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Jugendidol und Kosmopolitin
Russlands weibliche YouTube-Stars

3. März 2019 | Von Jasper Steinlein
Marina Mogilko erreicht mehr als zwei Millionen YouTube-Abonnent*innen. Screenshots: Jasper Steinlein

Mit Make-up-Tests und Reiseerzählungen erreichen russische YouTuberinnen ein Millionenpublikum. Wer international bekannt werden will, zieht am besten ins Ausland. Dabei ist ihr Einfluss in Russland nicht zu unterschätzen: Deswegen hat der Staat inzwischen ein Auge auf die Influencerinnen geworfen.

Von Jasper Steinlein, Hamburg

Am Anfang ein euphorisches „Hallo zusammen! Willkommen auf meinem Kanal!“, zum Schluss das Kommando „Vergesst nicht, auf ‚Abonnieren’ zu drücken!“ – und dazwischen Schminktipps, Streiche und andere spannende Nichtigkeiten: Das Drehbuch für ein erfolgreiches YouTube-Video ist längst international gültig.

Auch im Runet, dem russischsprachigen Internet, suchen viele YouTube-Nutzer*innen unter 30 Ablenkung von der harschen Lebensrealität. Denn in Russland ist die Videoplattform einer der letzten Orte, an denen freie Meinungsäußerung kein Nachspiel hat.

Für Jugendliche der Generation Z, die kein Leben mehr ohne das Internet kennt, ist YouTube sogar noch viel mehr: Sie benutzen die Plattform als eine Art Informationsquelle und räumen ihr damit den gleichen Stellenwert ein wie ihre Großeltern dem bisherigen Leitmedium Fernsehen. Videoblogger*innen sind in Russland Jugendidole, dabei kennt außerhalb des Landes fast niemand ihre Namen.

Selbstvertrauen aufbauen, den Akzent loswerden

Wer ein internationales Publikum ansprechen will, lebt im Ausland und bloggt auf Englisch – so wie die Mode-Influencerin Valeria Lipovetsky, die sich nach einer Modelkarriere und der Geburt ihrer Söhne als Mommy-Bloggerin neu erfunden hat. Die im Kaukasus geborene, in Israel aufgewachsene und inzwischen in Kanada lebende 28-Jährige inszeniert auf YouTube einen Alltag als Superfrau: Stillt ihren dritten Sohn, dessen Geburt knapp eine Million Abonnent*innen per Video miterlebt haben, zieht sich zur Beauty-Routine samt Meditation ins Bad zurück, fährt vom Fotoshooting fürs nächste Lookbook kurz im Büro vorbei und besucht abends Blogger-Events und Konferenzen.

Mit Humor und einem leichten russischem Akzent gibt sie jungen Frauen Tipps für mehr Selbstvertrauen und fordert sie auf, ihre Ziele zu verfolgen: „Ich werde nicht aufhören, bis ihr euch alle selbst liebt und erhobenen Hauptes durchs Leben geht, damit euch die Krone nicht runterfällt. Okay?“

YouTuberin Alexandra Balkowskaja (links) durfte sogar in der Duma auftreten.

Ihren Akzent hat sich Valerias Altersgenossin Marina Mogilko längst abtrainiert und gibt auch ihren Follower*innen Tipps, wie sie ihn loswerden. Die frühere Mathematikstudentin bespielt gleich drei YouTube-Kanäle, mit denen sie insgesamt zwei Millionen Abonnent*innen erreicht. Mal auf Russisch, mal auf Englisch bringt sie ihnen bei, was man wissen und können muss, um ein Startup in den USA zu gründen.

Sie selbst hat dank ihrer Begabung für Sprachen 2015 den Sprung ins Silicon Valley geschafft: Für das Startup „LinguaTrip“, das Sprachkurse im Ausland vermittelt, zog sie mit ihrem Partner von St. Petersburg nach San Francisco und gründete später die Plattform „Fluent.Express“, auf der Klienten ihre selbstgeschriebenen Texte von Muttersprachler*innen korrigieren lassen können. Ihre Reichweite auf YouTube nutzt sie auch zum Selbstmarketing: Ihr erfolgreichstes Video heißt „Wie ich mit 28 eine Firma mit über 50 Beschäftigten leite“.

Dass sich ein Image als Kosmopolitin für die Karriere auf YouTube gut macht, hat auch Jekaterina Trofimowa bemerkt. Mit 6,5 Millionen Abonnent*innen ist sie unter dem Künstlernamen „Kate Clapp“ die populärste russische YouTuberin. Groß gemacht haben sie Sketche und Styling-Videos mit knallbunten Outfits. Inzwischen setzt sie vor allem auf Reisevlogs von ihren Shoppingtouren nach Paris, London und Tokio, in denen sie die Popkultur der jeweiligen Länder vorstellt. Mehr als eine Million Fans schauen so ein Video im Schnitt und wissen danach mehr über „Das seltsamste Essen – Londoner ‚Leckereien’“ und „Was man in Japan nicht tragen darf“.

Eine YouTuberin hielt eine Rede vor der Duma

Unterhaltsame bis banale Inhalte funktionieren auf YouTube am besten, das ist auch in Russland nicht anders. Doch mittlerweile droht „RuTube“ seine Unbefangenheit zu verlieren, denn die Videoinfluencerinnen mit ihrem Millionenpublikum sind ins Blickfeld der Staatsmacht gerückt. 2017 trat Alexandra Balkowskaja, bekannt als Sasha Spilberg, mit einer Rede vor dem russischen Parlament auf. Eingeladen hatte sie der Duma-Abgeordnete Sergej Newerow, Fraktionsvorsitzender der Regierungspartei.

Freimütig behauptete die damals 19-Jährige, von Politik nichts zu verstehen: Sie kenne nicht einmal die Namen der einzelnen Parteien. Und stellte dann fest: „Die Tatsache, dass ich hier bin, ist ein Zeichen, dass der Staat die Bedeutung der Video-Blogosphäre und den Einfluss von Meinungsmachern erkennt.“ Ihr junges Publikum zwischen zehn und vierzehn Jahren interessiere ja vor allem, welche Probleme Präsident Wladimir Putin im gleichen Alter umgetrieben hätten.

Ob der sich nun darauf einlässt oder nicht, künftig Anekdoten aus seiner Jugend zu erzählen: Die Meinungsmacht der YouTuber*innen macht sie als potenzielles Sprachrohr des Kremls attraktiv. Das hat auch Sasha Spielberg erkannt: „Abonnenten sind auch Wähler,“ sagte sie in ihrer Duma-Rede, „nur sind die Ergebnisse in Echtzeit zu sehen.“

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Von Jasper Steinlein, Hamburg

Jasper Steinlein wohnt in Hamburg, arbeitet als Redakteur für tagesschau.de und reist von dort regelmäßig in die russischsprachige Welt, unter anderem nach Russland, in die Ukraine und ins Baltikum. Davor war er Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung. Wichtigster Grundsatz als Journalist: „Reden mit“ statt „reden über“! Mehr unter: http://steinlein.online. Vor seinem Outing als Transmann war er 2017 bis 2020 Teil unseres Korrespondentinnen-Teams.

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