Bei einem speziellen Training werden künftige Politikerinnen auf Myanmars erste demokratische Parlamentswahl am 9. November vorbereitet. Nach US-amerikanischem Vorbild lernen sie, potenzielle Wähler anzusprechen.
Von Verena Hölzl, Yangon
Dass es 28 Frauen sind, die in Downtown Yangon in einem schlauchartigen engen rosa gestrichenen Appartement zusammengekommen sind, lässt sich nicht leugnen. Vor der Tür stehen die neuesten Modelle der aktuellen Schläppchen-Mode, drinnen wird geschnattert, gelacht und debattiert. Allerdings sind nicht die neuesten Schuhtrends das Thema sondern knallharte Politik. Die Frauen im Raum sind entschlossen: Sie wollen die Zukunft Myanmars mitgestalten.
Eine von ihnen ist Sung Zi Mang. Im November möchte sich die 50-Jährige in ihrem Wahlkreis im Nordwesten Myanmars ins Parlament wählen lassen. Bei einem Training speziell für Kandidatinnen lässt sie sich deshalb beibringen, wie man in einem demokratischen System um Stimmen wirbt. In Myanmar ist Wahlkampf ein Novum.
Jahrzehntelang war das südostasiatische Land unterjocht von einer Militärjunta. Am 9. November sollen die ersten freien und fairen Wahlen stattfinden. Erst mussten die Burmesen sich die Demokratie erkämpfen und jetzt stehen sie vor der Frage, wie das eigentlich funktioniert: eine Partei aufbauen, Wahlen organisieren oder die richtigen Papiere für den Urnengang bereithalten.
Wie Kampagnen funktionieren, weiß Mindy Walker. Die US-Amerikanerin hat bis vor wenigen Jahren Wahlkampf für den Gouverneur des US-Bundestaates Wisconsin gemacht. Heute bringt sie burmesischen Kandidaten bei, wie man Stimmen gewinnt.
„In Myanmar zählt das Argument nicht, Frauen hätten keine Erfahrung mit Politik und könnten deshalb nicht mitmischen. Niemand hier hat Erfahrung mit Demokratie“, sagt sie. Es ist das zweite Wahlkampftraining speziell für Frauen, das Walker im Auftrag des Richardson Center, einer amerikanischen Nichtregierungsorganisation, in Myanmars größter Stadt Yangon veranstaltet. Von der Frauenquote hält sie nicht viel. „Aber wenn wir nicht Trainings speziell für Frauen veranstalten, dann schicken die Parteien nur ihre männlichen Kandidaten zu unseren Workshops“, so Walker.
Die Demokratie in Myanmar ist jung
Die Demokratie in Myanmar blickt auf eine vergleichsweise kurze Geschichte zurück. 2011 öffneten die Generäle nach mehr als fünf Jahrzehnten Militärdiktatur das Land und brachten es auf einen demokratischen Kurs. Über 70 Parteien haben sich seither registrieren lassen. Auch Sung Zi Mangs Partei, die Chin League for Democracy, ist erst ein Jahr alt.
Sung Zi Mang verdient ihr Geld als Lehrerin. Ihre Region zählt zu den ärmsten Gegenden im Land. „Fünfzig Jahre hat man sich nicht um uns gekümmert“, erzählt sie, die randlose Brille in den dichten Haarschopf geschoben, „und heute kämpfen wir mit Armut und schlechter Bildung.“ Sie zählt an ihren Fingern auf, woran es ihren Wählern fehlt: mehr Rechte für Frauen, Bildung, Elektrizität – „in manchen Gebieten kochen wir immer noch mit Feuer.“ Wenn sie gewählt werden sollte, dann wolle sie sich vor allem für Frauenrechte einsetzen. Denn: Frauen stehen in Myanmar ohne Rechte da, wenn ihr Ehemann stirbt.
Myanmar hat in ganz Südostasien den niedrigsten Frauenanteil im Parlament. Nur fünf Prozent aller Abgeordneten sind weiblich. Das prominenteste Beispiel ist Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi.
