Catherine Deneuve und 99 weitere Frauen sorgen mit ihrem Pamphlet für die „Freiheit zur Belästigung“ nicht nur in Frankreich für Aufruhr. In der Debatte prallen ganz unterschiedliche Lebenswelten aufeinander.
Von Carolin Küter, Lyon
Eines haben die 99 Frauen rund um die Schauspielerin Catherine Deneuve in jedem Fall erreicht: Sie haben der #metoo-Debatte mit ihrem am Dienstag in der Zeitung „Le Monde“ veröffentlichten Pamphlet für die Verteidigung der „Freiheit zur Belästigung“ noch einmal ordentlich eingeheizt – und das über die Grenzen Frankreichs hinaus.
Die italienische Schauspielerin Asia Asento, die zu den ersten Frauen gehörte, die US-Filmproduzent Harvey Weinstein der Vergewaltigung beschuldigten, wird in der „New York Times“ damit zitiert, wie sie auf Twitter die „Gehirnamputiertheit“ von Deneuve und Co. kritisiert. Die spanische „Vanity Fair“ weist darauf hin, dass Deneuve die Feministinnen ihres Landes schön öfter in Aufruhr brachte – etwa wenn sie Roman Polanskis Vergewaltigung einer Minderjährigen banalisierte. Gleichzeitig war sie aber auch Unterzeichnerin des „Manifests der 343“ ist, einer 1971 erschienenen Petition, in der Französinnen zugaben, abgetrieben zu haben. Die Frauen riskierten damals Strafverfolgung für den Kampf um die Freiheit, über ihren Körper bestimmen zu können.
Manche befürchten eine „schleichende Zensur“
Auch die Unterzeichnerinnen des Le-Monde-Artikels kämpfen ihrer Meinung nach für die Freiheit: die sexuelle Freiheit und die Meinungsfreiheit. Sie befürchten eine „totalitäre Gesellschaft“, in der „selbst ernannte Staatsanwälte“ in die Privatsphäre der Menschen eindringen; in der Männer dazu gezwungen werden, in ihrer Erinnerung nach „deplatzierten Handlungen“ zu kramen, die sie vielleicht vor Jahrzehnten begangen haben. Am Ende schrecken sie auch vor dem Begriff „Säuberungswelle“ nicht zurück.
Mitunterzeichnerin Sarah Chiche, Schriftstellerin und Psychologin, hebt die Diskussion in einem weiteren Beitrag für „Le Monde“ auf eine philosophische Ebene. Sie befürchtet, dass Literatur und Kino in Zukunft gemäß den Idealvorstellungen einiger Feministinnen umgeschrieben werden und prophezeit eine „schleichende Zensur“, von der vor allem die Sexualität betroffen sei. Es gehe um den Konflikt zwischen der „Freiheit, die schützt“ und der „Freiheit, die stört“ – dessen Austragung ist laut Chiche „eine alte französische Leidenschaft“.
Sind Deneuve und ihre Mitstreiterinnen also vor allem diejenigen, die die Meinungsfreiheit und die Kunst der sinnlichen Verführung hochhalten, auf die in Frankreich so viel Wert gelegt wird? Einige Radiokommentatoren sahen das Pamphlet auch als gewollten Gegenpol zu einem puritanischen US-amerikanischen Feminismus, der nackte Haut und Sexualität tabuisiere.
Oder ist die Debatte Ausdruck eines Generationenkonflikts?
Die vielen Aktivistinnen, Journalistinnen und Politikerinnen, die kritisch bis wütend auf den Le-Monde-Artikel reagierten, sind zumeist jünger als der Großteil der Autorinnen und Unterzeichnerinnen. So zu sehen in einer TV-Diskussion, die für besonders viel Aufsehen sorgte: Die feministische Aktivistin Caroline de Haas (37) saß der Radiomoderatorin und ehemaligen Pornodarstellerin Brigitte Lahaie (62) beim Sender BFMTV gegenüber. Lahaie sprach sich dafür aus, dass Mädchen ermutigt werden sollten, die Lust am eigenen Körper zu entdecken. De Haas, selbst Vergewaltigungsopfer, argumentierte, dafür sei es wichtig, sexuelle Gewalt zu verhindern. Denn für Frauen, die zum Sex gezwungen wurden, sei es im Allgemeinen schwieriger, einen Orgasmus zu haben. „Ich weise Sie daraufhin, dass man auch bei einer Vergewaltigung kommen kann“, entgegnete Brigitte Lahaie.
„In 50 Jahren werden wir uns über diese Debatte und die Tatsache, dass man die alltägliche Gewalt gegen Frauen in diesem Maße leugnen konnte, sicher wundern“, sagte die Historikerin Christine Bard in einem Interview. Sie geht davon aus, dass die Zeit der Feministinnen vom Schlag Deneuve und Lahaie ablaufen wird. Den freiheitsfeindlichen Feminismus, den diese Frauen bekämpften, der Orgasmen verhindere und das Verführungsspiel mit Männern verderbe, gebe es gar nicht, so Bard. Denn wem, wenn nicht den Feministinnen, hätten Frauen ihre sexuelle Freiheit inklusive Recht auf Abtreibung zu verdanken?
Comic von Zeichnerin „Emma“