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Lerne inspirierende Frauen weltweit kennen.

Kreative Wegbereiterinnen
Wie Frauen die Kunst in Bangladesch prägen

10. Mai 2023 | Von Natalie Mayroth
Performance von Künstlerinnen aus Bangladesch unter der Leitung von Sumayya Vally auf dem „Dhaka Art Summit“ 2023 Foto: Shadman Sakib

Bangladesch fehlte lange eine Plattform für zeitgenössische Kunst. Mit weiblichem Engagement schlägt der sogenannte „Dhaka Art Summit“ diese Brücke. Unsere Korrespondentin war vor Ort und hat mit inspirierenden Künstlerinnen gesprochen.

Von Natalie Mayroth, Dhaka

Yasmin Jahan Nupur bewegt sich mit langsamen Schritten in einem gelb gestrichenen Raum. Mit heller Farbe hat sie Ornamente und Umrisse an die Wände gemalt. Es sind Szenen aus bengalischen Märchen, in die es sich leicht hineinziehen lässt. So hat die Künstlerin in der Shilpakala Nationalgalerie mitten in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka ein temporäres Zuhause geschaffen, in das sie Besucher*innen einlädt, mit ihnen spricht. Der Eintritt ist frei. So schaut ein breit gefächertes Publikum bei Nupur vorbei.

Ihre Installation ist nur ein Teil eines neuntägigen Kunstereignisses, dem diesjährigen „Dhaka Art Summit“, der im Februar zum ersten Mal mit einem Frauenanteil von 50 Prozent ausgerichtet wurde. Alle zwei Jahre findet der Gipfel statt. Nupur ist seit der Gründung 2012 bei allen Veranstaltungen dabei und im Zuge dessen als Künstlerin gewachsen. Das weltweit beachtete Zusammentreffen bietet nicht nur den Kreativen Bangladeschs, das mehr als 170 Millionen Einwohner*innen hat, eine Gelegenheit, ihre Werke zu zeigen. Gerade Frauen und junge Künstler*innen nutzen die Chance, sich international zu präsentieren.


 

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Regeln und Grenzen überwinden

Nupur, Jahrgang 1979, freut sich über die Aufmerksamkeit, die ihr und ihren Kolleginnen zuteilwird, obwohl sie längst etabliert und über ihre Heimat hinaus bekannt ist. So war ihre grenzüberschreitende Kunst im Palais de Tokyo, auf der Biennale in Venedig oder mit ihrer Performance „Let Me Get You a Nice Cup of Tea” im renommierten Londoner Tate Museum zu sehen. In dieser – wie ihrer aktuellen Performance „Home” in Dhaka – geht es Nupur um die Aufarbeitung der Vergangenheit. Ihr zentrales Thema: Ungerechtigkeit.

Die ausgebildete Malerin beschäftigt sich mit der Idee von Heimat sowie Räumen und Tätigkeiten, die mit Frauen in Verbindung gebracht werden. „In unserer Kultur gibt es viele Regeln und Grenzen für Frauen”, sagt sie über das mehrheitlich muslimische Land. Sie stammt aus der Nähe des Hafengebiets der Millionenstadt Chittagong im Südosten Bangladeschs. „Bevor es den Gipfel gab, war es für uns Künstlerinnen schwierig, uns zu etablieren”, erzählt sie. In Bangladesch fehle es an Galerien und damit an Ausstellungsmöglichkeiten.

Jetzt kämen Menschen durch diese „Brücke“, wie Nupur es nennt, zusammen. Eine Schnittstelle zum Publikum, zu Kurator*innen, Galerist*innen, zu Interessierten. Ihr Blick richtet sich auch darauf, wie sich Gewohnheiten und Werte seit der Unabhängigkeit des Landes – ab 1971 von Pakistan und 1947 von Großbritannien – verändert haben. So erfuhren die Gesprächspartner*innen während der Performance auf dem Summit in persönlichen Dialogen, dass Nupurs Zuhause nur noch in ihrer Erinnerung existiert, da es einem Bauprojekt weichen musste.  

Performerin Yasmin Jahan Nupur auf dem „Dhaka Art Summit“ 2023 in ihrer Performance-Installation „Home”. | Fotos: Natalie Mayroth

Altes Denken dominiert

Aber sie hat sich mit Gleichgesinnten eine neue Heimat in der Kunst geschaffen. Es gibt auch positive Effekte, die der Wandel dem Land gebracht hat. Kunst aus Bangladesch stößt im In- und Ausland auf wachsendes Interesse. Das macht sich auch an den mehr als eine halbe Million Besucher*innen auf dem Gipfel bemerkbar. Lange dominierten Kolleg*innen aus den Nachbarländern Indien und Pakistan die Region. Doch parallel zum wirtschaftlichen Aufschwung entwickelte sich in Bangladesch der Kunstmarkt mit Künstler*innen, Kurator*innen und Sammler*innen.

