Wie verhüten Frauen weltweit? Wie sehr wird autonom entschieden, und wo mischt sich der Staat in die Familienplanung ein? „Deine Korrespondentin“ hat einen Blick in die Schlafzimmer in Japan, der Türkei, Indien und Frankreich geworfen.
Von Sonja Blaschke, Tokio
Verhütung wird in Japan kleingeschrieben. Wenn überhaupt verhütet wird, dann normalerweise mit Kondom. Aber auch darauf verzichten viele, lassen es darauf ankommen. Per Geschlechtsverkehr übertragbare Krankheiten wie das Aids-Virus, dessen Verbreitung in der Tat in Japan (noch) relativ gering ist, werden als Problem von Ausländern abgetan. Medienberichten zufolge soll es jedoch gerade unter jungen Japanern relativ hohe Verbreitungsraten von sexuell übertragbaren Krankheiten geben – eine der Ursachen für Unfruchtbarkeit bei Frauen.
Die Pille ist in Japan offiziell erst seit 1999 zugelassen. Vorher war sie nur unter bestimmten Bedingungen geduldet. Als die Pille anderswo in den 1960ern zu einer sexuellen Revolution führte, verbot das japanische Gesundheitsministerium noch Anfang der 1970er, die Worte „Pille“ und „Verhütung“ im Fernsehen zu erwähnen.
Während sich Gynäkologen zunehmend für die Pille einsetzen, bekamen sie ausgerechnet von japanischen Feministinnen lange Gegenwind. Diese befürchteten, dass ihre Zulassung die überaus liberalen Abtreibungsrechte beschränken würde. Anders als in christlich geprägten Gesellschaften ist die Hürde, eine Abtreibung machen zu lassen, in Japan niedriger.
Was in den 1990er-Jahren die Einführung der Pille weiter verzögerte, war die Befürchtung, dass die Zahl der geborenen Kinder dadurch weiter abnehmen und später zu einem Arbeitskräftemangel führen würde. Japan zählt zu den Ländern mit den niedrigsten Geburtenraten der Welt.
Noch heute ist die Zahl der Japanerinnen, die die Pille nehmen, bei weit unter zehn Prozent. Der Ruf der Antibabypille ist schlecht. Sie mache dick, glauben viele Japanerinnen, und das ist in dem ostasiatischen Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung sehr schlank ist, ein Graus. Auch die Angst vor Nebenwirkungen ist groß.
Dass die Pille auch bei Regelschmerzen oder Akne verschrieben wird, scheint japanischen Ärzten kaum bekannt zu sein. In Japan wird einer Frau, die die Pille nehmen möchte, vielmehr unterstellt, dass sie häufig ihre Partner wechselt.
Dass die Pille in Japan überhaupt zugelassen wurde, ist dem Potenzmittel Viagra zu „verdanken“. Denn während sich die Zulassung der Pille jahrzehntelang hingezogen hatte, winkte das zuständige Ministerium die blaue Potenztablette binnen eines halben Jahres durch – und musste sich Vorwürfe der Scheinheiligkeit gefallen lassen, selbst von den männerdominierten einheimischen Medien.
Von Veronika Hartmann, Istanbul
„Mindestens drei Kinder!“ – Das fordert Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan bei jeder passenden (und oft auch unpassenden) Gelegenheit. Jüngst dozierte er sogar, dass Frauen ohne Kinder „nur halb“ seien. Solche Schlagzeilen vermitteln den Eindruck, dass Frauen in der Türkei als „Brutmaschinen“ missbraucht werden und der Zugang zu Verhütungsmitteln ein Spießrutenlauf sein könnte. Dabei sieht die Realität anders aus: „Ich würde die Pille auch einer Zwölfjährigen verkaufen“, erklärt man mir in einer Istanbuler Apotheke. Verhütungsmittel, auch die Pille und die Pille danach, gibt es in der Türkei ohne Rezept und ohne Altersbeschränkung. Wer zum Arzt geht, bekommt Verhütung auch auf Staatskosten. Kondome liegen gut zugänglich an jeder Supermarktkasse aus, gleich neben der Gleitcreme und den Taschenfläschchen mit Kölnisch Wasser.
