Frauen gelten – gemeinhin – nicht als besonders lustig, und das obwohl sie öfter lachen. Genau deshalb sind es meist Männer, die Witze für Fernsehen und Bühnenshows schreiben. Wir haben Gianna-Mariella Tripke getroffen: eine Ausnahme in der deutschen TV-Humor-Szene.
Von Mareike Graepel, Köln
Im Lebenslauf der 36-jährigen Wahl-Kölnerin Gianna-Mariella Tripke stehen große Shows wie „Neo Magazin Royale“, „PussyTerror TV“, „Kroymann“, zwei Comedypreise und die Chefautorin-Stelle bei „Mann, Sieber!“. Aber in diesen und allen anderen Fernseh-Comedy-Autor*innenteams sitzen nur extrem selten Frauen mit am Tisch. Wenn, dann höchstens hier und da eine, wie eine Galionsfigur. „Es ist als ob die Chefautoren denken würden: Das sieht toll aus, wenn wir eine Frau im Team haben, die nehmen wir, weil sie eine Frau ist“, sagt Tripke.
Sie sitzt in ihrer lässig-chaotischen Küche in Köln, nimmt einen Schluck aus ihrer Tasse, an der Tür hängt ein Nirvana-Poster, am Regal ein paar Backstage-Pässe und am Kühlschrank selbstgemalte Kinderkunst. Unter dem Tisch liegt ihr Hund. „Ich dachte von mir selbst komischerweise nicht, dass ich lustig bin“, sagt die 36-Jährige. Sie hat Germanistik und Erziehungswissenschaften studiert und vor der Geburt ihres Kindes als Texterin in einer Werbeagentur gearbeitet.
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Lustig zu sein, um damit nicht nur ein bisschen Geld nebenbei zu verdienen, sondern sogar so lustig, dass Jan Böhmermann, Carolin Kebekus, Tobias Mann oder Christoph Sieber ihre Gags vor einem großen Publikum bringen und sie den Lebensunterhalt gut damit bestreiten kann, das hat sie nicht sofort kommen sehen. Erst seit etwas mehr als vier Jahren ist sie in der Witze-Szene tätig – angefangen hat sie mit kurzen Einzeilern, die sie für die „heute show“ geliefert hat. Danach hat man sie weiterempfohlen und sie wurde für andere Sendungen engagiert.
„Ich bin noch immer vorsichtig und beobachte genau, worüber die Kollegen und Zuschauer lachen – manchmal bin ich überrascht, welche Gags durch die Decke gehen und welche nicht so gut funktionieren.“ Wenn Witze nicht den erwünschten Erfolg haben oder ein Comedian oder Kabarettist später noch an der Pointe feilt, darf das nicht am Ego kratzen. Schwieriger sei es, so die Gag-Autorin, sich als Chefin in der männerdominierten Branche zurechtzufinden, wenn es um das Äußern von Kritik geht. „Wenn ich an einer Pointe etwas auszusetzen habe, werde ich auch schon mal gefragt, ob ich das nicht mit einem Lächeln sagen könnte. Es wird erwartet, dass Frauen alles, was sie sagen, nicht zwangsläufig emotionaler, aber freundlicher vorbringen.“
Darf man als Frau über #MeToo Witze machen?
Ihr Weg in die Branche begann als freie Autorin bei Brainpool, der Produktionsfirma, verantwortlich unter anderem für „TV Total“, „Ladykracher“, „Die Wochenshow“ und „Schlag den Raab“. Nach der Comedy-Masterklasse der Grimme-Akademie in Köln – auf dem Abschlussbild des vergangenen Jahres sind neun Männer und drei Frauen zu sehen – ging es für sie relativ schnell ins Team von Jan Böhmermann. „Frauenthemen unterzubringen, erst recht härtere, die Männer dann rüberbringen sollen, ist gar nicht so einfach. Jan war immer sehr offen, aber das ist nicht bei allen Kollegen so.“ Darf man über Abtreibung Witze machen? Oder über #MeToo? Als Frau? „Humor ist immer auch eine Katharsis“, sagt Gianna-Mariella Tripke. „Aber alles hängt von der Aufnahme des Witzes beim Empfänger oder bei der Empfängerin ab.“
Das ist wie beim Kitzeln: Erst bringt die Berührung den Menschen zum Lachen, dennoch versucht er die Stelle, die berührt wird, der Berührung reflexartig zu entziehen, weil der Körper als nächstes Schmerz erwartet. Interessant: Das Lachverhalten ist bei Witzen ähnlich, wie ein Kitzeln im Kopf quasi. Je höher der geistige Entwicklungsgrad, desto lauter das Lachen. Lachen löst Spannungen, die ein Witz – wie eine kitzelnde Berührung – aufbaut. Und auch ein Witz kann, wenn er übers Ziel hinausschießt, so etwas wie Schmerzen verursachen. Nur eben nicht körperlicher, sondern psychischer Natur. Ein Balance-Akt für Witzeschreiber*innen.
