Die Hamburger „Hacker School“ gibt deutschlandweit IT-Kurse für Kinder und Jugendliche. Bis zum Jahr 2030 will Geschäftsführerin Julia Freudenberg eine Million junge Menschen im Programmieren geschult haben. Dafür kooperiert sie mit Unternehmen und ehrenamtlichen IT-Profis. Davon hat nicht nur die Wirtschaft etwas – sondern die ganze Gesellschaft.
Von Anne Klesse, Hamburg
Julia Freudenberg ist schwer zu erreichen. Entweder sie sitzt im Zug zum nächsten Termin, Laptop auf den Knien, Telefon am Ohr – oder sie ist unterwegs um zu Netzwerken, bereitet die nächsten Projekte vor, koordiniert, organisiert. Freudenberg ist Geschäftsführerin der „Hacker School“, einem gemeinnützigen Unternehmen in Hamburg, das sich 2014 gegründet und der digitalen Bildung von Kindern und Jugendlichen verschrieben hat. Am 20. Februar wird die „Hacker School“ zehn Jahre alt.
Freudenberg und ihr Team wollen „jungen Menschen die Welt der IT mit Spaß und Kreativität zugänglich machen“, erzählt sie. Dafür kooperieren sie unter anderem mit Firmen. In mehr als 200 Schulen ist die „Hacker School“ aktiv. Doppelt so viele Einrichtungen sind interessiert, verrät Freudenberg. In diesem Jahr möchte sie weitere 50.000 Kinder mit ihrem Angebot erreichen, mehr als die Hälfte über Schulen.
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Die Idee entstand, weil es damals in Hamburg kein Pflichtfach Informatik an den Schulen gab – zum Ärger von David Cummins, Andreas Ollmann und Timm Peters. Die drei IT- und Medienunternehmer hatten Schwierigkeiten, Personal zu finden. Also gründeten sie zunächst die „Hacker School“ als Verein, um früh junge Leute für Digitalisierung zu begeistern.
Pflichtfach Informatik an den Schulen
Bis heute ist der Fachkräftemangel in der IT allerdings sogar noch größer geworden und laut dem Verband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche Bitkom auf einem Rekordhoch: Laut einer aktuellen Studie sind in deutschen Unternehmen knapp 150.000 Stellen für IT-Expert*innen unbesetzt. Der Mangel an IT-Fachkräften in Deutschland sei auch ein systemisches Problem der deutschen Wirtschaft, bemängelt Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst.
Beim Thema Digitalisierung ist Deutschland international weit abgeschlagen. Es brauche „unbedingt mehr Digitalkompetenz“. Zumal sich der Fachkräftemangel aufgrund der demografischen Entwicklung weiter verschärfen werde. Im Schnitt blieben freie IT-Positionen derzeit 7,7 Monate unbesetzt. Die Zahl der Informatik-Absolvent*innen ist zwar in den letzten Jahren leicht gestiegen, jedoch studierten immer noch zu wenig junge Menschen das Fach – „vor allem auch zu wenig Frauen“.
Ab August 2025 soll es nun auch in Hamburg ein Pflichtfach Informatik an den weiterführenden Schulen geben. Im Lehrplan stehen zu Beginn zum Beispiel das Analysieren, Verstehen und Gestalten von Informatiksystemen sowie die Darstellung und Interpretation von Daten zur Informationsgewinnung. Sieben andere Bundesländer unterrichten Informatik schon länger verpflichtend für alle, darunter Niedersachsen, Saarland, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen.
Doch das Wissen, das an Schulen auf diese Weise weitergegeben wird, reicht nicht aus. Die „Hacker School“ bietet ihre Kurse unabhängig davon, Kindern und Jugendlichen in ganz Deutschland an. Unterstützt wird das Hamburger Sozialunternehmen operativ von ehrenamtlichen IT-Spezialist*innen und finanziell durch Spenden. Außerdem kooperiert Julia Freudenberg mit rund 500 Unternehmen, darunter große Namen wie Google, Amazon, Otto und die Deutsche Bahn, aber auch Unternehmensberatungen und kleine IT-Dienstleister.
Mädchen und sozioökonomisch benachteiligte Kinder fördern
Als Anwender*innen sind die Digital Natives meist bereits echte Profis. Doch wie die alltäglich gewordenen Technologien genau funktionieren und was hinter ihnen steckt, wissen sie nicht. Genau das sollen sie in der „Hacker School“ verstehen lernen. Bundesweit in verschiedenen Städten und remote veranstaltet diese Wochenendkurse für 11- bis 18-Jährige, zum Beispiel „Girls – Code dein Klimaquiz mit HTML, CSS & JavaScript“ oder „Spiele und Animationen mit Scratch programmieren“. Kostenpunkt jeweils 30 Euro.
Im Laufe des Tages lernen die Teilnehmer*innen die Grundlagen einer Programmiersprache und wie sie damit ihr erstes kleines Coding-Projekt umsetzen. Jedes Programm basiert auf einem Code, der als eine Art Befehl an den Computer verstanden werden kann. Am Ende soll jede und jeder nicht nur die Basics im Programmieren beherrschen, „sondern auch wissen, wie viel Spaß es macht, gemeinsam kreativ und kooperativ die IT-Welt zu entdecken“, so Freudenberg.