Einer Umfrage der Hacettepe Universität in Istanbul zufolge verhüten 74 Prozent der Ehefrauen. Allerdings verwenden lediglich 47 Prozent sogenannte „moderne“ Verhütungsmethoden wie die Spirale oder die Pille. Im Gegensatz dazu vertrauen 26 Prozent auf den relativ unsicheren „Coitus Interruptus“, der nicht nur Glückssache ist, sondern die Familienplanung dem Mann überlässt. Vielleicht weil sich, so eine weitere Studie, 35 Prozent der Frauen schämen, wenn sie Kontrazeptiva kaufen.
Dabei predigen Islamgelehrte in der Türkei, dass Sex so eine Art „Gottesdienst“ sei und nicht nur der Mann, sondern auch die Frau ein Recht auf ein erfülltes Liebesleben habe. Allerdings unter einer Bedingung: Nur Ehepartner dürfen diese Art des „Gebets“ miteinander verrichten und dabei auch verhüten. Sterbliche haben sowieso nicht die Möglichkeit, Gottes Willen zu torpedieren.
Anders sieht das Präsident Erdogan. Er glaubt, dass die rückgängigen Geburtenzahlen ein verhütungsmitteltechnischer Angriff des Westens und keinesfalls mit dem Islam in Einklang zu bringen seien. Aber auch wenn Erdogan im Land omnipräsent ist – bis in die Schlafzimmer hinein hat er es noch nicht geschafft.
Von Lea Gölnitz, Neu Delhi
In Indien ist Sexualität und alles was damit zu tun hat ein großes Tabu. Laut einer Studie der Frauenrechts-und Gesundheitsorganisation „EngenderHealth“ ist es 40 Prozent der Jugendlichen zu peinlich, sich über Verhütungsmethoden zu informieren. Dementsprechend wenige Personen im Alter von 15 bis 24 Jahren verwenden moderne Verhütungsmittel: Nach Angaben von UNFPA (United Nations Population Fund) sind es lediglich 18,6 Prozent. In den besonders armen und konservativen indischen Bundesstaaten Uttar Pradesh, Bihar, Orissa, Madhya Pradesh und Rajasthan verhüten gar weniger als 10 Prozent der jungen Leute. Gleichzeitig wurden 43 Prozent der Frauen, die heute 20 bis 24 Jahre alt sind, verheiratet, bevor sie volljährig waren.
Der Population Foundation of India zufolge ist diese minimale Nutzung von Verhütungsmitteln auf den niedrigen Status von Frauen, die hohe Kindersterblichkeit, die schlechte Gesundheitsversorgung und einen Mangel an Aufklärung zurückzuführen. Besonders Frauen auf dem Land haben keine oder nur wenige Informationen zum Thema Geburtenkontrolle und gegenüber ihren Männern kaum Verhandlungsspielraum, um das Verhütungsmittel ihrer Wahl durchzusetzen.
Der Regierung wiederum ginge es um langfristige Verhütungsmittel und Kontrolle des Bevölkerungswachstums. „Die Gesundheit der Frauen ist zweitrangig“, erklärt Melissa Upreti, Regional Director für Asien beim Center for Reproductive Rights.
Obwohl Vasektomie bei Männern unkomplizierter ist und wieder rückgängig gemacht werden kann, ist Sterilisation von Frauen mit 75 Prozent die am meisten genutzte Verhütungsmethode. Temporäre, moderne Verhütungsmethoden wie Kondome, Pille und Spirale werden kaum verwendet.
Viele Frauen werden zu Sterilisation überredet oder gezwungen, ohne über Nebenwirkungen oder Alternativen aufgeklärt zu werden. Zwischen 2003 und 2012 sind laut einem Bericht der „Hindustan Times“ 1434 Frauen an den Folgen einer Sterilisation gestorben. Mitte November 2014 sind zwölf Frauen in einem sogenannten „health camp“ gestorben, fast 70 weitere litten unter Komplikationen. Ein Human Rights Watch Bericht von 2012 beschreibt den Druck und die Strategien, mit denen Massensterilisationen durchgeführt werden. Demnach sollten Mitarbeiter lokaler Familienplanungszentren bestimmte Vorgaben für die Anzahl an Sterilisationen bekommen haben. In mehreren Staaten wurden Frauen Anreize wie zum Beispiel ein Auto oder Gold angeboten, wenn sie sich im Gegenzug dafür sterilisieren lassen.
