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Gegen den Strom
Über Podcasts in Ägypten

17. Januar 2024 | Von Julia Neumann | 11 Minuten Lesezeit
Mutige Podcasterinnen wie Esrah Saleh stellen öffentlich gesellschaftliche Normen in Frage. Foto: Privat

In Ägypten produzieren viele Frauen Podcasts, obwohl es schwer ist, damit Geld zu verdienen. Drei Macherinnen teilen ihre Erfahrungen und erzählen, welche Themen ihnen am Herzen liegen und wer ihre Zuhörer*innen sind.

Von Julia Neumann, Beirut

Als die Ägypterin Esrah Saleh darüber nachdachte, wie sie ihren Podcast nennen könnte, kam sie auf den Namen Lachs. „Die gesellschaftlichen Normen infrage zu stellen ähnelt dem Lachsfisch, der stromaufwärts schwimmt“, erklärt sie. „Wir schwimmen gegen den gesellschaftlichen Strom.“ Saleh hat den Podcast „Salmon“ im Oktober 2022 gegründet. Es soll ein feministischer Hörraum sein, um Frauen zu unterstützen, die sich vom gesellschaftlichen Mainstream und den traditionellen Geschlechterrollen in der arabischen Gesellschaft unterscheiden.

Wie Saleh gibt es seit einiger Zeit viele Frauen in Ägypten, die einen Podcast betreiben. Podcasts sind ein leicht zugängliches Medium für die, die etwas zu sagen haben. Alles, was man braucht, ist ein Mikrofon, oft reicht das Handy aus. Zahlreiche Anbieter bieten Plattformen zur Verbreitung an und spielen das Audio, einmal hochgeladen, auf mehreren Kanälen aus. In Ägypten wird besonders „Soundcloud“ genutzt, aber auch Spotify oder die integrierten Hör-Apps von Apple oder Google sind beliebt.

Die Formate variieren: Mal lädt der Host lädt Gäst*innen ein, mal sind es Gespräche eines festen Teams über verschiedene Themen oder gescriptete Beiträge wie die von Saleh: Für ihre rund 15-minütigen Episoden stellt sie unterschiedliche Elementen zusammen, spricht Text ein, spielt Zitate eines aufgenommenen Interviews ab und mischt Musik darunter.


 

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Eine neue Form des Aktivismus

„Podcasting basiert hauptsächlich auf dem Geschichtenerzählen. Es ist ein wichtiges Instrument, um die Erzählungen von Frauen zu dokumentieren und einen Beitrag zur feministischen mündlichen Geschichte zu leisten“, sagt Saleh. Aus diesem Grund bietet „Salmon“ eine Plattform, auf der Frauen „über den Preis sprechen können, den sie tagtäglich dafür zahlen, dass sie sich anders entscheiden.“ Zum Beispiel, wenn sie keine Kinder bekommen oder als alleinstehender Frauen unabhängig sein und nicht bei ihren Familien leben wollen.

Sexualität, Beziehungen und der weiblichen Körper sind Tabuthemen in Ägypten. So gibt es an den Schulen keine Sexualaufklärung und der sexuelle Frust der Männer staut sich an: 90 Prozent der als weiblich gelesenen Personen haben schon einmal Belästigung erfahren, das geht aus einer Studie des Arab Barometer aus dem Jahr 2019 hervor.

In der konservativen und frauenfeindlichen Öffentlichkeit füllt das Internet eine Lücke: Hier kann man Pornografie konsumieren, bekommt aber auch wichtige Informationen, findet einen Raum für Widerstand gegen die Regularien des Staates, die Gesellschaft und religiöse Zwänge. In Facebook-Gruppen, Online-Foren und über Instagram-Kanäle informieren und tauschen sich Frauen im Land aus. Sie möchten, dass ohne Scham über Sexualthemen gesprochen werden kann. Opfer sexueller Belästigung sollen nicht länger als Schuldige behandelt werden.

Podcasts bieten hier eine neue Form des Aktivismus. Die Geschichten im Audioformat bieten ein Gefühl der Intimität und des Zusammenhalts, in denen nicht nur Geschriebenes geteilt, sondern die eigene Geschichte anderen erzählt wird. Die Frauen erheben wortwörtlich ihre Stimme – aber in einer geschützten Sphäre, da sie anonym bleiben können.

