Werke von Schwarzen Autor*innen und auch sie selbst werden in Deutschland zunehmend sichtbarer, öffentlicher. Die Autorin Sharon Dodua Otoo war Teil einer Delegation, die Bundeskanzler Scholz bei einer Auslandsreise begleitete. Bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen organisierte sie ein Schwarzes Literaturfestival. Und in Köln eröffnete 2022 NRWs erste Schwarze Bibliothek.
Von Katja Fischborn, Köln
Ein Ort für Empowerment, für Austausch und Bildung soll der Raum mit den vollen Bücherregalen und dem gemütlichen Sofa sein. Ein großes Fenster gibt den Blick frei in den Garten des Mehrfamilienhauses in zentraler Lage von Köln. Natürlich gehören mehr Zimmer zur ersten Schwarzen Bibliothek in Nordrhein-Westfalen, die Glenda Obermuller gerne zeigt. Sie ist eine der Hauptorganisator*innen der noch jungen Einrichtung, die der Verein „Sonnenblumen Community Development Group“ im Februar 2022 eröffnete.
Das Sichtbarmachen von Schwarzen Menschen über Literatur war eine Idee, die nach der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd im Mai 2020 in den USA und den darauf folgenden Protestmärschen auch in Köln die Schwarze Community bewegte. „Lange waren es nur Träume“, sagt Obermuller. Doch dann zündete die Crowdfunding-Kampagne und die Vision wurde Wirklichkeit. Ein Vorbild war die Schwarze Bibliothek des Vereins „Each One Teach One“ in Berlin, die es seit 2014 gibt.
Du magst unsere Geschichten über inspirierende Frauen weltweit und willst uns AKTIV unterstützen? Darüber freuen wir uns! Entweder wirst du ab 5 Euro im Monat Mitglied bei Steady (jederzeit kündbar) oder lässt uns eine Direktspende zukommen. Wir sagen: Danke, dass du deinen Beitrag leistest, damit guter Journalismus entstehen und wachsen kann.
„Die Schwarze Bibliothek ist für alle da“
Neben viel positivem Zuspruch hat Glenda Obermuller auch kritische Stimmen gehört. „Da wird gefragt, warum es eine Bibliothek nur für Schwarze geben müsse, von Parallelgesellschaft ist die Rede.“ Doch das treffe nicht zu. „Die Bibliothek ist nicht nur für Schwarze, sondern für alle da. Auch wir waren immer schon da, nur hat man uns nicht gesehen. Jetzt ist die Zeit.“ Glenda Obermuller ist bestens vernetzt – nicht nur in der Community. Vertreter*innen der Kölner Stadtbibliothek waren zu Besuch, haben sich Titel und Namen notiert. Bald soll in der Bücherei ein Bereich nur mit Werken Schwarzer Autor*innen entstehen, freut sich Obermuller.
Mehr als 1.000 Medien etwa auf Deutsch, Englisch oder Suaheli hat die Schwarze Bibliothek bereits gesammelt. Vieles wird gespendet, Privatleute schicken Bücher, auch Autor*innen und Verlage. Gerade hat Obermuller ein Paket eines anthroposophischen Instituts geöffnet. Anderes kaufen die Verantwortlichen selbst – am Liebsten secondhand, denn sie legen Wert auf Nachhaltigkeit. Es sind Romane, Kinderbücher, aber auch historische Werke und Biografien, die Anklang bei den Besucher*innen finden.
Im Keller lagern noch die Werke, die nicht frei zugänglich sein sollen, sondern quasi mit einer Triggerwarnung versehen werden. „Das sind Bücher, in denen das N-Wort vorkommt, Nachschlagewerke aus Missionarszeiten etc.“, erklärt Obermuller. Diese seien aber wichtig. Benannt ist die Bibliothek nach Theodor Wonja Michael, einem Schwarzen Zeitzeugen, Sohn deutsch-kamerunischer Eltern, von Beruf Journalist, Schauspieler. Später arbeitete er beim Bundesnachrichtendienst. Er war und fühlte sich als Deutscher, erlebte aber Ablehnung und Ausgrenzung. Als er 2019 mit 94 Jahren in Köln starb, hinterließ er eine große Buchsammlung. Teile davon stehen jetzt hier.