Noch gehört Bangladesch zu den „am Wenigsten entwickelten Ländern“ – der sogenannten vierten Welt – doch 2026 soll es laut UN-Prognose einen Rang höher aufsteigen. In einigen Kategorien hat es Indien und Pakistan bereits überholt, etwa bei der durchschnittlichen Lebenserwartung oder dem geschätzten Bruttosozialprodukt pro Frau. Dennoch ist das Denken oft noch von alten Idealen geprägt – vor allem, wenn es um Frauen geht. Liebevoll, fürsorglich und aufopfernd soll sie sein und entsprechend ist das Rollenverständnis. Diese veraltete Sichtweise ist ein Thema, das die Künstlerinnen in Bangladesch beschäftigt und eint.

Die junge Künstlerin Purnima Aktar neben ihren Arbeiten auf dem Dhaka Art Summit.| Foto: Natalie Mayroth

Gewalt sichtbar machen

Die Künstlerin Ashfika Rahman, Jahrgang 1988, betrachtet auf dem „Dhaka Art Summit“ die Legende von Behula mit einem feministischen Blick. An einer Wand im ersten Stock der Ausstellungshalle windet sich eine Schlange aus Metall. Sie steht für das Kriechtier der Göttin Manasa, die Behulas Geliebten mit einem Biss das Leben nahm. Nach dem hinduistischen Epos Manasa-Mangal fuhr Behula auf einem Floß mit dem Leichnam ihres Mannes Richtung Himmel, um ihn zu retten. Ashfika Rahman reiste über Wochen ins Schwemmland der Flüsse Padma und Brahmaputra, dorthin, wo Behula gelebt haben soll.

Angekommen bat sie Bewohnerinnen um Worte für Behula. „Ich habe mich gefragt, welche Rolle der Mann in dieser Geschichte spielt und wie es den Behulas heute geht”, sagt sie. In den Antworten ist Mitgefühl zu lesen, aber auch geteiltes Leid und Sorgen. Mit Goldfäden auf moosgrünen Stoff sind die Worte der Frauen gestickt. „Liebe Behula, ich konnte keinen Jungen gebären, deshalb ernährt mich meine Familie nicht mehr richtig”, steht in der englischen Übersetzung in einem Buch daneben. Es sind Zeilen, die berühren. „Ich wusste schon früh, dass es Geschichten gibt, von denen andere erfahren sollen”, sagt Rahman, die offen über ihre Arbeit und über ihre überstandene Krebstherapie spricht.

Die visuelle Künstlerin Ashfika Rahman hinterfragt die idealisierte Hingabe von Frauen, rechts ein Teil ihrer Arbeit „Die Behula dieser Tage“.| Fotos: Natalie Mayroth

„Meine Mutter war Sozialarbeiterin und hat sich jahrelang für Frauenrechte eingesetzt”, sagt sie. Das habe auch sie geprägt, die Jahre später in Hannover Fotografie studiert und in Publikationen wie dem deutschen Magazin „Geo“ veröffentlicht hat. Mit dem Gemeinschaftsprojekt macht sie bewusst auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam. Gleichzeitig hinterfragt sie die Botschaft des Mythos‘, dass Frauen ihre Bedürfnisse hinter die von Männern stellen sollen. Die mythische Figur Behula steht aber auch für die Stärke von Frauen, die in schwierigen Situationen handeln.

Nicht zuletzt holte Behula ihren Mann von den Toten zurück und kann so als feministisches Vorbild gelesen werden. Bestehen bleiben die Tücken im täglichen Leben. Die visualisiert Rahman mit Goldfäden auf Fotografien der Frauen. „Wir tragen unsere eigenen Feinde mit uns herum und nicht immer sind diese sichtbar”, erklärt Rahman ihre Intention am Beispiel eines ihrer Bilder. Je nachdem, was sie erzählen möchte, wechselt die Künstlerin das Material des Mediums: Fotopapier, Collage, Textilien.

Die künstlerische Leiterin und Chef-Kuraatorin Diana Campbell. | Foto: Myra Ho

Kunst und Kuration in Frauenhand

Dass der erste Kunstgipfel nach der Pandemie eine Frauenquote von 50 Prozent hat, sei Zufall, sagt Kuratorin Ruxmini Choudhury. Sie ist Teil des überwiegend weiblichen Teams hinter dem „Dhaka Art Summit“. „Es sind aber nicht nur Künstlerinnen beteiligt, sondern auch viele Kunsthandwerkerinnen”, so Choudhury, die schon in Kooperation mit dem Goethe-Institut Ausstellungen konzipiert hat. Zwar gebe es in Bangladesch immer noch wenige Frauen in ihrem Beruf, sagt sie. Dennoch prägt die weibliche Handschrift den Kunstgipfel, der seit 2014 von der US-Amerikanerin Diana Campbell Betancourt künstlerisch geleitet wird.

Vor allem die partizipativen Arbeiten fallen auf. Dazu gehört 2023 die Performance „To Enter the Sky“ der Südafrikanerin Sumayya Vally mit Darstellerinnen aus Bangladesch. „Mit dem Dhaka Art Summit verbinden wir die Welt mit Bangladesch und Bangladesch mit der Welt“, sagt Nadia Samdani MBE, Kunstsammlerin und Mitbegründerin des Gipfels. Ihr Ziel war es, Bangladesch auf die Weltkarte zeitgenössischer Kunst zu bringen und den Gipfel als Plattform zu etablieren.