Blick in die Szene

Die Szene in Ägypten ist noch jung und wächst langsam. Kim Fox, die Audioproduktion an der Amerikanischen Universität Kairo unterrichtet und Produzentin von „Ehky ya Masr“ (zu Deutsch „Erzähl deine Geschichte, Ägypten“) ist, erklärt, dass die Szene im Vergleich zu den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Saudi-Arabien hinterherhinkt. Fox erklärt sich das teilweise mit den mangelnden Möglichkeiten einer Finanzierung.

„Ich habe einen Workshop für Journalist*innen an der Universität gegeben. Wir haben eine Menge Leute, die schon seit Jahren im Journalismus arbeiten und mit Audio arbeiten können. Aber sie waren weniger daran interessiert, wie es funktioniert, als es zu monetarisieren.“ Die Verbraucher*innen wollten etwas Kostenloses und die Medienunternehmen etwas, das sie zu Geld machen könnten.

Der Anreiz, sich neue Räume des öffentlich Sagbaren zu erschließen, mag dazu führen, dass sich mehr Frauen für das Medium interessieren als Männer. Fox hat die erste Podcasting-Konferenz Afrikas gegründet und dabei festgestellt, dass sich vor allem junge Frauen engagieren. Auch im Organisationsteam des „Podfest Cairo“ sind nur Frauen. Für Fox ist ihr Podcast „Ehky ya Masr“ ein Herzensprojekt.

Auch Saleh als hauptberufliche Journalistin arbeitet aus Leidenschaft für die Sache an ihren Folgen. So hat auch Rasha Eldeeb angefangen: Sie war Radio-Host, mittlerweile ist sie seit fünf Jahren Podcast Consultant und hat bereits elf Audio-Shows produziert. Für sie ist das Hobby zu einem Vollzeitjob geworden. Sie hat Episoden für internationale Organisationen und das Goethe-Institut erstellt und ist seit 2021 die regionale Koordinatorin eines internationalen Podcast-Projekts.

Podcast-Consultant Rasha Eldeeb spricht mit Frauen über gesellschaftliche Tabus. Viele Podcaster*innen sind ausgebildete Journalist*innen.

Hörer*innen sind schwer zu analysieren

Wenn man mit Podcasts Geld verdienen möchte, muss man seine Zielgruppe gut kennen. Rasha Eldeeb, eine ehemalige Radio-Host und jetzt Podcast Consultant, nutzt ein sogenanntes Audiogramm, um ihre Hörerschaft zu analysieren. Bei ihrer ersten Produktion Wallaha Sowt (zu Deutsch „Sie hat eine Stimme“) drehten sich die am Häufigsten gehörten Folgen um Periodenarmut und eine geschiedene Frau, die Zeitungen verkauft, um ihre drei Kinder zu ernähren. Letztere habe 12.000 Menschen erreicht.

Eine Episode über eine Mechatronikerin in Luxor bekam sehr viele positive Kommentare in den Sozialen Medien, in denen Eldeeb Links zu den Folgen teilt. Was die Hörer*innenschaft in Ägypten ausmacht, was sie charakterisiert und bevorzugt, können die Macherinnen nur über Umfragen, Kommentare, Klicks und Austausch herausfinden. Vor dem Start verschickte sie eine Umfrage an Frauen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren. „Ich habe gefragt, wovor sie Angst haben. Ich war geschockt, dass am meisten die Jungfräulichkeit genannt wurde, danach häusliche Gewalt, Belästigung, sexualisierte Gewalt und dann Geldsorgen.“

So entstand zuerst eine Folge über eine Frau, die ihr Kopftuch ablegen wollte und deshalb von ihrem Bruder und Vater attackiert wurde und dann eine über eine Frau, die mit einem verbal gewalttätigen Mann verheiratet war. Dafür gab es nicht nur positive Rückmeldungen – vor allem Männer kommentierten die Folgen auf Facebook mit Hassbotschaften. „Sie schrieben, Frauen sollten jungfräulich in die Ehe gehen oder es sei das Recht der Männer, Gewalt auszuüben.“ Die Frauen fürchteten sich vor Angriffen in den Sozialen Medien. „Manche redeten dagegen, aber die meisten Reaktionen der Frauen waren neutral, womöglich aus Angst vor der Gegenreaktion.“