Suche nach Inspiration
Als Präsenzbibliothek will der Ort Begegnungsstätte sein, die Öffnungszeiten am Wochenende tragen dem Rechnung. Doch individuelle Termine sind möglich. So klingelt während des Gesprächs ein Mann, der Kinderbücher sucht, die er für seine Kita anschaffen möchte. Hier werden Schwarze und Weiße Kinder bewusst gemeinsam betreut. Glenda Obermuller empfiehlt „Es ist Platz für mich da“ von Mariela Georg, ein diverses und inklusives Bilderbuch. Es geht um Selbstakzeptanz, Selbstbewusstsein, Haare und Hautfarbe – Situationen im Alltag, mit denen schon Kinder umgehen müssen.
Die Existenz der Einrichtung hat sich herumgesprochen. Oft kämen Frauen, die nach Literatur suchten, um ihre Wurzeln kennenzulernen, auch Weiße Eltern mit Schwarzen Kindern. Obermuller greift bei der Frage nach ihren Favoriten zielsicher in die Regale: „Things fall apart“ von Chinua Achebe, „The fire next time“ von James Baldwin und schließlich „The Source of Self-Regard“ von Toni Morrison, ihrer Lieblingsautorin.
Schwarz sein ist mehr als das Äußere
Natürlich liest man auch den Namen Sharon Dodua Otoo. Die britisch-deutsche Schriftstellerin und Aktivistin bekam 2016 als erste Britin und als erste Schwarze Autorin den Ingeborg-Bachmann-Preis. 2021 erschien mit „Adas Raum“ ihr erster Roman. Otoo engagiert sich auf vielfältige Weise für Schwarze Literatur. Das Empowerment Schwarzer Menschen ist ihr Kernanliegen. Bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen war sie 2022 Entwicklerin und Kuratorin der „Resonanzen“, einem dreitägigen Schwarzen Literaturfestival, auf dem Nachwuchs-Schriftsteller*innen bisher unveröffentlichte Texte präsentierten. Auch die Schwarze Bibliothek aus Köln stellte sich vor.
Es sei ihr wichtig gewesen, mit Menschen zu arbeiten, die ein politisches Verständnis vom Schwarzsein haben; die wie sie Schwarzsein nicht nur am Aussehen festmachen, sondern auch an einer Idee von Zugehörigkeit zu einer Community, an Verknüpfungen mit Widerstandsbewegungen, an kulturellen Kontinuitäten, aber auch Brüchen und Leerstellen innerhalb der afrikanischen Diaspora, erklärt Otoo. Sie sagt: „Die Selbstbezeichnung ,Schwarz‘ markiert für mich die Art, wie ich mein Umfeld erlebe, wie mich mein Umfeld erlebt. Wir alle haben eine Art Brille, durch die wir im Alltag schauen. Ich möchte meine Perspektive transparent machen und verhandeln.“
Schwarze Literatur – was ist das eigentlich?
Was macht Schwarze Literatur aus? Dafür scheint es derzeit keine allgemeingültige Definition zu geben. Auch persönlich sei sie noch auf der Suche, sagt Otoo, gerne gemeinsam mit anderen: „Ich nehme außerdem an, dass nicht alle Personen, die ich als ,Schwarz‘ bezeichne, damit einverstanden wären.“ Organisationen in Deutschland würden etwa Begriffe wie „afrodiasporisch“, „afrikanisch“, „afrodeutsch“ oder „Menschen afrikanischer Herkunft“ verwenden.
Schwarze Literatur soll nach Otoo kein separates Genre sein: „Es gibt innerhalb von Gesellschaften unterschiedliche Positionierungen, und diese thematisieren unterschiedliche Schwerpunkte, Ästhetiken und Sehnsüchte in ihrer Kunst. Dies möchte ich in der deutschsprachigen Literatur viel mehr gewürdigt sehen.“ Konkret könne das bedeuten, dass Teilnehmende von „Resonanzen“ in der Jury vom Deutschen Buchpreis sitzen oder auf der Shortlist des Preises der Leipziger Buchmesse stehen.