Reproduktive Rechte und Gesundheit sind in Indien noch lange nicht realisiert. Die unmoralischen Methoden zur Durchsetzung der Familienplanung zeigen, wie sehr lokale Behörden unter Druck stehen, Bevölkerungsziele zu erreichen. Die Tatsache, dass es in vielen Gebieten mehr Familienplanungszentren als Gesundheitseinrichtungen gibt, legt diese Priorität offen.
„Zugang zu Verhütungsmitteln und korrekten Informationen ist ein grundlegendes Menschenrecht. Die Verweigerung dieses Rechts führt zu früheren und häufig ungeplanten Schwangerschaften, die sowohl die Gesundheit als auch das Leben von Frauen gefährden und zu ungleichen Chancen in der Ausbildung und Beschäftigung führen. Die indische Regierung ist gesetzlich verpflichtet, dieses Recht auf Gesundheit und Freiheit von Diskriminierung durchzusetzen“, so Upreti.
Von Carolin Küter, Lyon
Für Französinnen ist Verhütung eine Selbstverständlichkeit: 97 Prozent aller heterosexuellen Frauen, die aktuell keinen Kinderwunsch haben, nicht sterilisiert und nicht schwanger sind, verhüten. Das besagt eine staatliche Studie aus dem Jahr 2013. Wer Sex hat und aktuell kein Kind will, geht zum Arzt und lässt sich die Antibabypille, Spirale, ein Hormonimplantat oder ein anderes Mittel verschreiben. Die Kosten erstattet größtenteils die staatliche Krankenkasse, für den Rest kommt meist eine private Zusatzversicherung auf. Das beliebteste Verhütungsmittel ist immer noch die Pille, auch wenn immer mehr Französinnen auf Alternativen zurückgreifen.
Vor allem für junge Frauen soll der Zugang zu Verhütung so einfach wie möglich sein: Seit Juli haben Mädchen im Alter von 15 bis 18 Jahren das Recht auf eine absolut kostenfreie und anonyme Geburtenkontrolle. Bereits zuvor mussten sie nichts für die Pille oder andere Verhütungsmittel bezahlen. Die neue Regelung sieht vor, dass sie nun auch alle dafür nötigen Arztbesuche absolvieren können, ohne ihre Sozialversicherungsnummer nennen zu müssen – und so sichergehen können, dass ihre Eltern nichts davon erfahren. Dasselbe gilt schon seit über zehn Jahren für die Pille danach. Minderjährige erhalten das Notfall-Verhütungsmittel kostenlos und ohne Rezept in der Apotheke. Auch für erwachsene Französinnen ist die Pille danach nicht verschreibungspflichtig. Sie bekommen die Kosten allerdings nur erstattet, wenn sie zuvor beim Arzt waren. Trotz dieser vergleichsweise liberalen Regelungen warnen Apotheker und die Ministerin für Frauenrechte vor einem Rückschritt für die Freiheit der Frauen: Der Apothekerverband diskutiert derzeit über eine „Gewissensklausel“ bei der Herausgabe von Medikamenten, die „menschliches Leben gefährden könnten“.
Beim Thema Abtreibung hat Frankreich vor zwei Jahren einen weiteren Schritt zur Normalisierung getan. Seit 2014 müssen sich Frauen, die ihre Schwangerschaft in den ersten 12 Wochen beenden wollen, nicht mehr „in einer Notlage befinden“. Es reicht laut Gesetz stattdessen aus, wenn sie „ihre Schwangerschaft nicht fortsetzen wollen“. Die damalige Frauenministerin folgte damit den Empfehlungen einer Gleichstellungskommission, die unter anderem kritisiert hatte, dass immer mehr Abtreibungskliniken schließen und es für Frauen so zunehmend schwieriger wird, eine Schwangerschaft zu beenden. Französinnen, die in den ersten fünf Wochen abtreiben wollen, müssen dafür nicht in ein Krankenhaus gehen. Sie können unter ärztlicher Aufsicht eine Abtreibungspille einnehmen.
Egal, auf welche Art und Weise Frauen in Frankreich ihre Schwangerschaft beenden: Sofern die 12-Wochen-Frist beachtet wird, übernimmt die Krankenkasse alle Kosten. Staatlichen Schätzungen zufolge hat jede dritte Französin mindestens einmal in ihrem Leben abgetrieben.