Eine unabhängige Messe macht’s vor: Bei der „Indiecon“ in Hamburg – die immer am ersten Wochenende im September stattfindet – sind gut die Hälfte der Publizist*innen und Autor*innen weiblich. In der Branche ist das durchaus ungewöhnlich.
Von Mareike Graepel, Hamburg
In der Mainstream-Buchszene machen meistens Männer „Druck“ – und das, obwohl Frauen mehr lesen, mehr Bücher kaufen und in vielen Buchverlagen die Mehrheit der Belegschaft ausmachen. Trotzdem: In nicht einmal einem Viertel von ihnen leiten Frauen die Geschäfte. Wohltuend anders sei die „Indiecon“, findet Jana Reich.
Sie hat 2013 mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann Andreas den Verlag „Marta Press“ gegründet – „benannt in Erinnerung an meine Großmutter“, die aus Vorpommern flüchten musste, allein mit den Kindern und Schwiegereltern. „Das ist hier eine sehr emanzipierte Veranstaltung“, sagt sie, die ihren Verlag als feministisch, anti-faschistisch und sozialkritisch beschreibt. Das dreitägige Verlagsfestival ist nur wenige Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt, in einem kreativen Viertel mitten in der Stadt. 2020 war Jana Reich als Ausstellerin zum ersten Mal bei der Messe in Hamburg dabei.
Dafür hatte sie etwa das Kinderbuch „Du bist einzigartig“ mitgebracht und ein Werk über queere Kunst namens „Inter_Sections. mapping queer*feminist art practices“. Auch ein Buch, dessen Klappentext sich wie ein Krimi liest, fanden die Besucher*innen dort: „Tag X – Ein gut gemachter Fake. Wie ich die Facebookgruppen der AfD übernahm“. Der – wie alle auf der „Indiecon“vertretene – unabhängige Verlag legt den inhaltlichen Schwerpunkt auf feministische Diskurse und gesellschaftskritische Themen. „Indie“ ist übrigens die Kurzform des englischen „independent“, was übersetzt so viel wie unabhängig heißt.
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Jana Reich erklärt: „Wir verlegen Sachbücher, Kinderbücher, Belletristik und auch Graphic Novels.“ Sie erinnert sich an Zeiten, in denen es in Deutschland ganz selbstverständlich viel mehr Frauenbuchläden gab als heute. Und wundert sich, dass ein Verlag, der vorwiegend Bücher von Frauen verlegt, oft den Stempel „Frauen-Verlag“ aufgedrückt bekommt. „Aus irgendeinem Grund sagt kein Mensch bei einem Unternehmen, das fast ausschließlich Männer im Portfolio hat, das sei ein ‚Männer-Verlag‘.“ Aber ob Stempel oder nicht, was wünscht sich eine unabhängige Verlegerin? „Natürlich einen Bestseller, am liebsten mit einem queeren Kinderbuch“, so Reich.
In den Gebäuden des alten Güterbahnhofs am Hamburger Oberhafen fügt sich Marta Press als ein Verlag ins Bild, der auf der „Indiecon“ genau richtig ist. Die Messe gibt es seit 2014, sie ist ein Zusammenschluss unabhängiger Zeitschriften-, Buch-, Kunstdruck- und Magazin-Verlage aus der ganzen Welt, ein internationales Event, quasi ein Festival. Knapp 4.000 Besucher*innen kamen in Prä-Pandemie-Zeiten zum Stöbern, Kaufen und Kennenlernen. Im vergangenen Jahr durften wegen der Pandemie nur 40 Leute pro Stunde in die Hallen, insgesamt kamen etwa 500 zur Messe.
Die Aussteller*innen-Liste ist bunt, abwechslungsreich, oft feministisch
Auch 2021 werden sich die Besucher*innen aufgrund der geltenden Corona-Bestimmungen ein personalisiertes Ticket für ein einstündiges Zeitfenster buchen müssen. Außerdem benötigen sie einen negativen Corona-Test oder müssen nachweislich vollständig geimpft oder genesen sein. Auch das Tragen einer Maske ist Pflicht. Neu ist: In diesem Jahr finden am Samstag- und Sonntagabend zwei Konferenzen statt, vor allem für Autor*innen und Verleger*innen interessant (siehe Infokasten am Ende des Artikels).
Allerdings sind die Austeller*innen aktuell mit wenigen Ausnahmen eher europäisch, aus den USA und China war 2020 niemand angereist. In diesem Jahr dabei sind unter anderem Herausgeber*innen und Künstler*innen wie Theresa Goessmann, Anaïs Rallo und auch das Greenpeace-Magazin. Die Website ist komplett auf Englisch, die Aussteller*innen-Liste in jedem Jahr bunt, abwechslungsreich und oft feministisch.