Bei den Wahlkampftrainings für Frauen ist die Teilnehmerzahl bewusst kleiner als bei den meisten gemischten Workshops. Kandidatinnen unterschiedlicher Parteien machen gemeinsam Rollenspiele, übernachtet wird in einem großen Schlafsaal in der Jugendherberge.
Mindy Walker beobachtet: „Da entsteht eine ganz eigene Dynamik.“ Sie hofft, dass sich etwas davon ins Parlament übertragen lässt. „Wer weiß, vielleicht entstehen in unseren Trainings Bande, die es den Frauen später im Parlament erleichtern, parteiübergreifend zusammenzuarbeiten.“
Das Training verläuft nach US-amerikanischem Vorbild
Das Modell für genderspezifische Vorbereitungskurse kommt aus den USA. Dort ist es außerdem üblich, Teilnehmerinnen Mentoren an die Seite zu stellen. „In Myanmar geht das nicht. Reisen ist wegen der schlechten Infrastruktur leider zu mühsam“, erklärt Walker. Sung Zi Mang war zwei Tage und eine Nacht unterwegs, um für das Training von ihrem Dorf nach Yangon zu gelangen.
In Myanmar ist seit der Militärdiktatur viel passiert – auch für Sung Zi Mang. 1980 ist sie mit künftigen Kommilitonen noch in einem Laster nach Yangon gekommen. Den einzigen Komfort stellten die geladenen Reissäcke dar. Sung Zi Mang hatte einen Traum: Sie wollte studieren. Aber an der Universität wurde ihr ein Platz im Wohnheim am Campus versagt, weil sie der ethnischen Minderheit der Chin angehört. Nun könnte sie als Vertreterin dieser Minderheit ins Parlament einziehen. Ihre Augen werden feucht, wenn sie solche Gedanken laut ausspricht.
Erst vor kurzem schloss Sung Zi Mang am Center for Strategic International Studies in Yangon einen Master in Politischem Management ab. Als das Land sich vor vier Jahren öffnete, wollte sie dabei sein, mitgestalten, Bescheid wissen. Wie man Wahlen gewinnt, das hat sie dabei nicht gelernt.
Wenn sie zurück nach Hause kommt, wird sie als Erstes ihr Wissen darüber weitergeben, wie man eigentlich wählt. Die demokratischen Wahlen stellen nicht nur Kandidaten, sondern auch Wähler vor neue Herausforderungen. Trainerin Mindy Walker wirft mit dem Projektor einen Wahlzettel an die Wand. Das Häkchen müsse unbedingt vollständig im Kästchen des Wunsch-Kandidaten gemacht werden – „sonst ist die Stimme ungültig.“
Wenn sie keine Notizen in ihre Blöcke schreiben, blicken die Frauen im Raum aufmerksam in Richtung ihrer Trainerin, ihrer „Lehrerin“ aus dem fernen Amerika, wie sie sagen. Eine nimmt das Seminar sogar mit dem Diktiergerät auf. „Führt auf jeden Fall eine Liste mit den Telefonnummern eurer Wahlkampfhelfer“, sagt Mindy Walker, ehe es weiter zum nächsten Punkt geht: dem Geheimnis erfolgreicher Wahlplakate.
Auf der ganzen Welt sind nur 22 Prozent aller Parlamentarier Frauen. Knapp sechs Prozent der Kandidaten, die Präsident Thein Seins USDP kürzlich aufgestellt hat, sind weiblich. In Aung San Suu Kyis Oppositionspartei NLD sieht es nicht viel besser aus – ganz im Gegenteil. 15 Prozent der Listenplätze gingen an Frauen. Bei den Nachwahlen 2012 waren es noch doppelt so viele. Ihrem ausgegebenen Ziel, besonders viele Frauen zu einer Kandidatur zu animieren, ist die Partei damit nicht nachgekommen.