Seit 2021 geht die „Hacker School“ mit ihren Angeboten auch in Schulen. Sie findet, man dürfe diese mit der digitalen Bildung nicht alleine lassen. „Die Vermittlung digitaler Kompetenzen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und entscheidend, um wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Entwicklungen zu verstehen und mitzugestalten.“ Deshalb bindet sie Unternehmen, Schulen, Netzwerke und Politik ein.
Insbesondere Mädchen sowie Jugendliche aus sozioökonomisch benachteiligtem Umfeld wollen die 45-Jährige und ihr Team für ihre Mission gewinnen. Beide Gruppen sind bisher bei IT-Spezialist*innen unterrepräsentiert. Freudenberg, die selbst zweifache Mutter noch kleiner Kinder ist, hofft, dass sich das Interesse an diesen Themen später auch auf die Berufswahl auswirkt. Sie ist überzeugt: „Wir brauchen viele gute junge Leute in IT-Berufen.“
Neue Netzwerke durch gemeinsames Ehrenamt
Die berufliche Qualifikation von jungen Menschen ist ein Thema, das sie schon länger umtreibt. Nach ihrem Studium arbeitete sie mehrere Jahre ehrenamtlich in der beruflichen Integration Geflüchteter, für ihre Doktorarbeit an der Leuphana Universität Lüneburg setzte sich Freudenberg mit den Chancen und Herausforderungen von Sozialunternehmer*innen mit Fluchthintergrund auseinander. So scheint es nur konsequent, dass sie aktuell „Inspirer“ – so nennt sie die ehrenamtlichen IT-Expert*innen, die Kurse geben – sucht, die als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind.
Ihre Hoffnung: „Durch gemeinsames Ehrenamt können neue Netzwerke und Wege in den IT-Arbeitsmarkt entstehen – sowohl für die Erwachsenen als auch für die Kinder und Jugendlichen.“ Denn neben der fachlichen Qualifikation, sehr guten Englisch- oder Deutschkenntnissen sowie je nach Job auch einer Spezialisierung sind für den Arbeitsmarkt immer auch persönliche Kontakte entscheidend. Inspirer, die bereits Kurse gegeben haben, bleiben fast immer weiter an Bord. So erzählen Arno und Fabian, zwei Auszubildende des Hamburger IT-Dienstleisters „Compositiv“, begeistert von ihrer Erfahrung als Kursleiter.
Innerhalb ihrer drei Zoom-Sessions hätten die Schüler*innen eine Website mit HTML und CSS programmiert. Die Teilnehmer*innen seien nach kürzester Zeit in die Programmierwelt abgetaucht, berichteten die Azubis auch im Unternehmensblog ihren Kolleg*innen. Die Begeisterung und das Talent der Kinder sei „beeindruckend“ gewesen: „In kürzester Zeit wurden erstaunliche Fortschritte erzielt und es reichte oft eine kurze Einweisung oder Erläuterung zu den Grundlagen und schon wurden Webseiten mit Texten, Bildern und Videos über Fußballer, Fernsehserien und Lieblingstiere gefüllt.“
Jahresbudget umfasst 2,4 Millionen Euro
Seit der Gründung vor zehn Jahren, so erzählt Julia Freudenberg, konnten jedes Jahr doppelt so viele Kurse wie im Vorjahr angeboten worden: 2023 waren das rund 600 Workshops, an Schulen oder als Freizeit- und Eventangebote – unter anderem exklusiv für Mädchen. Sie selbst war zu Beginn zunächst ehrenamtlich dabei, 2017 übernahm sie als Angestellte die Geschäftsführung. Über eine finanzielle Förderung der Hansestadt Hamburg konnte sie weitere bezahlte Stellen besetzen und seitdem stetig wachsen. Aktuell arbeiten für sie etwa 60 Festangestellte, davon rund 30 auf Vollzeitstellen.
Für das laufende Jahr benötige sie 2,4 Millionen Euro, um ihre Kosten zu decken. 90 Prozent entfielen allein auf das Personal. Um möglichst effizient zu agieren, gehe die Planung daher bis ins Jahr 2030. Mit einer Kollegin zusammen schreibt sie Förderanträge, beantragt Bundes-, Landes- und kommunale Mittel, idealerweise für mehrere Jahre. 60 Prozent des Budgets kommt aus Stiftungsgeldern, 25 Prozent von Unternehmen und nur 15 Prozent aus öffentlichen Geldern.
Dass das Interesse nun endlich auch bei Bildungsakteur*innen wachse, führt Freudenberg auf das Zukunftsthema Digitalisierung zurück. Die kooperierenden Unternehmen und sie selbst lernten viel über die digitale Transformation aus Sicht junger Menschen dazu. Ans Aufhören denkt sie nicht. Im Gegenteil: „Wir arbeiten mit voller Kraft an der Vision für eine digitale Welt, die alle aktiv mitgestalten können.“ Davon haben Wirtschaft und auch die Gesellschaft etwas. Ihr Fazit: „Es ist ein bisschen wahnsinnig – aber am Ende eröffnen wir den Kindern Einblicke in neue Welten.“