„Wir wollen mit den Menschen vor Ort, mit lokalen Materialien etwas schaffen”, sagt die 41-Jährige. Aus diesem Grund haben sie zudem einen Förderpreis für lokale Künstler*innen initiiert und regen auf dem Summit Künstler*innen zu Arbeiten an, die eine Förderung erhalten wie Rahman. In diesem Jahr waren weitere Werke zu sehen, die sich mit Überschwemmungen und dem Klimawandel befassten, passend zum Motto des Gipfels „Bonna”, was übersetzt „Flut” bedeutet und zugleich ein Frauenname ist.

Najmun Nahar Keya hat für ihre Installation einen feministischen Ansatz gewählt. Sie steht vor ihrer „Symphonie der Worte” in einem traditionellen Tangail-Sari, aus dem auch die hängenden Buchstaben gemacht sind. | Foto: Natalie Mayroth

Weibliche Weisheiten

Buchstaben aus blauem bis violettem Stoff bilden eine „Symphonie der Worte”, die wie Wellen von der Decke hängen. Najmun Nahar Keya, Jahrgang 1980, hat sie zusammen mit ihren Schwestern aus traditionellen Tangail-Saris, sechs meterlangen Wickelkleidern genäht. Die Sprichwörter in Versen, die sich von oben nach unten lesen lassen, stammen von der legendären bengalischen Dichterin und Astrologin Khana, die ein tragisches Schicksal ereilte: Da sie ihren Mann und Schwiegervater in ihren Vorhersagen übertraf, soll sie von den Männern in ihrer Umgebung zum Schweigen gebracht worden sein: Man schnitt ihr die Zunge ab, heißt es.

„Trotzdem kennt heute jeder Khana und ihre Weisheiten über das Wetter und die Landwirtschaft”, sagt Keya, die einen der Tangail-Saris trägt. Sie hat nach ihrem Grundstudium in Malerei in Dhaka, studierte Keya in Japan weiter. Nach ihrer Rückkehr beim gemeinnützigen Britto Arts Trust engagiert. Sie ist eine der Künstlerinnen aus Bangladesch, die der Art Summit bewusst ins Licht gerückt hat. Wie Ashfika Rahman besinnt sie sich auf ihre bengalischen Wurzeln und wählt eine weibliche Perspektive, die sich ebenfalls mit einer mythenumwobenen Frau befasst.

Keya rezitiert die bis heute relevanten Volksweisheiten als nur ein Beispiel, wie Frauen das Land positiv beeinflusst haben. Und nicht nur das: Frauen sind es, die zum wirtschaftlichen Aufschwung in Bangladesch beigetragen haben – sei es als Textilarbeiterinnen, Sozialarbeiterinnen oder Kunstschaffende, die Festivals gründen, organisieren, Dialoge fördern und zum Nachdenken auffordern. Gemeinsam gestalten sie nicht nur die Kunstszene Bangladeschs, sondern prägen sie wie nie zuvor.

 

Weitere Hintergrundinformationen:

Seit 2012 findet alle zwei Jahre in der Hauptstadt Bangladeschs der „Dhaka Art Summit“ mit mehr als 150 beteiligten Künstler*innen statt. Seit seinem Bestehen hat er sich zu einem führenden nicht-kommerzieller Kunsttreffen in Südasien entwickelt, das lokalen wie internationalen Kunstschaffenden die Möglichkeit zum Austausch bietet und Kunstinteressierte, Sammler*innen und Vertreter*innen verschiedener Einrichtungen nach Bangladesch lockt. 2023 stammten 85 Prozent der teilnehmenden Künstler*innen aus Südasien, vor allem aus Bangladesch und Indien oder deren Diaspora.

 

Transparenzhinweis: Die Autorin wurde von der „Samdani Art Foundation“ zum „Dhaka Art Summit“ eingeladen.

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Von Natalie Mayroth, Mumbai

Natalie Mayroth arbeitet als Südasien-Korrespondentin mit Sitz in Mumbai. Ihre Texte erscheinen unter anderen in der taz. Sie berichtet über aktuelles Zeitgeschehen, Politik und Kultur aus Indien und dessen Nachbarländer. Nach Asien kam sie 2016 durch das Medienbotschafter China-Stipendium. Ein Jahr später wurde sie Medienbotschafterin für Indien mit Station im westindischen Mumbai.

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Mareike GraepelHaltern
Die US-Amerikanerin Cindy O’Brien lebt seit den 90er Jahren in Connemara, ganz im Westen von Irland und züchtet seltene Seeschnecken. Die sogenannten japanischen Abalone gedeihen an der irischen Küste gut. Sie gelten als Delikatesse und Aphrodisiakum, kosten bis zu 44 Euro pro Kilo – und sehen aus wie Vulven.

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