Morgen wird Deniz Yücel 44 Jahre alt. Deshalb hat der Verein journalists.network einen offenen Brief an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan verfasst. Wir von „Deine Korrespondentin“ unterstützen diesen Appell im Sinne der Pressefreiheit und wollen vor allem auf das Schicksal von Meşale Tolu aufmerksam machen.
Von Pauline Tillmann, Berlin
Die Chefredakteurin von Spiegel Online, Barbara Hans, hat vor kurzem einen klugen Leitartikel geschrieben mit dem Titel „Wir müssen trotzig bleiben“. Der Anlass: Der Journalist Deniz Yücel saß seit 200 Tagen in Haft. Medien lieben runde Geburtstage, Jahrestage, Jubiläen. Sie dienen als sogenannte „Aufhänger“ warum man über ein bestimmtes Thema berichtet. Über Deniz Yücel wird vergleichsweise viel berichtet. Der Journalist, der früher für die taz gearbeitet hat und seit 2015 „Welt“-Korrespondent in der Türkei ist, ist mit seinem Konterfei omnipräsent. Dabei steht er nur stellvertretend für die vielen Journalisten, Intellektuellen und Regimegegner, die Erdogan in den vergangenen Monaten in Haft genommen hat, um sie mundtot zu machen.
Mich erinnert das in weiten Teilen an den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Ich beschäftige mich seit 2004 Jahren mit Russland und dem post-sowjetischen Raum. Von 2011 bis 2015 habe ich in St. Petersburg gelebt, um von dort zu berichten. Und genau in diese Zeit fiel die sogenannte „Schneerevolution“, bei der bis zu 100.000 Menschen auf die Straßen gegangen sind, um gegen Putin zu protestieren. Gebracht hat es nichts. Putin wurde erneut Präsident. Bei der Inauguration protestierten erneut tausende Menschen. Sie wurden verhaftet und zu drakonischen Strafen verurteilt. Damit wollte man Angst schüren und die Protestierenden einschüchtern.
Vor einigen Wochen wurde der russische Regisseur Kirill Serebrennikow mitten in der Nacht verhaftet. Er war kein Putin-Kritiker, wurde mit staatlichem Geld gefördert, ist international bekannt und sollte in Stuttgart inszenieren. Christiane Hoffmann schreibt dazu passend im Morning Briefing des SPIEGEL: „Wenn so einer in Russland nicht mehr sicher ist, kann das nur eines heißen: Hier wird ein Exempel statuiert, mit dem Ziel, alle einzuschüchtern, die es noch wagen, kritisch zu schreiben, frei zu inszenieren, ohne rote Linien im Kopf, sich den ideologischen Zwängen des neuen Russland nicht unterwerfen. Es geht darum, Schrecken zu verbreiten. Unter Stalin hieß das Terror.“
Auch Erdogan will Schrecken verbreiten und ist jeder Kritik erhaben. So sagte der türkische Außenminister als erneut zwei Deutsche festgenommen wurden: „Was geht euch das an?“ Er forderte die Bundesregierung auf, sich aus der Sache herauszuhalten. Schon heute ist Deniz Yücel eine Ikone, denn er ist zum Sinnbild für das autoritäre Regime Erdogans geworden. Wann ihm der Prozess gemacht wird, ist noch immer unklar. Er sitzt seit dem 14. Februar 2017 hinter Gittern, in Isolationshaft, und kann nur einmal in der Woche von seiner Frau besucht werden. Ihm wird Terrorpropaganda und Volksverhetzung vorgeworfen. Derzeit befinden sich, neben ihm, 170 Journalistinnen und Journalisten in der Türkei in Haft oder in Gewahrsam.
Meşale Tolu sitzt mit ihrem Sohn Serkan in Haft
Darunter auch die deutsche Journalistin Meşale Tolu. Sie wurde am 30. April 2017 in Istanbul festgenommen und sitzt seitdem im Frauengefängnis Bakirköy. Ihr wird Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation vorgeworfen. Meşale Tolu wurde 1984 in Neu-Ulm geboren und legte 2007 die türkische Staatsbürgerschaft ab. 2014 zog sie nach Istanbul und arbeitete zunächst für den unabhängigen Radiosender Özgür Radyo, später für die linke regierungskritische Nachrichtenagentur Etha, deren Webseite seit 2015 in der Türkei gesperrt ist. Das Prekäre an der Situation ist, dass ihr zweieinhalbjähriger Sohn Serkan bei ihr ist.
Im Interview mit Spiegel Online erzählt ihr Vater, dass der Junge nach der Verhaftung seiner Tochter von ihm und Meşales Schwester betreut wurde. Aber Serkan habe Tag und Nacht nach seiner Mutter geschrien, er habe nicht mehr geschlafen und angefangen, zu stottern. Deshalb habe er ihn zu seiner Mutter ins Frauengefängnis Bakirköy gebracht. Meşale Tolu erklärt wiederum, Serkan sei traumatisiert von den Ereignissen und weiche nicht von ihrer Seite. Spielzeug werde ihm verweigert, den Gefängniskindergarten wolle er nicht besuchen. Die türkische Staatsanwaltschaft fordert für die deutsche Journalistin 15 Jahre Haft.