Offener und positiver seien die Reaktionen der Frauen im persönlichen Chat oder Gespräch: „Eine Protagonistin hat mir gesagt: Du bist mein Vorbild, weil du keine Angst hast. Eine andere Frau hat mir geschrieben: Ich habe nie meine Stimme erhoben, aber der Tonfall Ihrer Stimme gibt mir das Gefühl, dass es auch mein Recht ist, meine Stimme zu erheben und meine Rechte einzufordern.“ Für Eldeeb ist wichtig, dass vor allem Frauen die Geschichten hören und von starken Vorbildern inspiriert werden. „Ankor“ oder „Spotify für Podcaster“ zeige in den globalen Statistiken, dass rund doppelt so viele Frauen wie Männer Podcasts hörten.

Das Podfest Cairo ist die erste Podcasting-Konferenz Ägyptens.

Geld verdienen erfordert Kreativität

Sexualität und Beziehungen sind beliebte Themen in ägyptischen Podcasts. Nour Emam, eine ägyptische Geburtshelferin, spricht in „The Mother Being“ mit Expert*innen über Themen wie Verhütungsmittel, Geschlechtskrankheiten oder moderne Vaterschaft. Wie viele Menschen sie hören ist nicht öffentlich einsichtbar, doch ihre Followerschaft in allen Sozialen Medien summiert sich auf über eine Million. Zwar wird ihr Engagement von der Plattform „Podeo“ finanziell unterstützt, ihr Geld verdient die Geburtshelferin aber mit Gesundheits- und Aufklärungskursen.

Ein Format, das zurzeit unter allen arabischsprachigen Podcasts beliebt ist, ist „Eh Al-Alaqa“, zu Deutsch „Was ist die Beziehung?“. Die somatische Sexologin Mint und ihr Ehemann, Extremsportler Omar Samra, stellen im gemeinsamen Gespräch Partnerschaftsnormen in Frage. Das ägyptische Paar redet über psychische Gesundheit, Intimität und Patchworkfamilien. Das Geld dafür kommt aus den Emiraten, genauer vom feministischen Medienunternehmen „Womena“ mit Sitz in Dubai.

Die Audioserie ist auf Platz 48 in den Apple Podcast Charts in Ägypten. Die meistgehörten Shows haben jedoch männliche Hosts. Fazit: Obwohl sie fortschrittliche Themen angehen, brauchen die Macherinnen eine Finanzierung, die nicht von den Nutzer*innen kommt. Trotz der Herausforderungen und der noch geringen Nutzung von Podcasts in Ägypten – nur 20 Prozent der Bevölkerung konsumierten 2022 das Medium – sehen die Produzentinnen durchaus Potenzial in diesem Format.

Kim Fox betont, dass es Möglichkeiten zur Monetisierung gibt, aber Kreativität und Experimentierfreude dafür vonnöten sei. „Die ägyptische Mentalität ist noch so, dass Podcasts wie traditionelle Medien behandelt werden.“ Sponsor*innen könnten ein neuer Weg sein, Geld einzutreiben, oder auch Rabattcodes zu verteilen an Werbepartner. Das Schöne an Podcasts sei, so Fox, dass man mache könne was man wolle – vor allem experimentieren und neue Formate entwickeln.

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Von Julia Neumann, Beirut

Julia Neumann berichtet als freie Korrespondentin aus dem Libanon. Sie beschäftigt sich mit den Kulturen und Gesellschaften Westasiens und Nordafrikas und recherchiert vor allem zu Genderthemen, Migration und Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Sie hat Journalistik in Dortmund, Internationale Politik in Ifrane (Marokko), Soziologie und Geschichte des Vorderen Orients in Erfurt und Beirut studiert. Mehr unter: www.neumannjulia.de.

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Mareike GraepelHaltern
Die US-Amerikanerin Cindy O’Brien lebt seit den 90er Jahren in Connemara, ganz im Westen von Irland und züchtet seltene Seeschnecken. Die sogenannten japanischen Abalone gedeihen an der irischen Küste gut. Sie gelten als Delikatesse und Aphrodisiakum, kosten bis zu 44 Euro pro Kilo – und sehen aus wie Vulven.

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