In den Hallen herrscht eine Atmosphäre, die bei der „Indiecon“ zum Konzept gehört: Urban, aber nicht zu cool oder gar exklusiv für Hipster. Der Stil schwankt zwischen locker bis lustig. Glitzernde Lichterketten, Fernseher-Installationen, riesige Gitterwände, Poster, Shirts und Wörter. Dazwischen der Slogan „Lesen statt putzen“, der auf einer Büchertasche auf das Programm des Argument Verlags mit Ariadne aufmerksam macht. Das Besondere: Er bringt ausschließlich Kriminalromane von Autorinnen heraus.
Also: Wer putzt schon, wenn es Morde aufzuklären gibt? „Ariadne hat 1988 die feministische Eroberung des einstigen Macho-Genres Krimi begonnen: Ab dann gab es Geschichten mit starken Frauen und sozialkritischem Biss. Neben Verbrechen und Gewalttat war da plötzlich auch Alltag, Abwasch und Kindergeschrei, Liebe und Politik, Lesbenromantik, Abenteuer, Tagträume und politische Debatten“, erklärt Else Laudan, die für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist.
Die Organisator*innen sagen, dass sie Zeitschriften, Bücher, Kunstdrucke und Magazine als „einen Einblick in die Wirklichkeit eines anderen Menschen“ sehen. Die Messe auf die Beine stellen DIE BRUeDER, ein Redaktions- und Designbüro mit Sitz in Hamburg und Berlin, dessen Inhaber selbst Produzenten und Verleger sind. Ob der Fokus auf Frauen geplant oder einfach selbstverständlich war, beantwortet einer der BRUeDER, Urs Spindler, so: „2020 waren unter den Ansprechpartner*innen für die Projekte 48 mutmaßlich weibliche und 45 mutmaßlich männliche Vornamen.“ Die Buchszene abseits der großen Konzerne scheint von Natur aus paritätisch.
Arbeiten für MTV und Zoom
Die afrobelgische 3D-Animations-Künstlerin und Illustratorin Loulou João hat durch ein niederländisches Magazin von der „Indiecon“ gehört. „Ich habe lange nach einer solchen Messe gesucht, und als die Leute beim Wobby Magazine gesagt haben, dass es hier in Hamburg super sei, bin ich hergekommen.“ Und das zwei Jahre in Folge, 2020 sogar als erste sognannte „Artist in Residence“. Loulou João stammt aus der Nähe von Antwerpen und arbeitete während der Messe an ihrem „Pink Palace of Reflection“, durch den die digitale Figur „Polly Focket“ spaziert und ihre eigenen Unsicherheiten reflektiert. „Es ist spürbar, dass hier mehr Künstlerinnen vertreten sind, das ist wirklich anders“, sagt sie.
„Gerade im Bereich der 3D-Kunst scheint es immer noch gängig zu sein, dass Männer das vermeintlich besser können, weil es so technisch ist. Dabei bringen Frauen eine neue Frische in die Szene.“ Grafiker würden oft sehr düster arbeiten, Grafikerinnen eher innovative Tendenzen mitbringen. In Loulou Joãos Arbeiten gibt es viele Neonfarben, oft auch Lila – die Farbe des Genusses und der Freude. „Wir haben in Belgien eine Support-Gruppe gegründet für Frauen und People of Colour, weil wir uns besser vernetzen wollen – damit Leute, die jemanden fürs Grafikdesign benötigen, nicht immer nur nach einem männlichen suchen.“
Ein Netzwerk, das bereits Früchte getragen hat: Seit letzten „Indiecon“ hat sich Loulou João einen Jugendtraum erfüllt und einen Videotrailer für den Musiksender MTV gemacht sowie einen animierten Hintergrund für die Videoplattform Zoom.
Die „Indiecon“ 2021 zum Thema „Reflections“ findet vom 3. bis 5. September statt. Die Messe ist am Freitag von 15 bis 18 Uhr geöffnet und am Samstag und Sonntag jeweils von 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.
In einer zweiteiligen Konferenz teilen unabhängige Verleger*innen und kritische Designer*innen ihre Erkenntnisse darüber, wie Verlagspraktiken Werkzeuge für sozialen Wandel und Hoffnung sein können. Aufgrund von COVID-19 wird auch für die Konferenz ein personalisiertes Ticket benötigt. Die Konferenz kostet fünf Euro und findet im designxport, Hongkongstraße 8, in Hamburg statt.
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Freitag, 3. September, 19 bis 21 Uhr:
PUBLISHING FOR SOCIAL CHANGE
RAFAELA KAĆUNIĆ & NINA VUKELIĆ (This is Badland) KEMI FATOBA (Daddy Magazine) in conversation with ARIANA ZUSTRA
Samstag, 4. September, 19 bis 21 Uhr:
CRITICAL DESIGN FOR CRITICAL FUTURES
LIZ GOMIS (OFF TO Magazine) ANNA BROUJEAN (Club Sandwich Magazine) in conversation with LARS WEISBROD (DIE ZEIT)