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Keine zarten Blumen
Frauenfußball in Japan

16. Dezember 2021 | Von Eva Casper
Der pionierhafte Frauenfußballverein FC Jinnan in den 70er-Jahren in Japan. Foto: privat

Die japanischen Fußballspielerinnen sind international erfolgreicher als die Männer. Trotzdem bekommen sie weniger Geld und Aufmerksamkeit. Eine neue Profi-Liga soll das jetzt ändern.

Von Eva Casper, Kyoto

Als Kikuko Okajima als junges Mädchen anfängt, Fußball zu spielen, hat Japan noch keine Frauennationalmannschaft und keine Bundesliga. „Fußball ist etwas für Jungs“, habe es damals geheißen, erinnert sich Okajima. Trotzdem spielt sie in ihrer Schule gemeinsam mit ihren Mitschülern – als einziges Mädchen. „Ich war ein Tomboy, so etwas wie ein jungenhaftes Mädchen. Es war mir egal, was die Leute sagen. Und Fußball hat einfach Spaß gemacht.“

Die Jungs seien sehr nett zu ihr gewesen, sagt Okajima rückblickend. Trotzdem wollte sie gerne mit anderen Mädchen Fußball spielen. Ein schwieriges Unterfangen, denn es gibt damals kaum weibliche Teams – selbst in einer Millionenstadt wie Tokio. Der japanische Fußballverband JFA erkennt Frauenfußball nicht an, es gibt keine Förderung, keine Infrastruktur.


 

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1972 wird in Japans Hauptstadt der erste Fußballverein für Frauen gegründet: FC Jinnan. Okajima wird ein Jahr später Mitglied. Weil es nicht genügend Teilnehmerinnen gibt, spielen meist nur fünf oder acht Spielerinnen pro Team anstatt elf, erinnert sich Okajima. „Wir hatten keinen Trainer. Freunde von Freunden kamen hin und wieder zu unserem Training und zeigten uns ein paar Sachen.“ Okajima erwirbt schließlich selbst eine Trainerinnenlizenz und baut ihre Kontakte in die Fußballwelt aus. Der FC Jinnan gilt damals als das beste Frauenteam in Japan und nimmt 1977 als eine Art inoffizielles Nationalteam auf eigene Kosten am AFC Women’s Championship in Taiwan teil, der Asienmeisterschaft der Frauen.

Doch dass sie nicht in der gleichen Liga spielen wie die anderen offiziellen Nationalteams wird schon an ihren Trikots deutlich. Sie durften die Nationalflagge nur auf dem Arm tragen – nicht auf der Brust. Sie scheitern bereits in der Vorrunde, ohne ein einziges Tor zu schießen. Doch für Okajima ist die Teilnahme eine wichtige Erfahrung. Im Hotel löchert sie die anderen Spielerinnen mit Fragen: „Wie oft trainiert ihr? Wer ist euer Trainer? Wo spielt ihr?“ Es dauert danach noch vier Jahre, bis der JFA ein Frauennationalteam gründet.

Der Anpfiff im Jahr 1981

Ihr erstes Spiel bestreiten die Frauen bei der Asienmeisterschaft in Hongkong. Sie scheiden erneut in der Vorrunde aus, schießen aber ein Tor. Okajima ist damals als Austauschstudentin in den USA und kann an dem Spiel nicht teilnehmen. Ähnlich wie in Deutschland müssen auch die Japanerinnen mit Diskriminierung kämpfen. Viele nehmen Frauenfußball damals nicht als Leistungssport wahr, die Spiele waren kürzer und der Ball kleiner als bei den Männern. Die Medien konzentrierten sich bei der Berichterstattung mehr auf die Körper der Spielerinnen als auf den Sport, sagt Okajima über ihre Zeit als aktive Spielerin.

Kikuko Okajima ist eine der ersten japanischen Profi-Fußballerin, heute ist sie Funktioniärin (Foto: WE League).

Doch der Frauenfußball wird Schritt für Schritt professioneller. 1989, im selben Jahr wie Deutschland, gründet der Fußballverband eine eigene Bundesliga für Frauen: die „Nadeshiko League“. Der Name sagt viel über das Frauenbild der damaligen Zeit aus: „Nadeshiko“ wird auch als Spitzname für das Nationalteam verwendet und bezeichnet eine rosa Blume, die in Japans Bergen wächst. Sie symbolisiert damals das Idealbild einer Frau, die Leid still und schön erträgt.

