatten zu Benzinpreis, Tempolimit und Kurzstreckenflügen schnell klar: Oberste Priorität hat effektiver Klimaschutz noch immer nicht. Dazu trägt auch die gängige Politikberichterstattung bei. Journalistisch begegnen wir der Klimakrise oft mit Politikjournalismus. Der geht im Gegensatz zum Wissenschaftsjournalismus davon aus, dass es mehrere legitime (politische) Positionen gibt. Diese einfach gegeneinanderzuhalten erzeugt demnach Neutralität, vermeintlich sogar Objektivität.
In Wahrheit jedoch führt dies bei Problemen mit naturwissenschaftlicher Grundlage oft zu einer „False Balance“, die Christian Drosten in einem Interview mit dem Schweizer Magazin „Republik“ auch in der Corona-Berichterstattung kritisiert. In der medialen Darstellung werde eine wissenschaftliche Mehrheitsmeinung gleichberechtigt einer abweichenden Minderheitenmeinung gegenübergestellt. „Und dann sieht das so aus, als wäre das 50:50, ein Meinungskonflikt“, sagt Drosten. „Und dann passiert das, was eigentlich das Problem daran ist, nämlich dass die Politik sagt: ‚Na ja, dann wird die Wahrheit in der Mitte liegen.‘ Das ist dieser falsche Kompromiss in der Mitte.“
Ein weiteres Beispiel: In den vergangenen Wochen haben sich alle großen Parteien – außer der AfD – öffentlich zur Einhaltung des „Pariser Klimaabkommens“ und des 1,5-Grad-Limits bekannt. Allerdings hat nicht eine der Parteien ein ausreichendes Programm vorlegt, um das auch wirklich zu erreichen. Nicht mal die Grünen. Diese Absichtserklärungen der Politik werden in vielen journalistischen Beiträgen nicht ausreichend prominent und konsequent mit den wissenschaftlichen Grundlagen abgeglichen. Zwar steht am Ende oft ein kurzer Absatz: „Wissenschaftler*innen / Umweltverbände / Aktivist*innen kritisieren, das reiche nicht aus.“
Wie groß die Diskrepanz zwischen dem Nötigen und dem Angebotenen ist, wird dadurch aber allzu oft nicht klar. Die Einschätzung der Wissenschaft wirkt so häufig wie eine weitere Meinung unter vielen.
Lösungsansätze und gute Beispiele
Was also können wir tun, um diese Ungleichgewichte und Missverständnisse aufzulösen?
Wir brauchen erstens eine brancheninterne Debatte über diese Probleme, um das Bewusstsein für sie zu schärfen – und sie entsprechend angehen zu können.
Zweitens müssen Chefredaktionen ausreichende Ressourcen und Angebote zur Verfügung stellen, damit sich alle Kolleg*innen möglichst schnell und einfach in die Grundlagen der Klimakrise einarbeiten, sie entsprechend bei ihren Themen mitdenken und in den Redaktionen informiert diskutieren können.
Dafür kann es drittens übergangsweise sinnvoll sein, Klimaressorts zu gründen, in denen Redakteur*innen Zeit und Raum bekommen, sich intensiv mit den Zusammenhängen auseinanderzusetzen und von Kolleg*innen zu lernen. Oder bei kleineren Redaktionen eine Art Klima-Textchef*in einzuführen, um entsprechende Recherchen oder Einordnungen anzuregen.
Die taz macht das immer wieder vor. 2020 hat sie ihre ohnehin schon vergleichsweise intensive Klima- und Umweltberichterstattung verstärkt, unter anderem um einen Klima-Hub, 2021 die Klimapolitik ins Zentrum der Berichterstattung zur Bundestagswahl gestellt. Chefredakteurin Barbara Junge schreibt dazu: „Mit der Zuspitzung der Klimakrise hat sich auch für uns etwas verändert.“
Viele weitere Redaktionen sollten folgen, wenn wir es schaffen wollen, die Klimakatastrophe – noch – zu verhindern.
Hintergrund:
Dass der Klimawandel ein riesiges Problem ist, war auch Sara Schurmann seit der Grundschule klar. Aber wie wohl bei vielen rückte ihr Bewusstsein dafür bald in den Hintergrund. Wenn es so schlimm wäre, würde sich ja jemand kümmern, dachte sie, und schob Anflüge von Beunruhigung immer wieder fort.
2018 las sie einen Text über das Plastikproblem und beschloss danach, ihr Leben auf möglichst nachhaltig umzustellen. Obwohl sie sich seitdem auch intensiv mit der Klimakrise beschäftigt, wurde ihr erst vor einem Jahr richtig bewusst, dass deren Auswirkungen auch ihr eigenes Leben hart treffen werden.
Wie sie heute weiß, ist das nicht so überraschend, wie es klingt: Es gibt wirkmächtige und grundsätzlich sinnvolle psychologische Schutzmechanismen, die Menschen davon abhalten, negative Informationen emotional an sich heranzulassen. Gleichzeitig halten sie uns davon ab, angemessen auf die Probleme zu reagieren. Seitdem versucht sie, die Klimakrise verständlich zu erklären und Lösungen aufzuzeigen.