Ein zeitweiser Fokus auf Schwarze Literatur kann Defizite verdeutlichen: „Wenn Personen, die nicht-weiß und nicht-männlich sind und nicht aus der Mittelklasse kommen, Zugang zum Literaturbetrieb finden sollen, braucht es gezielte Strategien.“ Sharon Dodua Otoo sieht sich ausdrücklich auch als Aktivistin. „Ich habe immer geschrieben, aber meine erste Publikation ist entstanden, weil ich ausprobieren wollte, wie ich Aktivismus besser mit meinem Familienleben kombinieren kann. Meine erste Novelle wurde veröffentlicht, als ich mit meinem vierten Kind schwanger war. Das ist mein Weg. Ich denke nicht, dass alle es genauso machen müssen.“
Schwarze Autor*innen auf der Frankfurter Buchmesse
Die herausgehobene Position als Schwarze Autorin oder Schwarzer Autor kann auch zu negativen Erfahrungen führen. So sagte Jasmina Kuhnke (und daraufhin weitere Autor*innen) im vergangenen Jahr die Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse ab, weil sie Anfeindungen rechtsextremer Vertreter*innen, namentlich etwa des Jungeuropa Verlags, befürchtete, die ebenfalls vor Ort sein würden. Kuhnke kritisierte, dass auf der Messe Nazis Raum gegeben werde.
Die heftige öffentliche Diskussion, die daraufhin entbrannte, habe ein falsches Bild von der Buchmesse und ihren Werten gezeichnet, sagt Kathrin Grün, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit der Buchmesse. Das Thema Sicherheit für Jasmina Kuhnke sei weit im Vorfeld mit dem Management der Autorin abgesprochen worden. Ein vorbeugender Ausschluss bestimmter Verlage von einer Leitmesse mit Monopolstellung sei rechtlich nur aus triftigen Gründen möglich, etwa wenn ein Straftatbestand vorliege. „Trotz der Verabscheuung von Rechtsextremismus müssen wir anerkennen, dass nicht alles illegal ist, was illegitim ist”, so Grün.
Dennoch hat sich die Buchmesse intensiv mit den Vorwürfen auseinandergesetzt. Es gibt jetzt einen Code of conduct, der klar formuliert, dass keine Belästigungen, Übergriffigkeiten oder unangebrachte Äußerungen geduldet werden. Erstmals ist in diesem Jahr ein Awareness-Team des Bundes für Antidiskriminierungs- und Bildungsarbeit vor Ort. Für dieses Jahr habe sich der Jungeuropa Verlag nicht angemeldet, sagt Grün. Zwei dem rechten Spektrum nahestehenden Verlagen sei ein Platz am äußeren Rand einer Halle zugewiesen worden.
Diversität nicht irgendwann erledigt
Die Haltung der Messe soll vor allem im Bühnenprogramm deutlich werden. Doch in Gesprächen sei ihr klar geworden, dass sich vereinzelt Menschen aus der Schwarzen Community nicht willkommen fühlten. „Wir haben das verstanden und vieles verändert“, sagt Grün. Neben Schwarzen Autorinnen wie Florence Brokowski-Shekete, Melanie Raabe, Ann Mbuti und Josephine Apraku hat die Buchmesse für dieses Jahr auch die Schwarze Bibliothek aus Köln eingeladen, in Frankfurt auszustellen. Glenda Obermuller freut sich sehr darüber.
Alle Literatur soll sich politisch und gesellschaftlich äußern, ist Otoos Meinung. Das sei keine Aufgabe ausschließlich für Schwarze Autor*innen. „Es geht nicht darum, dass wir Schreibenden so etwas wie Gebrauchsanweisungen für das Leben erstellen. Das Potenzial der Kunst besteht darin, einen Ort zum Reflektieren zu bieten.“ Diversität sei nicht irgendwann erledigt. „Es ist nicht etwas, dass eine einzelne Person mitbringt. Und es ist nicht etwas, was ,wir‘ für die ,anderen‘ tun. Mein Wunsch ist, dass andere verstehen, dass es nicht um Nächstenliebe oder Großzügigkeit geht.“ Vielmehr gehe es um Gerechtigkeit.
Persönliche Lesetipps von Sharon Dodua Otoo:
„Second-Class Citizen“ von Buchi Emecheta, übersetzt von Dr. Marion Kraft, Aufbau Verlag (erscheint Februar 2023)
„Haus Feuer Körper“ von Warsan Shire, zweisprachige Ausgabe, übersetzt von Muna AnNisa Aikins, Mirjam Nuenning und Hans Jürgen Balmes, S. Fischer
„Über Stunden“ von Elisa Aseva, Weissbooks