„Gretas Freunde“ ist ein kleiner Berliner Verlag, der Bücher über Fernweh und Freundschaft für große und kleine Leser*innen herausgibt. Dahinter stecken Christine Weißenborn, Sarah Neuendorf und Serena Hatfield. Sie sind nicht nur Kolleginnen, sondern auch Freundinnen und Schwägerinnen – und teilen ihre Vorliebe für schöne Printprodukte, langsames Reisen und große Familien.
Von Eva Tempelmann, Berlin
Die Frage liegt auf der Hand: Wer ist Greta? Die Gründerinnen des „Gretas Freunde Verlags“ sind es jedenfalls nicht. Sarah Neuendorf, Christine Weißenborn und Serena Hatfield heißen die drei Frauen, die seit 2018 Kinder- und Reisebücher über Fernweh, Familien und Freundschaft machen.
Die Printprodukte entstehen komplett in Eigenregie: Text, Illustration, Layout liegen in den Händen der Verlegerinnen. Inspiration und Gesprächspartner*innen finden die drei Berlinerinnen in ihren sozialen Netzwerken. Neuendorf, Weißenborn und Hatfield wollen ihre Leser*innen einladen, „diese wilde, wunderbare Welt zu entdecken“, schreiben sie auf ihrer Webseite.
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Wild ist der Alltag der drei sicherlich. Bald acht Kinder unter zehn Jahren gehören zu ihrem Hintergrundteam: Sarah Neuendorf und Serena Hatfield haben jeweils zwei Kleinkinder zu Hause, Christine Weißenborn erwartet ihr viertes Kind. „Das bedeutet für uns: Jedes Projekt hat seine eigene Dynamik“, beschreibt Sarah Neuendorf das Wechselspiel zwischen Bücher machen und Kinder schaukeln.
Die 40-Jährige empfinde das selbstständige Arbeiten als ungeheure Freiheit, die sie nicht mehr missen möchte. Sie arbeitete viele Jahre als Redakteurin beim „Handelsblatt“ – als Beamtenkind habe sie Sicherheit und feste Strukturen nie hinterfragt. Die 32-jährige Illustratorin Neuendorf hingegen arbeitet seit Ende ihrer Ausbildung freiberuflich und Grafikerin Serena Hatfield ist nach eigenen Worten in einer Villa Kunterbunt mit fünf Geschwistern groß geworden und denkt schon ihr Leben lang gegen den Strich.
Die Idee, einen Verlag zu gründen, entstand eher zufällig. Sarah Neuendorf hatte 2014 ihr Label „Gretas Schwester“ auf den Weg gebracht, unter dem sie bis heute ihre Produkte verkauft – illustrierte und handgefertigte Dinge aus Stoff, Emaille und Papier. Der Name „Gretas Schwester“ sei einfach so entstanden, erzählt Neuendorf. Mit ihrer Schwägerin Christine Weißenborn kreierte sie dazu kurz darauf das Online-Magazin „Gretas Freunde“, in dem sie Texte und Illustrationen zu Herzensthemen veröffentlichten: Reisen mit Kindern, Natur, Interior, Ernährung.
Hier erschienen auch die ersten digitalen Häppchen einer Erzählung für Kinder. Weil eine Fortsetzungsgeschichte im Blogformat allerdings mühsam war, machten die beiden Frauen daraus kurzerhand ein Buch: Neuendorf illustrierte, Weißenborn schrieb die Texte. 2016 brachten sie das Kinderbuch „Gretas Schwester“ im Selbstverlag heraus: eine Geschichte über Mut, Freundschaft und Abenteuerlust.
„Wir wollen Kindern zeigen, dass wir groß und einzigartig werden, wenn wir uns trauen, aufzubrechen, mit ungeplanten Situationen klarzukommen und uns in fremder Umgebung zurechtzufinden“, sagt Weißenborn über den Erstling. Vor Kurzem erschien die Fortsetzung.