Generationswechsel im Frauenfußball

Okajima – damals 30 Jahre alt – nimmt noch an einigen internationalen Wettkämpfen teil, konzentriert sich aber mehr auf ihre Karriere als Bankerin und wandert schließlich in die USA aus. Profi-Fußballerin zu werden sei nie eine Option gewesen, sagt sie. Mit Fußball den Lebensunterhalt verdienen? Damals – Zitat – „unmöglich“. Der Sport war etwas, das neben dem Studium, neben dem Beruf stattfand.

Für Mina Tanaka ist das heute anders. Die 27-jährige Stürmerin spielt für den Verein INAC Kobe und ist eine Star-Spielerin ihrer Generation. Mit fünf Jahren fing sie an zu kicken. Wann immer sie jemand gefragt hat, was sie einmal werden wolle, habe sie geantwortet: Fußballspielerin. Und ihr Traum ging in Erfüllung. Als Highschool-Schülerin steigt sie in die Jugend-Gruppe von Nippon TV Tokyo Verdy Beleza ein –deines der erfolgreichsten Teams in der „Nadeshiko League“. Von dort arbeitet sie sich hoch, nimmt an internationalen Wettkämpfen teil.

Der japanische Frauenfußball hat große Fortschritte gemacht. Mädchen, die Fußball spielen, sind keine Exotinnen mehr und sie können – wenn sie gut genug sind – damit ihren Lebensunterhalt verdienen; so wie Tanaka. Doch im Vergleich zu den Männern sind die Unterschiede nach wie vor groß: Männer verdienen im Fußball, wie in anderen Ländern auch, exorbitant mehr als die Frauen. Auf ihnen liegt der Fokus der Sponsor*innen und der medialen Aufmerksamkeit, was wiederum höhere Einnahmen bedeutet. Wie können das die Frauen aufholen?

Für Tanaka ist die Antwort klar: Sie will noch mehr Tore schießen, noch besser spielen, dann haben die Leute mehr Interesse: So wie 2011, als Japan überraschend die WM und ein Jahr später bei den Olympischen Spielen die Silbermedaille gewinnt. Etwas, was die Männer bis heute nicht geschafft haben. Das Image der „Nadeshiko“ als zarte Wildblume hat inzwischen ausgedient. Jetzt sind sie Kämpferinnen, Siegerinnen.

Schnappschuss vom INAC Kobe mit Mina Tanaka (3. Reihe v. vorne, 2. v. links).

Allerdings erfährt der Frauenfußball durch die Siege zwar einen Aufmerksamkeitsschub, doch an der Situation der Spielerinnen ändert sich nicht viel. Die „Nadeshiko League“ bleibt eine Amateurinnenliga, die vielen Spielerinnen kein ausreichendes Einkommen ermöglicht. TV-Sender übertragen meist nur Spiele der Nationalmannschaft. Und abseits des Spielfelds – etwa im Vorstand oder bei den Trainer*innen – gibt es deutlich mehr Männer.

Mit Toren gegen Vorurteile

Mit der neuen „WE League“, die im September 2021 gestartet ist, soll sich das ändern. Okajima, heute 63 Jahre alt, ist Präsidentin der neuen Profi-Liga und führt die Geschäfte von den USA aus. Sie ist nicht nur angetreten, das Niveau des Fußballs auf ein neues Level zu heben, sondern zielt auch auf Gleichberechtigung ab. „WE“ steht für „Women Empowerment“ und die Liga hat sich das Ziel gesetzt, dass alle elf Liga-Klubs mindestens 50 Prozent weibliche Angestellte haben, eine Trainerin und eine Frau im Vorstand.

Eine feste Deadline für dieses Ziel gibt es derzeit nicht. Okajima erkennt an, dass es für einige Vereine schwierig ist, kurzfristig passendes Personal zu finden. Doch sie sieht auch, dass manche das Thema Gleichberechtigung nur halbherzig verfolgen. Sie will deswegen Seminare für die Vereine veranstalten, um für Gleichberechtigung zu sensibilisieren.

Daneben ist die geringe Aufmerksamkeit für den Frauenfußball ein weiteres Problem. In der „Nadeshiko League“ sehen bei einem Spiel im Schnitt 1.300 Menschen zu, sagt Okajima. Für die „WE League“ will sie die Zahl auf mindestens 5.000 anheben. Um das zu erreichen, will sie die Spiele mit anderen Events verbinden; Foodtrucks könnten vor den Stadien besondere Gerichte verkaufen, für Kinder könnte es spezielle Sportangebote geben. Denn das Publikum im Frauenfußball sei derzeit im Schnitt männlich und zwischen 40 und 60 Jahre alt.