„Mit Frauen wie Carolin Kebekus zusammenzuarbeiten ist da besonders spannend“, berichtet Tripke. „Bei Caro und mir „funkt“ es einfach. Wir können sehr gut zusammen alberne Ideen entwickeln, weil wir eine sehr ähnliche Sicht auf die Welt haben. Es gibt da einige Parallelen, wie wir als Jugendliche drauf waren. Wir waren beide eher ‚Kategorie Wildfang‘, ohne aber anderen Mädchen gegenüber ‚stutenbissig‘ gewesen zu sein.“ Kennengelernt haben sich die beiden bei einer Show, bei der Tripkes Mann als Musiker engagiert worden war. „Wir sind uns kurz darauf wieder über den Weg gelaufen, im Foyer bei der „heute show“. Da hat sie gesagt, wie gerne sie mehr mit Frauen zusammenarbeiten möchte.“ Doch davon gibt es eben nur wenige.
Witze sind noch immer häufig frauenfeindlich
Es ist besonders schade, findet Gianna-Mariella Tripke, dass gerade junge Nachwuchsautorinnen oft Männer als Mentoren haben – aus Mangel an erfahrenen Autorinnen. „Und die Frauen, die sich hochgearbeitet haben, setzen natürlich auch ihre Ellbogen ein.“ Oft werde unausgesprochen suggeriert, dass eben nur für eine Frau Platz im Team sei. „Aber gerade die Fernsehbranche ist eben auch eine Branche, in der man sich gut präsentieren kann und muss.“ Ganz frei mache sie sich von solchen Gedanken selbst nicht. „Das beschäftigt mich oft sehr. Ich möchte gerne auch junge Kolleginnen an meiner Seite haben – aber bringe ich mich da selbst in Gefahr, übertrumpft zu werden?“
Vor der Kamera gab und gibt es immer wieder prominente und beim breiten Publikum beliebte lustige Frauen – von Evelyn Hamann über Hella von Sinnen und Anke Engelke bis hin zu aktuellen Stars wie Carolin Kebekus und Maren Kroymann, die aber allesamt vorwiegend männliche Gag-Schreiber haben. Bei Late-Night-Shows sind Frauen auch 2020 die absolute Ausnahme, gilt dieses Format doch noch immer als Königsdisziplin für Unterhaltungskünstler.
Schaut man sich Benimmbücher aus den 60er Jahren an, so heißt es da lapidar: „Die Dame hält sich bei Tisch mit der Darbietung von Scherzen zurück.“ Gleichzeitig waren viele Witze – und sind es bis heute – frauenfeindlich. Für Tripke sind tägliche Nachrichten Pflicht, weil sich überall ein Gag verstecken kann. „Mir wird oft gesagt: Schreib‘ nicht nur für Leute mit Abitur.“ Denn beim Fernsehen geht es bekanntlich um Einschaltquoten und den Widerhall in den sozialen Netzwerken. „Manchmal schreiben mir Leute auf Twitter oder im Freundeskreis per WhatsApp, dass sie eine super Idee für einen Witz haben. Meistens kommt das von Männern. Und so gut wie nie sind ihre Vorschläge lustig.“
Frauen setzen oft auf Selbstironie
Doch worüber lacht eine professionelle Possenreißerin privat? „Ich mag Witze, die weh tun. Das ist das Ding mit der Katharsis. Und ich mag albernes, aber kluges Zeug im Sinne von Monty Python. Generell alles, was der Gesellschaft einen Spiegel vorhält.“ Aber der beste Sketch, der ihrer Meinung nach in den letzten Jahren gemacht wurde, sei „Netherlands Second“ nach der Trump-Wahl gewesen – in dem die Niederlande sich als zweitbestes Land präsentierten, nach den USA.
Oscar Wilde hat noch gedacht: „Wit in a woman is the end of any romance“, übersetzt etwa „Frauen mit Humor sind das Ende aller Romantik“. Heißt das: Je weniger Humor eine Frau hat, desto leichter findet sie einen Mann? Dazu hat Helga Kotthoff vom Zentrum für Humorforschung in Freiburg herausgefunden, dass Männer einen scharfen, aggressiveren Humor haben, Frauen hingegen mehr auf Selbstironie setzen – und sich so auf eine Ebene mit anderen Frauen bringen. Erst wenn Frauen älter seien (und Attraktivität möglicherweise eher zweitranging werde) – so beschreibt es die Expertin – würden ihre Anekdoten „bei Tisch“ beispielsweise von einer gemischten Runde als witzig akzeptiert.
Und was steht bei Gianna-Mariella Tripke auf dem Plan im neuen Jahr? „Es gibt ein paar tolle Angebote, zum Beispiel die Texte für die Eröffnungsshow der Berlinale gemeinsam mit und für Schauspieler und Moderator Samuel Finzi zu schreiben, und eine neue Head-Autorenstelle.“ Vieles in der Branche passiere überraschend, manches sehr kurzfristig und oft über Mundpropaganda und persönliche Kontakte statt über offizielle Bewerbungen. Das heißt: Es bleibt spannend für Gianna-Mariella Tripke. Und ganz bestimmt lustig.