Unterwegs mit Sack und Minipack
2017 wurde Sarah Neuendorf Mutter und lernte Serena Hatfield kennen: Grafikerin und ebenfalls mit Neugeborenem unterwegs. Hatfield kommt vom Reisemagazin „The Fernweh Collective“ und liebt Printprodukte. Ihr ist schnell klar: Das Online-Magazin „Gretas Freunde“ muss auch ein Buch werden! Die beiden Freundinnen setzen sich mit Christine Weißenborn in Verbindung. Um das Reisen mit Kindern soll es gehen: Was ist so besonders daran? Wie sieht es hinter den Kulissen aus? Und ist Zuhausebleiben nicht auch mal schön?
Gesprächspartner*innen finden die drei Frauen im Freund*innenkreis und über ihre sozialen Netzwerke. Für viele ist die Anfrage eine willkommene Einladung zum Selbstmarketing – schließlich sind sie freischaffende Lebenskünstler*innen, Blogger*innen und Designer*innen. Es finden sich aber auch angenehm geerdete Geschichten über Campingfrust mit Krabbelkindern.
Monatelang arbeiten die drei auf Hochtouren. Dann erscheint das 272 Seiten dicke Reisebuch „Tiny Aventures – mit Sack und Minipack“ im Selbstverlag. Die 1.000 Bücher der ersten Auflage sind im Nu ausverkauft. Große Verlage wie „Coppenrath“ und „Knesebeck“ fragen an, ob sie zusammenarbeiten wollen.
Vom Buch zum Verlag
„Wir haben uns über das Interesse der Verlage natürlich gefreut“, sagt Sarah Neuendorf. Aber bei ersten Gesprächen wird klar: Die Vorstellungen der Zusammenarbeit sind zu unterschiedlich. Der lange Vorlauf der großen Verlage passt nicht zum Konzept der Berlinerinnen, die flexibel bleiben wollen. „Wir machen das selbst, wir können das besser!“ sagen sie sich bei einem Treffen.
Und gründen 2019 den „Gretas Freunde Verlag“, um den gemeinsamen Projekten ganz offiziell einen Titel zu verpassen. Das bedeutete zunächst: viel Zeit und Geld investieren. Unzählige Arbeitsstunden für Texte, Lektorat und Layout. Tausende Euro für den Druck. Dabei greifen die Verlagsgründerinnen auf Erspartes zurück. Denn sie sind fest davon überzeugt, das Richtige zu tun – und das auch noch, als sie schmerzhaft die Spielregeln der Branche kennenlernen.
Im vergangenen Jahr übernahm der „Gestalten Verlag“ die Idee des „Tiny Adventures“-Buches und gab sie unter dem Titel „Family Adventures“ heraus – mit fast identischen Protagonist*innen. „Das war frech kopiert“, ärgert sich Christine Weißenborn noch heute. Die Jungverlegerinnen wissen aber auch: Sie haben keine Exklusivverträge mit den Menschen, die sie für ihre Geschichten interviewt hatten und einen Alleinanspruch auf Geschichten über Reisen mit Familien.
So entscheiden sie sich gegen rechtliche Schritte und versuchen, der Erfahrung etwas Positives abzugewinnen: „Wir treffen mit unseren Büchern einen Nerv.“ Mittlerweile haben die drei Frauen sieben Bücher herausgegeben, weitere sind fertig für den Druck. Allein 2020 veröffentlichte der „Gretas Freunde Verlag“ vier neue Bücher, davon zwei Reisebücher.
Gutes Geschäft trotz Pandemie
Das Bilderbuch „Der Tag, an dem die Welt verschwand“ über den ersten Corona-Lockdown war innerhalb kürzester Zeit vergriffen. Verkauft werden die Bücher im eigenen Online-Shop und über ausgewählte Einzelhändler wie „Manufactum“ – eine bewusste Entscheidung gegen den Handelsriesen „Amazon“. „Das vergangene Jahr lief für uns ziemlich gut“, findet Christine Weißenborn. Dabei war es alles andere als ein gutes Jahr für den Buchhandel. „Die Corona-Pandemie hat die Buchbranche wirtschaftlich schwer getroffen“, sagt Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.