Okajima will deshalb deutlich mehr Frauen und Familien ins Stadion locken. Auch die Spielerinnen sollen aktiver für ihren Sport werben, etwa in den sozialen Medien. Die Pionierin verweist auf die USA, wo Spielerinnen wie Megan Rapinoe eine Vorbildfunktion für die LGBTQ-Szene haben: Rapinoe ist lesbisch und engagiert sich gegen Diskriminierung und Rassismus. Doch Sportlerinnen, die sich so offen positionieren, sind in Japan eher selten. Tennisspielerin Naomi Ōsaka etwa, die japanische und haitianische Wurzeln hat, eckt in Japan immer wieder an, weil sie offen Kritik äußert und Diskriminierungen anspricht.

Mehr Vielfalt auf dem Rasen

Dabei möchte Okajima den japanischen Frauenfußball insgesamt diverser machen. Konkret will sie mehr ausländische Spielerinnen nach Japan holen und umgekehrt heimische Spielerinnen ins Ausland schicken. Tanaka etwa wechselte Anfang des Jahres für einige Spiele zu Bayer Leverkusen. Ein Tausch, den ihr damaliger Trainer Gert Engels mit eingefädelt hat. Der 64-Jährige spielte früher unter anderem für Borussia Mönchengladbach, zog 1990 nach Japan und trainierte dort lange Männerklubs, bis er vergangenes Jahr erstmals ein Frauenteam übernahm.

Gert Engels (rechts) mit japanischen Spielerinnen und Trainer (Foto: Gert Engels).

Die japanischen Spielerinnen und Spieler zeichneten sich gleichermaßen durch technische Fähigkeiten, Ausdauer und Disziplin aus, sagt Engels. Auch wenn die Frauen zuletzt international ein bisschen den Anschluss verpasst hätten, seien sie im Vergleich zu den Männern höher einzuschätzen. Allerdings fehle es an Erfahrung und Kontakten, um etwa Spielerinnen ins Ausland zu verleihen oder ins Land zu holen. Was den Verdienst betrifft, sollten Verbände den ersten Schritt machen und Nationalspielerinnen die gleichen Prämien zahlen wie Männern, wie zum Beispiel in Irland und Australien.

Allerdings hat die Pandemie auch dem Frauenfußball einen Dämpfer verpasst: Spiele und Ausleihen ins Ausland wurden abgesagt, Sponsor*innen sind zurückhaltender. Japan fällt in der Weltrangliste von Platz 11 auf Platz 13. Der erhoffte Neuaufbruch der „WE League“ startet holperig. Die Zukunftsaussichten für den Frauenfußball in Japan sind dennoch nicht schlecht. Die Nachwuchsförderung hat einen guten Ruf. Auch Okajima ist optimistisch.

Weil es für die Männer immer schwieriger werde, international einen Titel zu holen, seien viele bereit, in den Frauenfußball zu investieren. Hier sei die Chance auf Erfolg größer. Auch Tanaka glaubt, dass es für Frauen in Zukunft einfacher wird, Fußballspielerin zu werden. Was die technischen Fertigkeiten im Fußball betrifft, seien Männer und Frauen gleichauf. Die Männer seien körperlich stärker, aber die Frauen seien „deutlich zielstrebiger“.

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Von Eva Casper, Kyoto

Eva Casper berichtet als freie Korrespondentin aus Japan. Nach ihrem Studium der Kunst- und Medienwissenschaft hat sie die Deutsche Journalistenschule besucht und für die Süddeutsche Zeitung und den Bayerischen Rundfunk gearbeitet. Seit 2019 lebt sie in Kyoto und beschäftigt sich vor allem mit Gesellschaftsthemen, Politik und Gleichberechtigung.

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Mareike GraepelHaltern
Die US-Amerikanerin Cindy O’Brien lebt seit den 90er Jahren in Connemara, ganz im Westen von Irland und züchtet seltene Seeschnecken. Die sogenannten japanischen Abalone gedeihen an der irischen Küste gut. Sie gelten als Delikatesse und Aphrodisiakum, kosten bis zu 44 Euro pro Kilo – und sehen aus wie Vulven.

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