Gleichzeitig habe sie aber auch große Energien freigesetzt: Verlage und Autor*innen verlegten Lesungen ins Netz, Buchhandlungen verkauften Bücher verstärkt online und bauten Lieferservices aus. So pendelte sich zum Jahresabschluss das Umsatzminus im Buchhandel bei überschaubaren 2,3 Prozent ein. Die Nachfrage nach Büchern sei zudem ungebrochen: Nach einer Sonderuntersuchung der GfK zur Frankfurter Buchmesse 2020 greifen 21 Prozent der Deutschen seit Beginn der Pandemie sogar häufiger zum Buch.
Reisen vor der Haustür
Einen schweren Stand hat hingegen die Reisebuchbranche. Wie Relikte aus unbeschwerten Zeiten liegen Reiseführer in den Regalen. Der Umsatz bei Reisebüchern ging im Sortimentsbuchhandel 2020 um 26,1 Prozent zurück und lag im Januar 2021 sogar 75,7 Prozent unter dem des Vorjahres. „Reiseführer werden normalerweise anlassbezogen gekauft“, beschreibt Stephanie Mair-Huydts, Verlegerin des Marktführers „MairDumont“, das Dilemma. Als pandemiebedingt alle Reiseanlässe wegfielen, setzten die großen Verlage auf Entdeckungstouren vor der Haustür: statt nach Thailand in den Taunus, statt Karibik an die Ostsee.
Auch im aktuellsten Reisebuch des „Gretas Freunde Verlags“, „Tiny Adventures – Unterwegs in Deutschland“, geht es um regionales Reisen. Als Inspirationsreiseliteratur bezeichnet Christine Weißenborn ihre jüngsten Werke: große Bilder, persönliche Texte. Das scheint bei den Leser*innen im Lockdown gut anzukommen. „Reiseführer werden auch zum Schmökern gekauft“, bestätigt Corinna Brauer aus der Marketingabteilung des Erlanger „Michael Müller Verlags“.
Was die Zukunft betrifft, vertraut die Branche auf die sicherlich nicht schwindende Reiselust der Menschen – auch wenn das Reisen künftig stärker unter dem Zeichen der Nachhaltigkeit stehen dürfte, glaubt Brauer. In der Trendforschung spricht man bereits von Resonanzreisen: weniger Massentourismus, dafür längere und intensivere Reisen.
Aller guten Dinge sind drei – oder mehr
Dass die Verlegerinnen nicht nur Kolleginnen, sondern auch Freundinnen und Schwägerinnen sind, sehen sie als großen Gewinn. „Anfangs hatten wir Sorge, ob die Geschäftsbeziehung unsere Freundschaft belasten könnte“, erklärt Sarah Neuendorf. Auch sei die Dreierkonstellation am Anfang nicht einfach gewesen. „Es hat ein paar Mal echt gescheppert bezüglich unternehmerischer Entscheidungen“, erinnert sich Christine Weißenborn. Heute laufe die Arbeit im Team dank vieler Gespräche und klarer Aufgabenteilungen gut.
„Jede von uns vertraut in die Expertise der anderen“, beschreibt Neuendorf ihr Erfolgsrezept. Sie zeichnet und bringt die Ideen, Christine Weißenborn schreibt und wägt ab, Serena Hatfield layoutet und setzt um. Mittlerweile ist ein Teil der Großfamilie mit ins Business eingestiegen. Ein Bruder hat die Buchhaltung übernommen, ein Cousin gibt Marketing-Tipps, die Mütter helfen beim Einpacken der Ware in Neuendorfs Atelier in Schöneberg – das Büro, Lager und Packstation in einem ist – oder kümmern sich um die Kinder. Außerdem unterstützen zwei Mitarbeiterinnen den Versand im Online-Shop.
Arbeit abzugeben sei im vergangenen Jahr das größte Lernfeld gewesen, sagen die Verlegerinnen. „Wir sind nicht Superwomen, auch wenn wir uns das manchmal einreden.“ Und wohin soll die Reise mit „Gretas Freunden“ gehen? „Wir haben ständig neue Buchideen und Projekte im Kopf“, so Sarah Neuendorf. Sie planen, ihre Bücher auch auf dem internationalen Markt zu vertreiben und ergänzende Produkte zu entwickeln. Die Unabhängigkeit sieht Christine Weißenborn als großes Geschenk. „Unser Verlag ist so klein und wendig – wer weiß, wo wir in fünf Jahren stehen?“
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